Das Missverständnis

Gibson Les Paul Goldtop 1952

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Ein Hauch von ehrfurchtsvoller Stille ist schon zu spüren, wenn sich der alte, braune Koffer öffnet und nun über eine goldene Gibson Les Paul geschrieben werden soll. Denn diese Gitarre ist ein Original, sie ist schon über 60 Jahre alt und eine der ersten Gibson-Solidbody-Gitarren überhaupt: Die Gibson Les Paul Goldtop 1952.

Les Paul Goldie
Les Paul Goldie (Bild: Archiv)

Denn diese Goldtop hat im Vergleich zu den Serien-Modellen von 1952 weder Seriennummer noch Halseinfassung. Außerdem ist ihr Steg-Pickup zusätzlich mit zwei Schrauben überkreuz befestigt, ein untrügliches Anzeichen für den Beginn der Zeit, in der Gibson das Bestmögliche tun wollte, um dem Konkurrenten aus dem fernen Kalifornien und dessen simpler, telegener Brett-Gitarre Paroli zu bieten. Doch es ist auch einmal an der Zeit, nun aufzuräumen! Denn gerade um diese Gitarre und ihre Entstehung ranken sich einige Gerüchte, die zum großen Teil recht widersprüchlich sind und nach Aufklärung rufen. Bei Recherchen in verschiedenen Literatur- und Internet-Quellen fällt immer wieder auf, dass nicht klar nachzuvollziehen ist, wie die erste Solidbody-Gitarre von Gibson überhaupt entstanden ist – und wie es zu dem folgenschweren Missverständnis kam, dass die Gitarre nahezu unspielbar machte, und Gibson sie trotzdem auf den Markt brachte.

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Lester

Der begnadete Gitarrist und Techniker Lester Polfus alias Les Paul stellte Ende der 1940er Jahre sein Konzept einer Solidbody-Gitarre den Gibson-Oberen vor und wurde zurückgewiesen. Man glaubte nicht an dieses Instrument, das eher an einen „Besenstiel mit Saiten“ als an eine altehrwürdige Gibson-Gitarre erinnerte. Nur wenig später, wachgerüttelt durch Gerüchte über eine einfache, aber erfolgreiche Solidbody-Gitarre, die ein Elektriker namens Leo Fender hergestellt und bei Musikern erfolgreich gelandet hatte, trieb Gibson dann plötzlich zur Eile an. Hier hatte inzwischen Ted McCarty das Sagen, und ihm war klar, dass der Erfolg von Solidbody-Gitarren nicht mehr aufzuhalten war. Und Gibson musste mit auf diesen Zug aufspringen, wollte der Hersteller weiterhin kommerziell erfolgreich arbeiten.

Was jedoch ab dem Zeitpunkt dieser Erkenntnis passierte – man schrieb das Jahr 1950 –, ist nicht mehr eindeutig nachzuvollziehen. Bzw. gibt es zwei grundsätzlich verschiedene Versionen; die eine wird von Ted McCarty, die andere von Les Paul erzählt. Während Les Paul bei jeder Gelegenheit bis heute behauptet, er hätte die Gitarre, die seinen Namen trägt, komplett bis auf die Ausnahme der gewölbten Decke erfunden, erzählt der durchaus als seriös einzustufende Ted McCarty eine andere Ge schichte. Demnach begann Gibson mit dem Projekt Solidbody-Gitarre Ende 1950. Daran beteiligt waren neben Ted McCarty Produktionsleiter John Huis und zwei weitere Mitarbeiter der Firma.

Les Paul Corpus

Dieses Team hat die Gitarre entwickelt, die wir heute als Les Paul kennen, inklusive der gewölbten Decke, die Mr. Berlin, Geschäftsführer von CMI (= Konzern, dem Gibson gehörte) aus dem Grund vorschlug, weil Gibson eine spezielle Schleifmaschine besaß, die andere Hersteller zu dieser Zeit nicht hatten. So könne man sich nicht nur optisch von den Mitbewerbern abgrenzen, sondern gleichzeitig denen das Kopieren schwer bis unmöglich machen. Außerdem wollte Mr. Berlin das Design der neuen Solidbody-Gitarre nicht zu weit von dem gewohnten Gibson-Erscheinungsbild entwickelt wissen, dass damals natürlich noch von Archtop-Gitarren geprägt war. Wer nun sieht, mit welchen Gitarren Mr. Les Paul spielte, wird schnell feststellen, dass er auch nach 1952 fast immer nur Spezialanfertigungen „seines“ Modells spielte, deren Decken nicht gewölbt sondern flach waren.

Er wird zudem mit der Feststellung zitiert, dass Gibson ihn mit Gitarren zwar „zugeworfen“ hätte, die er aber alle nach seinen eigenen Vorstellungen modifizierte. Er gab also seinen Namen für eine Gitarre, mit der er eigentlich gar nicht spielen wollte. Sicherlich hatte er dafür seine guten Gründe … und weiter geht die Story. Ted McCarty hatte also die fertige Gitarre als Prototyp in der Hand und dachte darü- ber nach, wie man sie am besten auf dem Markt etablieren könnte. Ein bekannter Name könnte den Einstieg beträchtlich erleichtern, so wie Gibson dies in den 1930er Jahren bereits erfolgreich vorexerziert hatte – mit den Signature-Akustik-Gitarren für Nick Lucas, Ray Whitley, Roy Smeck und einigen anderen.

Les Paul war in den 1950er Jahren zusammen mit seiner Frau Mary Ford das Traum-Duo der amerikanischen Hitparaden. Sie landeten einen Hit nach dem anderen und machten nach Angaben von McCarty „eine Million Dollar pro Jahr“. Außerdem kannte man sich, denn Les Paul war ja der Mann, der Gibson vor einigen Jahren seine merkwürdige Gitarre gezeigt hatte und dafür ausgelacht worden war. Es war also nicht nur Zeit, sich zu revanchieren, sondern diesen Mann und seinen jetzt berühmten Namen mit ins Solidbody-Boot zu holen. Nach McCartys Version kommt also erst jetzt, nachdem die komplette Gitarre schon fertig konstruiert und ein Prototyp gebaut worden waren, Les Paul mit ins Spiel.

Sinlge Coil

Herbst in Pennsylvania

Les Paul befand sich zusammen mit Mary Ford im Herbst 1951 in einem gemütlichen Jagdhaus in Stroudsburg/Pennsylvania, wo sie in der ruhigen, zurückgezogenen Atmosphäre neue Songs aufnahmen. Ted McCarty und Pauls Manager Phil Braunstein fuhren dorthin und zeigten Les Paul die neue Solidbody-Gitarre. Ihr Ziel war es, ihn zu einer Zusammenarbeit zu überreden in der Form, dass er die neue Gitarre öffentlich spielen, und dass sie seinen Namen tragen sollte. Natürlich nicht umsonst – Les Paul sollte am Verkauf der Gitarren beteiligt werden, in einer Höhe, die es noch auszuhandeln galt. Nun – das Feuer knisterte im Kamin, der Wein schmeckte gut, und als sogar Mary Ford die neue Gitarre gefiel, hatte auch Paul nichts dagegen, in den Deal einzusteigen. Als Endorser-Provision wurden 5% vom Verkaufspreis jeder Gitarre ausgehandelt und der Vertrag auf fünf Jahre befristet.

Dieser Prototyp der Les Paul, der die winterliche Reise von Kalamazoo nach Stroudsburg machte, entsprach mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit dem späteren Serienmodell – bis auf ein Bauteil: Als Saitenhalter wurde der damals übliche Archtop-Halter plus eine separate Brücke verwendet. Les Paul schlug vor, seine eigene, patentierte Konstruktion – einen kombinierten Trapez-Saitenhalter mit integrierter Brücke zu verwenden, und McCarty hatte nichts dagegen. So nahm das Dilemma seinen Lauf. Les Paul regte sich über die ersten Gitarren aus der Produktion, die er zugeschickt bekam, mächtig auf: „Sie haben an der Gitarre alles falsch gemacht, was man falsch machen konnte!“ Was war passiert?

Les Paul Goldie

Dieser große Saitenhalter hätte auf eine nicht gewölbte Decke wunderbar gepasst, doch als die ersten Les-Paul-Gitarren die Produktion verließen, mussten die Gibson-Mitarbeiter feststellen, dass die Gitarre schlichtweg nicht spielbar war! Zumindest nicht, wenn die Saiten wie ursprünglich geplant und bei Archtops auch üblich, über den Steg verlaufen – in einem viel zu hohen Abstand über Decke und den Tonabnehmern. Die gewölbte Decke, die den Auflagepunkt der Saiten deutlich erhöhte, und der Les-Paul-Saitenhalter passten einfach nicht zusammen – ein deutliches Indiz dafür, dass beide nicht einem Hirn entstammt sein konnten. Ob Les Paul das nicht gewusst hatte, als er im flackernden Licht des Kaminfeuers den Prototyp der Gitarre sah und ihr seinen Saitenhalter empfahl? Oder ob die Gibson-Konstrukteure unter dem Zeitdruck einfach einen Fehler nach dem anderen machten?

Wir wissen es nicht, wahrscheinlich traf beides zu. Da zudem der Winkel, in dem der Hals in den Korpus geleimt worden war, recht flach gewählt war, blieb den Gibson-Mitarbeitern keine andere Möglichkeit, um eine einigermaßen spielbare Gitarre zu erzielen, als die Saiten unter (!) dem Steg durchzuführen. Doch dies hatte wiederum zur Folge, dass der Gitarrist weder mit der rechten Hand die Saiten dämpfen noch bequem spielen konnte – der Steg war der Spielhand immer im Weg. Nun – Gibson war dennoch der Meinung, dass man die Gitarre auf den Markt bringen könnte, und bot sie für $210 an. Ein günstiger Preis, wenn man bedenkt, dass die Fender Telecaster immerhin $189 kostete und weitaus einfacher herzustellen war.

Man wollte dem Kalifornier etwas entgegensetzen, und wollte nicht länger damit warten. Wahrscheinlich wird man niemals ganz exakt die Geburtswehen der ersten Les Paul nachskizzieren können, doch wirft man alle Argumente der Beteiligten in einen Topf, erscheint es wahrscheinlich, dass Gibson tatsächlich das komplette Instrument entwickelt hat, und Les Paul den Fehler begangen hat, seinen Saitenhalter zu empfehlen, ohne an die gesamte Konstruktion der Gitarre zu denken. Zumindest hatte er bei der Wahl der Farbgebung Entscheidendes beigesteuert: „Gold – das bedeutet Reichtum, das Beste. Also soll die Gitarre goldfarben lackiert werden.“

Stegpickup alt

Auch wenn Les Paul die Geschichte komplett anders erzählt, ist sein Verdienst um den kommerziellen Erfolg dieses Modells unbestritten. Ohne Les Paul hätte die Les Paul ihren Siegeszug niemals so furios starten können, wie sie es in den 1950er Jahren tat! McCarty reagierte relativ schnell auf die so unbequem zu bespielenden Goldstücke; bereits ein Jahr später gab es die neue Version mit einem Einteiler-Steg, der alle Dämpfungs- und Spieltechniken erlaubte, die die Gitarristen bei den ersten Modellen vermissten. Eine weitere Mär ist jedoch die in vielen Büchern und anderen Quellen verbreitete Aussage, dass gleichzeitig der flache Halswinkel erhöht wurde. Bei einem Direktvergleich mit dieser Les Paul und einer von 1953 mit Einteiler-Steg haben wir in der G&B-Redaktion exakt den gleichen Winkel festgestellt.

So ist mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit zu sagen, dass erst ab 1954, bei der Konstruktion der damals neuen Les Paul Custom, in Verbindung mit der neuen Stop-Tailpiece/Tune-o-matic-Brücke der steilere Halswinkel eingeführt wurde, der bis heute mit wenigen Abweichungen beibehalten wurde.

Goldrausch

Dennoch – trotz dieses peinlichen Produktionsfehlers ist die 1952er Les Paul, die uns hier vorliegt, eine faszinierende Gitarre. Das Mahagoni ist leicht, der Hals natürlich wunderbar eingespielt und glatt – im Gegensatz zu vielen neuen Hälsen, die zwar seidenmatt lackiert, aber auch ein wenig stumpf sind. Natürlich ist dieser Saitenhalter überall im Weg, nur wenn man in etwa über dem Hals-Pickup spielt, also weit weg vom Steg, erhält man ein relativ normales Spielgefühl. Der Klang der Goldenen ist wunderbar: Weich, füllig und warm, mit „holzigen“ Spitzen, die hervorragend von den beiden Singlecoil-Pickups wiedergegeben werden.

Wenn auch viele an diesen ersten Les Pauls zu Recht konstatieren, dass der Halswinkel zu flach sei, um das typisch lange Les-Paul-Sustain und den bekannten, druckvollen Klang zu unterstützen, gibt es nicht wenige, die genau diese etwas offenere, transparente und höhenreichere Klangcharakteristik der ersten Les-Paul-Jahrgänge lieben. Wie auch immer – diese 1952er Les Paul versprüht deutlich die Magie, die nur alte, viel gespielte Gitarren besitzen.

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