Heinz Rebellius: Western-Surf-Blues mit neapolitanischem Flair
von Matthias Mineur, Artikel aus dem Archiv
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Der mit diversen Preisen ausgezeichnete Musiker, Buchautor und (Gitarre&Bass-) Journalist Heinz Rebellius ist vielen Fans sicherlich noch aus seiner Zeit mit Cliff Barnes And The Fear Of Winning bekannt. Besonders spektakulär war eine Einladung der Band zur 2017er EXPO in Astana/Kasachstan, wo Rebellius und seine Mitmusiker mit einem ökologischen Konzept für Aufsehen sorgten: Der für die Konzerte notwendige Strom wurde mit einem selbstentwickelten System durch vier Fahrräder erzeugt, die von jeweils vier Besuchern der Shows angetrieben wurden.
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Sein künstlerisches Leben umfasst aber auch unter anderem Engagements von Philipp Boa (im Studio), Bands wie Surplus Stock und Illegal Artists und die Zusammenarbeit mit der Sängerin Luca, mit der er insgesamt drei Album co-produziert und einen weltweiten Song-Wettbewerb von Amnesty International gewonnen hat. Sein neuestes Projekt ist ein instrumentales Soloalbum, das den programmatischen Titel ‚1990‘ trägt und im November über das norddeutsche Label Timezone veröffentlicht wird. Erste Videos zu vorab veröffentlichten Singles wie ‚Siesta Red‘ oder ‚Back To NYC‘ findet man bereits auf YouTube. Wir haben den 70-Jährigen zu den Hintergründen und Einzelheiten dieses in jeder Hinsicht hörenswerten Albums befragt.
INTERVIEW
Heinz, die Vorgeschichte deines Instrumentalalbums ‚1990‘ beginnt eigentlich beim Image-Film ‚The Making Of A Dream Guitar‘ deines ehemaligen Arbeitgebers Duesenberg, richtig?
Ja, das kann man so sagen, denn dieser Film war der Auslöser. Ich war von 2017 bis zum Sommer 2021 in der Marketing- und Artist-Relations-Abteilung von Duesenberg tätig. In dieser Zeit hat die Firma den Film ‚The Making Of A Dream Guitar‘ produziert, zu sehen auf YouTube, und verschiedene meiner Instrumentalsongs als Soundtrack verwendet. Da die Resonanzen sowohl auf den Film als auch auf die Musik sehr positiv waren, habe ich kurzerhand weiter an Instrumentalstücken gearbeitet.
Eigentlich sind Instrumentalsongs für dich Neuland, oder?
Neuland eher nicht, eher ein nicht beackertes Land, würde ich sagen. Ich komme aber tatsächlich mehr von Musik mit Texten und Gesang. Zwischenzeitlich habe ich zwar vereinzelt immer mal Instrumentalnummern geschrieben, von denen einige wenige auch im Rahmen z.B. von Cliff Barnes And The Fear Of Winning veröffentlicht wurden, aber immer eher nebenher liefen. Wobei mich das Thema Gitarrenmusik grundsätzlich natürlich sehr interessiert. Instrumentalmusik ist vor allem im Jazz, in der Klassik und in flacher Unterhaltungsmusik angesiedelt, aber dies alles will oder kann ich nicht. Daher musste ich einen eigenen Weg finden, um meine Gitarre auch ohne Text und Worte sprechen zu lassen. Im stillen Kämmerlein hatte ich dann irgendwann angefangen, an solchen Songs zu arbeiten, die die typische Klangästhetik von Gitarren-Sounds der 1950er und 1960er Jahre repräsentieren sollten. Also viel Federhall, kurze Echos, Tremolo und – wenn Verzerrungen – dann richtig heftige Fuzz-Sounds.
Zunächst meinte ich, dass man sie aufgrund ihres spezifischen Gitarrensounds dem Genre Italo-Western zuordnen könnte, denn der Komponist Ennio Morricone hat vor allem in den Filmen von Sergio Leone gerne mit solchen Sounds gearbeitet. Heute, nachdem ich viele Instrumentalstücke geschrieben und aufgenommen habe, sehe ich das jedoch anders. Dieser wunderbare Italo-Flair ist zwar immer noch Hauptmerkmal meines Sounds, aber nur eines von mehreren Elementen in meinen Songs.
Es gibt ebenso Einflüsse von Surf, aber auch Blues bis hin zu südamerikanischer Rhythmik und sogar Ambient-Elementen, wodurch die Musik so facettenreich geworden ist, dass sich nicht mehr automatisch eine Genre-Schublade öffnet, wenn man mehr als nur eins meiner Stücke hört. Bei der Arbeit an diesen Stücken war ein Buch über ungewöhnliche Skalen sehr inspirierend, das mir ein Duesenberg-Kollege ausgeliehen hatte. Darin findet man neben den bekannten Kirchentonarten auch richtig abgefahrene Skalen, von deren Atmosphäre ich regelrecht fasziniert war. Diese Tonfolgen öffneten Welten, die ich bis dato noch nicht kannte und die mein Vokabular auf dem Instrument sehr bereicherten.
Hier fand ich zum Beispiel die so genannte Neapolitanische Moll-Skala, die sofort italienisches Ambiente vor deinem inneren Auge entstehen lässt, wenn man sie hört! Nach ihr wurde auch einer der Songs von ‚1990‘ betitelt, er heißt dann auch ‚Neapolitan Minor‘.
Wie hast du an den Songs gearbeitet? Gab es vor dem Studiotermin reguläre Demos?
In der Regel feile ich auf einer Akustikgitarre so lange an den Harmonien und der Struktur, bis ich ein Gefühl dafür habe, wie der Song aussehen soll. Dieses Gerüst nehme ich auf, manchmal nur mit dem Smartphone, und spiele so lange Melodien dazu, bis sich ein Thema einstellt. Es gibt aber auch Songs, wo es andersherum läuft. Da ist zuerst eine Tonfolge, also eine Melodie da, die ich dann harmonisiere und in ein Arrangement einbette. So hatte ich z. B. einmal ein Foto einer mir bekannten Fotografin gesehen, das einen Haufen auf Gräsern sitzende Spatzen zeigt.
Da mich diese Spatzenformation gleich an geschriebene Noten erinnerte, habe ich einfach sechs Notenlinien durch das Bild gezogen, und die Spatzen nun die Melodie darstellen lassen. Auf diese Weise ist dann das Stück ‚Sparrow Ladder‘ entstanden. Songschreiben geht manchmal blitzschnell, manchmal ist es zäh, manchmal klappt es gar nicht. Und manchmal laufen einem eben Spatzen über den Weg. Als Künstler solltest du nur immer wach genug sein, solche Momente nicht zu verpassen. Zurück zu deiner Frage: Bei den anschließenden Demos im Home-Studio spiele ich dann alles selbst ein, auch den Bass, während die Drums natürlich programmiert sind.
Was ist am im Albumtitel genannten Jahr 1990 so besonders für dich?
Auslösender Faktor für diesen Titel war ein Foto aus der Zeit mit Cliff Barnes, das mir der Fotograf Manfred Pollert (pollert.de) mit der Frage geschickt hatte: „Weißt du, aus welchem Jahr das Bild stammt?“ So ganz genau wusste ich das zunächst auch nicht, konnte aber anhand der Jacke, die ich auf dem Foto trage, den Zeitraum auf 1990 oder 1991 eingrenzen. Das war damals die Hochphase von Cliff Barnes, wir waren erfolgreich, permanent unterwegs, und privat ging es dadurch drunter und drüber. Das Jahr 1990 war also ein Brennpunkt in meinem Leben, bei dem Vieles auf der Kippe stand, im Job, in der Musik und vor allem auch familiär. Wir haben Gottseidank alles in gute Bahnen lenken können, aber das war in diesem Jahr 1990 noch nicht klar, und alles hätte auch anders ausgehen können. Die Jahreszahl 1990 ist für mich zu einem Symbol für diese bewegte Zeit geworden, und macht als Albumtitel in einer Phase, in der wiederum Veränderungen anstehen, absolut Sinn. Abgesehen davon hat mir das Foto an sich auch sehr gut gefallen.
Wie und wo wird das Album erscheinen?
Mit meiner Plattenfirma Timezone Records habe ich vereinbart, vor dem digitalen Release des Albums im Verlaufe eines halben Jahres eine gewisse Anzahl Singles, also einzelne Songs, digital zu veröffentlichen, und auch Videos dazu. Vor dem digitalen Release des gesamten Albums wird jedoch bereits ab Oktober oder November die CD ‚1990‘ erscheinen.
Gitarren-Talk und mehr auf Seite 2 …
Lass uns über das von dir auf ‚1990‘ verwendete Equipment sprechen!
Sehr gerne. Im Prinzip sind drei Fender-type- und zwei Duesenberg-Gitarren die Basis. Von meinen Vintage-Fender-Gitarren habe ich mich schon längst getrennt und spiele stattdessen Telecaster-, Jazzmaster- und Stratocaster-Varianten meiner eigenen Marke Twangtone. Die Telecaster-Version ist einer Fender Blackguard Broadcaster nachempfunden, mit passend klingenden Pickups von Harry Häussel.
Die Jazzmaster hat eine Brücke von Halon und Palatine-Pickups, die wie bei einer Tele verschaltet sind.
Und die Strat-Variante ist einfach nur ein wildes Tier, die wie aus der Mülltonne gezogen aussieht und zwei Rübezahl-Pickups und einen aktiven Preamp an Bord hat.
Gelegentlich kommen noch eine Danelectro Baritone, eine Duesenberg Double Cat 12, eine No-Name Lapsteel und eine weitere Twangtone-Broadcaster-Version mit Handbender für Pedalsteel-Sounds zum Einsatz.
Was kannst du über die beiden Duesenberg-Gitarren erzählen?
Sie kommen ins Spiel, wenn es um Gretsch/Bigsby-typische und auch Humbucker-Sounds geht. Meine Starplayer III ist komplett von der Stange und liefert beste Clean- und Zerr-Sounds sowie das bekannte Duesenberg-Vibratosystem, dem kein anderes Top-Mount-System das Wasser reichen kann.
Die zweite ist eine Custom Starplayer TV Custom, also eine Custom-Version einer Starplayer TV Custom mit vernickelter Hardware und drei Duesenberg-SingleTwin-Pickups, die dank ihrer Konstruktion mit je zwei Spulen pro Pickup eine Schaltung erlauben, bei der mittels zweier Dreiwegschalter alle sechs Pickup-Hälften frei miteinander kombinierbar sind.
Gibt es auf ‚1990‘ auch Akustikgitarren?
Selten, aber wenn, dann eine Martin D18VS oder eine Gibson J45RW mit Fishman-Piezo-Pickup.
Wie sieht es bei den Verstärkern aus?
Die meisten Gitarren-Sounds auf ‚1990‘ sind tatsächlich digitale Plugins, obwohl sie sich sehr nach Vintage anhören. Aber im Unterschied zu vielen Kollegen ist mir analoges Equipment im Studio nicht wichtig, sondern nur im Live-Einsatz. Gerade wenn man alleine aufnimmt, muss der praktische und technische Aufnahmeprozess einfach und schnell gehen, um den kreativen Flow nicht zu unterbrechen. Und das geht mit digitalen Plugins viel besser, zumindest bei meiner Arbeitsweise. Wenn man später beim Mischen feststellen sollte, dass doch etwas fehlt, kann man immer noch mit Re-amping nachhelfen.
Im Zentrum meines Live-Settings steht ein Twangtone-DeLuxe-Amp, ein Clone des Fender Tweed Deluxe 5E3 mit 12“-Tone-Tubby-Speaker. Hinten im Amp ist ein Red Stuff Varisucker verbaut, eine Kombination aus Power Attenuator und Loadbox.
Die Bestückung meines Pedalboards ist mittlerweile relativ konstant. Es gibt ein oder zwei Positionen, die je nach Anforderung unterschiedlich besetzt werden, aber im Prinzip sind die meisten Pedale im Laufe der Jahre gesetzt. In Richtung des Signalflusses sind das: BSM FuzzBender (oder ein Penny Pedals Paperplane Fuzz), Vahlbruch Quantum Compressor, Mooer Slow Engine, T.C. PolyTune 3, Mad Professor Tiny Orange Phaser, Twangtone Manifesto Dual-Drive, Strymon Deco, Strymon Brigadier Delay, Electro Harmonix Freeze, Okko T3 Tremolo, Earthquaker Devices Levitation Reverb, Vahlbruch Xroads A/B/Y Switcher, Hughes & Kettner Rotosphere und VanAmps Sole-Mate Spring Reverb.
Letzte Frage: Möchtest du mit den Songs auch auf die Bühne?
Auf jeden Fall! Ich liebe es, live zu spielen, genau deshalb mache ich Musik! Allerdings weiß ich noch nicht so genau, wo diese Songs eigentlich hinpassen sollen. Wenn man keine bekannte Stil-Schublade bespielt und nicht über zig-tausend Klicks auf den Socials verfügt, hat man bei regulären Live-Clubs schlechte Karten. Aber die Hoffnung stirbt zuletzt. Und ist es nicht z.B. großartig, wie gerade Hermanos Gutierréz, die beiden in der Schweiz wohnenden ecuadorianischen Brüder, mit ihrer ruhigen, atmosphärischen Gitarrenmusik ganze Hallen füllen können? Vor allem, seit sie von Black-Keys-Gründer Dan Auerbach produziert werden? Ich habe also durchaus die Hoffnung, dass es für atmosphärische Instrumentalmusik tatsächlich doch ein Publikum gibt.