Im Interview

Ian Hunter: Der Dude

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(Bild: Ross Halfin)

Für viele ist Ian Hunter einfach der Typ, der im Sommer 1972 mit Mott The Hoople einen Welthit namens ‚All The Young Dudes‘ hatte – der allerdings nicht aus seiner Feder stammte und den er auch nie wiederholen konnte. Doch der mittlerweile 85-Jährige ist viel mehr als nur ein goldener Oldie: Multiinstrumentalist, Produzent, Buchautor, wandelndes Musiklexikon, Glam-Ikone und ein verdammt lebendiges Stück Rockgeschichte.

Im Interview mit Gitarre & Bass schwelgt „der Dude“ in geballten Erinnerungen.

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Ian, du bist jetzt 84 – ist das Alter eine angenehme oder eine furchteinflößende Erfahrung?

Auf eine Art ist es toll. Denn es ist sehr motivierend – in dem Sinne, noch etwas schaffen zu wollen, möglichst viele Alben zu machen und jede Minute, die einem bleibt, kreativ zu nutzen. Es geht also darum, das Unvermeidliche zu bekämpfen.

Also hältst du es mit den alten Blues-Jungs: Bis man dich im Sarg nach Hause schickt?

Warum nicht? Ich nehme es einfach, wie es kommt. Ich meine, ich hätte ja auch nie gedacht, dass ich mal 84 würde. Doch du wachst eines Morgens auf und dir wird bewusst: „Jesus Christus, ich kann unmöglich schon so alt sein.“ Doch du bist es – und deshalb solltest du es auch genießen.

In puncto Gitarren: Was verwendest du?

Eigentlich nur Standard-Sachen. Ich habe z.B. mehrere Fender Stratocaster und Telecaster, dazu ein paar Firebirds, Les Pauls und SGs von Gibson. Außerdem einige Akustik-Gitarren von Martin. Aber: Ich bin kein Sammler. Ich erachte meine Instrumente als reine Werkzeuge, die ich benutze, um damit Musik zu machen. Insofern habe ich auch nicht wer weiß wie viele davon. Und ich sehe sie nicht als Kapitalanlage oder Wandschmuck – sie müssen alltags- und bühnentauglich sein.

Wobei du zu Mott-Zeiten aber ein paar ausgefallene Gitarren hattest. Etwa mit einem Korpus in der Form des Buchstaben „H“ – oder eines Malteser-Kreuzes. Was hatte es damit auf sich und was ist aus diesen Modellen geworden?

(lacht) Das waren echte Scheiß-Gitarren, die nur gut aussahen, aber fürchterlich geklungen haben. Die Malteser-Kreuz-Gitarre stammt aus einem Pfandhaus in San Francisco. Mick Ralphs – unser damaliger Gitarrist – hatte sie 1972 vor einem Auftritt entdeckt und meinte, dass ich mir die unbedingt zulegen müsse, weil sie optisch großartig wäre und mich als Frontmann bestimmt noch cooler erscheinen lassen würde. Sie sollte nur 75 Dollar kosten – was eigentlich Warnung genug war. Und die H-Gitarre war nicht viel besser – beide waren ein netter optischer Farbtupfer für unsere Show. Also coole Props, aber als Instrumente eine Katastrophe. Die Lektion daraus: Man sollte Gitarren benutzen, weil sie gut klingen – nicht, nicht nur weil sie hübsch aussehen. (lacht)

Ian Hunter mit seiner H-Gitarre

Dann lass uns über ‚All The Young Dudes‘ reden – das Album wie die Single – die mittlerweile 52 Jahre auf dem Buckel haben. Wie fühlt sich das an – und welche Erinnerungen hast du daran?

Oh, es fühlt sich prima an – und an einiges kann ich mich sogar noch erinnern. (kichert) Etwa, dass wir mit Bowie in den Trident Studios aufgenommen haben. Oder dass ich nie sonderlich glücklich mit dem Mix war. Für meinen Geschmack ist er ein bisschen zu dünn. Nur: Er klang halt gut durch die ganzen Transistor-Radios, die damals angesagt waren. Von daher haben Leute wie Roy Thomas Baker oder auch Bowie bewusst dünn gemixt – damit es da gut rüberkam. Dabei war der ursprüngliche Sound viel voller – und ich würde das Album gerne noch einmal so abmischen, wie es wirklich geklungen hat.

Trotzdem war es das erste erfolgreiche Album eurer Karriere – warum waren die vier Vorgänger allesamt Flops?

Keine Ahnung! Ich meine, es war eine tolle Zeit und wir waren eine großartige Live-Band – nur unsere Alben konnten da nicht mithalten. Was wahrscheinlich daran lag, dass unser Manager, Guy Stevens, der Meinung war, man sollte sie genauso angehen, wie ein Konzert – also ohne Raffinesse oder Liebe zum Detail. Während jemand wie Bowie genau wusste, dass einem das Studio jede Menge Möglichkeiten bot, die man sich unbedingt zu Nutze machen sollte. Doch das haben wir nicht. Wir waren immer knapp bei Kasse, hatten kein Budget, mussten uns extrem beeilen und darunter litt auch die Qualität. Wäre Bowie nicht gewesen, hätten wir es wohl bei den ersten vier Alben belassen.

Also hat Bowie euch regelrecht gerettet? Und: Warum hat er das getan?

Na ja, wir hatten im Gaswerk in Zürich gespielt – und der Gig lief so schlecht, dass wir uns sagten, so könne es nicht weitergehen und wir sollten uns besser trennen. Also reisten wir zurück nach London, und unser Bassist, Pete Watts rief Bowie an, weil der gerade eine neue Band zusammenstellte – und Peter halt Arbeit suchte.

Doch David meinte: „Du bist doch bei Mott The Hoople.“ Als Pete dann erzählte, dass wir uns getrennt hatten, hieß es: „Das könnt ihr nicht machen.“ Also bot er uns sein Stück ‚Suffragette City‘ an – wir sollten es aufnehmen und endlich den Hit haben, den wir nie hatten. Doch ich hielt es für nicht gut genug. Klar, es war OK, aber kein Geniestreich – und genau den brauchten wir. Eben etwas Besonderes – in der Manier von ‚You Really Got Me‘ von den Kinks. Das entsprach eher der Art von Band, die wir waren. Doch dann präsentierte uns David ‚All The Young Dudes‘ – und das war‘s.

Kannst du erklären, warum du dich in Deutschland – solo wie mit Mott – immer so rar gemacht hast bzw. das bis heute tust?

Weil ich ein alter Mann bin – ich müsste schon erster Klasse fliegen, um das halbwegs hinzukriegen. Nur: So viel Kohle bietet mir keiner. Um ehrlich zu sein, finde ich bei euch nicht mal einen Promoter, der mit mir arbeiten möchte. In Skandinavien ist es OK, aber die letzten paar Male in Deutschland waren eher ein schlechter Witz. Also ein paar kleine Blues-Clubs und solche Sachen. Darauf lasse ich mich nicht noch einmal ein.

Dabei hast du auch neue Songs am Start – von einem Album namens ‚Defiance Part 1‘, das Anfang 2023 erschienen ist, in Deutschland aber scheinbar nicht vertrieben wurde.

Keine Ahnung … Es ist einfach das, was ich tue: Ich nehme Platten auf. Genau wie jeder andere, der Songs für seinen Lebensunterhalt schreibt. Und ich bin da immer noch sehr aktiv, weil ich liebe, was ich tue. Ich habe nicht vor, etwas anderes auszuprobieren, sondern möchte das bis zu meinem letzten Atemzug tun. ‚Defiance‘ ist auf Sun Records erschienen – dem legendären Memphis-Label, das unlängst neu aufgelegt wurde.

In England erfolgt der Vertrieb über Virgin/Universal. Das ist zumindest das, was mir mein Manager erzählt hat – Mike, der sonst Def Leppard betreut. Joe Elliott ist ja ein großer Fan von mir und hat den Kontakt hergestellt. Mike hat mir dann den Deal besorgt, und mehr weiß ich im Grunde nicht – außer, dass die Songs natürlich überall gestreamt werden. Wer sich die Mühe macht, sie zu suchen, wird nicht enttäuscht und Teil 2 erschien am 19. April.

Und wie auf dem ersten Teil sind auch diesmal einige Gäste dabei. Was eigentlich nur daran liegt, dass ich während der Covid-Pandemie nicht mit meiner angestammten Band arbeiten konnte, mit der ich seit fast zehn Jahren unterwegs bin. Außerdem brauchte ich eine Veränderung – und so kam mir das eigentlich ganz gelegen. Mike, der Manager, meinte, er kenne etliche Musiker, die Interesse hätten auf einem Album von mir mitzuwirken.

Das waren dann Slash, der auf Teil 1 vertreten ist, aber auch Billy Gibbons für Teil 2. Sie kamen zu mir ins Studio, und das hat dafür gesorgt, dass ich immer mehr und mehr geschrieben habe, nämlich etwa 22, 23 Songs. Elf davon sind auf dem ersten Album gelandet, die übrigen sind auf dem zweiten vertreten. Darunter auch einer mit Jeff Beck, der seine letzte Studio-Aufnahme gewesen sein dürfte. Er heißt ‚The Third Rail‘. Ich bin gespannt, wie das Album ankommt. Ich für meinen Teil bin jedenfalls sehr zufrieden damit. Es ist eine richtig gute Rockscheibe – viel besser als der ganze Mist, der gerade auf den Markt geworfen wird.

Umso glücklicher dürftest du dich schätzen, die goldenen 70er miterlebt zu haben.

Keine Frage. Ich hatte eine lange, erfüllte Karriere – mit allem, was dazugehört. Und wenn du mir mit 16 gesagt hättest, dass es mal so kommen würde, hätte ich mein Glück wahrscheinlich nicht fassen können. Denn ich hatte nichts gelernt und insofern auch keine große Zukunft vor mir. Trotzdem habe ich so viel erlebt, so viel gesehen und so lange durchgehalten. Mehr noch: Ich nehme immer noch Platten auf und spiele regelmäßig live – mit 84. Ich habe nicht vor, morgen aufzuhören. Deshalb werde ich das auch nicht. (lacht)

(erschienen in Gitarre & Bass 05/2024)

Kommentar zu diesem Artikel

  1. Großartiges Interview. Ich habe Ian Hunter und sein Songwriting immer hochgeschätzt.
    Eins meiner ersten Rockalben war das Debüt Album von Mott the Hoople. Der Song Rock ‘n’R Roll Queen daraus ist eins von 2 Cover Nummern, die ich trotz sonst nur eigenen Songs mit meiner Band spiele, weil ich das als Teenager mit meinem Bruder in unserer Keller Luftgitarren Band schon gemacht hatte.

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