Britische Bescheidenheit

Interview mit Tool-Bassist Justin Chancellor

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Nein, der typische Rockstar mit all den Eskapaden, Skandalen und Exzessen – welche den amerikanischen Rock’n’Roll- Zirkus zu dem gemacht haben, was er ist – das ist Justin Chancellor von Tool nicht gerade. Der gebürtige Brite ist eher scheu, gibt kaum Interviews und entpuppt sich erstaunlicherweise in unserem Gespräch beim Bass Camp 2016 als überaus freundlicher, bescheidener Gentleman in bester Plauder-Laune.

Was soll man über eine geniale Band wie Tool noch schreiben, das nicht schon in unendlichfacher Redundanz geschrieben wurde? Zu groß ist ihr Einfluss auf die Entwicklung des progressivenMetal der 90erund frühen 2000er-Jahre, um an dieser Band vorbeizukommen. Schon alleine der Song ,Schism‘ mit seinem hypnotischen Bass-Riff, dürfte eine ganze Generation von Bassisten geprägt haben. Dabei haben die Jungs um Ausnahme-Sänger Maynard James Keenan seit satten zehn Jahren kein Album mehr auf den Markt gebracht (die letzte CD mit dem Titel ,10000 Days‘ erschien 2006) und sich auch mit ihren opulenten Live-Shows, eher zurückgehalten. Warum dem so ist, was den guten Mann zum Warwick Bass Camp treibt und was er derzeit so an Equipment verwendet, erzählte uns Tool-Bassist Justin Chancellor persönlich.

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Interview

Justin, toll dich im Interview zu haben. Wir sind ja ein Musiker-Fachmagazin, ich hoffe du hast Lust, ein bisschen über dein Equipment zu sprechen. Aber bevor wir so richtig einsteigen, muss ich natürlich fragen: 10 Jahre kein neues Tool-Album – wann können wir mit etwas Neuem von euch rechnen?

Justin Chancellor: Sehr bald. Sehr bald, hoffe ich. Ich kann dir jetzt kein genaues Datum nennen aber wir sind richtig tief im Arbeitsprozess und ich glaube, es wird großartig. Alle sind involviert und ich bin mir sicher, es wird keine weiteren zehn Jahre dauern (lacht).

Euch hätte ich auch zugetraut, das es genau 10000 Tage bis zum nächsten Album dauern würde …

Justin Chancellor: Das wäre wirklich witzig gewesen (lacht). Neulich wurde ich gefragt, ob wir schon einen Titel für das neue Album hätten, da habe ich ,50000 Days‘ vorgeschlagen. Danny (Carry, Schlagzeuger der Band) meinte, dass es dadurch auch gleich fünf mal so gut werden würde … Ich mache nur Spaß.

Gibt es den einen besonderen Grund, warum ihr so lange für das neue Album braucht?

Justin Chancellor: Eigentlich nicht. Es ist wirklich das Älterwerden und die Umstände die damit verbunden sind. Wir konzentrieren uns dann lieber darauf, ein Album zu machen, was richtig gut ist und welches wir alle mögen, egal wie lange das dauert. Das unterscheidet die Kunst von der Pop-Musik. Nicht dass ich Pop jetzt generell nicht mögen würde, aber da wird schon vielesmit ziemlichem Tempo und am Fließband, ohne Spielraum für Entwicklung produziert.

Gab es in den letzten zehn Jahren denn irgendwelche kreativen Schlüsselmomente für die Band?

Justin Chancellor: Auf jeden Fall, einige sogar. Ein paar von uns – nicht ich – haben Kinder bekommen, was natürlich die ganze Sicht auf die Welt verändern kann. Man stellt dann schon das Ein oder Andere in Frage. Für mich ist es vor allem die Beziehung zu meiner Frau, die mich inspiriert, weiterzumachen und das Leben zu genießen. Natürlich gibt es auch andere Einflüsse wie Kunst, andere Musik oder Reisen. So wie hier bei euch in Deutschland. Ich bin einfach hier und hänge mit einem Haufen Bassisten und coolen Leute ab, das ist doch einfach super. Ich habe eben schon eine Stunde lange verschiedene Bässe ausprobiert und es hat echt Spaß gemacht.

Wie siehst du deine Rolle in der Band?

Justin Chancellor: Da gibt es sicher unterschiedliche Sichtweisen. Ich schreibe ja schon eine Menge Musik für die Band und zusammen mit Adam (Jones, Gitarrist von Tool) entwickle ich die Riffs und die Melodien. Es geht mir darum, alles zusammenzuhalten, in der Musik mit den anderen zu interagieren und nicht einfach drauf los zu knüppeln. Wir haben immer versucht, mit nur drei Instrumenten und der Stimme möglichst groß und mächtig zu klingen. Ich glaube, das haben wir echt ganz gut drauf. Je älter wir werden, desto mehr achten wir aber auf die Details, machen uns Gedanken um die Dynamik und geben nicht einfach nur Vollgas. Der Sound entsteht eben nicht nur durch einen guten Produzenten, sondern schon dadurch, wie man die Songs schreibt und arrangiert.

Musstest du über die Jahre deine Spielweise für die Band anpassen?

Justin Chancellor: Na ja, ich würde nicht sagen, dass ich sie anpassen musste, das passierte irgendwann von selbst. Die Spielweise ändert sich einfach über die Jahre. Ich habe gelernt, dass ich nicht die ganze Zeit super hart spielen muss, sondern dass es beim Musikmachen mehr um die Dynamik geht als darum, möglichst hart zu spielen.

Hatten die Bands mit denen ihr getourt seid, einen Einfluss auf dich? Da waren ja schon einige tolle Gruppen dabei. Da muss ich direkt an die großartigen Intronaut denken. Du hattest ja sogar einen Gast-Part beim Titelsong ihres ,Valley of Smoke‘ Albums.

Justin Chancellor: Oh ja, eine großartige Band. Es war fast schon ein bisschen gruselig damals, ich kannte die Jungs vorher gar nicht. Als sie mich fragten, ob ich etwas zu ihrem Album beisteuern würde, skizzierte ich ein paar Ideen, welche wir dann gemeinsam weiter ausarbeiteten. Als es dann ans Aufnehmen ging, war ich schon ein bisschen aufgeregt. Ich meine, du kommst da rein und alle fokussieren sich auf dich. Ich dachte mir dann: „Ok, entspann dich. Die wollen einfach, dass du du selbst bist.“ Ich hab also einfach so gespielt, wie ich nun mal spiele. Mein Riff wurde dann der Mittelteil des Songs. Ich glaube auf YouTube gibt es sogar ein Video, wo wir den Song live in Dallas performen. Das war auf unserer gemeinsamen Tour.

Du spielst schon seit Ewigkeiten Wal Bässe, stimmt das?

Justin Chancellor: Ja, das stimmt. Schon fast 22 Jahre. Ursprünglich war das eigentlich nur ein Zufall. Als wir das Album ,Ænima’ aufnahmen, lieh ich mir einen Bass von einem Kumpel der in der Band Failure spielte. Ich dachte, dass das Ding eigentlich bei uns gut klingen müsste und das tat es. Über die Jahre ist der Wal einfach ein Bestandteil unseres Sounds geworden. Wenn ich zu Hause spiele, ist es aber meistens ein anderer, etwas musikalischerer Bass. Der Wal ist schon sehr mittig und speziell, er passt aber einfach gut in den Band-Sound und ist Teil des Charakters von Tool.

Wie viele verschiedene Wal-Bässe hast du?

Justin Chancellor: Es sind mittlerweile fünf. Einer davon ist ein Fretless-Bass den ich eigentlich gar nicht spielen kann (lacht) aber falls mal ein guter Bassist zu Besuch kommt, kann ich ihm den anbieten. Dann habe ich neben meinem Standard-Bass – von dem ich eine exakte Kopie als Ersatz habe – noch einen ausWalnuss und einenMk-II in grün.

Du spielst unter anderem mit einem Overdrive-Pedal.

Justin Chancellor: Ja. Ich splitte das Signal. Der eine Teil geht in einen ProCo-The-Rat-Verzerrer, der allerdings die Bässe etwas beschneidet. Dahinter hängt dann noch ein EQ-Pedal, um die Bässe wieder etwas fetter zu machen. Das ist kein extrem verzerrter Ton, mehr so ein rauer, etwas crunchiger Sound. Außerdem wird einer der Amps mit dem cleanen Signal gefüttert, um etwas Low-End zu bekommen.

Was für Amps und Boxen spielst du?

Justin Chancellor: Für den Overdrive-Sound spiele ich eine große Mesa/Boogie 4×12“-Bassbox, für den cleanen eine Mesa/Boogie 8×10“. Beide Boxen werden von jeweils einem Gallien-Krueger-Verstärker angesteuert. Diese Boxen klingen toll, sie halten viel aus und haben einen richtig guten Punch. Ich glaube, dass es wichtig ist, richtig gute, stabile Lautsprecher und Gehäuse zu haben, die die Belastungen bei hoher Lautstärke aushalten. Viele dieser modernen Leichtgewicht-Konstruktionen sind meiner Meinung nach nicht robust genug konstruiert, was dann auf Kosten der Präzision im Sound geht. Zu meinem Pedalboard: ich benutze viele Effektpedale wie Chorus, Flanger, Delay, ein Whammy und ein Auto-Wah. Außerdem habe ich noch den Sansamp GT für einen etwas anderen Distortion-Sound. Neulich habe ichmal das Dunlop BassWah ausprobiert, das hat mir auch gut gefallen. Manchmal habe ich das Gefühl, das mein Pedalboard ein bisschen wie ein Keyboard ist. Es reicht, einfach das Volume- Poti am Bass aufzudrehen, alle Pedale anzumachen und schon passiert was.

Wirst du auf dem neuen Album viele Effekte einsetzen?

Justin Chancellor: Ja, ich denke schon. Vieles passiert ja dann im Studio, im Moment konzentrieren wir uns mehr auf die Struktur und die Dynamik der Sounds. Aber klar, im Studio wird eine Menge passieren, was verschiedene Sounds angeht. Alleine Adam (Jones, Tool-Gitarrist) wird da wie immer eine Menge versuchen und dann müssen wir ja auch schauen, das Ganze live umsetzbar zu machen.

Spielt ihr das Album Track-by-Track oder live ein?

Justin Chancellor: Ich denke, es wird laufen wie immer. Wir werden mit Danny zusammenspielen und uns erst mal darauf konzentrieren, einen guten Drum-Take hinzukriegen. Dabei spielen wir einfach zusammen, ohne Klick. Danach kommt dann der Bass und der ganze Rest. Aber klar, es wäre toll, ein Album mal live im Studio einzuspielen. Den Anfang von ,Wings For Mary’ haben wir so aufgenommen, das war schon cool. Aber für das was wir machen, ist es schon sinnvoll alles in Ruhe und der Reihe nach aufzunehmen.

Tool 2006

OK, eine abschließende Frage: Es gibt so viele Gerüchte über ,10000 Days‘, eines davon ist, dass manche Songs, wenn man sie gleichzeitig abspielt, einen dritten, neuen Song ergeben. Wahrheit oder Unsinn?

Justin Chancellor: Na ja, kannst du dir vorstellen, wie lange es dauern würde, ein Album fertig zu stellen, wenn wir so etwas auch noch im Kopf haben müssten (lacht). Das wäre verrückt. Aber manche Songs haben einen ähnlichen Vibe und es wundert mich nicht, dass es funktioniert. Da merkt man einfach, dass es eine Art Beziehung zwischen den einzelnen Songs gibt.

Justin, danke für das nette Gespräch. Machen wir noch ein paar Fotos? Am besten mit deinem Bass?

Justin Chancellor: Es war mir eine Freude! Klar, Fotos machen wir auf jeden Fall. Nur für den Fall, dass es eure Leser interessiert: Das hier ist ein Fender Precision aus dem Jahr 1963 in Lake Placid Blue.


Aus Gitarre & Bass 04/2017

Kommentare zu diesem Artikel

  1. Ich würde mich als Bassist und Tool Fan mal über einen Artikel freuen, bei dem ihr Justins Pedalboard vorstellt und erklärt wie es funktioniert.
    Auch bei den Playalongs würde ich mich freuen, wenn ihr da die verwendeten Basseffekte (ähnlich wie ihr das für die Gitarre macht) abbildet.
    Mit freundlichen Grüßen,
    Ivo

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