Gary Hoey: Eine reine Blues-Scheibe aufzunehmen, ist die größte Herausforderung meiner Karriere
von Matthias Mineur, Artikel aus dem Archiv
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Bei unserem Treffen mit den vier Protagonisten der 2018er ‚Mascot Blues Tour‘ (namentlich Eric Gales, Lance Lopez, Quinn Sullivan und Gary Hoey) nahm der Amerikaner Gary Hoey eine gewisse Sonderrolle ein. Denn a) ist er mit 58 Jahren deutlich älter als seine „Mascot-Kollegen“, und b) steht für Fachleute sein Name eher in Verbindung mit Metal, Fusion und Shredding-Gitarren, als mit traditionellem Blues.
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Umso interessanter, sich Hoeys Sicht der Dinge anzuhören und ihn über seine Rolle in dieser Musikgattung zu befragen. Hier also die Ansichten eines Gitarrenmeisters, der derzeit das Gefühl hat, in eine Art Blues-Jungbrunnen gefallen zu sein.
Interview
Gary, wie fühlst du dich auf einer reinen Blues-Tour? Dein bisheriger Lebensweg war doch eigentlich von etwas anderen Stilrichtungen geprägt.
Ich bin der Älteste auf dieser Tournee. Ich wurde 1960 geboren und spielte ab 1975 die Musik der damaligen Zeit, also Black Sabbath, Jethro Tull, Jimi Hendrix. All diese Bands und Künstler hatten einen durchaus erkennbaren Blues-Anteil in ihren Songs. Als ich dann B.B. King entdeckte, bat ich meinen damaligen Gitarrenlehrer, mir klassischen Blues zu zeigen. Nachdem ich es selbst versuchte hatte, sagte er: „Du spielst keinen Blues, du spielst nur Skalen. Denn Blues ist eine Frage des Gefühls.“ Also bemühte ich mich, dies zu verinnerlichen und den Blues wirklich mit tiefen Emotionen zu spielen. Das ist meine wichtigste Grundlage als Musiker.
Ich war damals kein besonders schneller Gitarrist, doch dann kam die Ära der Flitzefinger mit Leuten wie Eddie Van Halen. Durch ihn begann ich, an meiner Technik zu feilen, schneller zu werden, um technisch so anspruchsvoll spielen zu können wie Steve Vai oder Joe Satriani. Ich liebe unterschiedliche Stile, sei es Metal, Surf-Music oder Weihnachtslieder. Ich fühle mich wie ein musikalisches Chamäleon, das häufig seine Farben wechselt. Dadurch bin ich permanent inspiriert, und zum Glück sind meine Fans mir immer gefolgt. Um auf deine Frage zurückzukommen: Durch diese Blues-Tour schließt sich für mich ein Kreis.
Der wo begann?
Am Küchentisch meiner Mutter. Meine Eltern waren geschieden und ich lebte zusammen mit meiner Schwester bei meiner Mum. Mitunter brachte der Freund meiner Schwester eine Gitarre mit und zeigte mir in der Küche ein paar Akkorde. Er sagte: „Ich kann dir zwar einige Griffe zeigen, aber wenn du es wirklich lernen willst, brauchst du eine eigene Klampfe.“ An den Wochenenden besuchte ich gelegentlich meinen Vater. Eines Tages stand bei ihm eine Gitarre im Wohnzimmer. Ich war total begeistert und bat ihn, mir die Gitarre zu schenken. So kam ich zu meinem ersten Instrument. Anschließend kaufte ich mir eine billige E-Gitarre, die ich später einem Freund schenkte. Er besitzt diese Gitarre noch heute, wer weiß, vielleicht hole ich sie mir eines Tages zurück.
Vergleichst du manchmal Songs aus deinen jungen Jahren mit Stücken, die du heute schreibst und spielst?
Ja, das kommt mitunter vor. Erst kürzlich habe ich mir mein erstes Soloalbum ‚Animal Instinct‘ angehört, auf dem es unter anderem eine Coverversion von ‚Hocus Pocus‘ der Band Focus gibt. Ich habe festgestellt, dass ich damals wie Jeff Beck, wie ZZ Top, wie meine Helden klingen wollte. Und heute, 25 Jahre später, merke ich, dass sich daran nicht viel geändert hat. Mein Vibrato ist dem von damals ganz ähnlich, mein Gefühl ebenso, meine Technik war seinerzeit vielleicht sogar noch etwas ausgefeilter als heute, weil ich jung war, sehr aggressiv spielte und wie ein Besessener daran arbeitete, besser zu werden. Das, was mich heute vom jungen Gary Hoey unterscheidet, ist mein verbessertes Songwriting, meine gewachsene Fähigkeit als Arrangeur und Produzent. Aber die Grundlagen meines heutigen Spiels waren schon damals vorhanden.
In deiner frühen Phase hast du also die größten künstlerischen Fortschritte deiner Karriere gemacht?
Ja. Ich tourte unter anderem mit Joe Satriani und Brian May und saugte alles auf, was ich sah und hörte. Ich wollte mich permanent verbessern. Und selbst wenn Leute mich über den grünen Klee lobten, dachte ich immer nur, dass ich noch nicht gut genug bin. Aber Joe und Brian und all die anderen sagten ständig: „Wir lieben dein Spiel, wir mögen deine Alben, du bist ein toller Musiker.“ Das gab mir natürlich das notwendige Selbstvertrauen, um auf meinem Kurs zu bleiben.
Ich merkte, dass ich meine eigene Nische in der Musikindustrie finden würde, auch wenn ich das Gitarrenspielen nicht neu erfunden habe, so wie beispielsweise Jimi Hendrix, Frank Zappa oder Eddie Van Halen. Ich habe meinen Platz gefunden, ich kann noch immer meine Musik machen und inspiriere damit andere Künstler. Und ich habe nach wie vor großen Spaß, auch wenn ich mal keinen Plattenvertrag oder keinen aktuellen Endorsement-Deal habe. Als ich mir das bewusst gemacht hatte und die Sache entspannter sehen konnte, bekam ich innerhalb von zwei Jahren einen Vertrag bei Warner angeboten.
Hast du das Gefühl, den echten Blues heutzutage authentischer spielen zu können als in deinen jungen Jahren?
Ja, ich denke schon. Zumal ich als Gitarrenlehrer auch selbst darauf achte, dass meine Schüler den emotionalen Ansatz des Blues verstehen und sich entsprechend auf ihrem Instrument ausdrücken. Ich selbst habe das ja auch dadurch gelernt, dass ich mir die Soli von B.B. King ganz genau angehört und sie Note für Note nachgespielt habe. Ich saß da und dachte: Wie zum Teufel macht er das, die gleichen vier Noten immer wieder anders klingen zu lassen? Mal durch ein bestimmtes Vibrato, ein anderes Mal durch ein Bending oder eine besondere Anschlagstechnik. Im Blues kannst du denselben Song Abend für Abend spielen, sieben Nächte hintereinander, und trotzdem klingt er jedes Mal anders.
Ich bin ganz ehrlich zu dir: Ich habe bereits 22 Alben veröffentlicht, aber eine reine Blues-Scheibe aufzunehmen, ist die größte Herausforderung meiner Karriere, denn bei meinen früheren Alben, die mal wie Gary Moore, mal wie Joe Satriani klangen, hatte alles seinen ganz bestimmten Platz, und man musste im Studio nur darauf achten, es fehlerfrei einzuspielen. Im Blues dagegen kommt es auf den Moment an, auf das Gefühl, die Empathie, die man spürt. Es kommt nicht darauf an, dass man die Energie eines Live-Konzerts einfängt, sondern die tiefsten Gefühle, die Empfindsamkeit. Ich finde das sehr schwierig, aber vielleicht liegt dies auch nur an den vielen großartigen Blues-Scheiben, die andere Musiker vor mir aufgenommen haben. Ich habe den Eindruck, noch immer eine Menge über diese Musikrichtung lernen zu müssen.
Viele Bluesgitarristen spielen Instrumente mit Singlecoils, du bist Humbuckern stets treu geblieben. Ist dies ein Zeichen deiner Verankerung in Rock und Metal?
Nun, ich besitze einige Gitarren mit Singlecoils und spiele sie regelmäßig, wie zum Beispiel auch auf dieser Tour. Aber es stimmt: In den ersten 15 Jahren meiner Karriere habe ich ausschließlich Gibson Les Paul mit zwei Humbuckern gespielt. Für härtere Rockmusik ist dies einfach die beste Wahl, wie man ja auch an Leuten wie Frank Marino oder Gary Moore sieht. Der Humbucker-Sound war früher der, den ich in meinem Kopf hörte. Wenn ich mit Singlecoil-Modellen spiele, ist mir der Sound mitunter ein klein wenig zu dünn. Außerdem brummen Singlecoils schneller. Deshalb bevorzuge ich Humbucker, allerdings splitte ich sie dann, sodass ich auch den Klang eines Singlecoils bekomme.
Apropos: Wie nimmst du deine Gitarren im Studio auf?
Ich habe ein eigenes Homestudio in Hampshire nördlich von Boston, es ist in der Garage meines Hauses und basiert technisch auf Pro Tools. Ich liebe es, dort zu arbeiten, denn so kann ich mir meine Zeit frei einteilen. Wenn ich an eigenen Songs arbeite, programmiere ich zunächst einen Loop oder einen Groove und improvisiere dazu. Ich sammle Ideen und archiviere sie. Frühestens nach drei Wochen krame ich sie wieder hervor und prüfe, ob sie etwas taugen. Wenn dann eine Idee konkreter wird, gehe ich in ein größeres Studio und nehme dort das Schlagzeug auf. Alles andere wird dann wieder in meinem eigenen Studio eingespielt.
Bild: Matthias Mineur
Bild: Matthias Mineur
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Mit welchen Gitarrenverstärkern arbeitest du zu Hause?
Mein Haupt-Amp ist ein EVH 5150, das Eddie-Van-Halen-Modell. Es ist nicht die Version, die Peavey produziert hat, sondern ein aktueller Amp. Den 5150 spiele ich im Studio und auf Tour. Ich liebe diesen Amp, denn er wurde von Eddie Van Halen entwickelt, dem Sound-Großmeister. Darüber hinaus besitze ich ein paar Marshalls und Vox AC30, einige Fender, darunter einen 1978er Fender Super Reverb und einen Vox 50th Anniversary 50 Watt Top, der 2004 auf den Markt kam. Wenn dir der irgendwo mal angeboten wird, kauf ihn, es ist der großartigste Vox, den du dir vorstellen kannst. Ich verwende ihn vor allem für cleane Gitarren, weil er so wunderbar crispy klingt. Ich besitze eine große Auswahl unterschiedlicher Verstärker und mitunter mische ich sie beim Aufnehmen.
Letzte Frage: Kannst du schon Details zu deinem nächsten Album verraten?
Natürlich! Wir haben 15 Songs aufgenommen, es wird meine zweite Scheibe bei Mascot Provogue nach der 2016er-Veröffentlichung ‚Dust & Bones‘. Wenn das Album auf dem Markt ist, kommen wir zurück nach Europa und werden einige Clubshows spielen. Dazwischen werde ich das kommende Werk von Lita Ford produzieren. Sie suchte einen Produzenten und ich lud sie zu mir nach Hause ein, wo wir zusammen Songs schrieben, ohne zunächst genau zu wissen, wohin das am Ende führen wird. So ist es häufig, wenn mich Musiker besuchen. Übrigens auch viele junge Talente. Mein Sohn Ian ist 16, er spielt Gitarre und liebt den Blues. Ich versuche ihn gerade zu überreden, auf meinem nächsten Album als Gast zu spielen. Die Jungs auf dieser Tour haben auch versprochen, auf der Scheibe mitzuwirken, also hoffe ich, dass Lance (Lopez), Quinn (Sullivan) und Eric (Gales) ebenfalls als Gäste zu hören sein werden. Es wäre eine tolle Sache, denn diese Burschen wissen, wie man den Blues spielt.
So wie offenbar auch dein Sohn!
Er reißt mir den Kopf ab, wenn er erfährt, dass ich dir Folgendes erzählt habe: Ian spielte jahrelang vor allem Green Day und Guns N‘ Roses. Eines Tages kam er zu mir und sagte: „Hey Dad, hast du schon mal etwas von einem Typen namens Stevie Ray Vaughan gehört?“ Ich schmunzelte darüber: „Ja, mal kurz am Rande.“ Er: „Und Gary Moore? Kennst du den auch?“ So fing es an, und jetzt spielt er Sachen wie ‚Parisienne Walkaway‘. Ich bin mir sicher, dass er mal ein richtig guter Musiker wird.
Danke, Gary, für das nette Gespräch. Wir freuen uns auf dein kommendes Album!