Vom Underground zur Profikarriere

Indie Made in Germany (Teil 1): Element of Crime & Tocotronic

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Indie Special

Der Weg zum Gitarrenheld ist hart. Unzählige Skalen und Akkorde müssen geübt, tausende Licks und Stile erlernt und Berge von Pedalen, Amps und Gitarren ausprobiert werden, um dann am Ende komplizierte Musik zu spielen, die wahrscheinlich nur einen Bruchteil der musikhörenden Menschheit interessiert. Aber ist das wirklich der einzige Weg zum leidenschaftlichen Gitarrenspiel?

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Seit dem Aufkommen des Punk-Rock Mitte der 70er-Jahre war die E-Gitarre auch immer ein Symbol für jugendliche Revolte, der man sich auch ganz unvirtuos nähern konnte – indem man unbedarft Klänge erforscht, mit simplen Mitteln und ohne kommerzielle Hintergedanken eigene Songs und ganze Stile erfindet. Was mit Punk und New Wave begann, wurde über den extrem diversen 80s-Underground-Rock in den frühen 90ern zum Kassenschlager namens Alternative-Rock – und ist heute eine der letzten Bastionen gitarrengetriebener Musik.

Bands wie The Cure, Sonic Youth, Nirvana, The Smiths oder The White Stripes haben wahrscheinlich mehr junge Menschen dazu bewogen, eine Gitarre in die Hand zu nehmen als viele Virtuosen aus dem Heavy-Metal-, Fusion-, Country-, oder Jazz-Bereich. Anlass genug, um mal fünf Vertretern der deutschen Indie-, Alternative- oder-wie-man-diese-Musik-auch-immer-nennen-will-Szene auf den Zahn zu fühlen und herauszufinden, wie sie ihr Instrument benutzen, erlernt haben und welche Haltung hinter ihrer Musik steht. Schnell wird klar, dass auch diese Gitarristen ihr Spiel als Handwerk verstehen und genauso ernsthaft betreiben, wie die zuvor erwähnten Virtuosen – auch wenn sich die Finger langsamer bewegen.

Jakob Ilja – Element of Crime

INDIE Jakob Ilja(Bild: Martin Schmidt)

Seit 1985 ist Jakob Friderich (alias Jakob Ilja) Gitarrist und Songschreiber der Berliner Band Element Of Crime. Nach fünf Platten auf Englisch kam mit dem Wechsel zur deutschen Sprache in den 90ern der kommerzielle Erfolg. Neben den Elements ist Ilja heute auch erfolgreicher Komponist für Serien und Filme des deutschen Fernsehens. Zum Interview treffen wir uns in seinem Studio am Prenzlauer Berg und sprechen bei einer Tasse Tee über Gitarren, das deutsche Indietum und seinen Weg zur Filmmusik.

anfänge

Jakob, wie kamst du erstmals mit Musik in Berührung?

In der Schule. Meine Klassenlehrerin Frau Engel hatte ein Art „chinesisches“ Orchester auf den Weg gebracht. Schlagwerk, Xylophone, ähnlich dem Orffschen Instrumentarium. Bei ihr habe ich mein Rhythmusgefühl entdeckt und mit 12 Jahren dann eine Schlaggitarre gekauft. Das Gitarrenspiel habe ich mir im Laufe der Jahrzehnte selber beigebracht. Ich hatte auch mal eine Stunde Unterricht, in der ich Bossa Nova lernen wollte. Am Ende der Stunde habe ich nach ein paar neuen Akkorden gefragt, aber der Lehrer sagte: „Nee, das wäre jetzt nicht Teil des Unterrichts“ und schon allein diese Ansage war mir zu blöd (lacht), da bin ich dann nicht mehr hingegangen.

Kennst du dich heute mit Harmonielehre aus?

Irgendwann habe ich mir ein paar Sachen angeeignet, aber wenn es darum geht, eine Tonleiter zu nennen – abgesehen von C-Dur, das kann ich nicht (lacht). Ich habe viel über das Improvisieren mit pentatonischen Bluestonleitern gelernt und da addieren sich nach und nach Töne dazu und dann wird das ein optisches System auf der Gitarre.

Hast du direkte Vorbilder?

Ich bin kein Fan. Als ich als Kind angefangen habe, bewusst Musik zu hören, gab es die Beatles. Aus den 70ern sind eigentlich nur zwei Gitarristen bei mir hängengeblieben. Der eine ist Frank Zappa. Ich finde, er ist einer der melodischsten Sologitarristen. Obwohl technisch sehr versiert, ging es ihm dabei nie um Technik, sondern um ein melodisches Interpretieren dessen, was die Band spielte, bzw. was er komponiert hatte. Ein großartiger WahWah-Spieler. Er hat so eine Lässigkeit… Auch sehr stilprägend für mich war J.J. Cale in seinem Minimalismus. Die Zeit, die er sich nahm, um die Töne zu spielen,…Dann gab es noch Marc Ribot in den Achtzigern und dann war Schluss mit den Vorbildern (lacht), dann habe ich mein eigenes Ding gemacht.

Übst du heute?

Für Proben, eine Platte oder eine Tour. Durch die Band und die Filmmusik beschäftige ich mich täglich mit Musik. Aber ich übe nicht jeden Tag. Es gibt auch andere Sachen im Leben. (lacht).

Wie stehst du zu Gitarrenheldentum und Virtuosität?

Es wäre arrogant zu sagen, das ist alles Schrott. Es geht ja um Individualität und die Frage: „Wie finde ich einen Zugang zum Instrument?“. Die Gefahr im versierten, beherrschten Spiel ist immer, dass es steril und routiniert wird. Die Herausforderung besteht in der Balance, virtuos zu spielen und trotzdem künstlerischen Ausdruck zu haben. Die Musik muss zu einem sprechen. Bringt ja sonst nichts. Du spielst all diese schwierigen Tonleitern, keiner will es hören und dann gibt es Leute, die spielen drei Akkorde und jeder sagt: Wow! Velvet Underground spielten schief und schleppend und das ist immer noch beglückend zu hören. Aber ich gebe zu, ich habe auch Jazzrock gehört (lacht).

indie

Als Element Of Crime angefangen haben, war Indie-Rock ja so eine Art Gegenpol zur Mainstream-Rock-Musik.

Eine Religion war es! (lacht)

Wie wichtig war dir das damals?

Es war nicht wichtig. Es ging immer nur um eine Sache, wenn man Musik gemacht hat: Kriegt man einen Plattenvertrag oder nicht. Egal, ob der Indie oder Major war. Ich verstehe unter einer Major-Band aus der damaligen Zeit eine Band, die im Grunde genommen Mainstream macht und sich dem Markt anpasst. Eine Indieband ist eine Band, die ihre eigene Welt entwirft.

Musik war damals ja auch Ausdruck einer Haltung, einer bestimmten Subkultur.

Als junger Mensch ist es wichtig, sich abzugrenzen. Aber dann wird man älter und kann auch andere Sachen goutieren. Und Konzerte müssen Geld einspielen, man muss die Miete davon bezahlen können. Es ist ein Geschäft, es geht um den Lebensunterhalt und darum, einfach irgendwie über die Runden zu kommen. Irgendwann wurden bei uns die Konzertsäle größer, mehr Zuschauer kamen. Entscheidend ist doch, ob ich die Musik, die ich mache liebe.

Ihr denkt auch nicht beim Songwriting daran, ob es in euer Konzept passt oder nicht?

Nein, das ist nicht unsere Welt. Wir sammeln Fragmente, Melodien oder Akkordfolgen, spielen und improvisieren und dann gibt es einen Moment, da weiß man, dass daraus ein Lied geworden ist. Und dann schreibt Sven den Text. Das Schöne daran ist die Freiheit im Umgang mit dem Material und gleichzeitig die Sicherheit, dass man sich in einem stilistischen Kosmos bewegt, den man sich selbst geschaffen hat. Ich erinnere mich an Fragen wie: „Wollt ihr nicht mal moderne Produktionsmittel benutzen, z. B. Sequenzer …

Zeitgemäße Sounds …

Genau. Die Musik wird aber nicht besser oder schlechter, weil ich ein neues Keyboard benutze oder eine moderne Gitarre. Wir benutzen Instrumente und Sounds, weil wir sie mögen, weil sie für das Lied passen.

filmmusik

Wie bist du dann zur Filmmusik gekommen?

In den seligen Zeiten von VHS-Rekordern habe ich meine Liebe für Film- und Serienmusik entdeckt. Da vieles davon damals nicht als Album herauskam, habe ich die Musik auf Kassetten-Mixtapes überspielt. Eines davon habe ich dem Regisseur Ingo Haeb, geschenkt. Irgendwann hatte der ein Drehbuch geschrieben und sagte: „Für die Förderung brauchen wir einen bekannten Namen“. Ich wusste gar nicht, dass mein Name so bekannt war. Er bekam die Förderung und sagte: „Willst du nicht die Musik machen?“ Ich sagte: „Nee, das kann ich nicht.“ Dann hieß es: „Du machst doch diese tollen Kassetten und eure Band klingt doch filmisch, das kannst du doch“ und so hat er mich überredet. ,Narren‘ hieß der Film.

Welchen Umfang hat das in deinem Musikerleben?

Ca. 50 Prozent. In den letzten anderthalb Jahren habe ich drei Spielfilme und eine sechsteilige Serie gemacht. Danach war dann auch erst mal gut (lacht).

Hast du eine typische Vorgehensweise bei einem Auftrag?

Drehbuch lesen und im Gespräch mit dem Regisseur die Stimmung des Films klären. Welcher Musikstil, welche Instrumente? Danach fange ich im Studio an, wie auf einem leeren Blatt Papier. Ich beginne mit einer Szene und versuche über Rhythmus einen Zugang zu finden, oder ich spiele auf dem Klavier herum. Ich nehme die Gitarre und improvisiere, ganz simple Figuren, wenig Töne, sehr reduziert. Ich höre mir dann die Improvisationen an und addiere Stück für Stück hinzu. Da ich die Musik nicht im Kopf komponieren kann, muss ich die Sachen einspielen und hören und dann erkenne ich, ob sie funktionieren oder nicht. Mittlerweile gibt es eine Routine, wie auch beim Gitarrenspiel. Man merkt dann, bei dieser Szene braucht es mehr Tempo, bei einer anderen etwas mehr Tiefe.

Was macht Spaß an Filmmusik?

Die Manipulation. Man hat ein Bild und kann dann aus der Szene alles Mögliche machen. Und das Spektrum an Klängen, die ich mit der Gitarre erzeugen kann. Ich kann alle Arten von Sounds verwenden. Mit der elektrischen Zahnbürste über die Saiten, den Amp mit der Hallspirale schütteln, den Geigenbogen benutzen. Da ist Populärmusik wesentlich konservativer, weil sie bestimmte Sachen und Formen verlangt. Popmusik geriert sich ja oft sehr progressiv. Was musikalisch den Rahmen sprengt, ist aber Klassik und Filmmusik. Rhythmus- und/oder Harmoniewechsel, krumme Takte dank der Schnittfolgen. Das finde ich faszinierend. Was noch hinzukommt, ist der Umstand, dass man beim Komponieren sein eigener Herr ist.

Wie lange benötigst du für einen Soundtrack?

Zwei Monate, zweieinhalb. Das Tolle am Digitalen ist, dass alle Arbeitsschritte, die analog hintereinander erfolgen mussten, gleichzeitig möglich sind. Ich mache einen Entwurf, instrumentiere ihn, kann ihn parallel schon mischen und editieren. Ich komme also relativ schnell voran.

business

War schon immer klar, dass du als Musiker dein Geld verdienen willst?

Nach der fünften oder sechsten Platte, als mal etwas mehr Geld hängenblieb, wurde mir klar, dass man davon auch längerfristig leben kann. Die Band wird von den Leuten gehört, die sie mögen und es sind genug, um davon zu leben und die nächste Platte machen zu können. Ich finde, das ist schon viel. Man ist schon sehr privilegiert, wenn man das 30 Jahre lang machen kann.

Findest du es heute generell schwieriger als Musiker zu überleben?

Definitiv. Das Streaming-Geschäft ist ein Modell, das viel weniger Geld abwirft als alle Modelle, die es vorher gab. Zur Illustration: Man lege zwei gleichschenklige Dreiecke übereinander. Eins steht auf der Seite, das sind die Musiker. Unten die Hobbymusiker, bis oben hin zur Spitze, die Weltstars. Das andere Dreieck steht auf der Spitze und ist das Geld was ausgezahlt wurde in der pre-digitalen Welt. Also unten wenig, in der Mitte solide und oben der Rest. Die Musiker sind immer noch da, repräsentiert durch das auf der Seite stehende Dreieck, aber für die Entlohnung gibt es jetzt statt des anderen Dreiecks ein T. Unten nichts, in der Mitte nichts und oben alles Geld. Ich frag mich, wo die Bands in der Zukunft herkommen sollen, wenn es keine finanzielle Grundlage gibt, um ein, zwei oder drei Platten machen zu können, zu promoten und Touren anzuschieben. Die Folge wird sein, dass die Eintrittspreise hochgehen, aber junge Bands, die keiner kennt, können diese Preise nicht aufrufen.

Hast du denn einen Lösungsvorschlag dafür?

Ja. Für das Streaming müsste ein angemessenerer Preis verlangt werden. Es kann nicht sein, dass nur damit das Geschäftsmodell selber ins Rollen kommt, diejenigen, die die Produkte herstellen, kein Geld mehr bekommen. Der entscheidende Punkt ist die Entlohnung. Es geht nicht um Technikfeindlichkeit oder „die guten alten Zeiten“.

equipment

Womit arbeitest du im Studio?

Mit Element of Crime nehmen wir auf Band auf, die Filmmusik mit Logic.

Interessierst du dich sehr für neue Sachen im Computer-Bereich?

Nö, das finde ich eher langweilig. Aber ich habe diese zwei wunderbaren Amps, einen Viktoria 2×12 Bassman und einen Toneking 1×12. Da kann ich tatsächlich ins Schwärmen geraten. Vorher dachte ich immer: Boutique-Amps, so ein Quatsch. Aber beim Anspielen war es, als ob jemand eine Decke weggezogen hat. Die Gitarren klangen unglaublich. Und den Rest mach ich da unten (deutet auf sein Pedalboard). Sieht viel aus, aber im Grunde ist es analog doch immer dasselbe…Verzerrung, Modulation, Hall, Echo. Effekte um der Effekte wegen finde ich eher öde. Beim Computer interessieren mich eher gute Libraries.

Gitarren-Sounds machst du dann wirklich mit Amps?

Ja, aber ich erzeuge auch Sounds mit der Gitarre anstelle eines Keyboards, schneide die im Rechner, bearbeite sie dann mit Echos und anderen Effekten. Ich arbeite mit dem Rechner ähnlich intuitiv wie mit der Gitarre.

Benutzt du live und im Studio dieselben Gitarren?

Ja. Am meisten spiele ich die 65er Tele hier. Die ist schön leicht, aber bis auf Korpus und Pickups ist kaum noch etwas original. Außerdem verwende ich meine erste E-Gitarre, eine 65er Guild Starfire V, in die ich dummerweise mal Gibson-Pickups reingebaut habe. Dann habe ich noch eine zweite Tele, eine SG und eine Jaguar. Da ich mittlerweile viele Stücke mit Capo spiele, brauche ich live auch mehr Gitarren.

INDIE Jakob Ilja
Fender-Tele und Guild-Semiakustik (Bild: Martin Schmidt)

Dein Pedalboard sieht nach Umbruch aus…

Ja, das ist mein Bühnen-Setup, nur auseinandergerupft, weil ich, wie alle Schrauber, das Board mal wieder umbaue (lacht).

INDIE Jakob Ilja
Pedalboard im Umbruch (Bild: Martin Schmidt)

Welche Pedals müssen sein?

Ja, der Screaming Skull von Kleissonic. Ein wirklich fantastischer Fuzz, sehr melodisch. Es gibt Einstellungen, da ist der Effekt nicht zu kontrollieren und macht was er will, das gefällt mir. Von Kleissonic habe ich auch noch ein Echo und ein Tremolo. Tremolo ist eins meiner liebsten Effekte. Der flirrende Sound eignet sich für ein Spiel, bei dem ich Melodien und Akkorde gleichzeitig spiele. Dann nutze ich einen Kompressor von Okko, den Coca. Der hat nur zwei Regler, Push und Sing, das reicht. Was ich auch gern benutze, sind die Linemixer von Lehle, um das Originalsignal zum Effekt dazuzumischen. Z. B. beim WahWah. Es klingt in meinen Ohren besser, wenn sich das WahWah auf den Originalton drauflegt.

Aber alles läuft durchs Bord, ohne Switcher?

Ja, alles hintereinander! Es gibt immer die Klagen, „Das frisst den Ton“, aber der Gitarrist von Wilco hat mal gesagt: „ Das ist der Ton…“ (lacht). Ich hab auch mal über ein Switching-System nachgedacht, aber ich glaube, das ist nichts für mich, weil ich viele Sachen spontan mache und mich beim Spielen für Effekte entscheide. Mir ist es dann doch nicht recht, das einfach abzurufen.

Rick McPhail – Tocotronic

INDIE Mc Phail(Bild: Martin Schmidt)

Rick McPhail ist seit 2004 festes Mitglied der Hamburger-Schule-Institution Tocotronic. Seitdem bereichert er ihren Sound mit allerlei Feedbacks, Dub-Elementen und blubbernden Analog-Pedal-Klängen. Zudem ist er Gitarre & Bass-Abonnent und freut sich auch mal selbst in einem Heft zu Wort zu kommen.

der weg nach deutschland

Wo bist du aufgewachsen?

In Maine, im Nordosten der USA. Meine Eltern waren große Musikfans, Elvis und viel Classic-Rock. Dann wollte ich Schlagzeug spielen und hab ab meinem 10. Lebensjahr in der Schulband gespielt. Später bin ich kurz nach San Francisco und mit 23 dann nach Wuppertal gezogen.

Interessanter Locationwechsel…

Naja, es war auch sehr steil und bergig dort (lacht)

Wann und wie hast du angefangen Gitarre zu spielen?

Ich wollte in Wuppertal eine Band finden, aber keine brauchte einen Schlagzeuger. Meine Freundin spielte Bass, also habe ich mich für die Gitarre entschieden. Ich war Sonic-Youth-Fan, wusste, dass die Open-Tunings benutzen und hab die Gitarre so gestimmt, dass es gut klang. Ich kann bis heute keinen normalen Akkord spielen.

Hattest du Unterricht?

Nein. Ich hatte keine Lust all die Griffe zu lernen, ich wollte sofort meine eigenen Stücke schreiben, es ging nicht darum, Cover-Versionen zu machen.

Gibt es direkte Vorbilder/ Einflüsse?

Ich bin großer Smiths-Fan, also Johnny Marr, dann Neil Young und Sonic Youth.

Welche Stimmung benutzt du?

Alles auf D und A, also D A D A D D:

Übst du heute auf deinem Instrument oder machst du eher Musik und schreibst Songs?

Ich spiele jeden Tag, ich weiß aber nicht, ob ich das Üben nennen würde (lacht). Vor einer Tour muss ich üben, schnelle Sachen, damit es sitzt. Wegen meiner Stimmung muss ich viel rutschen. Ich spiele einfach anders Gitarre.

Wie stehst du zum Gitarren-Heldentum und Virtuosität?

Ich kann das total verstehen, aber ich kann nix davon lernen. Ich finde es super, wenn es musikalisch ist. Wenn ich progressive Sachen gut finde, dann sowas wie alte Yes-Sachen, weil sie gute Melodien und Riffs hatten.

Was machst du neben Tocotronic?

Ich habe noch eine eigene Band, Mint Mind, eine Mischung aus Garage und Indie-Musik. Außerdem habe ich ein Studio, wo ich meine Sachen und befreundete Bands aufnehme.

INDIE Mc Phail
Des Indie-Meisters Bühnenbereich. (Bild: Martin Schmidt)

tocotronic

Welchen Einfluss hast du auf die Songs von Tocotronic? Kommen deine Gitarren-Parts nach der Komposition dazu?

Mal so, mal so. Manchmal hat Dirk Ideen für Parts, singt sie vor und dann spiel ich das. Er schreibt oft auf der Akustik-Gitarre und schickt Demos herum. Oft hat er auch schon eine Idee, in welche Richtung es gehen soll. Man hat dann so Indie-Codes und sagt, das soll klingen wie The Fall oder Dinosaur Jr. Aber wir haben viel Spielraum.

Inwieweit inspirieren dich die Texte musikalisch?

Ich höre den Texten eigentlich nicht so zu, das ist so ein Ami-Ding. Den meisten englisch-sprachigen Menschen sind Texte nicht so wichtig. Man freut sich natürlich, wenn es gute Texte gibt. Als Teenie waren The Smiths eine wichtige Band, weil es um Outsider-Lyrics ging und Morrissey viel gelesen hat. Da musste man viel über Oscar Wilde lernen (lacht). Aber ich höre Dirks Stimme eher als Instrument.

Wie nimmst du Gitarren auf?

Für meine eigene Band nutze ich oft Speaker-Simulationen, weil ich finde, dass Fuzzes und Verzerrer damit noch kratziger klingen, z. B. ein billiges AMT- und ADA-CabSim und den XLR-Output eines Randall RM20s. Ansonsten bin ich keiner, der ein Mikro in jedes Mäuseloch stellt, das halte ich für kompletten Bullshit. (lacht) Meistens nehme ich das klassische Sennheiser-Brikett.

gear

Welche Gitarren spielst du?

Auf der letzten Platte spiele ich eine Cyan The Phail, die mit den Sternen drauf. Thomas Harm aus Hamburg baut die, er hat schon jahrelang meine Reparaturen gemacht.

Ist die Gitarre nach einem Vorbild gebaut?

Die erste hat Jörg Kuhlo gebaut. Damals habe ich Jazzmaster und Jaguar gespielt. Er hat angeboten, mir eine zu bauen und ich dachte, ich mach was komplett anderes. Ich war Fan der Danelectro Pro One, die hat was von einer Bo-Diddley-Gitarre, total primitiv. Ich hatte eine echte, kam aber mit der Mensur nicht zurecht. Also dachte ich, ich baue eine Kombination aus der Danelectro und einer Jazzmaster.

Auf der Bühne hast du zwei Amps.

Der erste ist ein Sound City 50 Plus aus Mitte der 70er-Jahre, den viele den „Sound Shitty“ nennen (lacht). Das liegt an der aktiven Klangregelung, die haben wir ausgebaut und eine passive Fender-Klangregelung eingebaut. Der andere, mit meinem Namensschild drauf, ist ein A50 von Ameson. Im Studio nutze ich meistens einen Princeton von Klonevalveamps. Für meine andere Band spiele ich live die HH IC100s, ein Sovtek Mig 50 und einen 66er Bandmaster, den ich zum Combo umgebaut habe.

Wie wichtig ist Equipment für dich?

Schon sehr wichtig, sonst würde es nicht klingen. (lacht). Ich war schon immer ein Nerd, aber hatte früher kein Geld.

Wie reproduzierst du die Sounds der Platte?

Viel haben wir mit dem Korg Chaos-Pad gemacht. Ich nutze gerne ein Expression-Pedal und das Line6 M9 und versuche so viel wie möglich nachzubauen. Erstens macht mir das total viel Spaß und zweitens kommt es besser an. Die meisten Bands heute lassen sowas als Playback laufen, dann ist das ganze Ding gebremst, die sitzen mit In-Ear da, spielen mit Click und es swingt nicht. Aber man kann so viele geile Pedale kaufen, die man mit Expression-Pedalen steuern kann. Die meisten Menschen sind einfach faul, machen im Studio was und denken, das kann ich eh nicht reproduzieren…

Aber du machst es?

Jaa!

Hast du Pedale, die immer dabei sein müssen?

Ich glaube, ohne das M9 könnte ich nicht mehr leben. Früher hatte ich ein viel größeres Brett. Um ein Tocotronic-Set zu produzieren, musste ich immer Tetris spielen und hatte all diese Modulationseffekte als analoges Original. Dann dachte ich, ich probier mal diese Line6-Sachen. Ich habe da A/B-mäßig verglichen, ich höre den Unterschied nicht und ich habe, glaube ich, echt gute Ohren (lacht)

INDIE Mc Phail
Pedalboard mit G LAB Looper (Bild: Martin Schmidt)

Das heißt, du programmierst dann alle Sounds im Voraus und verwaltest die per Switching-System?

Ja. Mit der G Lab GSC-4 hast du eine MIDI Matrix und kannst bis zu 10 MIDI-Geräte verwalten. Presets wechseln, Control Changes abspeichern.

Du schaltest aber noch selber?

Ja.

Kein Techniker hinten.

Nein, das ist doch bescheuert (lacht).

indie

Was bedeutet der Begriff Indie-Rock für dich?

Dass man frei ist. Das war das Schöne, in den 80ern, dem Zeitalter, in dem ich aufgewachsen bin. Es war nicht so schubladenhaft zu unserer Zeit, es gab keine Regeln, wie wenn du diese Band hörst, kannst du jene Band nicht hören. Es war sehr offen.

Indie-Musik war ja auch Ausdruck einer Haltung.

Ich glaube, früher war es ein sehr entscheidender Teil, was man für ein Mensch werden wollte. Durch die Musik, die man gehört hat und die Helden, die man hatte, hat man sein Image gebaut. Man wurde inspiriert von coolen Alben. Heutzutage ist es eher so, dass man weiß, wie man aussehen möchte und Musik die Begleitung zu dieser Mode ist. Es ist keine Sache mehr, für die man sich entschieden hat, für die man auch auf die Fratze kriegt.

Kann man sich eine Indie-Haltung bewahren, wenn man auf großen Festivals spielt und auf #1 der Charts ist?

Manchmal ist es schon ein Spagat. Die Tocos waren schon immer beim Major, erst bei Motor und jetzt bei Universal. Die sind echt sehr nett und lassen uns viel Freiraum und sagen uns auch nicht, was wir musikalisch zu tun haben. Wir haben unser Standing.

Wie sehr beschäftigt dich persönlich der Umbruch im Musikbusiness?

Man muss Spotify und Streaming als Werbung sehen. Wenn man das nicht tut, kriegt man schlechte Laune (lacht). Klar finde ich das scheiße, und mir wäre es lieber, wenn die Leute mehr Wert in Musik sehen könnten, aber das ist einfach vorbei. Die Haupteinnahmequelle sind Konzerte. Beim Thema GEMA bekommt man auch schlechte Laune, weil die großen Konzerne nichts bezahlen und die Clubs darunter leiden. „Shit rolls downhill“ sagt man auf Englisch. Die Majors, YouTube und Spotify wollen nichts an die GEMA bezahlen und jetzt holen sie es sich eben vom kleinen Mann.

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(erschienen in Gitarre & Bass 10/2018)

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