Gut zwei Jahre nach ihrem sensationellen Debüt-Album ‚Psychotic Symphony‘ meldet sich die amerikanische Allstar-Truppe Sons Of Apollo (feat. Ron „Bumblefoot“ Thal, Gitarre; Billy Sheehan, Bass; Derek Sherinian, Keyboards; Mike Portnoy, Schlagzeug; Jeff Scott Soto, Gesang) mit ihrer zweiten Studioscheibe ‚MMXX‘ – die römische Formel steht für 2020 – zurück. Auch diesmal gibt es wieder knallharten Progressive Rock mit rhythmischen Finessen, vielen abgedrehten Gitarren- & Keyboard-Soli und einigen hymnischen Refrains.
Wie die Arbeiten an den acht neuen Songs verlaufen sind und was es sonst noch Spannendes vom kreativen Schaffen ihres Ausnahmegitarristen Bumblefoot (Guns N´ Roses, Asia, Art Of Anarchy) zu berichten gibt, hat uns der 50-jährige Saitenvirtuose im Interview erzählt.
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Ron, gleiche Besetzung, neues Album: Welche Neuerungen gibt es bei Sons Of Apollo? Ist ‚MMXX‘ auf die gleiche Weise entstanden wie euer Debüt ‚Psychotic Symphony‘?
Ehrlich gesagt verlief das Procedere diesmal ein wenig anders als bei unserem Erstwerk, das wir gemeinschaftlich erarbeitet haben. Eine solche Vorgehensweise war diesmal aus organisatorischen Gründen nicht möglich. Jeder von uns hat eine Menge anderer Projekte, sodass ein gemeinsames Zeitfenster für echte Teamarbeit beim Komponieren leider nicht zu finden war. Also habe ich – ähnlich wie beim ersten Mal – zunächst Riffs, Hooks und Songideen in meinem eigenen kleinen Studio zusammengetragen und sie dann Mike und Derek via E-Mail geschickt. Derek und Mike taten dasselbe, sodass es einen munteren Mail-Austausch zwischen uns dreien gab.
Als die Songs dann konkreter wurden, haben wir uns bei Mike in seinem Homestudio in Pennsylvania getroffen und alles zusammengefügt. Anschließend habe ich bei mir zu Hause meine Parts aufgenommen. Derek und Mike sind nach Burbank gereist, um dort, wie schon bei der ersten Scheibe, die Drums einzuspielen.
War es leichter für dich, ein Album auf diese Weise zu erarbeiten? Oder war es komplizierter, weil jedes Bandmitglied stärker auf sich alleine gestellt war?
Ich fand es ehrlich gesagt etwas leichter, weil ich sehr viel zu Hause vorbereiten und ausprobieren konnte. Aber natürlich hat es auch sehr viel Spaß gemacht, mit allen in einem Raum zu komponieren und spontan auf jede einzelne Idee reagieren zu können. Im Grunde genommen ist das ja die Old-School-Methode und für den kreativen Prozess außerordentlich förderlich. Aber wenn die Verantwortlichen ihre Ideen schon vorher möglichst konkret ausarbeiten, kann man natürlich auch so arbeiten, wie wir es diesmal getan haben.
Mit welchem Instrumentarium hast du deine Parts aufgenommen?
Wie immer mit meiner Vigier DoubleBfoot Fretted/Fretless-Doubleneck, die bekanntlich mit zwei DiMarzio-Tone-Zone-Pickups in den Bridge-Positionen und zwei DiMarzio DP184 Chopper in den Neck-Positionen ausgerüstet ist. Angesteuert habe ich mit der Vigier ein Line-6-Helix-Native-PlugIn, das Ganze lief über ein sogenanntes Amplitube-4-System. Für die acht Songs von ‚MMXX‘ habe ich immer jeweils eine Rhythmusspur links und rechts eingespielt, plus die Soli in der Mitte.
Gibt es keine Overdubs?
Nur einige wenige. Ich finde, dass zu dieser Art von Musik – nicht zu vergessen: die vielen Keyboardsounds, die Derek liefert – ein relativ simples Gitarren-Recording am besten geeignet ist.
Wobei: So simpel ist eure Musik gar nicht.
Das stimmt, aber für mich machen Sons Of Apollo im Kern immer noch straighte Rockmusik. OK, einzelne Parts sind durchaus ziemlich progressiv und im Detail sogar noch komplexer als auf unserem Debüt. Derek und Mike haben die Scheibe produziert und mich gebeten, noch ein wenig ungewöhnlicher und verrückter als auf ‚Psychotic Symphony‘ zu spielen. Deshalb sind einige meiner Soli wirklich over the top geraten, die von Derek klingen mitunter sogar ziemlich psychotisch.
Ist es eigentlich generell schwierig in einer Allstar-Band wie dieser?
Nein, weshalb?
Weil vielleicht viele Egos im Spiel sind, und weil jeder der Beteiligten möglicherweise vor Selbstbewusstsein strotzt.
Weißt du: Allstar-Band hin oder her, man kann in jeder Konstellation Arschlöcher haben, auch in einer unbekannten Garagenband. Das hat nichts damit zu tun, wie berühmt oder erfolgreich die einzelnen Bandmitglieder sind. Man kann auch in einer Garagenband nur tolle Kerle haben, ebenso wie dies für eine Allstar-Truppe gilt.
Bei Sons Of Apollo haben wir nur tolle Kerle. Das beste Beispiel: Jeff, unser Sänger, ist das absolute Gegenteil eines Arschlochs. Er ist ein Geschenk Gottes für eine Band wie diese, sowohl auf als auch abseits der Bühne. Er ist immer freundlich, hilfsbereit und zuvorkommend. Und auch Jeff ist beileibe kein Unbekannter, immerhin hat er die Scheiben von Yngwie veredelt und auch bei Journey einen erstklassigen Job gemacht. Er hält bei Sons Of Apollo vieles in der Balance und sorgt dafür, dass sich diese Band wie eine Familie anfühlt. Einen besseren Freund als ihn, in einer Band wie auch im normalen Leben, kann man sich nicht wünschen.
(Bild: Insideout / Hristo Shndov)
Und ebenso unkompliziert wie Soto sind auch deine anderen drei Mitstreiter? Keiner von ihnen fordert mehr Einfluss?
Bei Sons Of Apollo ist es so: Jeder kennt die Vita des jeweils anderen, jeder weiß, was er zu erwarten hat. Deshalb finden wir immer die richtige Balance. Und man muss die Sache ja mal so sehen: Bei fünf Musikern in einer Band hat jeder einen Anteil von 20%. Wenn er mehr einfordern oder bekommen würde, müsste man diese Prozente ja bei jemand anderem abziehen. Damit wäre dann sofort eine Unausgewogenheit geschaffen. Und genau das wollen wir nicht.
Apropos Prozente: Ich vermute, dass der Anteil an Musikern im Publikum bei euren Shows überproportional groß ist.
Ja, das ist sicherlich so. Vor allem aber sind es Fans von all den Bands, an denen wir beteiligt sind und waren, also Dream Theater, Guns N’ Roses, Mr. Big, Soto- und Bumblefoot-Solo.
Habt ihr im direkten Austausch mit den Fans erfahren, mit welchen Erwartungen sie in eure Konzerte gekommen sind?
Ja, das war unverkennbar: Das Publikum will sehen, wie wir auf der Bühne steilgehen, wie wir verrückte Sachen machen, komplizierteste Passagen spielen. Solange wir diese Dinge liefern, sind die Fans vollauf zufrieden.
(Bild: Insideout / Hristo Shndov)
Hattest du vor der Tour mit derart euphorischen Resonanzen des Publikum gerechnet?
Naja, aufgrund der positiven Feedbacks auf ‚Psychotic Symphony‘ war damit durchaus zu rechnen. Dennoch war ich überrascht, wie viele Fans schon nachmittags in den Hotels auf uns warteten, um sich das Album oder ein Shirt signieren zu lassen, oder einfach nur, um ein paar Selfies mit uns zu machen. Nicht selten standen 40 bis 50 Fans in der Lobby und warteten auf uns.
Vor zehn Jahren hätte ich das sicherlich geliebt und jeden Tag mindestens 30 Minuten dafür geopfert, um allen Wünschen gerecht zu werden. Doch heutzutage ist für so etwas leider kaum noch Zeit, weil der enge Terminkalender auf Tour einem sowieso nur sehr wenig Freizeit lässt und man zwischen Anreise und Show auch immer etwas Ruhe benötigt.
Welches waren auf eurer ersten Tournee deine Lieblingssongs im Programm?
Zunächst einmal haben mir alle Nummern riesigen Spaß gemacht, aber wenn ich einzelne Stücke herauspicken sollte, würde ich wohl ‚Signs Of The Time‘, ‚Labyrinth‘, von dem ich ziemlich überrascht war, ‚Opus Maximus‘ und ‚Coming Home‘ wählen. Aber irgendwie war es das Gesamtpaket, das mich jeden Abend aufs Neue begeistert hat.
Inklusive einiger Cover-Songs.
Richtig. Auch die habe ich geliebt, vor allem die Dream-Theater-Tracks aus der Portnoy/Sherinian-Ära, beispielsweise ‚Lines In The Sand‘. Lustig war auch immer die Improvisation über das Pink-Panther-Thema.
Für Cover-Nummern wird es auf der kommenden Tour vermutlich keine Notwendigkeit mehr geben, oder? Mit zwei Alben dürfte fortan genügend eigenes Material vorhanden sein.
Ja, das sehen wir genauso. Im vergangenen Jahr bestand das Set aus Songs von ‚Psychotic Symphony‘ plus Covertracks sowie langen Soloeinlagen. Das hat bei den insgesamt 83 Shows, die wir mit unserem Debüt-Album gespielt haben, glänzend funktioniert. Natürlich hoffen wir, dass es mit ‚MMXX‘ noch deutlich mehr Shows werden und dass unsere neuen Stücke so stark sind, dass sie die Cover-Tracks mühelos kompensieren.
(Bild: Insideout / Hristo Shndov)
Was steht bei dir neben Sons Of Apollo auf dem Terminkalender für 2020?
Zurzeit produziere ich eine Alternative-Rock-Garage-Gruppe namens The Dodies. Das Duo besteht aus einem Sänger, der mich in seiner Aura irgendwie an Kurt Cobain erinnert, und einem Schlagzeuger, der nur mit einer Hand trommelt und mit der anderen Hand Keyboards bedient. Eine ganz ungewöhnliche Band.
Ich finde, die Jungs sind hervorragende Songschreiber, sehr speziell. Sie spielen im Studio ohne Clicktrack, nichts wird im Nachhinein quantisiert, alles ist live und sehr natürlich. Für jeden Song brauchen sie im Studio nur ein, maximal zwei Takes, und schon ist alles im Kasten. The Dodies wurde mir durch meinen früheren Manager vorgestellt. Die Jungs waren von meinem kleinen Studio total begeistert und denken, dass ich der richtige Mann für ihre kommende Scheibe bin.
Darüber hinaus habe ich im vergangenen Frühjahr eine Instrumentalnummer veröffentlicht. Das Stück nennt sich ‚Cintaku‘, ein indonesisches Wort, man findet dazu auf YouTube einen Videoclip, auf dem ich genau zeige, wie der Song gespielt wird. Solche Stücke möchte ich in Zukunft noch mehr produzieren. Außerdem vertreibe ich seit sechs Jahren eine eigene Kollektion von Grillsaucen.
Letzte Frage: Wird es auch zukünftig Bumblefoot-Music-Camps geben?
Das ist zumindest mein Plan. Ich liebe diesen engen Austausch mit jungen Musikern. Man spielt gemeinsam, unterhält sich, spricht über seine Musik, über das Business, ich habe eine Videokamera an meine Hand geschnallt, sodass man ganz genau erkennt, was ich spiele. Diese Videos dürfen die Studenten anschließend mit nach Hause nehmen. Man kann in diesen Camps wirklich eine Menge nützliches Zeugs über die Gitarre lernen.
Ich habe erst kürzlich zwei Camps in Irland abgehalten, zwei wirklich sehr gelungene Veranstaltungen. Außerdem werde ich im nächsten Sommer zusammen mit Paul Gilbert in New York eine tolle Guitar-Clinic geben. Und vor ein paar Tagen haben wir gemeinsam auf zwei Blues-Festivals gespielt. Es gibt also immer etwas zu tun.