Wege aus der II-V-I

Jazzgitarre in Deutschland – Teil 3: Daniel Stelter

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(Bild: Martin Schmidt)

Trifft der Rocker auf den Jazzer, ist die Liste der Vorwürfe lang: endloses Skalengedudel, verkopft, technisch brillant, aber kein Feeling. Andersherum sieht es nicht viel besser aus: Primitiv, immer die gleichen Akkorde, Songs, die auf für den Massenverkauf tauglichen Formeln basieren und natürlich viiiel zu laut – willkommen im musikalischen Schubladenland, in dem sich die zwei Lager seit Jahren unversöhnlich um die Krone der wahren Musik streiten. Aber muss das so sein?

In Amerika wandern Musiker wie Scott Henderson, Bill Frisell, Jim Campilongo und Michael Landau zwischen den Welten, spielen Jazz-Lines mit Rocksound, kombinieren Country, Rock, Bebop und Blues zu ihrem ganz eigenen Stil. Und in Deutschland?

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Auch da scheint sich was zu tun. Eine Gruppe von jüngeren Jazz-Gitarristen – aufgewachsen mit Rock und Pop, ohne Scheu vor Elektronik, Verzerrung und singbaren Melodien – schickt sich an, den Jazz wieder spannend und auch abseits der Szene hörbar zu machen.

Zeit für Gespräche mit drei Protagonisten über ihre Ausbildung, musikalische Motivation, finanzielles Überleben und Vorurteile in der Szene.

Interview: Daniel Stelter

Auch der Ingelheimer Gitarrist ist als TVBand-Mitglied aktiv und sorgt bei „Sing meinen Song“ für den Background für diverse Sänger. Nach dem Start auf der Blockflöte, war die Gitarre der älteren Brüder irgendwann doch interessanter. Von Anfang an wandelte Daniel zwischen akustischen und elektrischen Welten. Heute spielt er elektrisch mit seinem eigenen Quartett oder akustisch im Duo mit Lulo Reinhardt und war auch als Sideman für Wolfgang Haffner, Al Jarreau und Ringsgwandl aktiv.

Der Musiker

Wann ist dir Jazz zum ersten Mal begegnet?

Mit 15 Jahren nahm ich Unterricht beim Wiesbadener Gitarristen Oliver Klenk und der hat mich an den Jazz herangeführt.

Hast du direkte Vorbilder?

Einen speziellen Helden habe ich nicht. Es gibt viele, denen ich nachgeeifert habe, aber ich wollte nie genauso sein. Ich habe relativ früh für mich herausgefunden, was ich machen will. Ich habe in Mainz bei Norbert Scholly studiert und viel transkribiert, ganze Soli und Stücke aufgeschrieben. Später habe ich dann einzelne Phrasen rausgepickt und die bleiben dann entweder hängen oder sie rutschen durchs Sieb.

Was ist deine Definition von Jazz?

Für mich ist das ein Überbegriff für die Art Improvisation, bei der es harmonisch ein bisschen komplexer wird.

Was gefällt dir an der Stilistik und gibt es auch Sachen, die dich stören?

Mir gefällt, dass man durch den improvisatorischen Anteil eine Spielerpersönlichkeit heraushören kann, ähnlich wie im Blues. An Blues-Platten finde ich toll, dass alle dieselben Akkorde spielen, aber vollkommen unterschiedlich klingen. Was mich stört, ist, dass es manchmal zu „kopfig“ wird und man es auch als Musiker nicht mehr nachvollziehen kann. Ich mag es, wenn ich Musik höre und sie mich sofort anspricht, mich emotional packt, wenn mir jemand eine Geschichte erzählt und ich die Sätze – wie beim Reden – gleich beim ersten Mal verstehe.

Wie hast du die Herangehensweise an der Uni an Jazz empfunden, diese Aufbereitung der Geschichte und Jazz-Theorie?

Es ist hilfreich, wenn man weiß, was es in der Jazz-Geschichte gegeben hat. Was mir beim Studium schwergefallen ist, war die Sachen herauszupicken, die mir wichtig sind, weil es so wahnsinnig viel im Jazz gibt. Da kann man sich leicht verrennen. Durch den theoretischen Background kann man Transkriptionen einordnen, das geht ja Hand in Hand.

Daniel Stelter Quartett

Du bist ein technisch sehr versierter Gitarrist. Dein Quartett zeichnet sich aber durch einen gewissen Hang zum Minimalismus aus und hat nicht diesen typischen Höher-Schneller-Weiter- Fusion-Ansatz. Ist das ein bewusstes Konzept?

Nein, das schließt an das an, was ich an Jazz mag. Ich mag, wenn ein Gedanke relativ klar ist. Es müssen nicht viele Noten sein. Wenn man mit Musikern ins Studio geht, ist es schön, wenn man nicht so viel denken muss, sondern einfach spielt.

Wie entstehen die Kompositionen?

Hauptsächlich alleine. Ich habe einen kleinen Notizblock und nehme mit dem Telefon auf. Ich sitze dann irgendwo, spiele meine Phrasen oder eine Akkordverbindung und habe schließlich eine kleine Bibliothek von Ideen. Irgendwann setze ich mich bewusst hin und setze das zusammen, höre meine Ideen durch und suche Dinge, die zusammenpassen könnten. Ich komme mir wie jemand vor, der ein Puzzle macht.

Machst du dann ein Demo?

Nein, ich schreibe es als Sheet auf und überlege mir eine Form, sodass ich es direkt mit den Kollegen spielen kann. Ich weiß, dass von den Leuten, mit denen ich spiele, auch etwas kommt, das mir gut gefällt und versuche es deshalb möglichst offen zu halten.

Wie nehmt ihr im Studio auf?

Alles live. Vielleicht gibt es mal einen Shaker-Overdub oder eine Orgel, aber ansonsten spielen alle vier zusammen. Ich habe bei den vorigen Platten versucht, aus verschiedenen Takes etwas zusammenzuschneiden, aber das hat nicht funktioniert, weil man diese Geschichte unterbricht. Ich mag es, wenn man merkt, dass es gespielt ist.

Du arbeitest auch mit Wolfgang Haffner, Lulo Reinhardt u. a. zusammen. Wie kommen diese Projekte zustande?

Das ergibt sich oft durchs Zusammenspielen, das Netzwerk erweitert sich. Mit Wolfgang Haffner habe ich die letzte Al-Jarreau-Tour gespielt, wir haben uns gut verstanden und dann hat er mich für seine Platte angefragt.

Gear

Hast du eine Hauptgitarre?

Ja, zwei. Zum einen meine Höfner Verythin und meine Hanika Nylon. Und eine alte Gibson-Mandoline, die ich immer öfter einzusetzen versuche. Mit denen kann ich alles machen. Bei „Sing meinen Song“ muss man etwas breiter aufgestellt sein, da habe ich dann fünf oder sechs Gitarren dabei.

Fender Princeton, Höfner Verythin
Hannika Akustik
Gibson Mandoline

Welchen Amp spielst du?

Ich spiele einen neuen Fender Princeton oder einen Deluxe Reverb von 1972. Der Princeton gefällt mir im Moment besser, mit einem 10‘‘-Speaker drin. Der langt fast immer. Ich bin nicht so ein lauter Gitarrist. (lacht) Für die Fernsehsendung habe ich einen Kemper, mit dem ich auch sehr gut zurechtkomme. Ich spiele da meist nur zwei, drei Amp-Modelle.

Wie sieht es mit Pedalen aus?

Mein Hauptverzerrer ist von Rodenberg, ein Tube-Screamer-Nachbau mit Booster und zwei Verzerrungen in einem Pedal. Dann spiele ich viel mit einem 69 Fuzz von Fulltone, das benutze ich oft für flötenartige Sounds, fade viel. Dann habe ich ein Boss Giga Delay und ein Analog Delay, mit dem ich viel Lärm machen kann. Hin und wieder benutze ich auch noch ein H9 von Eventide, mit einem guten Tuner drin.

Klein und kompakt – Daniels Pedalboard (Bild: Martin Schmidt)

Hast du jemals Interesse am klassischen Jazzton gehabt?

Ich habe es versucht, habe mir eine dickere Aria gekauft, aber schnell gemerkt, dass das nicht meine Welt ist. Ich habe relativ schnell gefunden, wo ich mich wohlfühle. Am Ende habe ich doch lieber meine Höfner mit den 10er-Saiten genommen. (lacht) Die Höfner hat jetzt auch ein Vibrato und einen DJ-Switch für Stotter-Sounds.

Rosewood-Tele
Scharpach/Van Bommel-Custom-Gitarre

Sing meinen Song

Du spielst als Gitarrist in der TV-Show „Sing meinen Song“. Wie kommt man an einen solchen Job?

Über Matthias Grosch, der in Mannheim im Studio von Xavier Naidoo arbeitet, wo ich schon einige Platten eingespielt habe. Netzwerk also. Ich habe noch nie eine Bewerbung geschrieben. Es geht schon über Kontakte …

Gefällt dir dieser Job?

Es ist eine ganz andere Arbeitsweise als im Quartett. Jeder Sänger kommt drei Tage ins Studio und dann werden die Arrangements erspielt: Matthias hat meistens ein Sheet und ein paar Ideen und dann wird gebastelt. Es ist ein Zusammen-Entwickeln und das macht mir viel Spaß. In dem Moment, wo es kreativ ist, ist es nie Arbeit, erst sobald ich reproduzieren muss, wird es dazu. Ich mag es, mich einzubringen, Sachen zu erfinden, Sounds zu suchen.

Wie groß ist die Gefahr, dass einen solche kommerzielleren Projekte von der eigenen, künstlerischeren Musik abhalten?

Die ist groß, deswegen versuche ich mir immer ein paar Freiräume zu halten, damit die Gewichtung stimmt, denn ich kann das eine nicht ohne das andere machen. Ich achte darauf, dass ich mich genügend in meiner Musik ausleben kann und bringe das dann wieder in andere Geschichten ein. Inzwischen sage ich auch mal das eine oder andere ab. Ich hatte schon einige Anfragen aus TV Shows, die ich nicht machen konnte, weil ich eigene Konzerte hatte.

Business

Wie sieht denn dein beruflicher Alltag aus, gibt es da eine gewisse Regelmäßigkeit?

Ich muss es schon flexibel halten. Die Weihnachtsshow im Fernsehen konnte ich nicht mitmachen, weil ich mit Lulo Reinhardt auf USA-Tour war. Da muss ich dann auch mal einen Sub hinschicken. Mittwochs bin ich an der Hochschule in Frankfurt, aber eben auch nur im Semester. Gerade habe ich die Musik für zwei Kinofilme mit Michael Geldreich gemacht. Der Alltag ist immer unterschiedlich.

Stört dich das oder ist das einfach Teil der Musiker-Realität?

Mittlerweile sehe ich es als Vorteil, man kann seinen Tag selbst bestimmen. Manchmal ist es zu viel, an anderen Stellen könnte es mehr sein. Bei der eigenen Musik muss man sich auch die Frage stellen, wer sie wohl hören will. Man kann niemanden dazu zwingen, dass man Geld für seine eigene Musik bekommt. Jede Musik funktioniert nur, wenn eine gewisse Nachfrage danach besteht, das ist die Realität.

Wieviel Zeit geht für die Administration drauf?

Als freiberuflicher Musiker muss man logistisch viel machen, seine Leute zusammenhalten, Termine organisieren. In den anderen Bereichen versuche ich, nur das Nötigste zu machen, sonst hat man irgendwann doch einen Bürojob. Ich bin in der GEMA und beschäftige mich mit den Abrechnungen. Der Live-Anteil am Verdienst ist aber viel höher. In meiner Situation muss ich mit den Gegebenheiten umgehen und versuche, das positiv zu sehen.

Machst du auch Booking und Promotion?

Das gebe ich eigentlich ab. Ich bin bei Herzog Records und Nibo Music und die promoten das auch. Das läuft dann auch ganz gut bei SWR2, NDR2 und Deutschlandfunk. Dafür braucht man ein Netzwerk an Redakteuren. Das Booking mache ich größtenteils selbst, aber da kommt auch vieles an Anfragen rein. In den USA haben Lulo und ich einen Booker.

(erschienen in Gitarre & Bass 04/2019)


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Teil 1

Teil 2

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