So also geht Rente: Kaum haben sich die kanadischen Progrock-Superstars Rush aus dem offiziellen Geschäft zurückgezogen, schon veröffentlicht ihr Bassist Geddy Lee ein Buch. Und was für eines! Der mehr als 400 Seiten dicke Schmöker ‚Geddy Lee`s Big Beautiful Book Of Bass‘ präsentiert 250 Exemplare aus seiner einzigartigen Bass-Sammlung – von raren Vintage-Exemplaren aus den 1950ern bis zu vergleichsweise neueren Instrumenten aus den 80er-Jahren.
Abgerundet wird die „Bass-Bibel“ durch Interviews unter anderem mit John Paul Jones (Led Zeppelin), Adam Clayton (U2), Robert Trujillo (Metallica), Jeff Tweedy (Wilco), Bill Wyman (The Rolling Stones), Les Claypool (Primus) oder Bob Daisley (Rainbow). Zudem lässt Lee wichtige Techniker und Hersteller zu Wort kommen und präsentiert einen detaillierten Überblick seiner Bässe während der Rush-Abschiedstournee sowie seines Equipments von 1968 bis 2017. Mitte Juni hatte der 65-jährige Kanadier zu einer Signing-Session in einer Hamburger Buchhandlung geladen. Wir haben die Gelegenheit natürlich genutzt, um uns mit ihm ausführlich über das Buch und über sein Verhältnis zu Bässen zu unterhalten.
Anzeige
Interview
Geddy, wann und wie ist bei dir die Idee entstanden, ein Buch über deine riesige Bass-Sammlung herauszubringen?
Für mich war das eine echte Herzensangelegenheit. Seitdem ich Instrumente sammle, habe ich von Jahr zu Jahr immer mehr über Bässe dazugelernt. Das hat mich ungeheuer fasziniert, die Erfindung des Basses, seine Weiterentwicklung, alles. Je länger ich Musik mache, umso größer wird die Faszination, die der Bass auf mich ausübt.
Insbesondere diejenigen Instrumente, die für mich gebaut wurden oder die ich in meiner Karriere permanent gespielt habe. Dies sind vor allem Rickenbacker und Fender, seit einigen Jahren aber auch Bässe von Gibson und Höfner. So entstand irgendwann die Idee: Was auf mich eine so enorme Faszination ausübt, könnte vermutlich auch für viele andere Musiker von großem Interesse sein. Zumal ich kein einziges Buch entdecken konnte, das sich wirklich umfassend mit diesem grandiosen Instrument auseinandersetzt, jedenfalls nicht in der Form, die mir vorschwebte.
Sämtliche Bässe, die man in deinem Buch findet, gehören dir.
(lacht) Richtig, es sind ausnahmslos meine eigenen.
Wie lange hat es gedauert, von der ersten Idee bis zur endgültigen Version des Buches?
Etwa zweieinhalb Jahre. Zunächst einmal mussten wir entscheiden, welche Art von Buch es werden soll. Für mich stand von Beginn an fest, dass es mit spektakulären Fotos ausgestattet sein soll, und dafür mussten wir erst einmal einen geeigneten Fotografen finden. Es existiert bislang kein einziges Buch, in dem man auch optisch erkennen kann, welch cooles Instrument der Bass ist. Außerdem wollte ich unbedingt die vielen unterschiedlichen Geschichten meiner Instrumente erzählen.
Und zwar nicht nur aus Sicht ihrer Hersteller, sondern auch aus der ihrer früheren Besitzer, unter denen sich eine Menge echter Musikliebhaber befinden. Nicht alle von ihnen haben ihren Lebensunterhalt mit Musik verdient. Man sieht, dass viele meiner Bässe ein gewisses Mojo, eine Magie ausstrahlen und ihre Besitzer viele Jahre lang richtig glücklich gemacht haben. Diese Geschichten wollte ich erzählen und damit die Bässe zum Leben erwecken.
Wie hast du all diese Geschichten herausgefunden? War die Recherche mühsam?
Es war zumindest sehr viel Arbeit. Es existieren einige Bücher großer Bass-Hersteller, in denen man etwas über die einzelnen Instrumente findet, die sie gebaut haben. Außerdem habe ich mich mit vielen Sammlern unterhalten, denn sie sind diejenigen, die das größte Wissen über ihre Bässe haben. Auch Händler wissen eine Menge über die Instrumente, die sie verkaufen, aber das ist nichts im Vergleich zu den leidenschaftlichen und fanatischen Sammlern, die eigene Recherchen anstellen und permanent mit anderen Sammlern im Austausch sind. Darüber hinaus habe ich ein paar sehr gute Freunde, die für eine bestimmte Kategorie von Vintage-Gitarren wahre Experten sind. Das Problem war: Mein Buch beschäftigt sich schwerpunktmäßig mit der Phase von 1950 bis 1975, und viele Menschen, die damals in den entsprechenden Firmen gearbeitet haben, sind nicht mehr aufzufinden. Deshalb muss man natürlich sehr sorgfältig recherchieren, um wirklich korrekte Informationen zu bekommen.
Hast du im Zuge der Beschäftigung mit deinem Buch fundamental Neues lernen können?
Und ob! Zunächst einmal ist mein Buch eine Liebeserklärung an das große handwerkliche Können der Hersteller. Außerdem ist es eine Art Fenster in die Vergangenheit. Sammler sind auf eine bestimmte Weise immer auch Archäologen, die eine Menge über die Geschichte lernen und kleine Puzzleteile zusammensetzen, um das große Bild einer bestimmten Ära zu erhalten. Deshalb war es mir so wichtig, mich auch mit Musikern zu unterhalten, die schon in den Sechzigern aktiv waren, die mir etwas über diese Zeit, über Musikgeschäfte in jenen Jahren und über ihre allerersten Instrumente erzählen können.
Was hast du gelernt, worauf es bei einem guten Bass ankommt? Ist es das Holz, der jeweilige Pickup, der Hals?
In nahezu jeder Firma gab es eine ganz bestimmte Ära, in der ihre Produkte die höchste Qualitätsstufe erlangten. Zum Beispiel wurde meiner Meinung nach der Fender Jazz Bass nie vorher und nie danach so perfekt gebaut wie in den Jahren 1962 und 1963. Modelle dieser beiden Jahrgänge lassen sich traumhaft spielen und haben einen wunderbaren Ton. Natürlich will ich damit nicht behaupten, dass die anderen Jahrgänge nichts taugen.
Aber offenbar hat jedes Bassmodell einen speziellen Moment, in dem alles zusammenkommt, also das perfekte Holz, die Art, in der die Pickups gewickelt wurden, der Hals, die handwerkliche Leistung, die Sorgfalt bei der Herstellung. Wenn all dies zusammenkommt, dann erreicht ein Bass den Höhepunkt seiner Produktion. Man entdeckt eine solche Qualität vor allem dann, wenn man die Instrumente direkt miteinander vergleichen kann und einem die eigenen Finger signifikante Unterschiede aufzeigen. Das ist übrigens genau das, was ich zu Hause permanent mache, wenn ich einen neuen Bass bekomme: Ich nehme einen A/B-Vergleich vor, spiele jedes Instrument im Vergleich mit anderen Herstellungsjahren, um herauszufinden, wie es sich entwickelt und verändert hat, wie die Elektrik weiterentwickelt wurde, und so weiter. Ich habe herausgefunden, wie außergewöhnlich die 1963er-Fender-Precisions klingen, denn ich habe vor Kurzem einen sehr seltenen 1964er-Precision bekommen und konnte ihn nicht nur mit anderen 1964er-Exemplaren vergleichen, sondern auch mit Precisions von 1962 und 1963. Wenn man das macht, lernt man, dass ein Precision von 1963 all diese einzigartigen Zutaten besitzt.
(Bild: Matthias Mineur)
Hast du auch ein Lieblingsjahr für deine Rickenbacker Bässe?
Ich liebe vor allem die Exemplare, die vor 1973 gebaut wurden. Das ultimative Lieblingsjahr ist 1968, aber die Rickenbacker-Bässe von 1972 sind ebenfalls exzellent. Mein allererster Rickenbacker, den ich sehr viele Jahre gespielt habe, stammt von 1973. Aber im Laufe der Recherche habe ich festgestellt, dass ich vor allem die Rickenbacker aus den späten Sechzigern liebe.
Gitarristen behaupten, dass man nach zehn Sekunden weiß, ob eine Gitarre etwas taugt oder nicht. Ist das bei Bassisten genauso?
Ich denke, dass auch Bassisten sehr schnell wissen, ob ihnen ein Instrument gefällt oder nicht. Es gibt in meiner Sammlung ein paar Bässe, bei denen ich sofort wusste, dass sie für mich nicht geeignet sind und ich sie nicht in einer Live-Show spielen möchte, weil entweder der Hals zu dünn ist und sich seltsam anfühlt, oder weil der Bass einfach nicht das Mojo besitzt, das ich mag. Was aber nicht bedeutet, dass diese Bässe nichts taugen. Ich besitze ein paar italienische Modelle aus den 50ern und 60ern, die für andere Bassisten sicherlich großartig geeignet wären und wirklich sehr hochwertig hergestellt sind.
Ändert sich von Zeit zu Zeit dein Geschmack? Weißt du einen Bass aus deiner Sammlung manchmal erst auf den zweiten Blick zu schätzen? Gibt es Modelle, die du früher ignoriert hast und heute liebst?
Oh ja, absolut, und als bestes Beispiel muss ich den Gibson Thunderbird nennen, vor allem die Baujahre 1964 und 1965. Früher haben mich die Dinger nicht die Bohne interessiert, obwohl ich Freunde wie Pete Way von U.F.O. oder Peter Watts von Mott The Hoople hatte, die sie damals gespielt haben. Ehrlich gesagt, konnte ich das nie verstehen, denn ich fand, dass sie undifferenziert klingen und merkwürdig aussehen. Doch heute liebe ich die Thunderbirds. Als ich die ersten bekam und antestete, merkte ich, dass sie einen völlig anderen Sound als meine Bässe haben. Ich wurde sofort neugierig, wie sie im Kontext mit Rush klingen würden, und stellte fest, dass sie gut zur Band passen, wenn ich sie etwas lauter spiele, weil sie dann einen tollen Gegenpart zu Alex’ Gitarre bilden.
Hat sich dein Geschmack generell geändert oder liegt es daran, dass die Musik von Rush sich geändert hat?
Das ist vor allem eine Frage des Selbstvertrauens. Wenn man als junger Musiker einen eigenen Sound gefunden hat, der zum Erfolg beiträgt, dann möchte man anschließend auf keinen Fall das Instrument wechseln. Irgendwann merkt man jedoch, dass ein unverwechselbarer Sound vor allem durch die Finger erzeugt wird. Natürlich kann man mit dem Equalizer den Sound verändern, letztendlich wird der Klang aber durch die Finger erzeugt.
Wie sind deine Erfahrungen hinsichtlich des Alters von Bässen? Werden Instrumente über die Jahre generell besser, weil das Holz eine größere Leitfähigkeit bekommt?
In der Tat denke ich, dass Bässe im Laufe der Jahre zunehmend besser werden, was ja auch für Vintage-Gitarren gilt. Allerdings bin ich mir nicht ganz sicher, ob das wirklich ausschließlich mit dem Alter zusammenhängt. Ich vermute, dass es eher einen Zusammenhang zur Menge an Elektrizität gibt, die über die Pickups durch das Holz geflossen ist. Ich habe zum Beispiel den Eindruck, dass diejenigen Bässe meiner Sammlung am besten klingen, die ich über viele Jahre gespielt habe, und nicht diejenigen, die seit 60 Jahren im Koffer liegen. Es mögen nur Nuancen sein, aber ein häufig gespielter Bass klingt für mein Empfinden immer besser als ein nicht so häufig gespielter. Natürlich ist auch die Holzart mitentscheidend, die einzelnen Bauteile eines Basses, das alles spielt eine enorm große Rolle. Heutzutage gibt es ganz andere technologische Möglichkeiten, insofern ist die Entwicklung des Basses in großen Schritten weitergegangen, weshalb aktuelle Instrumente den früheren in puncto Flexibilität haushoch überlegen sind. Aber diese besondere Magie findet man meines Erachtens nur bei älteren Modellen.
Hast du während der Arbeiten an deinem Buch einen Bass wiederentdeckt, den du schon fast vergessen hattest?
Ja, meinen 65er-Fender-Precision. Ich hatte ihn viele Jahre gespielt und dann gegen einen Steinberger getauscht. Als ich anfing, meine Sammlung zu erweitern, kaufte ich ihn zurück. Ich habe den Precision übrigens auf der letzten Tour in dem Song ‚Jacob´s Ladder‘ gespielt. Ich war restlos begeistert: Der Bass spielt sich großartig und er klingt einfach überragend. Bei den Vorbereitungen auf die Tour habe ich für ‚Jacob´s Ladder‘ mehrere Modelle getestet, aber unser Soundmann sagte jedes Mal: „No, no, the 65 sounds best!“ Für mich war das eine sensationelle Wiederentdeckung.
Letzte Frage: Offiziell haben Rush die Rente eingereicht. Aber gibt es noch irgendwelche Planungen im Verborgenen? Oder vielleicht irgendwann ein Soloalbum von dir?
Wir werden mit Rush nicht mehr touren und wir haben auch nicht vor, nochmal ein weiteres Album aufzunehmen. Aber vielleicht nehme ich tatsächlich irgendwann einmal ein Soloalbum auf. Die Welt steht mir musikalisch offen, konkrete Pläne gibt es allerdings noch nicht.
Vielen Dank für das sehr nette Gespräch und alles Gute für deine Zukunft!