Das neueste Werk des Post-Hardcore-Quintetts tritt in große Fußstapfen, war doch der Vorgänger ,Stage Four‘ von herzzerreißender Katharsis geprägt. Für ,Lament‘ haben die Kalifornier mit mitreißendem Emocore zwischen Hoffnung und Resignation endlich das Licht am Ende des Tunnels entdeckt – und damit all die Narben offenlegt, die auf dem Weg dorthin entstanden sind.
Nick Steinhardt über die Arbeit mit Producer-Legende Ross Robinson, Fender-Gitarren im Hardcore und eine Kiste voller Vintage-Pedale.
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Interview
Nick, euer vorheriges Album ,Stage Four‘ wurde von Fans und Kritikern wegen seiner hochemotionalen Inhalte gefeiert. Wie war es, nach so einer Platte weiterzumachen?
Natürlich sorgt es für Druck, wenn etwas so gut ankommt. Ich denke, da das vorherige Album so emotional ist, haben wir nicht danach gestrebt, es zu toppen. Vielmehr wollten wir einfach das tun, das sich richtig anfühlt. Allerdings schreibe ich ja auch nicht die Texte, sondern fokussiere mich darauf, auf der Gitarre Songs zu entwickeln, die das, was wir bisher gemacht haben, in sich tragen, und trotzdem einen Schritt nach vorne gehen. Wir nehmen gerne unsere liebsten Songs des vorherigen Albums und arbeiten an diesem Stil weiter.
Beim Gitarrensound auf ,Lament‘ experimentierst du mehr als auf euren bisherigen Alben mit Delay, Reverb und anderen Post-Rock-Elementen. Wie kam das zustande?
Unser Produzent Ross Robinson ist sehr praktisch unterwegs und hat diese riesige Kiste mit coolen, alten Pedalen, die ich noch nie benutzt hatte. Und er hatte bestimmte Ideen, was an welcher Stelle funktionieren könnte. Auf unseren früheren Alben wusste ich genau, welches Pedal ich für welchen Part brauche und welchen Sound ich suche, wenn ich ins Studio ging. Dieses Mal war ich offener für den Prozess an sich. Es war ein spielerisches Herausfinden, was im jeweiligen Kontext gut klingen würde. Der Punkt war, open-minded dafür zu sein, die Songs klangtechnisch zu erweitern.
Wie planst du, diese Sounds live umzusetzen?
Witzig ist: Ich besitze ein paar Pedale, die mir viel bedeuten, die ich aber nicht mit auf Tour nehmen würde, weil ich nicht will, dass sie verloren gehen oder beschädigt werden. Ich versuche also, die jeweils beste Lösung für das Live-Setting zu finden, etwas, das ich innerhalb eines Tages ersetzen könnte und das nicht zu teuer ist. Viele von meinen alten Pedalen haben wir auf dem Album benutzt, etwa das originale Boss DM-2 Analog Delay, das ich oft in einer Slapback-Einstellung verwende. Und das Dimension C, ein alter Chorus mit nur vier Schaltern, kam auch sehr oft zum Einsatz. Das sind zwei meiner absoluten Lieblingspedale. Ich habe sie seit meiner Highschool-Zeit, und mittlerweile hat Boss Reissue-Modelle veröffentlicht.
Klingen die auch so gut wie die Originale?
Es gibt ein paar neue Features, aber der Sound an sich ist sehr ähnlich. Das einzige sind die unterschiedlichen Chips in den verschiedenen Versionen, etwa von meinem Analog-Delay. Obwohl es genau das gleiche Pedal ist, klingen alle unterschiedlich. Ich habe mir sogar mehrere vom gleichen Modell gekauft, nur um vergleichen zu können, welches besser klingt. Und ich habe immer das Original behalten, weil der Sound am besten war.
Kannst du uns kurz dein Equipment erläutern, das du normalerweise spielst?
Okay, fangen wir mit dem Live-Setup an: Alle meine Gitarren sind Fender-Singlecoil-Gitarren, meistens spiele ich eine Jazzmaster, deren dünnen Sound ich im Anschluss gut formen kann.
Damit gehe ich in einen Empress Buffer+, der alle anderen Pedale etwas gesättigter klingen lässt. Der ist immer an und hat seine eigene Effektschleife, er boostet das Signal also durch den Loop. Von da aus geht es in eine Reihe von Overdrives. Über die Jahre hatte ich viele verschiedene im Einsatz, meistens sind es aber Tube-Screamer- oder Bluesbreaker-Typen, also sehr transparente Verzerrer. Die schalte ich dann hintereinander, um mehr Gain zu bekommen, wenn ich es brauche. Nach den Overdrives gehe ich in die Filter-Effekte, und von da aus in die Reverbs: Ich spiele ein Malekko Spring Chicken, ein sehr kleines pinkes Hall-Pedal, gefolgt von einem EarthQuaker Ghost Echo. Dahinter kommt ein JHS Panther Cub Analog-Delay, das vielleicht sogar mein liebstes Analog-Delay ist. So sieht seit vier Jahren meine normale Signalkette aus, wenn wir live spielen.
Und was davon war mit im Studio?
Dieses Setup habe ich so auch mit ins Studio genommen, eben mit meinen selteneren Pedalen – am Ende war es aber bei jedem Song völlig unterschiedlich. Manchmal habe ich meinen normalen Booster benutzt, mitunter haben wir aber auch ein Vintage-Rat-Pedal genommen, das Ross gehört. Hin und wieder hat Ross sogar einen alten Memory Man als Overdrive benutzt. Das war total verrückt! Aber wenn es gut klingt, hinterfrage ich es nicht. Manchmal wurde die Signalkette dann derart kompliziert, dass ich auf der rechten Seite stand und Pedale an- und abgeschaltet habe, und Ross auf der linken. Er will, dass sich die Performance live anfühlt. Etwas wie „Lass uns die Strophe aufnehmen!“ oder „Lass uns den Refrain aufnehmen!“ machen wir nicht. Wir mussten sogar dafür proben, alle Pedale richtig umzuschalten, um alles in einem Take aufzunehmen.
Welche Amps spielst du?
Mein Verstärker war schon immer ein Mesa Lonestar mit 2×12″. Sie sind absolut verlässlich, haben viel Headroom und einen tollen Clean-Sound. Der Lonestar verfügt auch über einen wirklich guten Overdrive-Kanal. Aber damit ich nicht so viele Fußschalter brauche, benutze ich ein paar andere Mesa-Pedale, die fast wie der Overdrive-Kanal klingen. Und auf diesem Album habe ich noch einen Vox AC30 eingesetzt, der Ross gehört.
Euer zweiter Gitarrist Clayton Stevens ist auch ein großer Fender-Fan. Was fasziniert euch als Post-Hardcore-Band an diesem Sound?
Wir hören ja nicht nur aggressive Musik und andere Hardcore-Bands. Wir mögen Tom Petty, The Byrds, Sonic Youth und viele, viele andere. Ich stehe auf einen Gitarrensound, der clean, twangy und kristallklar ist. Das ist interessanter, als wenn wir EMG-Pickups und High-Gain-Verstärker für unsere Musik einsetzen würden. Es wären zwar die gleichen Songs, aber sie würden völlig anders klingen.
Einige Core-Bands verwechseln Verzerrung und Tiefe mit Heaviness. Wie schafft ihr es, mit sehr cleanem Sound und Standard-Tuning so Hardcore zu klingen?
Es gibt auf jeden Fall einen Unterschied zwischen Heaviness und Aggressivität. Wenn ein Song nach Aggression schreit, sehe ich keinen Grund, wieso das nicht in den höheren Registern der Gitarre stattfinden kann, solange der Bass die tiefen Frequenzen abdeckt. Ich mag es außerdem, wenn eine Aufteilung erfolgt. Wenn alle versuchen, super-heavy zu klingen, gibt es wenig Differenzierung zwischen den Instrumenten. Ich denke, ein Teil der Heaviness entsteht auch, wenn Clayton, Tyler (Kirby, Bassist, Anm. d. Red.) und ich völlig unterschiedliche Stimmen spielen, etwa in der Strophe, im Refrain dann aber alle auf dem gleichen Ton zusammenkommen. Durch dieses Unisono entsteht auch eine implizite Heaviness.
Denk zum Beispiel an eine Band wie Rage Against The Machine, die spielen meistens auch ohne viel Distortion. Eine Gitarre und ein Bass spielen Singlenotes, und heraus kommen einige der heaviest Riffs überhaupt. Dass Tom Morello dazu noch Tele spielt, war für mich außerdem immer eine große Inspiration: Dadurch sind einige meiner sound-technisch liebsten Alben entstanden.
Auf eurem Debüt ,…To The Beat Of A Dead Horse‘ von 2009 gab es kaum Songs über zwei Minuten, ,Lament‘ zeichnet sich aber auch durch Fünfminüter aus. Wie kam diese Entwicklung zustande?
Bei unseren früheren Songs hatte ich nicht so viel Einfluss auf das Songwriting, das haben damals ehemalige Mitglieder der Band übernommen. Ich würde sagen, dieses Kurz-und-Schnell-Ding war eher eine Leitidee aus den Anfangstagen, von der wir uns dann ganz natürlich weiterentwickelt haben. Auf dem Album danach (,Parting The Sea Between Brightness And Me‘, Anm. d. Red.) gibt es Songs, die auch fast schon Strophen und Refrains haben, die sich aber nicht wirklich wiederholen.
Wie gesagt, wenn ich einen Song schreibe, orientiere ich mich an dem, was mir am besten an unserem letzten Material gefallen hat. Am Ende mochte ich dann die Songs mit sich wiederholenden Parts – was also, wenn wir versuchen würden, mit noch mehr Wiederholungen zu arbeiten? Das entwickelt sich einfach ganz natürlich. Und wenn du anfängst, deine Lieblingssongs zu analysieren, erkennst du, dass da eine gewisse Struktur in dir resoniert. Etwa, wenn man ein paar Takte zu lange in der Strophe bleibt, bis man zum Refrain geht, um mehr Spannung aufzubauen. Man fängt an, Dinge in seiner eigenen Musik auszuprobieren, die man auch bei anderen beobachtet.
In mehreren Songs des Albums spielst du eine Pedal-Steel-Gitarre, etwa im Outro der Vorab-Single ,Limelight‘. Wie kam es dazu?
Ich habe schon immer diesen Klang geliebt. Aber wegen der hohen Anschaffungskosten habe ich mich nie damit beschäftigen können. Ich dachte mir, dass ich ja vielleicht mal jemandem begegne, der eine besitzt. Also habe ich mir erstmal eine Lap-Steel-Gitarre gekauft, ohne vorher jemals wirklich Slide-Gitarre gespielt zu habe. Ich dachte mir, wenn ich darauf die Bewegungen übe, schaffe ich es später auch auf der Pedal Steel. Aber ich merkte recht schnell, dass man durch den Steel Bar sehr limitiert ist.
Das ist der Unterschied zur Pedal Steel: Die Pedale benden die Saiten, um verschiedene Akkorde zu erzeugen. Also kaufte ich mir ein Modell aus den 70ern. Mittlerweile spiele ich darauf sogar mehr als auf der normalen Gitarre. Ich spiele seit 27 Jahren Gitarre und manchmal fühlt es sich so an, als ob es nichts Neues mehr gäbe: Du kennst alle Akkorde, die du normalerweise spielst, was man zwischen den Parts macht und so weiter. Eine Pedal-Steel-Gitarre ist da etwas völlig anderes. Sie zu spielen, ist wirklich faszinierend und neu. Vielleicht war das also auch eine Art Challenge, die alten Muster in meinem Kopf zu verändern.