Die Beach Boys vertonten mit schmalzigen Pop-Hits wie ,Surfin’ USA‘ das Lebensgefühl im Kalifornien der 60er-Jahre. Doch das Tempo und das Risiko des neuen Surf-Sports reflektierten Instrumental-Bands wie Dick Dale & His Del-Tones oder The Surfaris. Zu ihren Markenzeichen gehörten schnelle Gitarren-Staccati, viel Reverb-Effekt, hektische Drumbeats und pumpende Bässe. The Razorblades aus Wiesbaden spielen seit mehr als 18 Jahren die modernisierte Version dieses klassischen Stils.
Auf dem neuen Album ,Howlin‘ At The Copycats‘ gibt man wieder mal Vollgas und befeuert Surf mit Punkrock und Rock’n’Roll. Ein Gespräch mit Rob Razorblade aka Martin Schmidt über Musik, Gitarren, Recording und Kreativität.
Martin, ,Howlin’ At The Copycats‘ heißt das neue Album. Wer ist denn mit diesen Copycats gemeint?
Das ist ein Kommentar zu dem Trend im Musikbusiness, dass Nachspielen irgendwie toller ist, als eigene Songs zu schreiben. Das sieht man an Tribute-Bands, die total beliebt sind, oder den ganzen Videos, in denen Songs gecovert werden. Ich finde das eigentlich ein bisschen schade, denn ich fand das Kreative, dieses „Ich schreibe meine eigene Musik“ immer spannender. Ich bin in den 80ern aufgewachsen. Wenn man damals etwas nachgespielt hat, war das eher ein Ausschlusskriterium, das war nicht cool. Heute ist das andersrum.
Das neue Razorblades-Album ist sehr abwechslungsreich. Neben Einflüssen aus Rockabilly und Punkrock musste ich bei zwei Songs auch an The Smiths und The Cure denken. Wie kommt es dazu?
Für mich war es beim Musikhören und -machen schon immer der Ansatz möglichst viele Sachen zu entdecken. Es gibt diese Puristen-Attitüde – ich mache diese Musik, deswegen kann ich nur diese Gitarre, diesen Sound und diese stilistischen Elemente verwenden. Aber die Sachen, die mir gut gefallen, sind eigentlich immer anders. Ich bin gerade 50 geworden und habe schon so viel Musik gehört und gemacht, dass ich keinen Sinn darin sehe, mich auf eine Richtung festzulegen. Und gerade bei Instrumentalmusik ist es ja schön, wenn verschiedene Dinge passieren.
Wobei die Razorblades trotz Vielfältigkeit natürlich am Ende Surf spielen, ein Genre, das wohl eher traditionell ausgerichtet ist.
Sagen wir so: Es gibt verschiedene Schulen. Sobald ein Verzerrer eingeschaltet wird, es zu wenig Hall auf der Gitarre oder einen anderen Groove gibt, dann gibt es diejenigen die sagen, das ist keine echte Surf-Musik. Auf der anderen Seite gibt es diejenigen, die breitgefächert sind. The Mermen oder Shadowy Men On A Shadowy Planet sind solche Bands, die Punkrock oder irgendwelche Noise-Sachen mit Surf vermischt haben. Das ist der Ansatz, der mir gut gefällt.
Wie lief die Produktion des neuen Albums ab?
Ich habe kein analoges Studio mit Bandmaschine, sondern arbeite mit dem Computer. Allerdings verwende ich dabei alte Verstärker und Gitarren. Zunächst habe ich in meinem Studio Demos mit programmierten Drums gemacht. Dann hat Ralph Razorblade aka Andreas Süsterhenn in seinem Studio dazu die richtigen Drums eingespielt. Anschließend habe ich den Großteil der Instrumente nochmals neu eingespielt, bei vier Songs wurden die programmierten Drums so gelassen. Außerdem habe ich auch die Bässe eingespielt.
Welche Instrumente hast du auf dem neuen Album gespielt?
Live spiele ich Instrumente vom Frankfurter Gitarrenbauer Lars Riemer. Im Studio setze ich immer alte Sachen ein, und zwar eine Fender Jaguar von 1963, eine 65er Fender Jazzmaster und eine zusammengebastelte Stratocaster mit einem Hals von ’69, einem ’71er-Korpus, neuen Tonabnehmern und neuem Vibrato. Schließlich spiele ich noch eine 2009er-LSL-Tele. Was Verstärker betrifft hatte ich vom Tube Amp Doctor einen JTM 45 mit 80 Watt und ein 18-Watt-Topteil, die beide an Marshall angelehnt sind.
Dann nutze ich oft einen 1968er-Fender-Bassman-Head und einen 1962 Fender Deluxe, der einen sehr schönen Clean-Sound hat. Für die verzerrteren Rhythmusgitarren habe ich einen 50-Watt-Marshall von Anfang der 70er. Dann fängt der moderne Teil an und ich gehe in die UAD OX Amp Top Box und benutze die Speaker-Simulation. Das klingt sehr realistisch.
Wie sah es beim Aufnehmen mit analogen Effektgeräten aus?
Der Haupteffekt ist ein alter Fender-Tube-Reverb von Anfang der 60er-Jahre. Das ist ein Original mit 110 Volt, das auf dem Album für 97 Prozent aller Hall-Sounds verantwortlich ist. In einem Song habe ich auch mal einen Reverb aus dem Computer genommen, aber meistens nehme ich es direkt mit auf.
Für den Gitarren-Sound war auch noch wichtig, dass ich entweder vorne dran ein Echoplex-EP-II-Delay oder die moderne Variante davon, nämlich ein ClinchFX Pico Pre in Verbindung mit einem Catalinbread Belle Epoch Tape Echo eingesetzt habe. Das produziert so leichte Schwankungen im Ton und es entsteht eine dezente Verzerrung, was sehr schön ist. Das originale Echoplex ist sehr anfällig und man muss es alle sechs Monate überholen lassen, sonst macht es komische Sachen.
In einigen Passagen hört es sich so an, als würdest du für diese ganz knalligen Sounds die Saiten mit dem Plektrum sehr nah am Steg anschlagen.
Stimmt, gerade bei diesen tiefen Melodien gehe ich gerne nach hinten. So etwas bringt das TAD-80-Watt-Topteil gut rüber. Das ist eigentlich ein Marshall-Amp, also nichts, was der normale Surf-Gitarrist verwenden würde. Aber der TAD hat viel Headroom, d.h. du kannst sehr hart anschlagen, auch auf der tiefen E-Saite, ohne dass der Amp in die Knie geht.
Für Surf-Musik sollte man sicherlich einen schnellen Wechselschlag beherrschen.
Ja, für diese Double-Picking-Sachen im Stile von Dick Dale. Ansonsten bin ich nicht so der super Alternate-Picker, bei schnelleren Sachen benutze ich auch sehr viele Hammer-Ons und Pull-Offs.
Typisch für dich ist auch das Spiel mit dem Vibratohebel, das von ganz leichten country-artigen Bends bis zu extremeren Verstimmungen reicht.
Das Vibrato von Jazzmaster und Jaguar hat ja nicht so einen großen Umfang. D.h. man kann sehr gut wie mit einer Gretsch um den Akkord herumvibrieren. Bei den heftigeren Vibrati habe ich eher die Strat benutzt, das kommt von Jimi Hendrix.
Bild: Martin Schmidt
1963er Fender Jaguar Candy Apple Red
Bild: Martin Schmidt
1965er Fender Jazzmaster Black Sparkle
Wann hast du angefangen mit der Gitarre?
Mit zehn ungefähr, ganz ordentlich in der Musikschule mit klassischem Unterricht, Fußbänkchen und Heinz-Teuchert-Gitarrenschule. Ich habe früh, so mit acht oder neun, angefangen Musik zu hören, AC/DC und Punkrock. Das kam durch meinen Cousin, der ein paar Jahre älter war und mir Kassetten aufgenommen hat. Dann habe ich mit Peter Burschs Gitarrenbuch weitergemacht, habe Akkorde gelernt und Folkpicking. Und mit 17 hatte ich eine Punkband, eine Art Erweckungserlebnis. Ich war nicht besonders gut damals, ich konnte zwar klassische Gitarre spielen, hatte aber überhaupt keine Ahnung, wie Rockgitarre funktioniert. In der Punkband konnte ich mit nur ein paar Akkorden plötzlich Songs schreiben und zusammen mit anderen Leuten spielen. Mit 18, 19 habe ich dann Jazz-Unterricht genommen. Ich stand damals auch auf den Indie-Sound der 80er, Nick Cave, Einstürzende Neubauten und alles drumherum. Insgesamt also eine bizarre Kombination an Einflüssen.
Wie bist du dann zur Surf-Musik gekommen?
Ich habe 1988 mit meiner Band im Vorprogramm der Fenton Weills gespielt. Die hatten so einen Sixties-Sound und spielten viele TV-Themes, einige Surf-Klassiker und auch etwas von Link Wray. Danach ging das jedoch erstmal für zehn Jahre verloren, bis ich eine CD-Kritik im Guitar Player über die amerikanische Band Slacktone gelesen und mir direkt das Album bestellt habe. Das hat mich so begeistert, dass ich mich die nächsten Jahre nur damit beschäftigt habe. Ich habe die ganze Surf-Geschichte durchgearbeitet, einerseits als Hörer und andererseits durch die Arbeit bei einem Fanzine, für das ich Interviews mit ganz vielen Surf-Musikern führen und so Informationen aus erster Hand bekommen konnte.
Welche Bands, Alben oder Songs sind empfehlenswert zum Einstieg?
Das erste Slacktone-Album ,Warning: Reverb Instrumentals!‘, und eine Dick-Dale-Compilation sind immer gut. Es gibt einige bekannte Surf- und Instrumental-Rock-Songs, die man sich mal anhören sollte, darunter ,Pipeline‘, ,Apache‘, ,Mr. Moto‘ und ,Misirlou‘. Die erste Platte von Shadowy Men On A Shadowy Planet hatte auch einen großen Einfluss.
Ich hatte schon mal ein Lexikon mit dem Titel ‚Surf Beat‘ geschrieben, das vor 14 Jahren erschienen ist. Darin habe ich meine ganzen Interviews verarbeitet, die ich gemacht hatte.
Worum geht es in deinem neuen Buch?
Ich möchte erklären, wie Surf-Gitarre funktioniert. Ich zeige die Spieltechniken und die harmonischen Grundlagen, wie immer wiederkehrende Akkordklischees. Außerdem gibt es noch ein paar Ansätze, wie man das vielleicht noch ein bisschen weiterentwickeln kann, z. B. mit Akkord-Melodie-Kombinationen. Zum Schluss gibt es 20 Songs zum Mitspielen. Surf-Musik ist kein Stil wie Blues oder Jazz, wo es viel um Licks und Improvisation geht, es geht vor allem um Songs. Die meisten Surf-Songs sind zwei bis drei Minuten lang und haben ein klar festgelegtes Thema. Deswegen lernt man am besten Stücke nachzuspielen.
In deinem Buch ist mir aufgefallen, dass die Songs teilweise ganz schön flott sind mit Viertel bei 180 bis 190 bpm.
Ja, Surf ist schnell. Wir hatten mal eine Phase, in der alle Songs so bei 250 bpm lagen. Auf dem neuen Album haben wir uns allerdings etwas zurückgenommen. Dieses High-Energy-Ding finde ich sehr reizvoll. Und live kommt dann ja auch noch mal das Adrenalin dazu und 10, 20 Beats drauf.