„I look really good for a dead guy“ scherzte Dan Baird vor zwei Jahren bei der Comeback-Tournee nach überstandener Krebserkrankung. Jetzt macht er doch überraschend Schluss mit dem Live-Geschäft. Wir haben den Ex-Frontmann der Georgia Satellites auf seiner Abschiedstour durch Deutschland begleitet.
Die Bombe platzte Anfang November 2019, als Dan Baird & Homemade Sin gerade den dritten Gig der Europa-Tournee im spanischen A Coruña absolviert hatten. Drummer Mauro Magellan verkündete auf Facebook, dass er nach dem letzten Konzert der Tour sein Equipment verkaufen würde, weil Bandleader Dan Baird sich danach zur Ruhe setzen wolle. Damit mutierte die Herbst-Tour über Nacht zur ungeplanten Abschiedsvorstellung.
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Dan Baird erklärte in einem eiligst nachgeschobenen Facebook-Post, dass mit dem letzten Auftritt im schottischen Edinburgh Anfang Dezember tatsächlich das Live-Ende der Band kommen würde:
„Ich bin zu dem Entschluss gekommen, dass mich das Leben aus dem Koffer, im Flugzeug, im Bandbus von Hotel zu Hotel mehr ausgelaugt hat, als ich ertragen kann. Ich liebe das Spielen, aber so lange sie keinen Teleporter erfinden, sind die restlichen 22 Stunden eines Tages einfach zu viel. Ich mache jetzt die Europa-Tournee zu Ende, dann noch die Outlaw Cruise mit den Yayhoos – und das war’s dann.“
Dass Dan Bairds kurzerhand zur Abschiedstournee erklärten Herbst-Gigs quer durch Europa führten und nicht durch die US-Staaten, liegt nicht zuletzt daran, dass ihn seit dem Jahr 2000 regelmäßig der englische Manager Mick Brown über den großen Teich holt. Auf dessen Label Jerkin‘ Crocus wurden auch Bairds Platten veröffentlicht. Seit Gründung der Formation Dan Baird & Homemade Sin im Jahr 2005 sind hier fünf Studioalben der Band plus das Solo-Album ‚SoLow‘ erschienen, außerdem neun (!) Live-Scheiben. Damit ist Dans Output mit den Sinners deutlich größer als der seiner gesamten Satellites- und Solo-Zeit.
RÜCKBLENDE
Anfang November 2013, beim Gig im Stuttgarter Club Goldmarks kam das Thema Aufhören im Gespräch mit Dan und Gitarrist Warner E. Hodges schon einmal zur Sprache, schließlich stand Baird kurz vor seinem 60. Geburtstag. Auf die Frage, wie lange sie mit dem Touren noch weitermachen wollen, antwortete Hodges: „Ich werde es so lange machen, bis er nicht mehr will.“ Woraufhin Dan nur kurz konstatieren konnte, dass er nicht sagen könne, wann das sein würde und dass es hauptsächlich von seiner Gesangsstimme abhinge.
Ende Juli 2017 sah es dann jedoch so aus, als würde genau diese Aussage widerlegt: Homemade Sin gastieren in der Bootleggers Bar im englischen Kendal. Baird geht es schon seit Tagen gesundheitlich immer schlechter – er schwitzt massiv und kann sich kaum auf den Beinen halten.
Das zweite Set des Gigs absolviert er sitzend auf einem Barhocker. Danach bringen ihn Warner Hodges und Roadie Pete Mason ins Westmorland General Hospital in Kendal, wo die Ärzte eine akute Leukämie feststellen. Die drei letzten Gigs der Tour absolviert der Rest der Band als Trio. Hodges bringt den nach zwei Wochen halbwegs stabilisierten Bandkumpel Baird in einem anstrengenden Flug-Marathon wieder in die Staaten, wo der mit einer Leukämie-Behandlung beginnt.
Doch schon für den Herbst hat die Band eine weitere Europa-Tournee gebucht – und die Homemade-Sin-Musiker sind auf die Einnahmen angewiesen. Zu allem Überfluss streicht auch noch der schwedische Bassist Micke Nilsson (der inzwischen Micke Björk heißt) wegen privater Verpflichtungen die Segel. Homemade Sin sind somit auf zwei Musiker geschrumpft. Was tun?
Drummer Mauro Magellan und Gitarrist Warner Hodges besinnen sich auf einen der engen Freunde der Band: Sänger und Gitarrist Joe Blanton produzierte nicht nur etliche Alben der Sinners, er spielt zudem mit Warner und Baird in der gemeinsamen Combo The Bluefields und hat etliche der neueren Songs mitkomponiert. Und er ist ein großer Georgia-Satellites-Fan und kennt deshalb Bairds Repertoire aus dem Effeff.
Kurzerhand wird in Nashville auch noch Bassist Sean Savacool engagiert. So kommt es, dass dieses Quartett im Herbst 2017 als Homemade Sin without Dan Baird auf Tour geht, um die vereinbarten Gigs quer durch Europa zu bestreiten. Gleichzeitig erscheint die Live-Doppel-CD mit Dans Patienten-Armband auf dem Cover: ‚The Red Wristband Special‘ dokumentiert das denkwürdige Bootleggers-Konzert und soll drohende Gig-Absagen auch finanziell etwas kompensieren.
Einen anderen Schicksalsschlag hatte Baird schon früher hinnehmen müssen: Während er auf Tour in England ist, erfährt er, dass Bobby Keys, sein Freund und Bandleader der Suffering Bastards, bei denen Baird als Sänger und Gitarrist aktiv ist, soeben gestorben ist. Keys war der texanische Langzeit-Saxophonist der Rolling Stones. Am Tag darauf nimmt Dan in London ein halbakustisches Live-Album auf, als er in der Pause zwischen zwei Sets erfahren muss, dass mit Keyboarder-Legende Ian McLagan ein weiterer Kumpel gestorben ist, der unter anderem auf den Alben der Georgia Satellites zu hören war.
Im Jahr vor seinem Zusammenbruch war Baird dennoch so produktiv wie selten und nahm gleich zwei Alben auf: eines mit der Band (‚Rollercoaster‘) und eines solo, das auch noch ‚SoLow‘ hieß. Beide Scheiben haben etliche Songs mit für Baird ungewohnt depressiven Zügen und Titeln wie ‚Cemetery Train‘, ‚Say Goodbye‘ oder ‚The Other Side‘.
Im Text des Songs ‚Showtime‘ gibt Baird durchaus ungewohnte Einblicke in sein Seelenleben als Musiker und verrät, was selbst einem abgebrühten Profi wie ihm vor dem Auftritt so durch den Kopf geht: „Es ist Showtime, keine Zeit zum Rumtrödeln, höchste Zeit loszulegen. Es nervt gewaltig – dieses Rumhängen und die Warterei Warterei … Hoffentlich haben wir ein gutes Publikum und hoffentlich können wir richtig laut aufdrehen. Hoffentlich kommt alles gut rüber … Wir machen weiter, bis mir die Luft ausgeht. Oder ich den ‚Old Man‘ zu Tode schwitze. Es ist Showtime”
GEAR TALK
Der ‚Old Man‘ ist übrigens Bairds Gitarre, die er seit seinen Tagen bei den Georgia Satellites gespielt hat: Sie sieht aus wie eine Fender Telecaster, ist aber eine Esquire, die er 1982 seinem damals in Atlanta lebenden Idol Steve Marriott (Humble Pie, Small Faces) abgeluchst hat. Inzwischen bleibt die relativ seltene Gitarre daheim in Bairds Musikkeller. Denn der Schweiß hat ihr gewaltig zugesetzt, deshalb soll sie geschont werden. Stattdessen spielt Baird seit 2015 meist eine schwarze Danocaster des gleichnamigen US-Herstellers.
Dan, deine alte Tele ist laut Kopfplatte eine Esquire?
Ja, Leo Fender hat ursprünglich nur einen Body mit zwei Aussparungen entworfen – für einen Tonabnehmer bei der Esquire und zwei bei der Tele. Ich hatte der Esquire dermaßen mit meinem Schweiß zugesetzt, dass der Pickup eines Tages keinen Mucks mehr machte. Aber ich musste am Abend spielen und kaufte deshalb ein Set Telecaster-Pickups, weil’s die damals nicht einzeln gab. Der Typ im Gitarrenladen hat mir ein neues Pickguard dazu gegeben und gleich beide Tonabnehmer eingebaut. Mir gefielen die zusätzlichen Optionen damit.
Die Esquire hat inzwischen schon drei Brücken, vier Pickups, drei Sätze Mechaniken und vier Sätze Bünde hinter sich. Der Korpus hat schon so viel Zellulose eingebüßt, dass er fast wie ein Hollowbody klingt, was echt gut ist. Die Esquire war für mich schon immer ein Arbeitspferd und kein Museumsstück.
Und was ist der Unterschied zu deiner aktuellen Tele?
Für die „tägliche Arbeit“ hat mir Dan Strain von der Danocaster 2015 eine schwarze 56er-Custom-Tele gebaut, mit ein paar modernen Sachen. Sie hat einen Hals in C-Breite mit 1 3/4 Zoll anstatt des B-Formats mit 1 5/8 Zoll bei der Esquire. Daran muss man sich erst gewöhnen, aber das Solo-Spiel geht leichter und die neue Tele wiegt genauso wenig wie der ‚Old Man‘.
COMEBACK & FAREWELL
Schon im Jahr nach dem Tour-Abbruch ist Baird wieder zurück auf der Bühne. Er sieht deutlich fitter aus als zuvor und hat während der Leukämie-Therapie gar noch Songs für ein flottes neues Album geschrieben: ‚Screamer‘. So kann es weitergehen, denkt sich der Baird-Fan, zumal die Band sogar wieder ausgedehnte Tourneen durch die Staaten unternimmt und so viele Gigs hat, wie seit Satellites-Tagen nicht mehr.
Doch der Schein trügt: In den Staaten ist Baird dem Vernehmen nach nicht so gefragt wie in Europa, wo er nach wie vor auf ein treues Publikum und gut gebuchte Club-Konzerte setzen kann.
Ende November 2019: Dan Baird & Homemade Sin sind wieder zurück in Europa, nachdem sie im Juni den ersten Teil der Tour hatten abbrechen müssen, weil Bairds Frau ernsthaft erkrankt war. Nach Spanien, Frankreich und den schon traditionellen Konzerten in der Schweiz und einem Abstecher nach Österreich, hat die Band mit ihrem kleinen roten Bus inzwischen Deutschland erreicht. Das erste Konzert findet im Hamburger Downtown Blues Club statt.
Am nächsten Tag düsen die Musiker ans andere Ende der Republik: Der kleine, aber äußerst rührige Hirsch in Metzingen-Glems südlich von Stuttgart ist ausverkauft. Und da gibt’s noch eine Überraschung: Kurzentschlossen hatte der Veranstalter Homemade Sin gleich noch für einen zweiten Auftritt sechs Tage später gebucht, denn er will unbedingt das „allerletzte Konzert von Dan Baird auf deutschem Boden“ veranstalten.
Der Autor nutzt die Chance, um die Band für Gitarre & Bass nochmals auf Video zu bannen. Am nächsten Tag geht’s fast die gesamte Strecke wieder hoch in den Norden zum traditionellen Konzert in der legendären Blues Garage in Isernhagen, bevor die Vier am Samstagabend den mit Hunderten von Fans gut gefüllten Live-Club Bett in Frankfurt rocken, ebenfalls seit vielen Jahren eine unverzichtbare Tour-Station für Homemade Sin.
Am nächsten Abend treffen wir die Band dann im malerischen Village in Habach am Rand der Alpen. Eigentlich war Dan Baird noch nie ein großer Freund von konventionellen Interviews: „Let’s just talk!“ meint er lakonisch, wenn wir uns treffen. Offizielle Interviews gibt er auf der Abschiedstour ohnehin nicht mehr, nicht zuletzt um seine Stimme zu schonen. Aber natürlich kommen wir nach dem Gig doch noch ein letztes Mal ins Gespräch.
Dan, wer hat dich denn am meisten beeinflusst – als Gitarrist und überhaupt als Musiker?
Ich habe wirklich alles von Keef, also Keith Richards, gelernt. In meiner Welt geht’s hauptsächlich um die Rhythmusgitarre. Keef steht da fürs swingende, groovige Ende des Spektrums und der leider verstorbene Malcolm Young von AC/DC für die treibende Seite. Man hört sie und weiß sofort, wer es ist. Das verstehe ich unter Erfolg! Als Band hat mich, neben den Faces, immer schon NRBQ, also das New Rhythm and Blues Quartet, total beeindruckt, eigentlich mein ganzes Leben lang. Manchmal spiele ich live ihren Song ‚It Comes To Me Naturally‘.
Aber anders als Keef bist du nicht nur Gitarrist und Songwriter, sondern auch ein starker Sänger.
Danke, das habe ich mir von Steve Marriott abgeschaut. Vorher war ich eher so ein Murmler. Er hat mir gezeigt, was ein richtiger Shouter ist.
Was ist mit dem Einfluss von Chuck Berry? Songs wie ‚Keep Your Hands‘ oder das neue ‚Licka Sense‘ stehen in seiner Tradition.
Aber klar, absolut. Der war und ist unser Benchmark. Ich habe mit Chucks Musik angefangen und mich von da aus entwickelt. Was wirklich großartige Musik angeht, endet das doch Mitte der 70er-Jahre. Danach kamen nur noch die Replacements, Sex Pistols und Ramones. Später hat mich nichts mehr wirklich berührt. Alles ab Chuck Berry und bis zu 20 Jahre danach – das ist es, was mich beeinflusst hat. In Sachen Blues ist es natürlich John Lee Hooker.
Nicht Robert Johnson?
Doch auch, logisch, the real deal – ein Genie. Genauso wie Hank Williams, was den Country betrifft.
Warum hörst du nun endgültig auf mit dem Live-Touren?
Ich hatte jetzt zweimal Krebs. Und auch meiner Frau geht es gesundheitlich nicht gut, deshalb will ich künftig daheim bleiben. Ich werde nicht aufhören Musik zu machen, aber das wird dann zu Hause in meinem Keller stattfinden.
EPILOG
Ein paar Tage später steht das zweite Konzert im Hirsch an. Dan und seine Kollegen hatten zwei Tage frei und sind sichtlich erholt von den Strapazen. Wie üblich agieren die Musiker ohne feste Setlist. Trotzdem achtet Baird peinlich genau darauf, keine Songs zu wiederholen, die er eine Woche vorher beim ersten Konzert in diesem Club gebracht hat – schließlich sind etliche Zuhörer schon zum zweiten Mal innerhalb einer Woche hier.
Anfang Dezember ist es dann auch beim Finale im schottischen Edinburgh so weit: Mit den beiden Satellites-Songs ‚Sheila‘ und ‚I Dunno‘ verabschiedet sich Dan Baird in den Ruhestand. Ein kleines Trostpflaster bleibt: Wenn alles klappt, wird Gitarrist Warner E. Hodges künftig mit seiner eigenen Combo aus britischen Musikern die Ochsentour durch die europäischen Clubs machen. Was bis dahin bleibt, sind Erinnerungen an viele heiße, brüllend laute Konzerte und eine Menge toller Rock’n’Roll-Kracher und klasse Alben. Inklusive der spontansten Farewell-Tour der Rock-Geschichte. Um es mit einem Song der Band zu sagen: ‚Thanks For The Memories‘, Dan Baird!
Habe Dan Baird zum ersten mal in München im Club 21???
live gesehen (The Yayhoos).
Die folgenden Jahre immer im Village in Habach. Einfach Klasse. Immer
die beste Livemusk! Zur Zeit höre ich The Bluefields mit der aktuellen
Scheibe. Das ist einfach meine Musik!!!
Sehr guter Artikel den Sie da geschrieben haben. Danke! 5Sterne…
Habe Dan Baird zum ersten mal in München im Club 21???
live gesehen (The Yayhoos).
Die folgenden Jahre immer im Village in Habach. Einfach Klasse. Immer
die beste Livemusk! Zur Zeit höre ich The Bluefields mit der aktuellen
Scheibe. Das ist einfach meine Musik!!!
Sehr guter Artikel den Sie da geschrieben haben. Danke! 5Sterne…