(Bild: David J Hogan)
Seit 44 Jahren ist Ronnie Wood nun “der Neue” bei den Stones – aber auch der heimliche Aktivposten: Neben seiner Zweitkarriere als Maler hat er regelmäßig Gastauftritte bei berühmten Kollegen, jammt mit Gott und der Welt bzw. legt in schöner Unregelmäßigkeit das eine oder andere Solo-Album vor. Ende 2019, in einer kurzen Tourpause der Stones, war es wieder soweit: ‚Mad Lad‘ ist ein Tribut an sein Über-Idol Chuck Berry, den Vater des Rock’n’Roll.
Wenn ein Mitglied der dienstältesten Rockband der Welt einen internationalen Pressetag abhält, muss es schon das Landmark Hotel im Londoner Stadtteil Marylebone sein. Ein 5-Sterne-Kasten, der sogar noch älter ist, als die Stones selbst, und einen Wintergarten mit Palmen sowie geräumige Suiten zu gesalzenen Preisen aufweist. In einer davon hat sich an einem sonnigen Donnerstag Ende Oktober Ronald David Wood mit seiner Assistentin, seinem Manager und seinem PR-Mann breitgemacht. Ein Riesenzimmer für ein kleines Interview, aber der 72-jährige ist schließlich ein Rockstar alter Schule – selbst, wenn er im Gespräch eher als Kumpeltyp der Marke „großer Junge“ durchgeht. Zwar mit tiefen Gesichtsfurchen, aber nach wie vor mit markanter, schwarzer Strubbelfrisur, T-Shirt, Jeans und Turnschuhen. Dazu eine unbekümmerte, redselige Art, aber längst keine Kippe und kein Alkohol mehr. Damit, so Wood, habe er zur Geburt seiner Zwillinge aufgehört und trinke nur noch Kaffee, Wasser und Bier. Harte Sachen seien schließlich nicht gut für die Gesundheit, und die sei in seinem Alter wichtiger denn je. Zumal er, so das Multitalent, noch viel vorhabe – und es nur einen gebe, der ihn davon abhalten könne: Er selbst.
(Bild: Mark Seliger)
Interview
Ronnie, was fasziniert dich so an Chuck Berry, dass du ihm nun – zwei Jahre nach seinem Tod – ein musikalisches Denkmal setzt? War er einer deiner musikalischen Helden?
Definitiv! Wobei mein erster Held ganz klar Big Bill Broonzy war – er war es, der mich zur Gitarre hat greifen lassen. Aber dann habe ich Chuck Berry entdeckt. Eben durch Import-LPs aus Amerika, die Freunde von mir sammelten. Und die waren gar nicht so einfach zu kriegen. Man musste eine gute, zuverlässige Quelle dafür haben.
Während man heutzutage einfach auf einen Knopf drückt und jede erdenkliche Musik streamen kann?
Ach, heutzutage sind die Leute völlig verwöhnt. Sie können alles haben, was sie wollen, ohne sich groß anstrengen zu müssen. Nicht, dass ich das prinzipiell für etwas Schlechtes halte, aber als ich ein Teenager war, wäre so etwas undenkbar gewesen. Eben dass uns die Technik mal ermöglichen würde, dass wir alles hören können, was es nur gibt. Damals herrschte eher ein Hunger nach musikalischer Inspiration – weil es einfach nichts gab. Weil kein organisierter Vertrieb für Schallplatten existierte, sondern es ein echtes Abenteuer war, sie überhaupt in die Finger zu bekommen. Wie eine verbotene Frucht, mit der man nicht prahlte, sondern sich eher bedeckt hielt, dass man sie besaß. Die Herausforderung bestand darin, jemanden zu finden, der sie a) hatte und b) auch noch zu verleihen bereit war. Da entwickelte sich eine regelrechte Tauschszene – nach dem Motto: „Kann ich dir mal dein Muddy-Waters-Album entwenden? – Klar, wenn du mir dafür das und das gibst.“
So haben sich auch Mick und Keith kennengelernt – durch ihre Liebe für amerikanische Importplatten und den Austausch davon. Chuck Berry war einer von den besonders gefragten Künstlern, dessen Sachen man einfach haben musste. Dabei hatten wir jahrelang keine Ahnung, wie er überhaupt aussah. Was auch für Muddy Waters, Jimmy Reed oder Howlin’ Wolf galt. Einfach, weil sämtliche Covers gemalt waren, es aber keine Fotos gab. Nach und nach waren dann immer mehr Platten erhältlich, und ich habe in meinem Zimmer Stunden damit verbracht, seine Alben auf einem Plattenspieler zu dudeln und seine Licks zu kopieren. Das ist nie langweilig geworden. Ich höre seine Sachen bis heute gerne – und kopiere seine Licks noch immer. (lacht)
(Bild: BMG)
Er war ein Pionier – der Vater des Rock’n’Roll, wie er genannt wurde.
Ich denke, der Titel steht ihm zu. Und das basiert nicht zuletzt auf seinem legendären Auftritt in „Jazz On A Summer’s Day“, ein Konzertfilm über das Newport-Jazz-Festival, bei dem er 1958 aufgetreten ist – und den Übergang von Jazz zum Rock’n’-Roll eingeleitet hat. Er hat da mit Joe Jones am Schlagzeug gespielt und diesen neuen, irren Sound vorgestellt – in einem sehr traditionellen, engstirnigen Rahmen. Man sieht, wie die ganzen Jazzer das erst misstrauisch verfolgten – bis Leute wie der Trompeter Jack Teagarden plötzlich völlig aus dem Häuschen waren. Sie liebten, was sie da sahen. Sie kapierten es, sie gingen voll mit. Es war irre.
Hast du Chuck auch mal persönlich getroffen?
Oh, mehrmals sogar.
War er zu dir freundlicher als zu Keith und Eric? Die hat er bei dem ,86er Konzert, das unter dem Titel „Hail! Hail! Rock’n’Roll“ dokumentiert wurde, regelrecht zusammengestaucht.
Ja, er war ein wütender Mensch. Aber: Zu mir war er immer ein Gentleman. Was wohl die Ausnahme war. Ich habe ein paar Mal mit ihm gespielt, und jedes Mal ist er hinterher zu mir gekommen und hat gemeint: „Junge, wo hast du denn die Licks her?“ Und ich: „Von dir!“ Ich habe ihm also quasi seine eigenen Licks zurückverkauft. Und das Problem war, dass er sich nicht darum gekümmert hat, wer in seiner Band spielte. Den meisten Musikern gegenüber war er auch nicht besonders nett. Aber – und das ist der springende Punkt – seine Aufnahmen waren halt unglaublich gut.
Bei seiner Beerdigung 2017 haben die Stones Blumen geschickt – ein Bukett in der Form einer Gitarre. Warum wart ihr – wenn er so einen Einfluss auf euch hatte – nicht persönlich vor Ort?
Es ging zeitlich nicht. Ich weiß noch, dass ich mit Keith darüber gesprochen habe, aber wir waren auf Tour und es hätte nicht gepasst. Worüber ich damals sehr enttäuscht war. Es hatte ein bisschen was davon, als ob wir ihn im Stich lassen oder ihm nicht die letzte Ehre erweisen. Aber zumindest haben wir Blumen geschickt und das Grab später alle zusammen besucht, als wir in der Nähe waren.
Einer der Gründe, warum ich dieses Album aufgenommen habe, ist der: Als Chuck gestorben ist, habe ich nichts in dieser Art gesehen – es kam mir vor, als ob er nicht gewürdigt würde. Als ob man ihn regelrecht vergessen hätte. Also dachte ich mir: „Dann muss ich das selbst in Angriff nehmen.“ Anschließend habe ich Ben Waters getroffen, der genauso Klavier spielt wie Johnnie Johnson – wie Chucks Pianist. Ich war so glücklich, mich mit ihm zusammenzutun und die Legende am Leben zu halten. Ich hoffe, dass ich mit meinem Album dazu beitragen kann, die Youngster da draußen für Chucks Original-Aufnahmen zu begeistern.
Demnach verfolgst du mit ‚Mad Lad‘ eine regelrechte Mission?
Das tue ich! Und ob! Ich kümmere mich um Chucks Andenken.
Was angeblich so weit geht, dass du eine Trilogie an Tribut-Alben planst? Stimmt das – und werden sie alle zu Ehren von Chuck sein?
Nein, ein Album werde ich Jimmy Reed widmen und das andere eher vergessenen Helden wie Muddy Waters, Big Bill Broonzy, Eddie Taylor oder Hubert Sumlin. Richtig tolle Gitarristen, an die sich leider nur die wenigsten zu erinnern scheinen. Was ich unglaublich traurig finde.
Unter welchen Aspekten hast du die Stücke ausgewählt, die sich nun auf ‚Mad Lad‘ finden?
Oh, das ist nur ein kleiner Teil meiner Chuck-Stücke. Auf der Bühne bringe ich noch ‚Memphis, Tennessee‘, ‚Betty Jean‘, ‚Oh Carol‘, ‚Sweet Little Rock And Roller‘ und einige mehr. Alles Stücke, die nicht mehr auf das Album passten.
Wobei du auf Klassiker wie „Maybellene“ und „Roll Over Beethoven“ verzichtest, die man im Zusammenhang mit Chuck Berry zwingend erwartet. Eine bewusste Entscheidung?
Na ja, ich hielt sie für ein bisschen zu offensichtlich. „Johnny B. Goode“ habe ich z. B. nur mitgenommen, weil ich dachte: „Ich muss da mindestens mit einem Stück aufwarten, das die Leute kennen.“ Ansonsten halte ich das Album für eine gute Mischung aus nicht ganz so bekannten Berry-Songs, die durchaus dafür sorgen könnte, seiner Musik ein neues Publikum zu bescheren. Wir werden sehen…
(Bild: BMG)
Warum hast du dich für ein Live-Album entschieden, statt diese Songs im Studio einzuspielen?
Das war Zufall. Denn das, was man auf dem Album hört, war die erste Probe meiner neuen Band. Und das kurz vor unserem allerersten Gig im Tivoli Theatre in Wimborne. Da hatten wir vor Einlass des Publikums noch etwa eine Stunde Zeit, um uns warmzuspielen. Und das haben wir zu Referenzzwecken aufgenommen. Eben, um zu hören, wie wir klingen, aber mehr auch nicht. Ich hatte nicht vor, daraus ein Album zu machen. Aber es klang halt so ehrlich, so gut und so pur, dass wir uns dafür entschieden haben.
Eben für diesen Mitschnitt von den Proben – noch bevor wir da rausgegangen sind und vor Publikum gespielt haben. Ich meine, ist das nicht wunderbar? Es ist wie früher, als Billy Preston ein Album in 40 Minuten aufgenommen hat. Der Tradition folge ich hier. Nur einen Song, ‚Tribute To Chuck Berry‘, habe ich in meinem Studio in Irland aufgenommen. Und zwar im Alleingang – ich habe da alle Instrumente übernommen, was ein Riesenspaß war.
Wirst du diese Herangehensweise auf den kommenden beiden Alben beibehalten?
Ich werde sie definitiv mit derselben Spontaneität angehen wie dieses. Auch sie werden – wenn möglich – live entstehen.
Spielst du Chucks Stücke auf derselben Gitarre wie er – also auf einer Gibson ES-355?
Oh, diese Teile zu finden, ist gar nicht so leicht. Die meisten, die man angeboten bekommt, sind völlig überteuerte Sammlerstücke – und das muss nicht sein. Ich habe z. B. eine 330 in meiner Kollektion, ein ganz besonderes Stück. Nur: Sie klingt längst nicht so gut wie meine Gibson-Signature-Gitarre, die L5S. Die verwende ich auf den meisten Stücken des Albums und bin mit dem Sound wirklich sehr zufrieden. Trotzdem ist es so: Wenn ich mit dem Album auf Tour gehe und das Set noch ein bisschen ausdehne, werde ich auf verschiedene Gibson-Modelle ausweichen, wie sie Chuck benutzt hat. Einfach, um den Sound möglichst authentisch zu gestalten.
Was schwebt dir da vor?
In erster Linie die neue Chuck Berry 1955 ES-350T. Gibson hatte sie im Januar auf der NAMM Show vorgestellt – ein akkurater Nachbau mit frühem P-90-Pickup, den ich natürlich sehr interessant fand. Als ich ihnen von meinen Plänen erzählte, haben sie mir ein Exemplar in Aussicht gestellt. Und jetzt ist es da, worüber ich mich wahnsinnig freue. Also werde ich es auf der Tour spielen – in bester Chuck-Manier.
Wenn du heute in ein Hotel eincheckst, verwendest du dann immer noch die Namen der Bandmitglieder von Fleetwood Mac – weil sich dein eigener auf irgendwelchen schwarzen Listen befinden könnte?
(lacht) Das müsste ich wahrscheinlich nur, wenn ich noch mal mit den Faces touren würde. Da haben wir immer auf die Namen der Jungs und Mädels von Fleetwood Mac zurückgegriffen, weil man uns ansonsten gar nicht aufgenommen hätte. (lacht)
Ist das tatsächlich passiert?
Mehr als einmal.
Angeblich treffen sich die Stones in den nächsten Wochen, um die Aufnahmen zu ihrem neuen Album anzugehen. Stimmt das?
Oh, wir nehmen schon die ganze Zeit auf. Also immer, wenn sich die Gelegenheit dazu ergibt.
Wie denn, zwischen den ganzen Konzertterminen?
Wir versuchen, die Zeit, die wir zusammen verbringen, so sinnvoll wie möglich zu nutzen. Das bedeutet, dass wir immer mal wieder ins Studio gehen und an Ideen feilen – egal, wo wir gerade auf der Welt sind. Wir sind sehr darauf bedacht, unsere Zeit nicht zu verschwenden.
Eigene Songs oder weitere Blues- Cover?
Nur eigene, neue Songs.
Vielen Dank für das Gespräch.
Diskografie
Studio:
- I’ve Got My Own Album To Do (1974)
- Now Look (1975)
- Gimme Some Neck (1979)
- 1234 (1981)
- Slide On This (1992)
- Not For Beginners (2001)
- I Feel Like Playing (2010)
Live:
- Live At The Ritz (1988) mit Bo Diddley
- Slide On Live: Plugged In And Standing (1993)
- Live And Eclectic (2000)
- Buried Alive: Live In Maryland (2006) mit New Barbarians
- The First Barbarians: Live From Kilburn (2007)
- Live In London: Ambassadors Theatre (2010)
- Mad Lad – A Live Tribute To Chuck Berry (2019)
(erschienen in Gitarre & Bass 01/2020)