Ein US-Kritiker schrieb einst über Jimmie Vaughan, er definiere den Texas-Blues mit seinem Stil, Rhythmus, Timing und Ton. Selbst die Frisur stimme. Und nicht zuletzt das Instrument – die Mitglieder der Familie Vaughan sind (und waren) überzeugte Fans der Firma Fender.
Es wird für immer spekulativ bleiben, wie sich wohl das Spiel von Blues-Rock-Legende Stevie Ray Vaughan im Laufe der Jahrzehnte entwickelt hätte, wäre er nicht so tragisch am 27. August 1990 bei einem Hubschrauberabsturz ums Leben gekommen. „SRV“ wurde nur 35 Jahre alt.
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Sein großer Bruder Jimmie hat gerade seinen 68. Geburtstag gefeiert. Als Geschenk für seine Fans hat er nach acht Jahren mit ‚Baby, Please Come Home‘ ein neues Studioalbum eingespielt, das verblüffend authentische Sounds und Atmosphären im Stil der 50er-Jahre bietet, einen exzellenten Stratocaster-Ton inklusive. Der Mann aus Dallas, der mit seiner Band, den Fabulous Thunderbirds, selbst zur Blues-Rock-Legende wurde, verrät uns, wie er das hinbekommen hat.
(Bild: Thomas Brill)
Interview
Jimmie, warum die lange Pause?
Nun, ich sehe keinen Sinn darin, jedes Jahr eine Platte herauszubringen.atürlich wäre das meiner Plattenfirma am liebsten, aber Platten entstehen, wenn die Zeit reif ist! (lacht) Kommerziell betrachtet vielleicht nicht die schlaueste Entscheidung, aber für mich definitiv die beste. Ich mache nur, was mir Spaß macht. Und ich hoffe, die Fans spüren das, wenn sie meine Musik hören.
‚Baby, Please Come Home‘ klingt wie eine Zeitreise in die 50er-Jahre, das Jahrzehnt deiner Kindheit. An was erinnerst du dich?
Ich denke an all die großartigen Gitarristen dieser Ära. Und wie aufregend ihre Musik war! Diese Musik wurde mein Leben. Ich mag die Songs dieser Zeit und die Art wie sie produziert wurden. Diese Musik hat Luft zum Atmen. Heute wird alles sehr dicht und komprimiert produziert. Es passiert viel zu viel in einem Song. Das klingt alles nicht mehr. Aber das ist nur meine Meinung.
Du coverst unter anderem Jimmy Reed, Lloyd Price, Lefty Frizzell, T-Bone Walker und Clarence „Gatemouth“ Brown.ach welchen Kriterien suchst du die Songs aus, die du interpretierst?
Ganz einfach: Mir muss ein Song stimmlich liegen, ich muss ihn singen können. Dann muss ich einen Weg finden, ihn als Gitarrist zu interpretieren. Und er muss mir Spaß machen. Ich sage immer: Ich stehle diese Songs und mache sie zu meinen eigenen! (lacht)
Du hast in den Fire Station Studios in San Marcos, Texas, aufgenommen. Inwiefern war das wichtig für den Sound des Albums?
Das Studio ist tatsächlich eine alte Feuerwache, die sie vor 30 Jahren zu einem Studio umgebaut haben. Ich habe dort schon mit den Fabulous Thunderbirds gearbeitet. Der Aufnahmeraum ist unverändert und sie haben dort viel Vintage-Equipment: ein analoges Mischpult, alte Mikros und Verstärker. Die Kombination des Aufnahmeraums in Verbindung mit den Mikros ist einfach unschlagbar. Wenn du einen authentischen Sound willst – dort kriegst du ihn. Wir haben alle Tracks live aufgenommen. Und darum geht es doch: sich beim Spielen anzusehen, Spaß zu haben und einen Song einzufangen.
Bei deinen T-Birds hast du alte Fender Bassmans und Super Reverbs gespielt. Seit 2010 spielst du einen John Grammatico Kingsville Amp – im Grunde ein handgebauter Hybrid beider Fender-Originale.
Genau. Ich liebe seinen Ton! Und ich mag Jensen-Vintage-Alnico-Lautsprecher, die klingen einfach toll. Ich habe lange Zeit Matchless Clubmans gespielt, habe viel probiert, um mit einem modernen Amp diesen tollen Ton von früher hinzubekommen. Viele neue Amps sind gut, kommen meiner Vorstellung schon sehr nahe, sind aber eben nicht das Wahre. Ein alter Fender-Amp, gute Röhren und ein ordentliches Netzteil, das funktioniert einfach fantastisch. Aus meiner Sicht gibt es einfach nichts Besseres. Aber mit Vintage-Amps auf Tour gehen möchte ich dann doch nicht. Dann habe ich die Grammaticos entdeckt, und ihr Ton hat mich sofort überzeugt.
Du hast einen bemerkenswert satten Clean-Sound. Dafür drehst du den Amp nahezu voll auf und stellst den Volume-Regler deiner Stratocaster zwischen 5 und 7, richtig?
Genau das ist es. Ich mag es, wenn der Amp richtig laut aufgedreht ist. Du spürst seine Kraft. Und dann arbeite mit dem Laustärkeregler der Gitarre, bis ich meinen Ton gefunden habe. Er soll satt und präsent sein, klar und elektrisch. Man soll die Röhren förmlich spüren!
Der Fender Custom Shop hat dir Signature-Modelle in Aged Aztec Gold, Olympic White und Two-Tone Sunburst gebaut. Dazu hat Masterbuilder John Cruz eine Limited Serie gebaut, für die deine 1958er-Stratocaster als Vorlage diente. Die Gitarre sieht unglaublich cool aus.
Ich sag dir was: Ich konnte sie vom Original kaum unterscheiden! Ich habe beide Instrumente ein paar Tage im Vergleich gespielt. Ich verpasste der Custom-Shop-Strat das Setup meines Originals, also Flatwound-Strings, eine hohe Saitenlage und hab dann beide über einen Fender Bassman gespielt. Beide klingen fantastisch! Die Custom-Shop-Strat hat eine etwas sensiblere Ansprache und klingt ein wenig differenzierter als meine alte. Und sie hat Jumbo-Frets. Ich mag die dünnen Bundstäbchen nicht, die Fender früher verbaute. Mein Bruder Stevie Ray hatte einen Gitarrentechniker namens René Martinez (u. a. John Mayer, Carlos Santana, Prince), der tauschte ihm die Bünde quasi zwischen Soundcheck und Gig! (lacht) Im Grunde ist eine Gitarre wie ein Hot Rod: Sie hat einen heißen Motor, eine tolle Lackierung, aber es ist nur eine unter vielen. Du musst wissen, was du willst. Aber seien wir fair: Leo Fender hat einen großartigen Job gemacht. Ich bin immer wieder überrascht, dass er damals das Rad erfunden hat, das bis heute keiner wirklich besser machen kann. Sie verändern ein paar Details, aber die Basics sind bis heute unverändert.
Deine Stratocasters haben alle einen Ahornhals. Warum?
Ich mag „blonde“ Hälse seit ich als Kind meine Helden Gene Vincent und Buddy Holly in diesen alten Rock’n’Roll-Filmen gesehen habe. Beide spielten solche Stratocasters. Überhaupt schien jeder so eine Gitarre zu haben, außer mir! (lacht) Ich fand Stratocasters sahen extrem cool aus. Eine zu spielen, war mein Traum. Und da meine Stars alle Instrumente mit Ahornhals spielten, stand ich einfach nicht auf die Modelle mit Palisandergriffbrett. Klanglich kann ich gar nicht viel zu den Unterschieden sagen.ur, dass sich Ahornhälse einfach gut anfühlen.
Hat das klanglich vielleicht damit zu tun, dass du die Saiten hauptsächlich mit den Fingern zupfst?
Ich spiele sowohl mit Plek, als auch mit den Fingern. Es kommt immer darauf an, welchen Sound ich erreichen will. Ich kann mit den Fingern einen anderen Ton erzeugen, ein anderes Gefühl ins Spiel bringen. Ich würde übrigens jedem empfehlen, das mal während eines Songs zu probieren und zu schauen, was das mit dem Sound macht.
Und du spielst Flatwound-Strings aus Überzeugung.
Genau. Ich spiele ein Custom-Set, das für mich zusammengestellt wurde. Meine tiefe E-Seite ist .052, die hohe .010. Früher bekamst du beim Kauf einer Telecaster automatisch einen Satz Flatwounds dazu. Ich habe mich mal mit Steve Cropper unterhalten (legendärer Studiogitarrist und Produzent, u. a. Wilson Pickett, Booker T. & The MG’s und Blues Brothers). Ich fragte ihn: „Was hast du auf ‚Green Onions‘ gespielt?“ Und er sagte: „Meine Tele mit Flatwounds!“ So haben im Grunde alle damals gespielt. Ich finde diese Saiten klingen auch besser, als die Roundwounds die sie später einführten. Wenn du dir alte Scheiben anhörst, zum Beispiel Chuck Berrys ‚Johnny B. Goode‘: das sind Flatwounds!
Widersprechen Flatwounds nicht den Vorstellungen Leo Fenders von einem eher brillanten, höhenbetonten Gitarrenton?
Ja, meine Stratocaster ist im Grunde wie die alten Gibson-Archtops eingestellt: Dicke Flatwound-Saiten auf den tiefen Saiten E, A und D, dazu eine Saitenlage, die die meisten Gitarristen abschrecken würde. Aber ich kann nur jedem empfehlen Flatwounds mal auszuprobieren! Einige denken jetzt sicher, sie könnten ihre gewohnten dünnen hohen Saiten nicht spielen, denn Flatwounds sind gewöhnlich dicker. Was du aber machen kannst: Du nimmst die unteren Saiten G, H und E in der Stärke, die du gewohnt bist und probierst dickere Flatwounds für die Basssaiten. Die gibt es ja in allen Stärken. Und sie klingen tatsächlich immer besser, je länger sie auf dem Instrument sind. Okay, Saitenhersteller hören das jetzt bestimmt nicht gern! (lacht) Und ich folge damit auch sicher nicht ganz der Klangvision Leo Fenders. Aber das ist eben meine Art zu klingen. Grundsätzlich mag ich den Ton einer Stratocaster. Und die Schlichtheit und Schönheit des Instruments.
Mal abgesehen davon, dass deine erste Gitarre eine 1966er-Telecaster war, spielst du Stratocasters aus Überzeugung?
Ja, meine erste Gitarre war eine Telecaster. Ich besitze auch heute ein paar Teles und spiele sie gelegentlich. Aber es geht nichts über Look und Feel einer Strat. Meine erste Stratocaster war meine 1958er. Ich war schockverliebt! Aus einer Strat bekommst du jeden Ton, den du möchtest. Was willst du mehr?
Stimmt die Geschichte, dass deine Broadcaster auf deren Rückseite Stevie Ray „Jimbo“ eingeritzt hatte, später für eine Million Dollar verkauft wurde?
Stimmt. Das war zuerst meine Gitarre. Als ich von zu Hause loszog, um Profimusiker zu werden, habe ich die Gitarre für Stevie Ray zurückgelassen, damit er eine zum Spielen hat. Er hatte damals keine elektrische Gitarre. Stevie veränderte die Gitarre ziemlich, ließ die Tonabnehmer wechseln, die Mechaniken, er machte ein richtiges Bastelprojekt daraus. Er wollte später nicht, dass ich das herausfand, also verkaufte er sie. So verließ die Gitarre unser Zuhause, kam in den Handel und wurde dann zu einem Promi-Sammlerstück.
Was hast du an alten Instrumenten zu Hause?
Ich habe natürlich noch Stevie Rays Gitarren, abgesehen von zweien, die ich für wohltätige Zwecke versteigern ließ.atürlich habe ich seine „Number One“. Ich selbst habe nur meine 1958er Olympic White, die ich bei den Thunderbirds gespielt habe.
Masterbuilder John Cruz hat mit seiner Custom-Shop-Kopie einen fantastischen Job gemacht.
Ja. Wie gesagt, als er mir das Instrument das erste Mal gezeigt hat, konnte ich keinen Unterschied erkennen! Es ist unglaublich wie er dieses authentische Aging hinbekommen hat.
Letzte Frage: Wirst du immer noch auf deinen Bruder angesprochen?
Oh ja! Es vergeht kein Konzert, auf dem ich nicht auf Stevie angesprochen werde. Auch in Gitarren-Foren ist er ein Dauerthema. Das New Yorker Metropolitan Museum Of Modern Art eröffnet in Kürze eine Instrumentenausstellung mit dem Titel „Play It Loud“. Dort wird neben Jimi Hendrix‘ Stratocaster und Keith Richards Les Paul auch Stevie Rays „Number One“ zu sehen sein. Das sagt doch alles, oder?