,Paging Mr. Proust‘ heißt das neue Album der Band aus Minneapolis und schließt mit Byrds-Gitarren, Harmoniegesang, Pop-Melodien und Fuzz-Soli nahtlos an Klassiker der Jayhawks-Geschichte wie ,Hollywood Town Hall‘ und ,Rainy Day Music‘ an.
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Nach der kurzen Wiedervereinigung mit Gründungsmitglied Mark Olson im Jahr 2011 hat Sänger, Gitarrist und Songschreiber Gary Louris 2016 die Zügel wieder alleine in der Hand. Drogenfrei und unterstützt von Tim O Reagan (dr), Marc Pearlman (b) und Karen Grotberg (kb) zeigt er sich in bestechender Form.
Kritiker kleben den Jayhawks gerne das Etikett ‚Alternative Country“ an, aber Gray Louris und seine Mitstreiter waren schon immer vielseitiger. Nach den Folk- und Country-geprägten Alben der 80er- und frühen 90er-Jahre kreuzte Louris auf ,Sound of Lies‘ (1997) und ,Smile‘ (2000) die West Coast-Melodien mit Pop-Arrangements, Rockgitarren, Psychedelic und Dub-Elementen. Trotz der vielfältigen Einflüsse steht bei Louris immer Song und Melodie im Vordergrund, die aber gerne mit schroffen Gitarren-Sounds und an Neil Young, The Byrds und Grateful Dead angelehnte Soloausflüge kontrastiert werden.
Die neu gewonnene Klarheit im Kopf, ohne Alkohol und andere Drogen, lässt den mittlerweile grauhaarigen Lockenkopf in seinen Songtexten über die Hektik moderner Zeiten, Politik und die Sehnsucht nach neuen Eindrücken reflektieren – fernab von Sex & Drugs & Rock’n’-Roll-Klischees. Auch im Interview präsentiert sich Louris als eher nachdenklicher Zeitgenosse. Leicht genervt vom Backstage-Lärm spricht er ausführlich über sein Songwriting, seine Faszination für Fuzz-Sounds und seine Heimatstadt Minneapolis.
Stil
,Paging Mr. Proust’ klingt simpler und wenig produziert als der Vorgänger …
Gary Louris: Wir haben mehr geprobt für dieses Album und hart an der Vorproduktion gearbeitet. Daher waren wir deutlich besser vorbereitet als bei der letzten Platte. Viele Instrumente sind auch live gespielt, ich würde sagen ungefähr 70 %.
Deine Einflüsse sind ja sehr eklektisch. Man findet Country, Folk, Psychedelic- und Sixties-Rock in deiner Musik. Legst du vor einem neuen Album eine bestimmte Richtung fest?
Gary Louris: Das ist eine gute Frage! Es geht immer zu meinen Wurzeln zurück: Popmusik, Art-Rock und britischer Pop – die Sachen, mit denen ich aufgewachsen bin. Die Folk- und Country-Elemente kommen eher durch die Art, wie die Instrumente eingesetzt werden. Dieses Album habe ich geschrieben, bevor ich wusste, dass es ein Jayhawks-Album werden sollte. Ich habe ein größeres Territorium erforscht als ich es normalerweise tue. Wir versuchen immer unseren Stil etwas auszudehnen ohne unser Publikum komplett zu verwirren. Ich finde es falsch uns als Country- oder Roots-Band zu sehen. Wenn du die Song-Strukturen betrachtest, sind sie viel weniger traditionell als die Leute denken, mehr wie Pop … Ich mische gerne Stile, platziere eine Pedal-Steel-Gitarre in einen Soul-Song, Sachen, die man nicht erwartet. Obwohl wir das Genre „Alternative Country“ irgendwie erschaffen haben, denke ich, dass wir viel mehr sind als das.
Wie sah dein Werdegang als Gitarrist aus?
Gary Louris: Ich hatte klassische Klavierstunden von 6 bis 14 und dann hat meine Mutter vorgeschlagen, dass ich Gitarre lerne – damit ich ein bisschen beliebter werde und auf Parties spielen kann. Ich hatte ein Jahr klassischen Gitarrenunterricht und habe dann von Platten gelernt, nach dem Gehör. Ich kann Noten lesen, habe aber nie auf diese Weise Gitarre gespielt.
Dein Lead-Gitarrenspiel hat immer diese psychedelische Kante mit einem Fuzz-Sound. Was gefällt dir an diesem Klang und hast du Vorbilder dafür?
Gary Louris: Ich mag diesen „Bigger-than-life“-Sound, wenn die Gitarre fast explodiert und außer Kontrolle ist. Ich bin eine ziemlich kontrollierte Person und meine Gitarre ist einer der wenigen Orte, wo ich über mich selbst hinauswachsen kann, dann fühle ich mich drei Meter groß. Einige meiner dunklen Seiten kommen zum Vorschein, die ich sonst unterdrücke. Ich mag Gitarren, die etwas gefährlich und mysteriös klingen. Mein Lieblingsgitarrist ist Jimmy Page. Seine Soli sind gut konstruiert, seine Motive und Phrasen sind einwandfrei, der Sound ist unverwechselbar. Er ist sehr versiert, ohne zu übertreiben. Ich mag keine Gitarristen, die zu geübt klingen. Jimmy Page hat diese Angeberei und eine Schlampigkeit in seinem Spiel, die klingt, als ob es aus dem Herzen kommt, anstelle von stundenlangem Üben. Er geht Risiken ein, er ist nicht perfekt, aber dadurch klingt er menschlicher.
Wie hast du für dich den Fuzz-Sound entdeckt?
Gary Louris: Das weiß ich gar nicht mehr so genau. Es fing an mit einem alten Dallas Arbiter Fuzz Face, das ich immer noch besitze. Ich stand damals sehr auf Clarence White, weil er so eine Art hatte, die Gitarre auf eine andere Weise zu definieren. Ich mochte auch Neil Youngs Spiel und Leute wie Michael Bloomfield, Robbie Robertson oder Blues-Leute wie Otis Rush, die mehr Gefühl als Technik hatten.
In deiner Musik gibt es immer den Gegensatz aus schön klingendem Songwriting und Satzgesang und eher dreckigen Gitarren-Sounds. Setzt du den bewusst ein?
Gary Louris: Yeah! Von zu viel Süßigkeiten bekommst du Löcher in die Zähne (lacht). Ich mag schöne Musik mit düsteren Texten oder einen finster klingenden Song mit romantischem Text. Ich mag eine Mischung, die für mich das Leben darstellt. Das Leben beinhaltet Schönheit und Dunkelheit, Glück und Traurigkeit, es immer beides und das versuche ich auszudrücken.
Du kommst aus Minneapolis. Wie sehr hat der Mittlere Westen deinen Stil beeinflusst?
Gary Louris: Ich denke, das war schon wichtig. Ich bin in Ohio aufgewachsen, eine Stunde von Detroit entfernt und habe viel Motown im Radio gehört. 1973 sind wir dann nach Minneapolis gezogen, das eine tolle Musikszene hatte, besonders in den 80ern.
Ist es einfacher in einer solchen Stadt einen eigenen Stil zu finden als in New York oder Los Angeles?
Gary Louris: Ich denke, das ist ein Teil davon. In einer Stadt wie Minneapolis ist es einfacher in einer Band zu sein, herumzukommen und einen Proberaum zu finden. Es gibt weniger Ablenkung, mehr Isolation, die Kälte, die Leute gehen nicht an den Strand, sondern bleiben in ihrem Keller oder Proberaum. Und dann befruchtet sich das. Es gab Bands wie Hüsker Dü, The Replacements, Soul Asylum, Prince, all diese Sachen sind passiert. Plötzlich war es ein Musik-Mekka!
Viele deiner neuen Songs handeln vom Weggehen, etwas Neues versuchen und Dinge zurücklassen. Reflektiert das deine Persönlichkeit?
Gary Louris: Die Platte hat zwei Seiten: Sachen zurücklassen, umziehen, nach etwas anderem suchen, eine Art von „The grass is always greener“-Lebensstil. Durch den Entzug habe ich aber auch gelernt, dass es darum geht still zu stehen, langsamer zu werden, im Moment zu leben und das zu schätzen was du hast. Die Platte zeigt also, was ich war und was ich hoffe, zu sein.
Recording
Wie lange habt ihr an der neuen Platte gearbeitet?
Gary Louris: Die Aufnahme-Sessions mit der kompletten Band haben zwei Wochen gedauert. Ich stand in einem anderen Raum, damit wir meine Gitarre und den Gesang behalten konnten, wenn er gepasst hat. Ein paar Parts habe ich neu eingespielt. Ich habe viele Demos gemacht und davon haben wir auch einiges übernommen, Loops und spezielle Sounds.
Ziehst du analoge oder digitale Aufnahmen vor?
Gary Louris: Ich ziehe analog vor, weil es einen bestimmten Moment einfängt und einen besseren Sound hat, aber die digitale Welt ist viel effizienter. Das Problem am Digitalen ist, dass du alles reparieren kannst und eine Million Möglichkeiten hast. Ich denke, beim Aufnehmen eine Million Möglichkeiten zu haben, ist gefährlich. Sobald du eine Sache reparierst, musst du die nächste reparieren und am Ende hast du alles repariert und es klingt nicht mehr nach dem Moment. Ich mag exakte Dinge in elektronischer Musik, aber unsere Musik muss organisch klingen. Ich benutze ProTools und Ableton Live für meine eher experimentellen Sachen. Heutzutage nimmt man oft Drums, Bass und Gitarre auf Tape auf und lädt es dann in ProTools und macht Overdubs.
Deine Hauptgitarre ist eine Gibson SG
Gary Louris: Ja, ein 1967er Modell, mehr weiß ich auch nicht darüber (lacht). Ich mag sie, weil sie zwischen einer Tele und einer Les Paul liegt. Ich bekomme Twang, wenn ich will, kann aber auch einen sehr runden Sound erzeugen. Sie hat einen sehr dünnen Hals. Viele SGs sind schrecklich, aber diese hier hat das gewisse Etwas und sie ist eine Erweiterung von mir selbst. Ich bin an sie gewöhnt, ich spiele sie seit 1987.
Sind noch andere Gitarren auf der Platte zu hören?
Gary Louris: Ich benutze noch eine alte Fender Jazzmaster, eine Rickenbacker Six String und eine Guild Starfire sowie diverse Akustik-Gitarren, von Martin und Gibson.
Wie sieht es mit Verstärkern aus?
Gary Louris: Meistens benutze ich einen Bad Cat, ich habe eine gute Beziehung zu dieser Firma. Ich nehme gerne zwei Amps und mische die zusammen, z.B. den Bad Cat und einen Fender Deluxe.
Auf der Bühne hattest du auch ein großes Pedalboard.
Gary Louris: Ich benutze ein altes Univox Super Fuzz. Als Backup habe ich ein Watson Superfuzz. Hinzu kommen ein Fulltone Fulldrive für einen leichten Boost und ein Electro Harmonix Mellotron für Streichersounds. Dann habe ich ein Boss Chorus Ensemble aus den Siebzigern, das ich mit einem Looper aus der Signalkette nehme, wenn ich es nicht brauche. Dann gibt es noch einen Moog Ring-Modulator und Echo. Ich drehe die Amps ziemlich auf, spiele aber sehr leicht, das gibt mir einen besseren Ton.
Wie hast du den Vibe-Sound auf ,Lost The Summer‘ gemacht?
Gary Louris: Das ist das Boss Chorus Ensemble im Vibrato-Modus mit Fast Switch.
Und dieser Tremolo-Sound auf ,Ace’?
Gary Louris: Da hatte ich die Jazzmaster mit einem Kompressor, dem Ring Modulator, dem Superfuzz und etwas Delay.
Improvisierst du deine Soli oder sind die ausgearbeitet?
Gary Louris: Meine Stärke ist es, starke Parts zu finden und meine Schwäche ist, davon nicht wegzukommen. Ich variiere sie ein bisschen, aber ich neige dazu, jeden Abend ähnliche Solos zu spielen. Ich bin stolz auf die Parts, die ich mir ausgedacht habe und wenn ich sie nicht spiele, fühlt es sich an, als ob ich sie vermeide, und nicht als ob ich etwas Neues erschaffe.
Heute verdienen Bands den Großteil ihres Einkommens mit Touren. Bist du gerne unterwegs oder ist das eher ein notwendiges Übel?
Gary Louris: Es ist etwas, was man tun muss, um Geld zu verdienen. Ich würde gerne weniger touren, aber das ist keine wirkliche Option. Es kann hart sein, besonders in meinem Alter. Wir sind groß genug, einen Tourbus zu haben, aber nicht groß genug um jede Nacht ein Hotel zu bekommen. Ich bin gerne unterwegs, habe aber auch gerne ein normales Leben. Wir haben alle ein Zuhause und wollen nicht on the road leben …