Im Interview

Hæctor: Keine Angst vor großen Gefühlen

Anzeige
(Bild: Nick Neufeld)

Seit 2017 sind die Hamburger Indierocker am Start und „basteln“, wie sie schreiben, „an den schonungslosen Hymnen an ihre selbstoptimierte Generation“. Das Unbehagen des Großstädters, Verzweiflung am Leistungsdruck, Sehnsucht, Frustration und Wut – all dies spiegelt ihr vielschichtiges Debütalbum ,Modern Urban Angst‘ wider.

Martin Wendt nimmt einen vom ersten Augenblick mit seiner Stimme ein, die oft in hohe Lagen ausbricht. Dazu spielen Lena Schöllerman (b, synth), Christopher Kellner (g, synth programming) und Christoph Rosemeier (dr, samples) geradeaus nach vorne. Synthesizer färben opulent mit Flächen, dazwischen drängen kurze Sounds und Samples, die irritieren oder sich harmonisch einfügen und dabei die Musik so richtig dicht machen. Gitarrist Chris Kellner spielt tragende Pickings, die mit Effekten wie viel Hall und/oder Chorus sowie Tremolo eine tolle Atmosphäre erzeugen. Riffs ‘n‘ Chords verziert er gerne dezent mit dem Vibratohebel und in den Soli geht es mit fetten und melodischen Linien nach vorne. Lena Schöllermann trägt mit ihrem Bass die Songs oder driftet ab in scharfe Effekt-Sounds.

Anzeige

Der eingängige Indie-Rock weckt Assoziationen in Richtung der alternativen 80er wie The Cure oder The Smiths und die Soloalben von deren Gitarrist Johnny Marr. Oder erinnern auch mal an die englische Band Gay Dad und ihr 1999er Album ,Leisure Noise‘. Immer spürbar ist die tiefe Melancholie in den Songs. Wie macht man so ein packendes und gelungenes Indie-Album? Lena Schöllermann und der gebürtige Regensburger Chris Kellner antworten.

Lena, was hat es mit dem merkwürdigen Namen Hæctor auf sich?

Nun, ich war nach einer Probe mit Sänger Martin in der Kneipe, das war zur Zeit der Fußball-EM oder -WM. Ein Spiel der Deutschen wurde gezeigt, bei denen Jonas Hector mitspielte. Und wir dachten, das wäre eigentlich ein cooler Name für die Band. Wir hießen zuerst auch Hector, aber damit bist du im Internet nicht so richtig auffindbar. Wir haben einen Bezug zur dänischen Kultur und uns dann entschieden, das dänische æ in den Namen zu nehmen.

Lena Schöllermann und ihr Buzz Guitars Wasp (Bild: Chris Kellner, Lena Schöllermann, Nick Neufeld)

Wie siehst du deine Rolle in der Band?

Wir sind nur zu viert, das bedeutet, ich habe relativ viel Freiraum, um mich auszuleben. Daher kommt es, dass ich mit recht vielen Effekten spiele. Wenn wir zwei Gitarren hätten, könnte ich nicht unbedingt mit Delay spielen oder noch einen Octaver drunter setzen. Aber gleichzeitig will ich immer dem Song helfen. Bei uns ist es immer wichtig, dass ein guter Song herauskommt.

Du spielst auch Synthesizer.

Ja, live spiele ich Synthie in zwei Stücken. Im Studio habe ich ihn jedoch in mehreren Songs eingesetzt.

Du produzierst mit dem Synthie eher atmosphärische Klänge.

Richtig. Bei zwei Songs spiele ich darauf auch die Bassline, aber das versuche ich, so wenig wie möglich zu machen. Aber in ,My Strings‘ verwende ich am Anfang ein extremes Pitch-Delay für einen super flächigen Sound, und da denkt man nicht unbedingt, dass das ein E-Bass ist. Und in anderen Songs spiele ich den Refrain mit Octaver und Verzerrer, und das klingt so, als würde man mit einem klassischen monophonen Synthesizer eine Linie drunterlegen.

Orientierst du dich für deine Linien eher an den Drums oder den Gitarren?

Ich versuche immer, dass es mit dem Schlagzeug gut passt. Für mich ist es ausschlaggebend, dass wir den Song vorher geprobt haben. So lässt sich für mich eine Bassline am besten fühlen. Wenn ich merke, dass es Spaß macht, sie mit dem Drummer zu spielen, dann funktioniert sie auch. Im Studio kommt es darauf an, zu gucken, wo ich entweder Lücken lassen muss oder wo Lücken noch zu füllen sind.

Hast du deine Effekt-Sounds mit aufgenommen oder sind sie hinterher draufgelegt worden?

Die habe ich mit aufgenommen. Wir haben das Signal meistens auch gesplittet, so dass es auch eine ganz cleane Version gab. Es wurde aber, glaube ich, im Nachhinein nichts verändert.

Wie bist du denn musikalisch sozialisiert worden?

Ich hatte im Teenageralter, so 2004, erst mal eine ziemlich starke Pop-Punk-Phase. Da kamen Green Day mit ihrem Album ,American Idiot‘ raus und ich war völlig fasziniert. Ich ging dann ein bisschen in Richtung Emo. Dann hat sich das gewandelt und ich habe auch Folk gehört, so ältere Singer/Songwriter-Sachen. Mit 20 kamen Electro und Techno dazu. Nach dieser Phase bin ich dann bei Indie-Rock und -Pop hängen geblieben, viel und gerne auch mit Synthesizer-Elementen. Ich höre heute gerne Bon Iver oder auch Ben Howard.

Bassverstärkung: Ashdown ABM 500 Evo III plus FMC-Box mit 2x12“ und 1x8“ Neodym-Speakern
Bass-Board: Boss ES-8 Switching System, Korg Pitchblack Tuner, ZVex Woolly Mammoth Clone (DIY) Fuzz, Earthquaker Devices Plumes Overdrive, Rainger FX Deep Space Pulsar Compressor/Sidechain-Effekt, Boss OC-2 Octaver, DOD FX B4 Milk Box Compressor, Digitech TimeBender Musical Delay, Line 6 Helix Multi-Effekt/DI-Box/Amp-Sim

 

Wie bist du dann zum Bass gekommen?

Ich bin überwiegend Autodidaktin. Seit ich neun war, hatte ich klassischen Gitarrenunterricht. Aber ich habe in meiner Klassik-Karriere vielleicht zwei Stunden geübt und in den Unterrichtsstunden habe ich nur mit der Lehrerin geschnackt. Und irgendwann haben mich Kumpels gefragt, ob ich in ihrer Band Bass spielen möchte.

Fender Roger Waters Precision (Bild: Chris Kellner, Lena Schöllermann, Nick Neufeld)

Hast du konkrete Bass-Idole?

Am Anfang waren das die ganzen Pop-Punk-Leute wie Mike Dirnt von Green Day. Und als ich anfing, mich mehr für Sounddesign zu interessieren, kam auch Juan Alderete hinzu, der bei The Mars Volta gespielt hat. Von ihm gibt es YouTube-Videos, wo er erzählt, wie er seine Sounds macht. Da habe ich mir viel Inspiration geholt. Dann ist da noch Janek Gwizdala. Er geht so ein bisschen in die jazzige Richtung, aber er spielt auch viel mit Effekten. Beide beschäftigen sich damit, wie man auf dem Bass Sounds in Richtung Synthesizer erzeugen kann, und das fand ich spannend. Ich möchte mit dem Bass songdienlich spielen, aber auch nicht nur Hintergrundgeplänkel abliefern.

Chris Kellner mit PRS Mark Lettieri Fiore (Bild: Nick Neufeld)

Chris, wie wurde das Album aufgenommen?

Im Studio hat – wegen der Pandemie – jeder einzeln eingespielt, erst Drums, dann Gitarre, Bass und Gesang. Die Keyboards wurden dann entweder von den Demos übernommen oder noch mal neu gemacht.

Welche Gitarren hast du im Studio benutzt?

Das Rückgrat bildeten die Duesenberg-Modelle Julia und Joe Walsh Alliance. Daneben kamen noch eine 89er Fender American Standard Stratocaster, eine Danelectro U3, eine Fender Jazzmaster Pink Paisley, eine PRS Custom 24 und schließlich eine 65er Gibson ES-330 zum Einsatz.

Fender MIJ Pink Paisley Jazzmaster im F-Standard-Tuning
Die Gretsch G6636T Players Edition White Falcon wird um einen Ganzton nach unten gestimmt.

 

In euren Videos hast du recht oft eine Gretsch White Falcon benutzt.

Gretsch hat vor einiger Zeit die Players Edition eingeführt, wo sie die klassischen Modelle ein bisschen livetauglicher gepimpt haben. Diese White Falcon ist eher eine Thinline mit Centerblock und einer festgesetzten Tune-O-Matic-Bridge, was live von erheblichem Vorteil ist. Ich hatte auch schon andere Gretsch-Gitarren, da ist live schon mal die Brücke verrutscht. Ich wollte immer eine White Falcon haben, wegen Dave Stewart von den Eurythmics und Billy Duffy von The Cult.

AC/DCs Malcolm Young sah man zu Back-In-Black-Zeiten ja auch mit einer White Falcon.

Man möchte es nicht unbedingt glauben, wenn man unsere Mucke hört, aber dieser Malcolm-Young-Sound, das ist auf jeden Fall auch live das Rückgrat meines Sounds. Also dieser leicht angezerrte Marshall-Plexi-Sound.

Universal Audio Ox Amp Top Box, Marshall JCM800 2210 Head (100 Watt), 2x 12er Box
Gitarren-Pedale: Ernie Ball Dunlop Volume/Tuner, Gigrig 2, Digitech Whammy Ricochet, MXR Vintage Bass Octave, Keeley Mini Compressor, Chase Bliss MKII Automatone, Bremerklang Chorus/ Tremolo, Boss DD-200 Delay, Earthquaker Devices Astral Destiny, Chase Bliss CXM 1978 Reverb, Old Blood Noise Endeavours Sunlight, MXR Carbon Copy Mini

 

Mit welcher Musik bist du aufgewachsen, was hast du früher so gehört?

Ich bin in den 80ern schon als Kind von den Mixtapes meines Vaters bestrahlt worden. Das war ganz viel Dire Straits, Bryan Adams und Bruce Springsteen. Und das kann man sicherlich auch im Songwriting wiederfinden. Dann habe ich später auch Punk oder Sachen wie Jamiroquai und Brand New Heavies gehört. Und ich bin auch immer noch ein riesiger Iron-Maiden-Fan.

Ganz schön vielseitig.

Ich denke, wenn man mir so zuhört, sind die stärksten Einflüsse auf der einen Seite The Edge von U2 und auf der anderen Seite James Calvin Wilsey, der erste Lead-Gitarrist von Chris Isaak. Die Verbindung aus diesem Vibrato-Gejammer und Indie-Style ist quasi mein Ding.

(erschienen in Gitarre & Bass 08/2022)

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert.