Vivian Campbell: Zwischen Last in Line und Def Leppard
von Matthias Mineur, Artikel aus dem Archiv
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(Bild: Matthias Mineur)
Ursprünglich als Tribute-Band für den im Mai 2010 verstorbenen Frontmann Ronnie James Dio von den ehemaligen Dio-Mitgliedern Jimmy Bain (b), Vinny Appice (dr) und Vivian Campbell (g) plus Lynch-Mob-Sänger Andrew Freeman gegründet, haben sich Last In Line mittlerweile zu einer eigenständigen Formation mit eigenem Songmaterial entwickelt.
Noch vor Veröffentlichung ihres Debütalbums ‚Heavy Crown‘ verstarb Bassist Jimmy Bain im Januar 2016 während der Def-Leppard ‚Hysteria On The High Seas‘-Cruise. Für ihn kam Phil Soussan (u.a. Ozzy Osbourne, Steve Lukather, Ritchie Kotzen), der mit seinem variantenreichen Stil die Songs des Nachfolgers ‚Last In Line II‘ (2019) maßgeblich beeinflusst hat.
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Im vergangenen Dezember war das Allstar-Quartett auf Deutschlandtournee. Wir haben die Chance genutzt, um bei einem Konzert in der Isernhagener Blues Garage mit Def-Leppard/Last-In-Line-Saitenvirtuose Vivian Campbell über seine neue Epiphone Holy Diver Signature Les Paul zu sprechen, aber auch um seine legendäre Dio-Les-Paul etwas genauer in Augenschein zu nehmen.
Vivian, vor einigen Jahren hast du mir im Rahmen eines Def-Leppard-Interviews von deiner betagten Dio-Les-Paul erzählt, heute hast du sie sogar dabei. Es ist deine allererste wichtige Gitarre, nicht wahr?
Richtig. Mit 15 gründete ich in Belfast die Band Sweet Savage, mit der ich unter anderem vor Thin Lizzy und Motörhead gespielt habe, aber nie den Durchbruch schaffte. Damals träumte ich von einer Gibson Les Paul Standard Gold Top und jobbte jede freie Minute, um mir eine solche Gitarre leisten zu können. Als ich das Geld zusammen hatte, bestellte ich sie in einem kleinen Musikshop. Die Gitarre musste aus Amerika importiert werden, ich fuhr also jede Woche zum Shop, um zu schauen, ob sie schon angekommen war.
Eines Tages meinte der Verkäufer: „Wir haben eine gute und eine schlechte Nachricht. Die Gute: Deine Les Paul ist da. Die Schlechte: Es ist keine Gold Top Standard, sondern eine weinrote Deluxe.“ Damals spielte auch Scott Gorham bei Thin Lizzy eine Deluxe, also nahm ich sie. Mein größtes Vorbild war damals Rory Gallagher, der aber glänzende Finishes hasste. Deshalb nahm ich Schmirgelpapier und raute die Oberfläche auf. Später habe ich sie schwarz lackiert, die Pickups und die komplette Hardware ausgetauscht und neue Bünde eingesetzt.
Bild: Matthias Mineur
Campbells weiße Gibson Les Paul steht sonst in einem Belfaster Schaukasten.
Bild: Matthias Mineur
Das Dunlop-Wah ist Campbells einziges Effektpedal.
Bild: Matthias Mineur
Engl Ritchie Blackmore Signature plus 4x12er-Box
Ist sie deine am besten klingende Gitarre?
Nein. Ich muss gestehen, dass meine 58er-Reissues deutlich wärmer klingen und mehr Ton haben. Aber die 77er-Deluxe ist nach wie vor die Gitarre, nach der ich als erstes greifen würde, wenn bei mir Zuhause ein Feuer ausbräche.
Seit wenigen Monaten gibt es sogar eine Epiphone Holy Diver Signature, die dieser Gitarre nachempfunden ist. War dein Verhältnis zu Gibson und Epiphone nicht viele Jahre ziemlich angespannt?
Ja, das stimmt. Es gab zwar Mitte der 90er einen vagen Kontakt, doch dann wurde die Firma immer unkooperativer und Künstler wurden kaum noch unterstützt. Nach dem Verkauf und mit neuem Management herrscht bei Gibson jetzt allerdings wieder eine völlig andere Firmenkultur. Phillip Wharton vom US-Custom-Shop rief mich vor drei Jahren an und sagte, dass sie mit mir ein Signature-Modell entwickeln möchten, und zwar auf Grundlage der Gitarre, die ich seinerzeit bei Def Leppard spielte. Die Sache nahm schnell konkrete Formen an, im Januar 2018 kam das Modell als Limited Edition auf den Markt. Ein tolles Instrument, auf das ich sehr stolz bin.
Natürlich fühlte ich mich geschmeichelt, außerdem kam auf diese Weise auch der Kontakt zu Epiphone zustande. Dort war man ebenfalls sehr interessiert an einem preiswerten Signature-Modell, allerdings auf Grundlage meiner Dio-Les-Paul-Deluxe. Ich schickte ihnen die gewünschte Gitarre, sie machten sich Notizen zu allen Details und entwickelten anschließend eine vergleichsweise günstige Replika.
Ich bin mit dem Ergebnis sehr zufrieden, es basiert auf dem Zustand meiner Les Paul in den Jahren 1982/1983, als wir ‚Holy Diver‘ aufnahmen. Heute sind zwar Seymour-Duncan-59-Pickups verbaut, aber ich brauchte zu ‚Holy Diver‘-Zeiten einfach einen aggressiveren Tonabnehmer, denn damals spielte ich über einen Marshall JCM800, der nicht allzu viel Verzerrung hatte.
Deshalb entschied ich mich für zwei DiMarzio X2N, die nun auch in meinem Epiphone-Signature-Modell verbaut sind, ebenso wie die Potiknöpfe im Brass-Design und das mattschwarze Finish. Ich habe die Epiphone übrigens während des Engagements von Def Leppard in Las Vegas und als Ersatzgitarre auf der Last-In-Line-Tour durch Nordamerika einige Male gespielt.
Gibt es eigentlich signifikante Unterschiede in der Art, wie du bei Def Leppard und bei Last In Line spielst?
Zunächst einmal spiele ich in beiden Bands mit der gleichen Intensität und Überzeugung. Aber Last In Line sind halt stärker Gitarrendominiert als Def Leppard, bei denen ich mit Phil Collen einen weiteren Gitarristen neben mir habe und die Stücke anders arrangiert sind. Die Soli sind kürzer und dienen als Ergänzung des Gesangs, sie sind deshalb sehr thematisch, es gibt keinerlei Improvisationen, alles ist genau durchstrukturiert und aufwändig gemacht.
Die größte Herausforderung für mich ist, mich in dieses System einzufügen und vor allem auch gesanglich die geforderte Leistung zu bringen. Da wir überwiegend die Hits der Klassikerscheiben aus der Zeit vor meinem Einstieg spielen, übernimmt Phil einen Großteil der Soli. In ‚Armageddon It‘ oder ‚Love Bites‘ spiele ich die sehr melodischen Soli von Steve Clarke, die integraler Bestandteil der Songs sind. Ich spiele sie zwar nicht exakt gleich, orientiere mich aber an seiner Vorlage.
Bei Last In Line ist die Situation eine völlig andere. Hier bin ich der einzige Gitarrist, weigere mich beharrlich zu singen, obwohl Andrew das gerne hätte, und malträtiere meine Les Paul so hart wie nur irgendwie möglich. Die Soli von ‚Rainbow In The Dark‘, ‚We Rock‘, ‚Last In Line‘, oder ‚Don’t Talk To Strangers‘, von Songs also, die 35 Jahre alt sind, werden von mir so exakt wie möglich nachgespielt, weil die Fans sie im Ohr haben und genauso hören wollen.
Obwohl du heute ein technisch besserer Gitarrist bist?
Ich spiele sie halt noch viel exakter als damals. In den 80ern habe ich mich in den Shows nur sehr vage an die Studiovorgaben gehalten und stattdessen einfach das gespielt, was mir gerade in den Sinn kam. Heute bin ich ein deutlich besserer Gitarrist, auch weil ich mit Def Leppard und Last In Line so häufig auf der Bühne stehe.
Verwendest du aktuell die gleichen Effektpedale wie damals?
In meinen Dio-Tagen gab es nicht allzu viele Effekte. Auf der ‚Holy Diver‘-Tour hatte ich nur einen kleinen MXR-Graphic-Equalizer, um die Mitten zu boosten, und ein Boss-Overdrive, um die Verzerrung des Marshalls etwas zu pushen. Genauso simpel ist es heute auch bei Last In Line: Zwischen der Gitarre und meinem ENGL-Amp gibt es nur zwei Kabel und ein Dunlop-Wah-Pedal. Der verzerrte Kanal des ENGL-Blackmore-Amps hat mehr als ausreichend Gain, sodass ich keine zusätzlichen Effektpedale brauche.
Das ist bei Def Leppard komplett anders, oder?
In der Tat! Bei Def Leppard habe ich ein hochkompliziertes Rig, das ich selbst gar nicht bedienen kann. Ehrlich gesagt, ich weiß nicht einmal, wie man es einschaltet oder wie der Signalweg ist. Aber ich will es auch gar nicht wissen …
Danke für das nette Gespräch, Vivian!
3 FRAGEN AN BASSIST PHIL SOUSSAN
(Bild: Matthias Mineur)
Phil, als du die Nachricht von Jimmy Bains Tod bekamst, stand da für dich sofort fest, dass du seine Nachfolge bei Last In Line antreten möchtest?
Nein, überhaupt nicht. Jimmy und ich waren eng befreundet. Als ich Ende der 80er nach Los Angeles ging, wohnte ich eine Zeitlang bei ihm. Jimmy rief mich an und sagte in seinem typisch schottischen Akzent: „Hey Mann, ich habe hier ein Haus gekauft, du musst mich unbedingt besuchen!“ Das tat ich, wir machten viel zusammen, wir gingen auf Partys, mischten die Stadt auf, hatten viel Spaß miteinander. Er war damals ein toller Kerl! Später merkten dann alle, dass er seinem Körper zu viel zumutete. Aber es war seine Entscheidung, er wollte sein Leben so leben. Als ich hörte, dass er gestorben ist, war ich tieftraurig, aber nicht sonderlich überrascht, um ehrlich zu sein.
Bei Jimmys Beerdigung sprach Vinny mich an: „Wir haben einige Shows zugesagt, die wir spielen müssen. Hättest du Interesse?“ Ein paar Tage später fragte Andrew mich dasselbe. Natürlich fühlte ich mich geehrt und sagte zu. Zunächst ging es nur um einige wenige Shows, zumal das Management und die Plattenfirma eigentlich andere Nachfolger für Jimmy im Kopf hatten. Aber die Band wollte mich und so kam ich zu Last In Line.
Wie eng hältst du dich spielerisch an Jimmys Originale, sowohl bei den Dio-Klassikern als auch bei den Songs von Last In Line?
Natürlich sehr eng. Das ist einfach die Art, wie Jimmy die Songs gehört hat. Zumal er einer meiner Idole war und sein Stil sich zum Teil in meiner Spielweise wiederfindet. Aber es gibt logischerweise auch Unterschiede. Jimmy spielte weniger aggressiv und perkussiv als ich es tue. Ich schlage mit den Fingernägeln an, wodurch dieser Slap-Effekt entsteht. Dennoch geht es mir darum, Jimmy zu ehren und seiner Musik zu huldigen.
Bild: Matthias Mineur
Ampeg SVT Classic und SVT-Cabinet
Bild: Matthias Mineur
Spielst du in dieser Band ein speziell darauf ausgerichtetes Equipment?
Ja und nein. Mein Bass ist fast immer derselbe, es ist ein Music Man Sterling Custom von 2006 mit einem sehr speziellen Hals und einer Sonderlackierung. Ich setze generell nur wenig Effektpedale ein, bei Last In Line lediglich einen TC Electronic Corona Chorus, ein T. Rex Karma Boost und ein EBS Billy Sheehan Signature Drive, das Billy mir persönlich geschenkt hat.
Auch bei Johnny Hallyday, Steve Lukather, Ritchie Kotzen oder John Waite spiele ich Fünfsaiter. Bei Big Noise bin ich zu Viersaitern zurückgekehrt, aber nur, weil die klassischen britischen Bassisten wie Roger Glover, John Paul Jones, Andy Fraser oder John Entwistle in höheren Lagen gespielt und weniger die ganz tiefen Töne bevorzugt haben. Briten spielen nun einmal in höheren Lagen.