Melodic Death Metal Pioniere

In Flames Interview: Björn Gelotte & Niclas Engelin

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(Bild: Ulf Kristensson )

Auch im 27. Jahr ihrer Existenz haben die schwedischen Schwermetaller In Flames nichts von ihrer urwüchsigen Energie eingebüßt. Vor allem auf der Bühne scheint ihre brodelnde Mixtur aus traditionellen Metal-Zitaten à la Iron Maiden, modernen Einflüssen, wüsten Death-Metal-Attacken und vereinzelten Elektronik-Gimmicks, die den Gesamtsound fett und hymnisch machen, regelmäßig zu explodieren.

Um diese Wall-Of-Sound auch in den größten Hallen zu gewährleisten, doppeln die beiden Gitarristen Björn Gelotte (der noch bis 1997 der Schlagzeuger der Band war!) und Niclas Engelin die meisten ihrer hammerharten Riffs und rhythmisch raffinierten Licks, spielen sie mal simultan, mal zweistimmig, und stimmen ihre Hooks mit den Drums-Grooves ab.

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Wir trafen Gelotte (BG) und Engelin (NE) bei ihrer Co-Headlining-Show mit Five Finger Death Punch in der Hamburger Barclaycard Arena, schauten uns ihr sorgsam zusammengestelltes Equipment an und unterhielten uns direkt nach dem Soundcheck über professionelle Vorbereitung, Manöverkritik und Arbeitsmoral.

Björn, an dich als den Dienstältesten in dieser Runde die erste Frage: In welchen Jahren haben In Flames die wichtigsten Fortschritte ihrer Karriere gemacht?

BG: Ich denke, vor allem auf der Tour mit Slayer Anfang 2000. Damals erkannten wir erstmals, was es bedeutet, auf einem solch hohen Level zu spielen. Wir lernten, wie wichtig die Crew ist, wie wichtig es ist, total fokussiert zu sein und dass man einen genauen Plan braucht von dem, was man abliefern möchte. Von Slayer konnten wir lernen, wie wichtig Disziplin ist, um wirklich sein Optimum abliefern zu können.

Vorher waren In-Flames-Tourneen ein ziemlicher Kindergarten, auf denen viel Bier getrunken wurde und jeder nur möglichst viel Spaß haben wollte. Es waren mehr oder minder Punk-Shows, bei denen jeder das machte, worauf er gerade Bock hatte. Während der Slayer-Tour spielten wir große Festivals und konnten sehen, wie enorm wichtig es ist, immer pünktlich und gut vorbereitet zu sein. Außerdem traten wir vor Publikum auf, das uns größtenteils nicht kannte. Also mussten wir unsere Songs, unsere Bühnenshow und unsere visuelle Performance so ausrichten, dass wir möglichst viele Zuschauer erreichten.

Ist euch diese Professionalisierung der Band schwergefallen?

BG: Überhaupt nicht. Wir mögen solche Herausforderungen. Wir haben ja auch Wacken gespielt, das größte Festival, bei dem In Flames je aufgetreten sind. Zum Glück war Wacken für uns nicht das erste große Festival, sodass wir davor ausreichend Zeit hatten, mit jedem weiteren Festival zu wachsen und uns an ein größeres Publikum zu gewöhnen.

Gibt es an einem Show-Tag feste Rituale? Dinge, die immer gleich ablaufen, um eure optimale Leistung abrufen zu können?

BG: Man muss dazu sagen, dass unsere Crew unglaublich gut arbeitet. Die Bühne sieht jeden Abend exakt gleich aus und fühlt sich immer exakt gleich an. Das macht nicht nur große Tourneen wie diese mit Five Finger Death Punch so angenehm, sondern auch kleinere Clubtouren, bei denen die Örtlichkeiten jeden Abend andere sind. Wir sind nicht übermäßig empfindlich, dennoch gibt es einem viel Sicherheit, wenn man weiß, dass sich die Crew um alles kümmert. Es sind ja meist nur winzige Details, die eine Show entweder sehr gut oder sogar überragend werden lassen.

In Flames
(Bild: Ulf Kristensson )

Sind In Flames in der Lage, ein Konzert, das anfangs nicht zünden will, auf ein höheres Level zu hieven?

BG: Im Grunde genommen weiß man erst nach dem letzten Ton, ob die Show gut oder sogar sehr gut war. Es sind Kleinigkeiten im Laufe des Abends, die den Unterschied ausmachen. Bei uns existiert kein Plan B, den man aus der Tasche holt, wenn der Abend zäh verläuft. Für mich ist nur wichtig, dass wir in bester Verfassung sind, wenn es auf die Bühne geht. Ab dann entscheiden andere Kriterien, wie etwa der Austausch von Energie mit dem Publikum, die uns im besten Fall zu Leistungen anspornen, mit denen wir selbst nicht gerechnet hätten. Die Reaktionen des Publikums helfen einer Band natürlich enorm, aber wie bereits erwähnt: Eine perfekte Vorbereitung auf die Show ist notwendige Voraussetzung, um sein Optimum abrufen zu können.

Unsere Warm-Ups in der Garderobe dauern häufig länger als die Show selbst. Zudem wissen wir, dass während unseres Warm-Ups die Crew die Bühne perfekt vorbereitet. Diese Sicherheit ist enorm wichtig. Am Ende liegt es dann im Auge des Betrachters und des persönlichen Geschmacks jedes Einzelnen, ob die Show wirklich überragend wird.

Wie müssen die Bedingungen auf der Bühne sein, damit ihr euch vom ersten Ton an wohlfühlt? Dauert es zwei, drei Songs, bevor ihr in der Show angekommen seid?

NE: Auf der aktuellen Tour bin ich schon bei unserem Intro auf Betriebstemperatur. Man steht am Bühnenrand, man hört die Musik, man spürt das Publikum, man weiß, dass mein Techniker Fish alles perfekt vorbereitet hat, dass wir gut warmgespielt sind und der Sound auf der Bühne noch viel fetter und muskulöser sein wird als beim Warm-Up in der Garderobe. Deshalb brauche ich nur den ersten Akkord anzuschlagen und fühle mich auf der Bühne sofort wohl.

BG: Wenn wir in der Garderobe jammen, klingt alles dünn und blechern. Wenig später auf der Bühne klingen die gleichen Akkorde, die gleichen Riffs und Hooks plötzlich ultrafett und dynamisch. Das bläst einen natürlich um und bringt mich sofort in Stimmung.

Gibt es nach jedem Konzert eine Art Manöverkritik?

BG: Ja, wir unterhalten uns jeden Abend darüber, wie es gelaufen ist. Alles was vor, während und nach der Show passiert, ist von essentieller Bedeutung. Denn man sollte nie aufhören, etwas dazulernen zu wollen. Wenn etwas schiefgelaufen oder etwas Unvorhergesehenes passiert ist, muss man es anschließend besprechen, damit man es beim nächsten Mal besser machen kann. Dies sind keine langen Diskussionen, aber jeder hat ein ganz bestimmtes Gefühl zu Vorgängen, die wichtig sind zu erfahren, damit es nicht zu Missstimmungen kommt.

In Flames
Niclas Engelin (Bild: Ulf Kristensson )

Betrifft das auch die Setlist? Ändert ihr während der Tour die Reihenfolge der Stücke oder tauscht Songs aus?

BG: Nur sehr selten. Auf dieser Tour mit Five Finger Death Punch gibt es einen exakt vorgegebenen Zeitplan. Und wenn man vor der Tour seine Setlist optimal darauf abgestimmt hat, kann man sie nicht einfach ändern, denn mitunter geht es nur um wenige Sekunden, die entscheiden, ob ein Song im Set bleiben kann oder nicht. Auf unseren Clubtourneen ist das natürlich ein wenig anders. Da gibt es eine freiere Zeiteinteilung, mitunter haben die Clubs keine Curfew, sodass man die Setlist verändern kann. Aber auch das passiert zumeist nur am Anfang einer Tour.

Wie schon anfangs erwähnt: Für uns ist Routine ein wichtiger Faktor, um unser Optimum abrufen zu können, insofern belassen wir es zumeist bei einer festgelegten Setlist. Denn selbst, wenn wir die Liste nicht sehen können, wissen wir immer ganz genau, welches der nächste Song ist, anstatt im wahrsten Sinne des Wortes im Dunkeln zu tappen.

Mögt ihr eher große Bühnen, oder fühlt ihr euch in kleinen Clubs wohler?

NE: Für mich ist die enge Kommunikation zwischen Band und Publikum entscheidend. Denn wir reden hier von Heavy Metal und Hard Rock, und beides lebt vom Energieaustausch. Wenn die Euphorie des Publikums auf die Bühne herüberschwappt, explodiert unsere Musik.

BG: Für mich hat beides Vor- und Nachteile. In Clubshows spielt man normalerweise vor Publikum, das dich und deine Band kennt. Die Fans lieben die Songs, dadurch entsteht eine riesige Energie. Auf großen Festivals hat man zwar riesige Bühnen und das Publikum steht mitunter 50 Meter oder noch weiter entfernt. Andererseits schaut man dann auf einen großen See von Zuschauern, und man erreicht Leute, die einen möglicherweise noch nicht kannten. Das ist der Vorteil solcher Auftritte. Insofern würde ich nicht zwischen guten und weniger guten Situationen unterscheiden, denn beides hat – neben manchem Nachteil – auch echte Vorteile.

In Flames Rack
Gelottes Rack mit drei Marshalls, ISP Decimator, TC Electronic G-Major, Cry Baby DCR-2SR und Voodoo Lab GCX Audio Switcher (Bild: Mineur)

Apropos Vorteile: Niclas, du arbeitest seit einiger Zeit mit der schwedischen Gitarrenfirma SGT Doom zusammen. Inwiefern profitierst du davon?

NE: Das ging los, als Erik von der Band Bullet mir erzählte, dass er eine eigene Gitarrenserie bauen möchte. Er fragte mich, ob ich von Beginn an dabei sein möchte. Für mich war es eine spannende Herausforderung, vom ersten Meeting bis zum finalen Ergebnis involviert zu sein. Eriks Instrumente erfüllen höchste Ansprüche, er baut auf absolutem Top-Level. Mitunter musste man ihn bremsen, da er immer noch weitere Ideen hatte. Insgesamt hat es Spaß ohne Ende gemacht.

In Flames
Die Rack-Schublade mit Lehle-Switchern, Ibanez TS-9 und zwei MXR GT-OD (Bild: Mineur)

Dein Signature-Modell nennt sich Super VE und ist – man ahnt es bereits – eine Gitarre im Flying-V-Style.

NE: Richtig. Die Gitarre sieht super cool aus und klingt fantastisch. Ich hoffe, dass Erik und ich die Zusammenarbeit fortsetzen.

Wie sind eure Gitarren gestimmt?

BG: In Standard-C-Tuning, entweder mit der tiefen Saite gedropt oder ohne Drop. Mit diesen beiden Tunings können wir alle unsere Songs abdecken, außerdem passen sie perfekt zu unseren Saitensätzen. Ich spiele 0.68er und Niclas 0.60er-Sätze. Manche Kollegen müssen wegen unterschiedlicher Tunings 16 bis 18 Gitarren mit auf Tournee nehmen. Ein Albtraum für alle! Wir schleppen meistens sechs bis acht Gitarren mit uns herum, mehr müssen es nun wirklich nicht sein.

Gibt es bei euren Studioaufnahmen auch nur diese beiden Varianten, also Standard C mit und ohne Drop?

BG: Mittlerweile ist es nur noch Standard C mit Drop. Früher hatten wir unterschiedliche Tunings, speziell auf unseren ersten fünf Scheiben. Mit der gedropten Saite spielt man Riffs einfach anders. Wir haben uns daran gewöhnt, es fühlt sich einfach gut an.

Wird 2018 ein neues In-Flames-Album aufgenommen?

BG: Nun, wie soll ich es sagen (zögert grinsend) … Es gibt zumindest noch keinen konkreten Studiotermin. Warten wir also mal ab.

Voodoo Lab Ground Control Pro
Schaltet sein Techniker Greg Winn: Das Voodoo Lab Ground Control Pro (Bild: Mineur)

Wie lange dauert es bei euch, ein neues Album zu schreiben und aufzunehmen?

BG: Das ändert sich von Fall zu Fall. Ich komponiere nie auf Tournee, sodass die Arbeit immer in den Pausen ansteht. Ich brauche eine konkrete Deadline, sonst komme ich nicht aus dem Quark. Wenn ich weiß, dass beispielsweise das Studio für den 1. September gebucht ist, kann ich zurückrechnen, dass ich im Mai anfangen muss, neues Material zu komponieren. Ich brauche diesen Zeitdruck, um kreativ sein zu können. Ohne festen Zeitrahmen frage ich mich: Warum sollte ich etwas tun? Es lebt sich ja auch so ganz angenehm! (lacht)

Du hast also keine Nebenprojekte?

BG: Nein, jedenfalls keine musikalischen. Aber frag doch mal Niclas, der kann dir eine Stunde lang von seinen Projekten erzählen.

EVH 5150 III Tops
Engelins Kraftquelle mit drei EVH 5150 III Tops (Bild: Mineur)

Okay Niclas, dann mal los!

NE: (lacht) Da gibt es zurzeit meine Band Engel, mit der ich zwar nicht toure, aber für die ich Anfang 2018 die gesamte Musik schreiben muss. Darüber hinaus habe ich ein Hardrock/Doom-Projekt namens We Sell The Dead, das 2018 ebenfalls ein neues Album veröffentlichen wird. Außerdem habe ich für das neue Mustasch-Album, das auch 2018 erscheinen wird, ein paar Songs geschrieben und eingespielt.

BG: Das war‘s aber noch lange nicht!

NE: Stimmt. Ich habe auch noch die Progrock-Gruppe Drömriket mit Magnus „Adde“ Andreasson, dem Schlagzeuger der Hardcore Superstars, und Ralf Gyllenhammar, dem Sänger von Mustasch. Aber Drömriket sind nur ein Projekt mit bislang einem Album. Macht trotzdem riesigen Spaß …

BG: … und ist richtig gut!

Danke für das nette Gespräch, und alles Gute für ein ereignisreiches Jahr 2018!

In Flames Rack
Das Effekt-Rack mit ISP Decimator, TC Electronic G-Major, Cry Baby DCR2SR, Voodoo Lab GCX Audio Switcher und – in der Schublade zu erkennen – Lehle 3 at 1 und zwei MXR GT-OD, von vorne und hinten (Bild: Mineur)

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(erschienen in Gitarre & Bass 03/2018)

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