Der kanadische Saitenvirtuose hat sich mit seinen vier exzellenten Instrumental-Rock-Alben einen Namen in der internationalen Gitarrenszene erspielt. Gerade war Johnston auf Workshop-Tour durch Deutschland und bot interessierten Gitarren-Fans spannende An- und Einsichten.
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Ob Spielweisen, Sounds oder Songwriting: Der Mann aus Rockwood, Ontario, beantwortet mit seiner freundlichen, humorvollen und offenen Art jede Frage mit einem Enthusiasmus, als hörte er sie zum ersten Mal. Und er hat die Ruhe weg. Der sympathische Schlacks mit dem Rauschebart nimmt sich nach seinem Workshop im Berliner Flagshipstore von JustMusic sogar Zeit für Plausch und Selfies mit seinen Fans. „Time for shaking hands and kissing babys!“
Nick Johnston hat sich mit seinen coolen Clinics eine weltweite Fan-Base erspielt, wodurch er auch seine vier Longplayer in Eigenregie inzwischen bestens verkauft. Und nicht nur das, die Fans können seine Songs auch als Backing-Tracks und als Transkriptionen erwerben. Direktkontakt dank digitaler Welt. Dass ihm seine Instrumentals immer wieder Vergleiche zu Joe Satriani, Greg Howe und Andy Timmons einbringen, nimmt er gelassen. Dabei hat der bekennende Comic-Fan eine ganz eigene, sehr durchdachte und ausgereifte Handschrift. „Atomic Music“ nennt er seine Variante des Instrumental-Rock. Oder wie ein Fan auf YouTube so passend jubelte: „The Tone! The Phrasing! The Beard!“
Nick, für alle, die deine Workshop-Tour nicht erleben konnten: Worauf legst du Wert?
Lass mich ausholen: Als Gitarrist, der auf Gitarristen steht, die noch viel besser sind als ich, dachte ich, ich müsse etwas ganz Besonderes bieten, wenn die Leute mir zuhören sollen. Also legte ich von Anfang an Wert darauf, dass meine Workshops gut konzipiert und strukturiert sind. Bis ich angefangen habe, welche zu geben! (lacht) Da hab ich gemerkt, dass die meisten Fans mich am liebsten einfach nur aus nächster Nähe Gitarre spielen sehen wollten …
… du meinst, wie beim legendären Frank-Zappa Zitat?
„Shut up ’n play yer guitar?“ Genau! (lacht) Also spiele ich vornehmlich meine Songs und rede zwischendurch mit den Fans über das, was sie von mir wissen möchten. Wenn du einen Raum voller Gitarristen hast, sind die Fragen so divers, wie die Leute selbst. Jeder hat andere Vorstellungen von Songs, Sounds und Equipment.
Deine Phrasierungen klingen, als hättest du dich intensiv mit anderen Instrumenten auseinandergesetzt …
Als ich anfing, mich eingehender mit meinem Spiel zu beschäftigen, bekam ich das Angebot als Rhythmusgitarrist bei einer Weltmusik-Band einzusteigen. Für mich als Van-Halen-Fan waren das damals sehr fremde, sehr seltsame Musikstile: mediterrane Musik, Gypsy Swing, Tango. Ich hatte große Schwierigkeiten, den Rhythmus tight rüberzubringen, so pulsierend und lebendig zu spielen wie ein zweiter Drummer. Und wenn ich unserem Sologitarristen zusah, dachte ich: Was verdammt noch mal spielt der da? Das hatte einen gewaltigen Einfluss auf mich. Die meisten Gitarristen, die ich bis dahin kannte, spielten Rock und Pentatonik. Wie Jimmy Page: Er ist, was er ist! Und er ist unbestritten genial! Aber ich wollte Phrasierungen finden, die atypisch für Rock-Gitarristen sind. Also begann ich, Jazz-Pianisten wie Oscar Peterson zu hören, Trompeter wie Miles Davis und Saxofonisten wie John Coltrane. Das war eine gute Schule.
Auch dein Vibrato ist sehr kultiviert.
Danke. Es ist eine hohe Kunst, einem Ton ein Vibrato zu geben, denn das muss mit voller Überzeugung passieren. Das ist eine der Techniken, die dich zum Musiker mit Persönlichkeit machen. Anfangs hasste ich mein Vibrato, weil mir schnell klar war, dass ich da nur so ein schwaches Geschwurbel zustande brachte. In der Geschichte der elektrischen Gitarre hat sich das aber zu einem unerlässlichen Stilmittel entwickelt.
Übrigens: ich finde, dass Jim Marshall mit seinen Amps indirekt viel dazu beigetragen hat. Je mehr Distortion und Sustain eine Note hat, desto mehr kannst du sie singen lassen und mit ihr spielen. Jazz-Gitarristen mögen das sicher ein wenig anders sehen! (lacht) Aber wenn du die Kunst beherrschst, eine Note zu formen und sie vielleicht bis zum Feedback zu halten, ist das richtig cool. Ich habe zahllose Stunden damit zugebracht mein Vibrato zu entwickeln. Im Grunde war es Yngwie Malmsteens Vibrato, das mich total angemacht hat, als ich es das erste Mal hörte. Das öffnete das nächste Level für mich. Nach und nach analysierte ich alle anderen – Hendrix mit seinem spektakulären Vibrato, Stevie Ray Vaughan, dem man mit seinen dicken Saiten die Anstrengung förmlich anhören konnte. Eric Johnson mit seinem eleganten Stil. Und Eddie Van Halen mit seinem unfassbaren „Ist es in Tune oder nicht? Scheißegal! Hauptsache es klingt geil.“ Vibrato! (lacht)
Dein Spiel sieht verblüffend leicht und unangestrengt aus. Woher nimmst du die große Ruhe in deinem Spiel?
Nochmal Danke! Dorthin zu kommen, war ein harter Prozess. Ich glaubte lange Zeit, ich würde das nie hinbekommen. Das änderte sich, als ich 21 war und regelmäßig mit dieser Weltmusik-Band auftrat. Ich war immer total nervös. Aber wenn ich mich mal verspielte und ins Publikum schaute, schien das niemanden zu kümmern. Vielleicht einen Einzigen – das übliche Arschloch im Publikum! (lacht) Aber sonst niemanden. Man macht halt Fehler. Na und? Die Show läuft weiter. Aber umgekehrt, wenn ich etwas saucooles spielte, scherte das dann auch niemanden! Ab jenem Tag war ich deutlich ruhiger. Heute habe ich kein Lampenfieber mehr. Du musst dir immer nur wieder sagen: Fehler passieren nun mal. Gib einfach dein Bestes und versuche Spaß zu haben!
Verrätst du uns deine Schwächen?
Ich habe massenhaft Schwächen! Müsste ich einen Country- oder Jazz-Gig spielen, wäre ich geliefert. Ich hätte eine Menge Hausaufgaben zu erledigen. Dann mein Picking: meine rechte Hand ist wirklich nicht so souverän wie ich sie gerne hätte. Deswegen spiele ich eine Menge Pull-Offs, Hammer-Ons und Legato-Techniken. Meine Notenkenntnisse sind auch nicht gerade klasse, ich müsste kräftig daran arbeiten. Ich mache das aber nicht, denn die Aussicht, hart an etwas zu arbeiten, was ich zudem langweilig finde, ist nicht die tollste Motivation für mich! (lacht)
Dein aktuelles Album heißt ‚Remarkably Human‘. Du nennst die Musik „Atomic Rock“. Wieso?
Nun, „Atomic“ ist ein doppeldeutiges Wort. Es kann eine Megaexplosion bedeuten, aber auch ein winziges Teilchen. Es kann also bedeuten, dass ich ein völlig übersteigertes Ego habe oder ein winziges Hirn! (lacht) Vor allem aber liebe ich die Science-Fiction-Geschichten der Fünfzigerjahre über Aliens, Roboter, Zeitreisen und all das Zeug. Und da ich mich immer schwer getan habe meine Musik zu charakterisieren – nicht Blues, nicht Jazz, nicht Metal – überlegte ich: Wie fühlt sie sich an? Sie hat eine Menge Energie! Deshalb: Atomic Rock.
Wie entstand überhaupt die Entscheidung, Instrumentals alleine zu spielen? Bist du ein Einzelgänger?
Ich wuchs einem winzigen Ort mit 600 Einwohnern auf. Keiner in meiner Familie spielte ein Instrument, keiner machte Musik. Als ich eine Gitarre haben wollte, hieß es: Ach, das ist nur eine Phase, du hast mit Eishockey aufgehört, mit Skateboarding auch, warum also jetzt Gitarre spielen? Als ich dennoch eine bekam, wollte ich es meinen Eltern beweisen und spielte acht Stunden am Tag. Ich übte so besessen, dass ich irgendwann all die Typen entdeckte, denen das ähnlich gegangen war: Vinnie Moore, Tony MacAlpine, Richie Kotzen, Jason Becker – all die Jungs vom Shrapnel Label. Und da es in unserem Ort keine Kids gab, die Musik machten, beschloss ich, das alleine durchzuziehen. Außerdem hatte ich keine Kohle. Ich musste erfinderisch sein. Also begann ich Workshops anzubieten. Das konnte ich alleine und sogar online machen. Und je länger ich das machte, desto mehr begannen sich die Leute für meine Musik zu interessieren.
Zu deinem Instrument: Du spielst dein Schecter Signature Custom Shop Modell. Wenn man sich die Features anschaut, scheinst du ein klassischer Singlecoil-Guitar-Typ zu sein.
Ich habe früher Humbucker-Gitarren gespielt, eine Ibanez, eine Carvin, auch eine Les Paul. Ich habe viel experimentiert, wie das jeder Jugendliche so macht. Bei einer Probe mit jener Weltmusik-Band riss mir eine Saite und ich hatte keinen Ersatz. Von der anderen Band, mit der wir uns den Proberaum teilten, stand eine Strat herum und unser Bandleader meinte, die dürfe ich benutzen. Ich schnappte mir also diese Gitarre und dachte mit der ersten Sekunde: Oh mein Gott! Die war so einfach bespielbar und klang dermaßen geil, dass ich so eine auch haben musste.
Und wie bist du dann zu Schecter gekommen?
Sie boten mir an, eine Gitarre zu bauen. Das klingt jetzt sicher echt schräg, aber ich glaubte ihnen nicht, dass sie eine klassische Strat-Style-Gitarre hinbekommen, denn ich verband den Namen Schecter bis dahin nur mit Heavy-Metal-Gitarren! Sie schickten mir dann dieses Custom-Shop-Modell und ich war total positiv überrascht! Dann lernte ich die Jungs kennen und war sofort überzeugt. Da ich mehr oder weniger der einzige Nicht-Metaller in ihrem Signature-Raster bin, bekomme ich eine Menge Aufmerksamkeit und Unterstützung von ihnen, das hat mich echt berührt. Das, was die Jungs von Schecter in meine Karriere investiert haben, werde ich nie im Leben zurückzahlen können! Es ist eine tolle Beziehung. Ich glaube an diese Gitarre und an die Leute dort.
Du hast beim Workshop einen Mesa Boogie TC-50 Combo gespielt. Wir haben dich aber auch schon mit einem Mesa Boogie Mark V, einem Friedman Dirty Shirley oder einem Friedman BE- 100 gesehen.
Ganz am Anfang hab ich einen Fender Hot Rod Deluxe gespielt, viele Jahre hinweg. Ein Amp, der auch mit Effektpedalen gut funktioniert. Zu Hause hatte ich noch einen Blues Junior. Dann habe ich mal in einem Studio einen Friedman BE-100 probiert und staunte nicht schlecht: Ein cooler, an einen Marshall Plexi erinnernder, jedoch heißerer Sound. Das erinnerte mich an Van Halens Ton. Ich kam mit den Jungs von Friedman in Kontakt und spielte dann ihren BE-100 Head mit passender 4×12 Box, dazu einen Buxom Betty 50 Watt Combo.
Heute spiele ich einen Mesa Boogie Triple Crown TC-50 Combo. Der klingt perfekt für das, was ich mache. Ich spiele fast nur den mittleren Kanal. Ganz früher hatte ich mal einen Boogie Mark V, aber der war super empfindlich. Wenn du auch nur einen Regler leicht verstellst, musst du alle neu justieren. Und sowas macht mir Angst! (lacht) Ich bin kein Typ, der so feine Nuancen braucht. Ich mag lieber einen Amp wie den TC-50, der etwas mehr verzeiht, wenn eine Einstellung mal nicht hundertprozentig exakt ist.
Wie stehst du zum Einsatz von Effekten?
Ich benutze keine! Das hängt auch wieder damit zusammen, dass ich als Teenager kaum Geld zur Verfügung hatte und mir Effektgeräte einfach nicht leisten konnte. Ich musste mit dem auskommen, was ich hatte. Nur ein Delay habe ich mir mal gekauft, das fand ich wichtig. Wenn ein Raum tot klingt, gibt es meinem Ton etwas Farbe – und mir etwas mehr Selbstbewusstsein. (lacht) Aber so lange ein Amp einen guten Gain Channel und etwas Hall hat, bin ich schon glücklich. Ich hab‘s gern einfach.
Da du es gerade ansprichst: Du nutzt vergleichsweise wenig Gain.
Die meisten Kids heutzutage vergessen, dass eine Gitarre ein dynamisches Instrument ist und die Pickups sehr sensibel sind. Wenn dein Amp laut eingestellt ist und du nur etwas Gain rein gibst, du dann an der Gitarre den Lautstärkeregler zurückdrehst und soft anschlägst, klingt das fast wie ein Clean-Channel. Du kannst viel mit dem Lautstärkeregler und deinem Anschlag machen. Wenn du härter anschlägst, klingt das schon fast nach Crunch. Und wenn du mehr Volume dazu gibst und richtig reinlangst, klingt das echt fett. Ich kann nur empfehlen, den Anschlag zu variieren – auch ein Thema, das ich in meinen Workshops behandle: wie hart ich anschlage, welche Saiten ich abdämpfe, damit andere voll und lange ausschwingen können – all das gibt deinem Spiel mehr Körper, mehr Ton.