Im Interview

Graham Coxon & The Waeve: Mission Klangkunst

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(Bild: Transgressive)

The Waeve – geschrieben mit „ae“ – heißt ein neues Bandprojekt aus London. Dahinter verbergen sich Rose Elinor Dougall, bekannt geworden als Mitglied der Pipettes, und Blur-Gitarrist Graham Coxon. Ein Paar, das nicht nur ein spannendes Album aufgenommen, sondern auch gleich eine Familie gegründet hat. Im GITARRE & BASS-Gespräch erörtern sie ihren ungewöhnlichen Ansatz zur Überwindung von pandemischer Langeweile und fiesen Existenzängsten.

Er gilt als einer der stilprägendsten britischen Gitarristen der 1990er- und 2000er-Jahre: Mit Blur hat Graham Coxon zunächst die Brit-Pop-Bewegung dominiert, nur um dann experimentellere Pfade einzuschlagen. Als Solist hat der Telecaster- und Marshall-Fan eine Reihe von DIY-Juwelen eingespielt, diverse Soundtracks aufgenommen und mit Kollegen wie Duran Duran oder Pete Doherty gearbeitet.

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Jetzt, da Blur nur noch sporadisch zusammenkommen, dafür aber in umso größeren Arenen auftreten, wartet der 54-Jährige aus Colchester, Sussex, mit einem ungewöhnlichen Projekt auf: Mit der 37-jährigen Keyboarderin und Sängerin Rose Elinor Dougall hat er ein Duo namens The Waeve gegründet und einen Tonträger mit ungewöhnlichem Sound aufgenommen.

Wie bei Blur, gilt auch hier die Maxime „alles ist möglich“: Das Duo stellt akustischen Folk neben Post-Punk, New Wave und Krautrock. Am liebsten innerhalb eines einzigen Songs, der folglich bis zu sieben Minuten dauert – und ein breites Instrumentarium aus Keyboards, Gitarren, Streichern, Flöten und sogar Saxofon aufweist.

Graham, im Juni bestreitest du eine weitere Tour mit Blur. Warum vorher noch ein Album mit deiner neuen Partnerin?

(lacht) Rose und ich hatten nicht vor, ein Album zu machen. Wir wollten uns nur treffen, um während der Pandemie, Ende 2020/ Anfang 2021, nicht vor Langeweile vor dem Fernseher zu sterben. Nach dem Motto: „Vielleicht entsteht dabei ja etwas.“ Und tatsächlich: Wir sind jetzt ein Paar, haben ein Baby, eine Band und ein Album, auf dem ich meine Leidenschaft für Krautrock, Folk und 70s Prog auslebe – für Gitarristen wie Robert Fripp und Carlos Alomar.

(Bild: Transgressive)

Der geballte Einsatz von Effekten und Pedalen lässt vermuten, dass du in erster Linie daran interessiert bist, Sounds, Vibes und Atmosphären zu kreieren. Ist das so?

Ja, und das hat mit der Musik der Zeit zu tun, in die ich hineingeboren wurde. Also, ich habe Sachen wie ‚Revolution‘, die B-Seite von ‚Hey Jude‘, gehört. Oder Psychedelisches wie ‚Strawberry Fields Forever‘. Insofern ist das für mich ganz natürlich. The Who und The Jam kamen erst später dazu – genau wie Prog-Rock-Sachen. Ich habe damals in Colchester gewohnt und mit Bands abgehangen, die auf Van der Graaf Generator oder Gong standen. Auf Robert Wyatt, Marching Mole und Soft Machine – Bands, die eine Menge improvisiert haben. Also habe ich auch darauf gestanden. Und in den späten 80ern/frühen 90ern habe ich dann eher Sachen wie Pavement oder Smog gehört.

Sie haben mich dahingehend inspiriert, dass ein Album nicht komplett überproduziert und wer weiß wie perfekt sein muss, dass es auch rau und ungeschliffen klingen kann und nicht wie Steely Dan – selbst, wenn ich Steely Dan verehre. Ich stand schon immer auf Sounds und habe immer gerne Musik gehört, die viele Menschen als verrückt erachten. Nämlich Alben von Andy Summers oder Robert Fripp – und Bands wie Japan, die ja wirklich nicht konventionell oder normal waren.

Gitarren kommen mit so vielen Erfahrungen, Erwartungen und geistigen Bildern. Deshalb habe ich immer versucht, etwas anderes mit ihnen anzustellen, das ohne Referenzen auskommt. Und die Musiker, die ich mag, haben das ebenfalls verfolgt. Deshalb greife ich gerne auf ein schnelles Delay und ein Fuzz-Pedal zurück. Außerdem auf Sustainiac-Pickups. Und ich habe diesmal viel mit der silbernen Manson aufgenommen, die hier an meiner Wand hängt. Ich mag es, wenn Gitarren quasi ihren eigenen Song singen – und ich ihnen nur dabei helfe, das zu tun, was sie gerade wollen, statt da viel von mir und meinen Vorstellungen einzubringen.

Dabei gab es mal eine Zeit, in der du dich geweigert hast, überhaupt irgendeine Form von Solo anzustimmen. Stimmt das?

Ja, und das Lustige oder Seltsame daran ist, dass ich durchaus mit Gitarren-Soli aufgewachsen bin. Die Beatles-Stücke hatten ja alle Soloeinlagen. Das gehörte damals einfach dazu: Sie hatten alle Instrumental-Passagen – und da waren Gitarren-Ausflüge naheliegend. Nur in der Indie-Musik, von der ich in meinen 20ern beeinflusst war, war das nicht sonderlich angesagt. Eigentlich war es sogar regelrecht verpönt. Im Sinne von: Indie-Bands waren da noch extremer und radikaler als die Punk-Bands der 70er, die ja alle noch einen Pubrock-Background hatten. Da war es ein absolutes No-Go, auch nur in die Nähe von Blues-Skalen zu kommen. Das ging gar nicht.

Da du gerade die Manson erwähnt hast, die du bei The Waeve einsetzt: Hat sie deine angestammte Telecaster ersetzt? Ist das deine neue Hauptgitarre?

Nein, ich bin immer noch ein Telecaster-Fan, aber gleichzeitig bin ich über die Jahre etwas offener für andere Sachen geworden. Ich habe z.B. noch eine Gray-Gitarre und eine Patrick Eggle, die sich ein bisschen an der Les Paul Special orientiert. Dagegen ist die Manson sehr modern. Und obwohl ich gerne alte Telecaster spiele, möchte ich doch manchmal ein bisschen mehr. Nämlich eine Gitarre, die mich überrascht.

Und die Mansons haben diesen Sustainiac-Schalter, der dafür sorgt, dass die Noten einen schier endlosen Nachklang haben. Außerdem haben sie einen richtig gutes Vibrato, das ich sehr gerne benutze. Für mich sind diese Gitarren wie ein Werkzeug, mit denen sich viel anstellen lässt. Die anderen Modelle sind eher schön und erfüllen ihren Job. Insofern: Es ist toll, eine alte Telecaster zu spielen, aber es darf gerne auch mal etwas anderes sein. Deshalb habe ich viel zu viele Gitarren − im Grunde brauche ich vielleicht acht Stück.

Viele Gitarristen, die ein bisschen Geld verdient haben, investieren in Vintage-Gitarren, während dich eher neue Instrumente zu interessieren scheinen. Wie kommt’s?

Ganz ehrlich? Ich glaube nicht, dass ich mir je eine richtig teure, alte Gitarre kaufen werde. Ich meine, ich habe ein paar ältere Schätzchen, und die benutze ich kaum. Die stehen völlig gelangweilt in einem Lagerhaus, weil ich hier in meinem kleinen Heimstudio gar keinen Platz für sie habe. Alles, was in diesem Raum steht, verwende ich regelmäßig. Es ist mein Handwerkszeug.

Das heißt, dass du keine sonderlich romantische Beziehung zu ihnen hast?

In erster Linie sind sie etwas, mit dem ich kämpfe. Sprich: Ich bin mir immer noch nicht sicher, ob ich die Gitarren wirklich beherrsche – oder ob ich das jemals tun werde. Für mich ist es immer noch eine große Anstrengung, alles so hinzubekommen, wie ich mir das vorstelle. Und in gewisser Weise ist das natürlich auch gut so – es lässt mich weiterhin viel Arbeit, Energie und Zeit aufbringen, die nur ja gut für mein Spiel sein kann. Denn für mich klingt es immer noch nach einem Kampf mit dem Instrument, und das wird wohl auch so bleiben, weil meine technischen Fähigkeiten – da bin ich ganz offen – eher beschränkt sind. Von daher ist es ein Kraftakt.

Und als ich mich entschieden habe, öfter mal zur akustischen Gitarre zu greifen und mich da an Fingerpicking zu versuchen, war das sogar noch schlimmer. Zumindest habe ich nette Gitarren für diesen Kampf. Es ist nicht so, als würden die Saiten ein paar Zentimeter vom Griffbrett abstehen, sie spielen sich wunderbar. Genau wie der sechssaitige Bass von Sly Stone, der da drüben an der Wand hängt. (zeigt hinter sich)

Gibt es als Gitarrist noch etwas, das du gerne ausprobieren oder lernen würdest? Etwas, wozu du bislang keine Gelegenheit hattest?

Nicht wirklich. Wobei ich manchmal schon davon träume, ein ordentlicher Blues-Gitarrist zu werden. Nicht, dass ich darin wer weiß wie schrecklich wäre, aber ich bin eben nicht Buddy Guy – und im Grunde ist ja niemand Buddy Guy. Ich bin eher ein Gitarrist, der erst einmal herausfinden muss, was in einem Song passiert und dann entsprechend darauf reagiert. Ich sehe mich in erster Linie in einer Nebenrolle, denn ich weiß sehr wohl, dass ich nie Joe Bonamassa sein werde oder mich auf eine Bühne stelle und anfange, vor Tausenden von Leuten irgendwelche irren Soli abzuziehen. Das ist nicht meine Welt.

(erschienen in Gitarre & Bass 07/2023)

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