Ist es Dumbledore aus Harry Potter?

Interview mit Lee Sklar: That’s what Bass is all about

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Gehe in einen Plattenladen, nimm dir zehn Alben und schau nach, wer darauf den Bass spielt! Ist es Lee Sklar? Es muss nicht so sein, aber die Wahrscheinlichkeit ist sehr hoch, denn der weißbärtige, bald 70-jährige Bassist, der ein bisschen an Dumbledore aus Harry Potter erinnert, hat auf unzähligen Studio-Produktionen mitgewirkt.

(Bild: Haacks, Warwick)

Billy Cobham, Art Garfunkel, Diana Ross, Dolly Parton, The Doors, Neil Diamond, James Taylor, Hall & Oates, Robbie Williams, Rod Stewart, Steve Lukather, Mike Oldfield, Joe Cocker, Michael Jackson und nicht zuletzt Phil Collins – für diese und viele andere Größen hat Lee Sklar gearbeitet. Außerdem tritt er mal hier, mal dort mit verschiedensten Musikern und Bands wie Judith Owen, Ziggy Marley, Troubadour oder Toto auf. Und er unterrichtet.

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Interview

Lee, Tonleitern oder zu Aufnahmen spielen, was ist zum Lernen effektiver?

Lee Sklar: Ich habe zwar auch dieses stupide Lernen hinter mir, aber ich fand es immer produktiver, zu Aufnahmen zu spielen. Mir war total egal, welches Genre ich gerade spiele, ich habe dort gesessen und die Parts gelernt. Ich lasse mich auf den Song ein, lasse ihn auf mich wirken und merke dann, was passt und was nicht. Ich denke einfach nicht in Rastern oder Mustern. Das ist meine Empfehlung an junge Bassisten, da es vielseitig ist und die Individualität fördert. Egal was du spielen möchtest, es ist alles da und du kannst von den Großen lernen. Meiner Meinung nach ist das wesentlich effektiver, als nur theoretisches Wissen zu erlernen. Natürlich ist Theorie auch von Vorteil, aber ich empfinde sie nicht als Hauptgedanken hinter der Musik.

Wenn ich im Internet unterwegs bin und Videos von Bassisten sehe, geht es immer nur um die Schnelligkeit mit der man spielt. Ich finde das ist Schwachsinn, der Bass-Part soll den Song unterstützen! Sei es auch nur eine einzelne Note die man für drei Minuten spielt – wenn das passt, dann ist das eben so. Und wenn ein Musiker nur rein technische Fähigkeiten hat, dann wird er im Studio und auf der Bühne ganz schnell den Ausgang sehen.

Hast du dich jemals minderwertiger gefühlt, nur weil du nicht der technische Bass-Typ bist?

Lee Sklar: Ich bewundere Technik, wenn ich sie zum Beispiel bei Jonas Hellborg oder Steve Bailey sehe; aber ich selbst bin nicht so ein Frickler. Ich kam auch ohne so etwas in meinem Leben ganz gut klar, immerhin habe ich auf ca. 2600 Alben gespielt. Für mich sind technische Skills nicht das, was einen Song ausmacht oder was den Job als Musiker auszeichnet. Und ob ich das immer Musik nennen würde, weiß ich auch nicht. Oft sind es einfach nur technische Übungen, die schneller und schneller gespielt werden. Meine Herangehensweise ist anders: Ich setze mich hin, höre zu und fühle mich in den Song ein. Der Bassist bildet ein Fundament, kreiert ein ganz besonderes Feel-Good-Gefühl und hält alles zusammen. Bassist zu sein bedeutet nicht, sich in den Vordergrund zu drängen, sondern den Song zu unterstützen.

Würdest du also sagen, dass viele Musiker einfach zu viel spielen?

Lee Sklar: Ich mache immer das Gleiche: Ich verändere meinen Sound, meine Instrumente und meine Art zu spielen nicht. Ich kann an einem Tag Fusion, am nächsten Country und am übernächsten den Soundtrack einer TV-Show spielen. Das Einzige was sich wirklich ändert, ist mein Gehör und Gefühl für das Genre, nicht die Anzahl der Noten. Natürlich sind das manchmal mehr als sonst, aber ich denke es ist klar, was ich damit meine, das hatten wir ja eben schon. Es ist auch nicht so, dass ich 30 Bässe für eine Aufnahme hinter mir herschleife. Es sind höchstens drei: ein Viersaiter, ein Fünfsaiter und ein Fretless. Aber meistens benutze ich dann doch nur einen davon. Bass berührt dich, stürmt deine Sinne und macht dich glücklich. Vorausgesetzt er wurde richtig gespielt.

Das erste Mal einen Bass hören, ihn vom Boden her spüren und mitgerissen werden … Was willst du deinen Zuhörern bieten, was bedeutet Bass für dich?

Lee Sklar: Es ist das gesamte Instrument in seiner Vielfalt. Manchmal spiele ich einen Song-Anfang im tiefen Bereich, danach wandere ich vielleicht das Griffbrett hoch, bis ich irgendwo in den hohen Lagen gelandet bin. Es gibt da keinerlei Regeln. Außer eine: Respektiere den Song, den du spielst! Beachte das Genre, und alles passt. Es hängt alles vom Zuhören ab, denn viele Musiker hören nicht zu, die spielen einfach drauflos, wenn der erste Takt beginnt, ohne eine Ahnung vom Ablauf zu haben. Das ist, als würdest du mit einem Truck gegen eine Wand fahren. Es ist aber nicht so, dass ich Letzteres mal ausprobiert habe. (lacht)

Also ist deine Devise: Augen schließen, zurücklehnen und zuhören?

Lee Sklar: Ja genau. Da sind wir auch wieder bei diesem „schnellen Spiel“ von vorhin. In erster Linie bildet der Bass eine Brücke zwischen dem Schlagzeug und dem Rest der Band. Ein Bassist hat damit eine sehr wichtige Rolle und man sollte vorsichtig damit umgehen. Viele fragen mich, was Bass ist und meine Antwort lautet immer wieder: Es ist das, was fehlt, wenn es nicht vorhanden ist. Und das, was du oft nicht wahrnimmst, wenn es da ist. Aber wenn du aufhörst zu spielen, dann sorgt das für ein allgemeines Unwohlsein in der Band.

(Bild: Haacks, Warwick)

Wie hat deine Liebe zum Bass eigentlich begonnen?

Lee Sklar: Ich habe mit klassischem Piano angefangen, als ich zwölf war. In der Junior-High- School wollte ich im Orchester spielen und da habe ich erstmals gemerkt, wie viele Kinder es eigentlich gibt, die Klavier spielen. Der Musiklehrer meinte dann, er bräuchte einen Bassisten. Ich hatte zwar keine Ahnung, wovon er redete und was dieser Bass sein sollte, doch dann nahm er einen Kontrabass, lehnte ihn an mich und spielte eine Note. Dadurch habe ich die Vibration gespürt und war Feuer und Flamme – und das Problem des fehlenden Bassisten war gelöst. Später habe ich Kontrabass-Unterricht bekommen und habe mich immer mehr in dieses magische Instrument verliebt. Es geht einfach um den Spaß an der Sache.

Du hast dir trotz Lehrer aber vieles auch selbst beigebracht …

Lee Sklar: Am Anfang hat mir der Musiklehrer aus der Schule die Basics gezeigt, danach hatte ich bis zum College immer wechselnde Basslehrer. 1963 oder 1964 habe ich meinen ersten elektrischen Bass gekauft, weil ich es so satt war, immer wieder mit meinem Kontrabass aufzutreten, ihn irgendwie zu verstärken, und zu verkabeln. Der einzige Unterricht, den ich jemals hatte, war auf dem Kontrabass. Als ich dann angefangen habe in dem Business zu arbeiten, habe ich bei meinen verschiedenen Jobs gelernt.

Als Studio-Bassist musst du sehr oft auf Knopfdruck das Richtige liefern. Ist das schwer?

Lee Sklar: Ich habe ja mit ein paar Größen gespielt, da muss man einfach gut sein. Ja, es ist stressig, immer das Beste aus sich herausholen zu müssen, um in diesem Job Erfolg zu haben. Wir alten Studio-Bass-Hasen können es so aussehen lassen, als wäre es das Einfachste auf der Welt, nur weil wir es seit einer Ewigkeit tagtäglich machen. Mit Nichts ins Studio gehen und mit Musik wiederkommen ist nicht immer leicht. Auf der anderen Seite ist es aber auch total aufregend – man muss die Balance aus beidem schaffen.

Auf Knopfdruck zu spielen, das ist etwas, das man lernt, das du dir über die Zeit selbst beibringst. Ich habe mir immer gesagt, dass ich keine Angst haben muss, wenn das rote Licht angeht. Andere haben das Gefühl zu ersticken, sie werden nervös und können dann nicht spielen. Klar, hatte ich das auch mal, aber das habe ich bestimmt schon 30 oder 40 Jahre hinter mir. Ich freue mich jedes Mal, dass die Aufnahme beginnt, selbst wenn man mal nicht so recht weiß, was man jetzt spielen kann. Manchmal sind Unfälle das Interessanteste, was dir passieren kann. Du hast keine Ahnung was du spielen sollst und teilweise kommen dabei sogar bessere Sachen raus, als wenn du vorher den Plan hast. Das Tolle ist: Jedes Mal ist es eine neue Erfahrung.

Das klingt nach einer harten Arbeitswelt.

Lee Sklar: Aber es ist eine wunderschöne. Bei mir ist es nur so, immer wenn ich rausgehe und denke, ich hab meinen Job ziemlich gut gemacht, fühle ich mich auch einfach super. Du kannst nur das geben, was du beherrschst, aber meistens ist das genug, auch wenn du denkst, dass es nicht so war. Solltest du es dann doch nicht geschafft haben, klar, dann ist das blöd, aber dann machst du das einfach noch mal!

Man kann das im Studio alles noch korrigieren und anders machen, aber wie ist das live?

Lee Sklar: Es kommt vor, dass du total unzufrieden mit dem bist, was du auf der Bühne gemacht hast und trotzdem kommen Menschen zu dir und sagen, dass du unglaublich gut gewesen bist. Natürlich will man diese nicht vor den Kopf stoßen und sagen, dass man sich selbst eigentlich total scheiße fand. Man stellt dann nicht nur sich, sondern auch den, der dir ein Kompliment gemacht hat bloß. Und manchmal hat man als Band das Gefühl, die beste Show der Tour gespielt zu haben und das Publikum ist gar nicht so mitgerissen, wie man selbst, da es den Auftritt anders wahrgenommen hat. Du musst Musik für dich machen, denn wenn du eine gute Zeit auf der Bühne hast und richtig Power hinter dem steckt, was du spielst, dann merkt das Publikum das und hat mindestens genau so eine gute Zeit wie du selbst. Trotzdem waren oft die Soundchecks die besten, feurigsten und powervollsten Shows, die ich je gespielt habe, denn häufig stirbt die Akustik einer Konzerthalle oder eines Clubs mit jeder Person die ihn betritt.

Was war für dich das Schwierigste, das du in deiner Kariere gelernt hast?

Lee Sklar: (nach langem Überlegen) … Geduld. Ich habe in meinem Leben niemals Drogen konsumiert oder Alkohol getrunken aber vor allem zu der Zeit, in der ich angefangen habe mit anderen zu spielen, war das um mich herum oft ganz normal. Das hat vieles etwas schwierig gemacht und meine Geduld wurde oft strapaziert. Ich sage immer ich werde, wenn ich auf Tour bin, nicht für die Auftritte sondern für die anderen 21 Stunden des Tages bezahlt, denn das ist die Zeit in der du in einem Bus oder Hotelzimmer hockst, unglaublich viele Soundchecks machst oder einfach gar nichts zu tun hast. Das ist das anstrengende, nicht die Shows, denn das ist das, weshalb ich dort bin, was mir Freude bereitet. Es braucht eine Menge Geduld um diese Zeit abzusitzen.

Kommt dann auch mal ein Gefühl von Leere auf?

Lee Sklar: Ja, besonders auf Tour. Du lässt nämlich dein ganzes Leben zurück um ein paar wunderbare, großartige und nicht zu vergleichende Stunden auf der Bühne zu stehen. Da du dann auch eine Menge Zeit hast um nachzudenken, kommt dir schnell der Gedanke, dass du deine Liebsten, deine Tiere und all deinen liebevoll angesammelten Krempel zu Hause hast. Du wirst richtig kreativ, wenn es heißt: Zeit totschlagen! Du weißt ja gar nicht, in wie vielen Museen, auf wie vielen Flohmärkten, in wie vielen Kinos, Einkaufzentren und seltsamen Läden ich war. Das ist nun mal das, was dir hilft, die Zeit irgendwie rumzukriegen, nichts was du mit solch einem Feuereifer jemals zu Hause machen würdest, denn dort hast du andere, wichtigere Aufgaben. Du musst einfach viel Geduld haben, um das zu überstehen. Viele stürzen sich in Alkohol und härtere Drogen, damit sie diese langatmige Zeit hinter sich bringen können. Ich habe einige Menschen an den Drogen zerbrechen und sterben sehen, das waren keine schönen Arten aus dem Leben zu scheiden – aber so ist das Leben. Es ist eine Sache, ein Bassist zu sein und eine andere, ein Cheerleader zu sein und andere immer wieder zu motivieren und zu unterstützen. Oft ist die unterstützende menschliche Rolle wichtiger als die musikalische.

(Bild: Haacks, Warwick)

Spielst du ein Konzert eher für das Publikum oder für dich und die Musiker auf der Bühne?

Lee Sklar: Wenn du auf einer Bühne stehst, ist das als hättest du eine große Familie, zu der auch des Publikum gehört. Du kannst keine Mauer zwischen der Bühne und den Zuschauern bauen. Manche denken, es wäre richtig cool, wenn sie sich mit dem Rücken zum Publikum drehen. Meiner Meinung nach ist das respektlos. Dann hat das Konzert keinen anderen Charakter als eine CD oder ein mp3-Track. (grinst) Vielleicht sind sie auch einfach zu nervös oder gucken zu den anderen, weil sie aus dem Takt geflogen sind oder nicht wissen, was als nächstes kommt. Im Prinzip ist es für mich so, dass ich davon angespornt werde, wenn ich merke, dass das Publikum Spaß hat. Du hast vielleicht sogar einen Bruchteil einer Sekunde Augenkontakt zu einzelnen Personen und siehst ihre Augen vor Glück strahlen. Das sind die kleinen Dinge, die dich motivieren und dich immer wieder daran erinnern, weshalb du das alles überhaupt machst.


Aus Gitarre & Bass 05/2017

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