Alles ist Musik

Interview: Étienne M’Bappé

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(Bild: Matthias Mineur)

Seine afrikanische Herkunft sieht man dem in Frankreich lebenden Bassisten/Gitarristen Étienne M’Bappé nicht nur äußerlich an, man hört sie auch in seinem Spiel, seinem Groove, seinem Harmonieverständnis, dem swingenden Appeal, der aus seinen Fingern strömt. Wohl auch deshalb ist der 55-Jährige seit vielen Jahren ein begehrter Session- und Studiobassist, der unter anderem schon für Joe Zawinul, John McLaughlin, Ray Charles, Manu Dibango, Bill Evans oder Antoine Hervé gespielt und auch eigene Soloscheiben aufgenommen hat.

Optisch auffälligstes Merkmal des Kameruners sind die schwarzen Seidenhandschuhe, die er beim Spielen trägt. Wie es zu dieser ungewöhnlichen Angewohnheit kam und welche grundsätzlichen Unterschiede er zwischen afrikanischer und europäischer Musik sieht, erfuhren wir bei einem interessanten Gespräch mit dem überaus freundlichen Musiker.

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Interview

Étienne, du lebst seit mehr als 40 Jahren in Frankreich, hast deine afrikanischen Wurzeln aber immer behalten. Wie fing alles an?

Es stimmt, ich wurde in Douala geboren. Douala hat den größten Hafen Kameruns. Jeder der per Schiff ins Land will, kommt über diese Stadt, wodurch dort ein ziemlich internationales Flair herrscht. Ich wuchs in einer sehr musikalischen Familie auf. Meine Eltern und auch die Schwester meiner Mutter sangen in einem kirchlichen Gospelchor, deshalb war unser Haus immer voller Musik. Vor allem Kirchenmusik, aber auch Jazz und afrikanische Lieder, sodass ich schon früh eine gute Gehörausbildung erhielt. Als ich neun war, bekam mein Bruder zu Weihnachten eine Gitarre geschenkt. Er zeigte mir die ersten Griffe, sodass ich ein paar afrikanische Folksongs nachspielen konnte. Das machte mir ungeheuer viel Spaß.

1978, als ich 14 war, wurden die Gesundheitsprobleme meines Vaters schlimmer, deshalb zog er mit uns nach Frankreich. Dort lernte ich in der Schule einen Jungen kennen, der ebenfalls Gitarre spielte. Als ich ihn zu Hause besuchte, bemerkte sein Vater, dass ich musikalisches Talent habe, und fragte mich, ob er mir ein paar Lektionen in klassischer Musik zeigen solle. Er war Gitarrenlehrer eines Konservatoriums und ermunterte mich, an seiner Schule klassische Gitarre zu lernen. Das habe ich knapp vier Jahre gemacht und bin dann zum Kontrabass gewechselt.

Weshalb?

Weil wir damals eine Band gründen wollten, aber alle vier Mitglieder Gitarre spielten. Also wechselte ich zum Bass, und so entwickelte sich nach und nach, dass ich öfter als Bassist angefragt wurde und nicht als Gitarrist, obwohl ich immer noch gerne und häufig Gitarre spiele. Ich komponiere überwiegend auf der Gitarre, freue mich aber genauso darüber, dass ich seit Jahren als Bassist engagiert werde.

Bevorzugst du eines der beiden Instrumente?

Nein, für mich ist alles Musik, egal ob ich Bass oder Gitarre spiele. Auf meinen Alben spiele ich beides, was ja bereits viel aussagt. Seit meinem 20. Lebensjahr, also seit 1984, werde ich regelmäßig für Studio-Sessions, Live-Performances und so weiter angefragt.

Welche Parallelen bestehen für dich zwischen Gitarre und Bass, und welche signifikanten Unterschiede?

Die Parallelen sind: Alles ist Musik und macht mich glücklich. Aber in einer Band spielen die beiden Instrumente natürlich völlig unterschiedliche Rollen. Der Bass liefert das Fundament, während die Gitarre mit ihren höheren Noten mehr im Vordergrund steht. Das macht sich auch bei meinem Songwriting bemerkbar. Wenn ich auf der Gitarre schreibe, bestimmen Melodien und Akkorde das Stück, wenn ich auf dem Bass komponiere, orientiere ich mich stärker an Grooves und Rhythmik. Ich bin froh, dass ich beides kann, weil beide Instrumente auf ihre spezielle Art inspirierend sind.

Spielst du die Gitarre mit Plektrum und den Bass mit Fingern?

Ja, normalerweise ist das so. Aber ich kann auch den Bass mit Plektrum spielen oder ein paar funky Rhythmen auf der Gitarre mit den Fingern. Das hat übrigens damit zu tun, dass es in Kamerun einen Musikstil namens Makossa gibt, der auf der Gitarre mit Fingern gespielt wird. Außerdem habe ich eine Menge Folk- und Country-Songs gelernt, insofern kann ich beides, mit Fingern und mit Plektrum spielen.


Étienne M’Bappé auf dem Guitar Summit 2019:


Du lebst seit 1978 in Frankreich. Wie viel afrikanische Musik steckt noch in dir? Oder bist du nach 40 Jahren mittlerweile komplett europäisch musiksozialisiert?

Ich würde sagen: halb und halb. Meine Wurzeln sind in Afrika, und alles, was ich spiele ist davon beeinflusst. Man hört es, vor allem aber kann man es fühlen. Wer mich tanzen sieht, erkennt, dass man in Europa so nicht tanzt. (lacht) Aber nach 42 Jahren in Frankreich gibt es natürlich auch viele europäische Elemente in meinem Spiel. Das hat einerseits mit meiner klassischen Ausbildung zu tun, aber auch mit dem, was man in diesen Breitengraden hört, also Rock, Pop, Klassik. Das hat mich natürlich enorm beeinflusst, und mitunter spiele ich Sachen, die ich mir selbst früher nicht zugetraut hätte.

Mir fällt das auf ganz natürlich Weise zu, es scheint unbewusst in mir drin zu stecken. Die Leute fragen mich: „Magst du Heavy Metal?“ Ich antworte: „Oh ja, sehr sogar!“ Ich mag Metal, ich mag Rock, ich mag Pop, ich mag Jazz, afrikanische Musik, alle Arten von Musik. Musik kennt keine Grenzen, und durch meine vielen Reisen werde ich immer wieder neu inspiriert, durch die Kultur eines Landes, durch das regionale Essen, die Menschen, die ich treffe, die Städte, die ich besuche, das Publikum, für das ich spiele.

Worin bestehen für dich die größten Unterschiede zwischen afrikanischer und europäischer Musik?

Afrikanische Musik basiert vornehmlich auf einer starken Gesangsmelodie und tanzbaren Rhythmen, wobei ich bewusst die Mehrzahl wähle, da es so viele verschiedene afrikanische Rhythmen gibt. In Afrika wird zur Musik immer getanzt, bei Hochzeiten sowieso, aber auch bei Beerdigungen. Europäische Musik fußt dagegen stärker auf Melodien die in verschiedene Harmonien eingebettet sind. Allzu viele unterschiedliche Harmonien gibt es in der afrikanischen Musik nicht. Afrikanische Songs haben maximal drei Akkorde, mehr nicht. In der Klassik gibt es tausende Akkorde, die Werke von Johann Sebastian Bach sind voll damit.

(Bild: Matthias Mineur)

Übrigens wurden in der Kirche, in der meine Eltern und meine Tante im Chor sangen, auch Werke von Bach einstudiert, was mir damals die Augen geöffnet hat. Afrikaner lieben Klassik wegen der großen Melodien, aber sie fragen dann nach einer Weile: „Und wann kommen Stücke, zu denen wir tanzen können?“ (lacht) Ich bin glücklich, in beiden Welten zu Hause sein zu dürfen.

Woher kommt eigentlich die Idee mit den schwarzen Seidenhandschuhen?

(lacht) Ich studierte den Bass und verwendete immer ein kleines Handtuch, um meine Finger zu bedecken und nicht zu sehr auf sie zu achten. Dabei bemerkte ich, dass sich dadurch der Ton veränderte und die Saiten länger hielten, weil kein Schweiß meiner Hände darauf tropfte.

Irgendwann fragte mich meine Frau: „Weshalb spielst du nicht einfach mit Handschuhen?“ Ich fand die Idee interessant und versuchte es zunächst mit Wollhandschuhen, was aber nicht funktionierte, weil sie schon nach einem Song kaputt waren. Meine Frau meinte nur: „Nimm doch Handschuhe aus Seide!“ Ich testete es und war begeistert. Der Klang war fantastisch. Damals arbeitete ich gerade im Studio und nahm ein Album auf. Der Toningenieur meinte: „Wow, es klingt fabelhaft, du solltest immer mit Handschuhen spielen.“ Der Ton wird dadurch voller und dicker, aber auch weicher, die Grooves sanfter. Ich liebe den Sound, zudem schützen die Handschuhe die Saiten. Perfekt also!

Gilt das unabhängig davon, wie der Bass beschaffen ist? Was benötigt ein guter Bass, damit du dich mit ihm anfreundest?

Vor allem das Gefühl, das man bekommt, wenn man ihn in die Hand nimmt. Gutes Holz, eine ausgewogene Balance, hochwertige Hardware, warm klingende Tonabnehmer. Ich spüre sofort, wenn ich einen wirklich guten Bass in die Hand nehme. Das Instrument spricht zu dir, automatisch. Man fühlt instinktiv, ob man sich mit diesem Bass abmühen muss oder ob das Spielen mit ihm leicht und angenehm ist. Wenn dann auch noch der Ton gut ist und man den Wunsch hat, ihn nicht wieder aus den Händen zu geben, dann hat man das perfekte Instrument gefunden. So etwas spürt man innerhalb der ersten zehn Minuten, eigentlich sogar schon in den ersten fünf Minuten.

Existiert in deiner Bass-Sammlung ein solch perfektes Instrument? Sozusagen ein „the one and only”-Bass?

Nein. Denn ich bin überhaupt kein Vintage-Typ. Mich interessieren Fender P-Bass oder Fender Jazz-Bass nicht die Bohne. Ich mag es, wenn andere Musiker sie spielen, aber ich selbst besitze keinen einzigen. Ich hatte mal ein paar, aber ich stehe mehr auf moderne Sounds, also auf Bässe mit Preamps. Ich brauche den Preamp nicht besonders laut, er muss einfach nur zur Unterstützung dabei sein. Natürlich möchte ich vor allem den Klang meiner Finger hören und nicht den des Preamps. Ich will das Holz hören können. Ich stehe auf moderne Bässe und habe zu Hause etwa 40 oder 50 von ihnen. Mitunter bekomme ich neue Bässe von Instrumentenbauern angeboten, die ich natürlich nicht wieder verkaufe. Und natürlich nutze ich Messen und Workshops, um Instrumente zu testen und neue Erfahrungen zu machen. Auch mein Sohn freut sich darüber. Er ist 26 und selbst Bassist.

The next M´Bappé-Generation!

Exakt.

Unterrichtest du ihn?

Natürlich zeige ich ihm ein paar Kniffe. Ich habe ja viel mehr Erfahrung als er.

Gibst du eigentlich generell Unterricht?

Früher habe ich regulär Bassunterricht gegeben, aber das mache ich jetzt nicht mehr. Heute gehe ich ein- oder zweimal pro Monat in eine Schule und kümmere mich dort um die Kinder. Wenn es eine Schulband oder Jugendliche gibt, die Bass spielen wollen, dann kümmere ich mich um sie. In den kommenden Monaten werde ich ein- oder zweimal pro Monat nach Lausanne fahren und dort junge Bassisten unterrichten, die nächstes Jahr ihre Abschlussprüfung haben. Ich mag das, ich finde, dass ich alt genug bin, um junge Menschen an meiner Lebenserfahrung teilhaben zu lassen. Ich kann etwas über Musik generell, aber auch von meinen Erfahrungen auf Tournee und im Studio vermitteln. Mir ist das wichtig, dass ein solcher Austausch stattfindet, denn in Afrika gibt es so etwas nur sehr selten, da man dort kaum Musikschulen findet. Es ist wichtig, dass man etwas von seinem Wissen weitergibt, so wie es Eltern und ältere Geschwister mit ihren jüngeren Brüdern und Schwestern machen.

Welche wichtigen Lektionen haben deine Lehrer dir mitgegeben?

Zahlreiche. Aber entscheidend ist, dass ich immer noch lerne. Wenn man auf Tournee ist, lernt man jeden Tag etwas Neues. In einer Band mit Stars wie Joe Zawinul, John McLaughlin, Robben Ford oder Bill Evans lernt man jede Sekunde etwas Wichtiges. Insofern bin ich in gewisser Weise selbst immer noch Schüler, vor allem dann, wenn ich als Begleitmusiker gebucht werde. Ältere Musiker wie Joe und John können einem so viele wichtige Tipps geben. Es ist einfach ein Segen mit Leuten spielen zu dürfen, die schon mit Miles Davis auf der Bühne gestanden haben und von dieser Erfahrung erzählen können. Man kann so unendlich viel davon lernen, wie überhaupt das Leben jeden Tag etwas Neues bringt, wovon man profitieren kann.

Nicht nur musikalisch sondern auch persönlich. Und so werde ich älter und weiser, lerne jeden Tag etwas dazu und versuche, dieses Wissen an Jüngere weiterzugeben. Und wenn diese Kinder und Jugendlichen genau zuhören und sich von meinen Geschichten inspirieren lassen, profitieren sie wiederum von meiner Erfahrung. So geht es immer weiter, von Generation zu Generation.

Und was beispielsweise sagst du einem Schüler, der von dir die wichtigsten Kriterien für einen guten Song erfahren möchte?

Eine starke Melodie! Die Melodie ist immer das Wichtigste. Ich komponiere, ich singe dazu, ich schreibe einen Text, aber ganz am Anfang steht immer die Melodie. Alles andere kommt später. Manche Musiker schreiben zuerst den Text und entwickeln dann dazu den Gesang. Bei mir ist es genau umgekehrt. Bei mir leitet erst die Melodie zu einer Idee, was ich im Text ausdrücken könnte. Ein guter Song besteht immer aus einer guten Melodie, die in interessante Akkorde eingebettet ist. Der Text ist dann nur noch die Zugabe.

Danke Étienne, für das interessante Gespräch, und alles Gute für deine weitere Karriere!

(erschienen in Gitarre & Bass 01/2020)

 

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