Über seine Zusammenarbeit mit Filmkomponist Hans Zimmer
Hollywood-Orchester: Guthrie Govan im Interview
von Wolfgang Kehle,
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(Bild: Frank Embacher)
Mit seiner Band The Aristocrats und als Solist für den Prog-Rock-Magier Steven Wilson hat sich Guthrie Govan längst als einer der profiliertesten Rock-Gitarristen etabliert. Seine fantastische Spieltechnik und sein riesiges Vokabular in Sachen Improvisation haben den YouTube-Star Rick Beato dazu gebracht, einen Beitrag über Guthrie’s Kunst mit folgender Frage zu betiteln: „Why This Guy Is Rock’s Scariest Guitarist“.
Im Interview erzählt der Meistergitarrist, wie er Mitglied bei Hans Zimmer Live wurde, einem Mammutprojekt, bei dem der legendäre Hollywood-Filmkomponist Hans Zimmer seine preisgekrönten Scores mit einem riesigen Ensemble auf die Bühne bringt.
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INTERVIEW
Stimmt es, dass Hans Zimmer versuchte, dich auf Facebook zu kontaktieren, und du glaubtest, das Ganze sei ein Fake?
Ja, das ist wahr. Diese Reaktion mag schon fast lächerlich paranoid erscheinen, aber im Lauf der Jahre ist es mir schon öfter passiert, dass mich wildfremde Leute kontaktierten und vorgaben, berühmte Persönlichkeiten zu sein. Und mehrfach haben Leute in den Sozialen Medien Profile mit meinem Namen erstellt und meine Identität gekapert. Ich habe keine Ahnung, was die damit erreichen wollen, Menschen können seltsam sein, aber das ist tatsächlich passiert.
Ich glaube, solche Erfahrungen haben mich misstrauisch werden lassen, was unaufgeforderte Kontaktaufnahme in den Sozialen Medien angeht. Und warum sollte ein gefeierter Hollywood-Komponist mich überhaupt kennen und sich für meine Musik interessieren? Ich dachte immer, meine künstlerische Bedeutung beschränke sich auf eine Nische, die nur für andere Gitarrenbesessene mit ähnlichen Vorlieben attraktiv wäre.
Die ‚Man Of Steel Suite, Part 2‘ steht ganz im Zeichen deiner Kunst des Solierens. Du spielst jede Nacht anders. Wieviel Freiheit gibt dir Hans Zimmer?
Ich habe viel mehr Freiheit, als ich am Anfang meiner Arbeit mit Hans erwartet hatte. Sein Ansatz scheint zu sein, Leute zu engagieren, auf deren Instinkte er vertrauen kann, und diese dann dazu einzuladen, sich der Musik von ihrer Perspektive her zu nähern: Es gibt immer eine Art von minimaler Führung, die sich aber mehr fokussiert auf die Stimmung und die Aussage der Musik, und weniger auf das spezifische Instrument selbst.
Um das auszubalancieren, sagt mir Hans immer gerne, dass eine Idee oder ein Ansatz von mir seiner Meinung nach nicht funktioniert, und ich probiere dann gerne etwas anderes aus, wenn eine solche Situation eintritt. Es ist ganz offensichtlich viel konstruktiver, alle seine Ideen rauszuhauen, immer in dem Bewusstsein, dass auch mal was schiefgehen kann, als überängstlich zu sein. Aber um sich in dieser Arbeitsweise wirklich wohl zu fühlen, braucht es in einer solch neuen Konstellation, wie sie die „Hans Zimmer Live“-Band am Anfang für mich war, einige Zeit.
(Bild: Frank Embacher)
Du hast auch immer wieder für Hans Zimmer im Studio gearbeitet. Nenne doch bitte einige dieser Projekte, und welches dir am besten gefallen hat!
Ich habe unterschiedliche Projekte aus ganz verschiedenen Gründen genossen. Der ‚X-Men: Dark Phoenix‘– Score zum Beispiel war für mich auf eine dunkle, nachdenkliche Art aufregend. Und ich muss hier gestehen, dass ich immer das Gefühl hatte, die Musik hätte einen besseren Film verdient. Die beiden ‚Boss Baby‘-Filme hingegen gaben mir die Gelegenheit, die freche, kindliche, spielerische Seite in mir zu erforschen.
Ich muss dennoch ein Projekt besonders erwähnen, dass für alle Beteiligten etwas ganz Besonderes war, die Arbeit an ‚Dune‘! Der ganze Soundtrack entstand im Lockdown, und buchstäblich jede einzelne Note, die zu hören ist, wurde eingespielt von Menschen, die durch die Ausgangssperre ihr Haus nicht verlassen durften. Umso schöner war dann, als wir alle zusammen letztes Jahr auf Tour waren und da erfuhren, dass Hans für ‚Dune‘ den Oscar bekam.
Die Setlists eurer Gigs sind riesig, und unglaublich viele Musiker sind an der Show beteiligt. Erzähl uns doch bitte, wie ein solches Mammut-Projekt organisiert wird. Da sind doch sicher einige Proben angefallen. Hat der Musikalische Direktor Partituren von jedem Song? Hast du Noten bekommen? Und wenn ja, wer hat die geschrieben?
Die „Hans Zimmer Live“-Band (HZL) ist in der Tat eine komplexe Maschine mit sehr vielen beweglichen Teilen, und ich bin immer wieder aufs Neue beeindruckt, dass sie überhaupt funktioniert. Nick Glennie-Smith ist der MD der Live-Band. Was die Noten tatsächlich für jeden der Musiker bedeuten, ist ganz verschieden. Von einem Geiger in der Orchester-Streichergruppe wird erwartet, dass er jede Note wie notiert vom Blatt liest. Mitglieder der Band wie der Meister der Holzblasinstrumente Pedro Eustache oder auch ich selbst haben immer wieder Parts mit Freiheit zur Improvisation. In einigen Fällen musste ich selbst einen Gitarrenpart erfinden, der dann seinen Weg in die sich ständig weiterentwickelnde Partitur findet. Hier kann es hilfreich sein, die gedruckte Version dessen zu sehen, was alle anderen spielen. Zum Beispiel spiele ich eine lange Sechzehntel-Linie in ‚The Dark Knight‘, die die Cello-Stimme doppelt. Verzerrte Gitarre und Cello klingen wirklich gut im Unisono, und diese Kombination ist ein wichtiger Bestandteil von HZL geworden.
Und ja – wir proben tatsächlich ziemlich viel! Natürlich kommt jeder bestens vorbereitet zu den Proben. Diese dienen dazu, Probleme in der Produktion, also Bühnentechnik, Beleuchtung, Mischung und ähnlichem zu lösen. Außerdem bietet es den Musikern die Möglichkeit, ihre Parts zu verfeinern, an den Sounds zu feilen, etc.
Wie es zur Zusammenarbeit mit Hans kam – auf Seite 2 …
Hans Zimmer scheint ein Fan der modernen Rock-Gitarre zu sein. Hat er dir erzählt, warum er dich ausgewählt hat?
Als Hans mich online entdeckte, war er wohl auf der Suche nach einem sehr speziellen Gitarristen. Das war in der Zeit, als er für die ersten Live-Gigs von HZL im Londoner Hammersmith Odeon eine Band zusammenstellte und eine Setlist entwarf. Dabei überlegte er, wie er wohl das Thema von ‚Thelma & Louise‘ neu interpretieren könnte, ohne nur das Original zu reproduzieren. Ich glaube, er hat YouTube mit einem Begriff wie „Ungewöhnliche Slide-Gitarristen“ durchsucht und stieß dabei auf ein Video, in dem ich eine Vigier-Fretless-Gitarre vorstellte.
Das hat ihm wohl gefallen, und er checkte noch mehr meiner Videos aus. Und ganz ehrlich, ich bin nicht glücklich über die Unzahl von Guthrie-Govan-Videos, die im Umlauf sind. Keines wurde von mir gepostet, und ich stehe mit Kameras echt auf Kriegsfuß. Trotzdem haben mir diese Videos geholfen, immerhin zeigt das Internet einen breiten Querschnitt meiner Musik in vielen verschiedenen Stilen und Bands. Und Hans gewann wohl bei seiner Suche den Eindruck, dass ich gerade für seine so eklektische Setlist wohl flexibel genug war. Ich bin sehr glücklich, dass jemandem wie Hans mein Gitarrenspiel gefällt, und er meinen Instinkten vertraut.
Welches Equipment hast du für HZL am Start? Ich habe gelesen, dass du mittlerweile ausschließlich digitale Amps verwendest.
Ja, das stimmt! Ich spiele Fractal, nicht nur bei HZL, sondern auch auf Tour mit den Aristocrats. Ich war eigentlich immer ein Traditionalist und liebe immer noch das Gefühl, wenn echte Amps Lautsprecher antreiben, die dann die Luft hinter mir auf der Bühne bewegen. Aber ich suche auch immer nach der effizientesten und elegantesten Lösung. Tatsächlich machte ich meine ersten Erfahrungen mit digitalen Lösungen in der ersten Besetzung von HZL. Da wurde mir klar, dass es überhaupt keinen Sinn macht, einen brüllend lauten Verstärker zu benutzen auf einer Bühne mit so vielen sensiblen Orchester-Instrumenten. Bei HZL waren In-Ear-Kopfhörer Pflicht, die ja die Tendenz haben, die Hälfte dessen, was an echten Amps Spaß macht, in Luft aufzulösen.
Ursprünglich spielte ich einen Kemper, hauptsächlich, weil jeder einen spielte, sogar Tina Guo, die Cellistin von HZL. Ich dachte mir, dass es Sinn macht, den Kemper zu spielen, den die Crew ja schon kannte. Später wechselte ich zu Fractal, weil ich den schon daheim für einige Aufnahme-Sessions benutzt hatte und mit der modularen Struktur der Bedienoberfläche besser zurechtkam.
Heute ist der Fractal Axe-FX III die Zentrale meines HZL-Setups, zusammen mit einem FC-12 Fußschalter und zwei EV-1-Expression-Pedalen. Den größten Teil des Sets spiele ich mit meiner Charvel-Signature-Gitarre. Außerdem spiele ich eine Strandberg Boden Metal 8 für das sinistre ‚Dark Knight‘, eine Godin Multiac Nylon-String bei ‚Gladiator‘ und ein billiges und fieses Banjo mit einem versteckt eingebauten Strat-Pickup für bestimmte Stellen von ‚Fluch der Karibik‘ und ‚Absurdities‘. Und ich spiele so viel E-Bow und Slide wie noch nie.
Ich habe in deinen ‚10 Top Improvisation Tipps‘ gelesen, dass ein gutes Gehör unverzichtbar ist. Du empfiehlst, so viel Musik wie möglich selbst zu transkribieren und nicht nur auf Tabs aus dem Internet zu vertrauen. Du hast als professioneller Transkripteur für „Guitar Techniques“ gearbeitet. Wie sieht deine Arbeits-Routine aus?
Als ich anfing, für Gitarren-Magazine zu arbeiten, benutzte ich Stift und Papier. Beim Verlag gab es einen, der die Notensatz-Software Finale benutzte, und alle Transkripteure sahen in ihm den Hohepriester des Notensatzes, jemanden, der über Geheimwissen verfügte, das für uns anderen verboten war. Ich habe dann Sibelius gelernt, und in jüngster Zeit beschäftige ich mich mit Dorico. Einiges geht mit Sibelius noch schneller, aber ich mag das Fretboard Input Interface in der iPad-Version von Dorico. Als Audio-Software benutze ich den Amazing Slow Downer, seit ich denken kann. Wertvoll ist die Möglichkeit, Loops zu setzen, um bestimmte Passagen immer wieder anhören zu können. Früher habe ich eine Bandmaschine benutzt, und das ständige Zurückspulen kostete enorm viel wertvolle Zeit. Außerdem hilft mir der Panorama-Regler, um einen versteckten Part im Mix deutlicher herauszuheben, und natürlich die Möglichkeit alles um eine Oktave nach oben zu transponieren, um Bass-Parts besser herauszuhören.
Verlangsamst du manchmal auch die Musik, um sie leichter transkribieren zu können?
Ich mache alles, was funktioniert. Es ist keine Schande, auch mal zu schummeln, wenn das zu genaueren Resultaten führt. Aber allgemein versuche ich, mich nicht zu abhängig von diesen Tricks zu machen. Ich denke, für den Transkripteur ist der echte Sound des Instruments und seine Vertrautheit mit diesem eine wichtige Quelle zum Verständnis. Wenn man das Tempo und/oder die Tonhöhe zu sehr verändert, geht der typische Klang verloren. Ich finde, beim verlangsamten Abhören ist es schwerer, die tatsächlich gespielte Saite zu identifizieren als im Original-Tempo. Außerdem läuft man Gefahr, Wiederholungen, die von einem Delay-Pedal erzeugt wurden, fälschlicherweise als tatsächlich gespielte Noten aufzufassen. Das passiert im Originaltempo nicht so leicht.
Hast du das absolute Gehör?
Das habe ich leider nicht … Aber ich habe ein ziemlich gutes Tonhöhengedächtnis. Wenn du mir etwas Zeit lässt, kann ich ungefähr sagen, wo das A liegt, einfach indem ich mich an den Sound von einem Song erinnere, den ich schon oft gehört habe. Ich kann auch eine Gitarre ohne ein Stimmgerät stimmen, und das ist dann meistens bis auf 10 bis 20 Cents genau. Aber das ist eben kein absolutes Gehör: Ich vermute, diese Fähigkeit ist eher das Ergebnis davon, dass man fühlt, wann die Saite die richtige Spannung erreicht hat und dass man sich an den Klang einer leeren Saite erinnern kann. Ich habe gesehen, wie Leute mit absolutem Gehör mühelos und ohne zu zögern jede Tonhöhe sofort benennen können. Das wirkt für mich wie eine bizarre übernatürliche Fähigkeit. Ich habe allerdings noch nicht festgestellt, dass diese Fähigkeit und Musikalität im Allgemeinen mit einander korrelieren.