Ein Debüt ist ein Debüt ist ein Debüt. Und wenn’s direkt damit ordentlich kracht, dann liegt die Messlatte hoch – alleine das Erweckungserlebnis vieler Fans der ersten Stunde ist emotional später kaum noch zu toppen. So denken und fühlen viele King-Crimson-Fans der ersten Stunde ganz sicher.
Denn als am 10. Oktober 1969 ,In The Court Of The Crimson King‘ erschien, war mit der noch jungen Band eine der wichtigsten Keimzellen des wirklich progressiven Progressive Rock geboren, die später zu einer Institution der zeitgenössischen Musik zwischen den Stilen werden sollte. Bandleader, Gitarrist und Mellotronist Robert Fripp hat mich vor Jahren in einem Interview wegen des Begriffs „Institution“ sichtlich angeekelt mit einem Fluch belegt, auch wenn ich in bester Absicht labelte; er selbst definiert King Crimson als Prozess, was sich ja nicht ausschließen muss.
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Klar, letztendlich habe ich Fripp selbst als Institution der Musikszene bezeichnet, denn was später unter King Crimson in wechselnden Besetzungen firmierte, war immer Robert Fripp and … 1969 gehörten neben ihm Ian McDonald (Flöte, Saxophon, Keyboards, Vibraphon), Michael Giles (Drums), Sänger & Bassist Greg Lake und – Peter Sinfield, zuständig für „Lyrics & Illumination“ zur Band. Die hatte sich erst endgültig im Januar 1969 zusammengefunden, probte, schrieb Songs und plante ein Album, dessen Tracks vorher live erprobt wurden.
Am 12. Juni begannen die Aufnahmen und angeblich entstanden etliche Basic-Tracks schon an diesem ersten Tag. Mit Produzent Tony Clarke, der vorher für The Moody Blues gearbeitet hatte, gab es allerdings Auseinandersetzungen, und letztlich entschied sich die Band gegen ihn und die Plattenfirma Decca – und arbeitete in Eigenregie weiter. Der dicke Kopf der Beteiligten sollte später auf dem Album-Cover zu sehen sein – eine Ikone der Vinyl-Kultur – das neben Velvet Undergrounds Banane, dem Reißverschluss der Rolling-Stones-Jeans und David Bowies Heroes-Selbstporträt unsterblich wurde.
Wie auch die Musik dieses Albums, auf dem King Crimson den Spagat zwischen akademischer Kunst und Rock-Sound, zwischen folkloristischen Songs und progressiven Arrangements, zwischen strenger Komposition und freier, jazziger Improvisation versuchte und so ein Meisterwerk schuf: Die fünf Songs mit knapp 44 Minuten Spieldauer sind ein Trip, klanglich, atmosphärisch, inhaltlich – ein einziges Wechselbad, für das Fripps sägende RockGitarre im metallischen Opener ,21st Century Schizoid Man‘ und Ian McDonalds’ ätherische Flöte in ,I Talk To The Wind‘ geradezu sinnbildlich sind.
Und dann ,Epitaph‘, wo man nie so genau weiß, wo der King Gitarre spielt und wann das Mellotron zu hören ist. Interessant auch sein konventionelles Picking bei ,Moonchild‘, das dezent jazzig den Song nach 2:30 min in eine beat- und stilfreie Improvisation führt. Das mit sehr eigenen Gitarren-Licks des Leaders, im HandschuhSound der II-V-I-Kollegen, darunter Vibraphon-Chords von Ian McDonald. Dann wird’s passagenweise ganz freejazzig und nach insgesamt gut 12 Minuten landet man beim Titel-Track des Albums, einem hymnischen Meisterwerk des Rock. Fripp wurde allerdings über die Jahre immer unzufriedener mit dem langen Improvisations-Part von ,Moonchild‘, und für das Box-Set ,Frame By Frame‘ (1991) hatte er den Song-Teil komplett herausgenommen. Auch beim 2009 entstandenen Remix des Albums, erstellt von Fripp und dem genialen Steven Wilson, fehlen ca. drei Minuten der Improvisation.
Ob man das gut findet oder nicht ist Privatsache – Robert Fripp darf das. Außerdem: Das von ihm ungeliebte Original existiert ja noch. Wir leben in einer wunderbaren Zeit der totalen Verfügbarkeit, was Kunst angeht. Und damit sind wir bei der hervorragenden Edition dieses Albums aus der King Crimson 40th Anniversary Series von 2009: ,In The Court Of The Crimson King‘ als CD/DVD-Set, remixed, mit fünf wirklich hörenswerten Bonus-Tracks und (auf der DVD) mit dem kompletten Album in zwei Surround- und zwei Stereo-Formaten für DVD-Audio- und DVD-Video-Player – der originale Album-Mix von 1969 ist auch dabei. Dazu gibt’s noch ein Live-Video von 1969, aus dem Londoner Hyde Park. Digi-Pak im Schuber, Foto-Booklet mit Lyrics und Informationen zu Band und Album – nach wie vor der perfekte Einstieg, zu dem natürlich auch die alte analoge Vinylplatte mit dem großen schreienden Gesicht gehört.
Steven Wilsons 5.1-Mix dieses Albums ist eine Großleistung des digitalen Zeitalters – und ein Erlebnis. Auf der kommenden Tour werden Fripp and … übrigens auch drei Songs von ,In The Court Of The Crimson King‘ spielen – ,I Talk To The Wind‘ und ,Moonchild‘ sind es nicht. Verlassen würde ich mich allerdings nur darauf, dass King Crimson spielen, und nicht was sie spielen. Auf der Bühne stehen wird die siebenköpfige Mark-VIII-Reunion-Besetzung mit Bassist Tony Levin, Saxophonist/Flötist Mel Collins, Rhythmus(!)-Gitarrist/Sänger Jakko Jakszyk und das Drummer-Trio Gavin Harrison (Porcupine Tree), Bill Rieflin (R.E.M.) und Pat Mastelotto (Mr. Mister).
Und natürlich Projekt-Entwickler Robert Fripp – der wurde am 16. Mai 70 Jahre alt. Wir gratulieren!