Der 45-Jährige Wahl-Kalifornier ist das, was man ein Allround-Talent nennt: Ein gefragter Session- und Tour-Musiker, ein exquisiter Produzent und spannender Solo-Künstler. Zur Veröffentlichung seines vierten Albums ,Dixie Blur‘ lädt er Gitarre & Bass in sein neues Domizil ein: Eine alte Jagdhütte im Topanga Canyon, die er zur kreativen Spielwiese umbaut.
Das Anwesen von Jonathan Wilson umfasst drei kleine Holzhäuser aus den 1920er-Jahren, die einst Wochenenddomizile der Schönen und Reichen der Filmindustrie waren, heute aber als Wohnhaus, Atelier und Studio dienen bzw. dienen sollen. Denn Wilson ist gerade erst eingezogen und hat noch einiges an Arbeit vor sich: Das Haus ist soweit fertig, aber das Atelier seiner Freundin, der Malerin Andrea Nakhla (u.a. verantwortlich für seine Plattencover), ist pures Chaos. Hier hat Wilson alles untergestellt, was später ins Studio soll. Denn dort sind die Umbauten noch in vollem Gange – und mindestens ein halbes Jahr wird er wohl noch brauchen. Weshalb sein neues, viertes Album ,Dixie Blur‘ auch in Nashville entstanden ist.
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Jonathan, was hat dich dazu veranlasst, mitten ins Nirgendwo zu ziehen? Hattest du genug vom Großstadtleben?
Ich hatte einfach das Gefühl, dass es Zeit für etwas Neues, Ruhiges ist – und ich brauchte ein bisschen mehr Platz für mein Studio. Deshalb habe ich mich nach einem geeigneten Ort umgesehen und bin dann hier gelandet: In einer Jagdhütte aus den 20ern, wo früher die Leute ihre Wochenenden verbracht haben. Das Haus auf der anderen Straßenseite gehörte mal David Briggs, der die frühen Alben von Neil Young produziert hat. Gleich daneben war die Kommune von Canned Heat untergebracht. Es ist eine interessante Location – und geradezu perfekt für das, was mir vorschwebte. Es ist ein Langzeitprojekt, vielleicht auch mein Lebenswerk, aber es wird etwas ganz Besonderes, so viel ist klar.
Komplett analog oder auch digital?
Beides – aber mit einer Konsole von 1977, die ich aus dem Nachlass der Londoner Pye Studios erworben habe. Das ist das Herzstück des Ganzen, das ich mit jeder Menge Fun-Kram aufstocke.
Warum hast du dein neues Album dann in Nashville aufgenommen – war das eine Notlösung, weil du hier noch nicht so weit bist?
Nein, das war die Idee von Steve Earle, den ich bei einigen Konzerten seiner letzten Tour begleitet habe. Ich habe ihm erzählt, dass ich nicht so recht wüsste, was ich als nächstes machen soll und dass ich gerne einen anderen Ansatz verfolgen würde, als immer alles alleine zu machen und eine Schicht über die andere zu legen, bis der Song fertig ist. Ich wollte endlich mal live mit einer Band arbeiten – also schneller, spontaner und vielleicht auch mit etwas mehr Spaß. Steve meinte ganz trocken: „Warum versuchst du es nicht in Nashville?“ Und ein guter Freund von mir, Bonnie Prince Billy, hat ebenfalls davon geschwärmt. Also habe ich es probiert.
Und, wie war das für dich?
Es ist ein wahnsinnig befreiendes Gefühl, mit einer Band zu arbeiten. Vor allem, wenn sie aus solchen Cracks besteht, wie man sie in Nashville findet. Mit denen kann man alles Mögliche machen, bis man das gewünschte Ergebnis erzielt – man kann die Arrangements ändern, das Tempo, die Tonlage. Und noch wichtiger: Es geht wahnsinnig schnell vonstatten. Ich habe mir dann noch den Luxus eines echten Produzenten gegönnt. Einfach, um mich ganz auf die Musik konzentrieren zu können. Das war zwar ein bisschen teurer als sonst, aber auch wahnsinnig entspannt und produktiv.
Ich habe Patrick Sansone von Wilco verpflichtet, ebenfalls ein alter Freund von mir. Er lebt dort – und empfahl das legendäre Studio A von RCA, das eine großartige Wahl war. Denn der Vibe war super, die Auswahl an Instrumenten, die zur Verfügung stand, ebenfalls. Und die Band, die er zusammengestellt hat, war schlichtweg perfekt. Einige der besten Musiker, mit denen ich je gearbeitet habe. Die gesamten Aufnahmen haben letztlich nur sechs Tage gedauert, ich musste sie anschließend nur noch mischen. Das habe ich im Studio von meinem Buddy Jackson Brown erledigt.
Angeblich sind die Songs des Albums allesamt auf Tour mit Roger Waters entstanden, den du 2017 und 2018 als Gitarrist und Bandleader begleitet hast. Stimmt das?
Ja – also beides. (lacht) Und sie waren einfach ein Mittel zum Zweck. Eben, um auf dieser langen Tour nicht komplett am Rad zu drehen. Ich wusste, dass ich an freien Tagen und in ruhigen Momenten einfach selbst kreativ werden musste. Dass ich nur so etwas gegen den Blues unternehmen kann, der sich zwangsläufig einstellt, wenn man über Monate hinweg in Hotelzimmern lebt und irgendwann gar nicht mehr weiß, wo man überhaupt ist.
Was war es überhaupt für ein Gefühl, zwei Jahre lang in die Fußstapfen von David Gilmour zu treten und all die alten Floyd-Nummern zu spielen?
Das war mit das Größte, was ich je gemacht habe – ein Traum. Es waren Kaviar und Champagner anstatt Wasser und Brot, wie auf meinen eigenen Tourneen. (lacht)
Wie kommt es überhaupt, dass Roger Waters dir diese zentrale Aufgabe übertragen hat – einem Typen, in dessen Studio er ein paar Titel seines letzten Solo-Albums aufgenommen hat, den er ansonsten aber kaum kannte?
Wir haben uns einfach von Anfang an glänzend verstanden, und ich habe wirklich gerne in seiner Band gespielt, weil Roger jedem ein Mitspracherecht bei der Umsetzung seiner Stücke eingeräumt hat und keineswegs so despotisch war, wie oft behauptet wird. Im Ernst: Er ist ein unglaublich interessanter Mensch und – was keiner denken würde – auch wahnsinnig witzig. Klar, kann er auch scharf und auf den Punkt sein, aber er verbreitet einen unglaublich guten Vibe.
Du giltst als Multitalent. Aber eine Sache, die die wenigsten über dich wissen, ist, dass du auch gelernter Gitarrenbauer bist. Stimmt das?
Das war sogar für lange Zeit mein Hauptberuf und ich habe etliche Gitarren gebaut. Gerade als ich ein wenig desillusioniert in Bezug auf das Musikgeschäft war, weil es mit meiner ersten Band nicht so richtig lief. Da dachte ich irgendwann: „Macht euren Blödsinn doch alleine.“ Das war zwischen 2005 und 2010, als ich mich komplett aus der Branche zurückgezogen habe, als ich keine Lust mehr aufs Tingeln und Klinkenputzen hatte. Auf die Manager, die Plattenfirmen und diesen ganzen Quatsch. Stattdessen habe ich angefangen, meine eigenen Gitarren zu bauen und einen Custom-Shop in LA zu betreiben.
Spielst du auch selbstgebaute Gitarren?
Aber sicher – und ich verlose drei davon unter allen, die mein neues Album vorbestellt haben. Also ohne zu wissen, worauf sie sich damit einlassen. Die werde ich eigens für die Gewinner bauen, was wahrscheinlich bis zum Herbst dauern wird, aber der Spaß ist es mir wert.
Inwieweit unterscheiden sich deine Modelle von denen der großen Marken – inwieweit modifizierst bzw. personalisierst du sie?
Sie haben ein bisschen etwas vom Fender-Stil und erinnern an Telecaster und Stratocaster – aber nur auf den ersten Blick. Gleichzeitig sehen sie älter aus, also als ob sie schon ein langes, glückliches Gitarrenleben hinter sich hätten. Und das ist eine meiner Spezialitäten: Dinge älter aussehen zu lassen.
Würdest du dich als Gitarrensammler bezeichnen? Und wenn ja: Wie umfangreich ist deine Kollektion bzw. wodurch zeichnet sie sich aus?
Ich habe etwa 50 Gitarren, was aber längst nicht so verrückt ist wie das, was ich von einigen Freunden kenne. Etwa Jackson Browne – er hat so viele, dass es geradezu verrückt ist. Der absolute Wahnsinn.
Was sammelt Jonathan Wilson?
Prinzipiell alles, was ich in meinem Studio gebrauchen kann. Also ein breites Arsenal an Instrumenten und Gear, mit dem sich unterschiedliche Sachen anstellen lassen. Aber – um ganz ehrlich zu sein – momentan habe ich einen Punkt erreicht, an dem ich denke, dass es reicht. Denn irgendwie habe ich alle klanglichen Farben, die ich brauche. Sie ergeben eine Runde Palette, sie decken alles ab und lassen keine Wünsche offen. Und ich will auch nicht den Punkt erreichen, an dem die Besessenheit nach Equipment das Kreative der Musik überlagert, an dem das Handwerkszeug wichtiger wird als das Handwerk an sich. Das halte ich für keine gute Idee. Und deshalb nehme ich mich da gerade etwas zurück, weil ich im Großen und Ganzen alles habe, was ich brauche – jedenfalls erst einmal…
Was spielst du auf dem neuen Album?
Größtenteils ist es nur eine akustische Gitarre. Ich bin da eher der Singer/Songwriter, der seinen Tee schlürft, einen Joint raucht, ab und zu sein Hals-Spray einsetzt und sich beim Haustechniker über den Kopfhörer oder die Raumtemperatur beschwert. (lacht) Die Gitarre, die auf fast allen Stücken zum Einsatz kommt, ist eine Martin von 1947. Ein 000-Modell.
Außerdem habe ich noch eine weitere 47er – mit etwas größerem Korpus, den Gibson gebaut hat. Und ich bin mir nicht sicher, aber wahrscheinlich habe ich auch die neue Gibson Jackson Browne verwendet, die er mir neulich geschenkt hat. Außerdem dieses verrückte Teil, das selbstgebaut ist, und das ich auf C runtergestimmt habe. Es ist auf ,Riding The Blinds‘ zu hören. Klar, hatte ich auch ein paar Effekte, Pedale und Fuzz-Geräte am Start, aber das meiste ist rein akustisch.
Und wenn du Amps verwendest, worauf greifst du dann zurück?
Natürlich spiele ich gerne Vintage-Amps. Und die meisten, die ich habe, sind von Fender. Also schöne alte Tweeds. Für die Tour mit Roger habe ich ausschließlich Hi-Tone-Amps verwendet. Eine amerikanische Firma, die unglaublich gute Hi-Watt-Kopien herstellt.
Mein Lieblings-Amp ist aber ein Fender Princeton, den ich seit meinem 13. Lebensjahr habe. Ein ganz tolles Teil, von dem ich mich niemals freiwillig trennen werde. Wie von all meinen Errungenschaften – ich bin halt gut darin, Sachen zusammenzutragen. Aber ganz schlecht darin, mich wieder von ihnen zu trennen. Eine alte Musikerkrankheit.
Da du in den letzten 15 Jahren mit Gott und der Welt gespielt hast, einschließlich Graham Nash, Chris Robinson, Jackson Browne oder David Crosby: Gibt es irgendwelche Gitarristen, mit denen du gerne mal arbeiten würdest, sofern sich die Gelegenheit dazu bietet?
Hendrix! Keine Frage… (lacht) Aber im Ernst: Ich würde wahnsinnig gerne mal etwas mit Bill Frisell machen. Nach dem Motto: Ich würde singen, während Bill spielt. Das wäre eine tolle Kombination. Eine, an der ich wahnsinnigen Spaß hätte.