(Bild: Filmawi)
Auf seinem dritten Album ‚Skinty Fia‘ wettert das Quintett aus Dublin gegen irischen Konservatismus und britische Arroganz − alles unterlegt mit energetischem Gitarrenrock, dessen Wurzeln eindeutig in den frühen 90ern liegen. Zu der Zeit waren Gitarrist Carlos O’Connell und seine Mitstreiter allerdings noch gar nicht geboren: Eine von vielen Skurrilitäten im Zusammenhang mit dieser bemerkenswerten Band. GITARRE & BASS hat sie zur Rede gestellt.
Während der Pandemie kam alles zum Stillstand: Unsere Tour fiel aus, unser Lieblingspub wurde geschlossen, uns fiel die sprichwörtliche Decke auf den Kopf. Wir brauchten dringend eine Veränderung“, sinniert Gitarrist Carlos O‘Connell in einem Züricher Club namens Dynamo. Die Folge: Fontaines D.C., die mit Alben wie ‚Dogrel‘ und ‚A Hero‘s Death‘ die Speerspitze neuer irischer Rockmusik bilden und bereits für einen Grammy nominiert wurden, zogen 2021 nach London – für mehr Lebensqualität, aber auch engeren Kontakten zu Plattenfirma und Management.
Tatsächlich sorgte diese Entscheidung eher für Heimweh, Liebeskummer und Desillusionierung. Der gemeine Engländer, so Carlos, sei halt ebenso arrogant wie ignorant. „Diese Leute denken wirklich, Irland wäre Teil des UK. Dabei haben wir unsere Unabhängigkeit mit Blut bezahlt. Diese Dummheit ist eine Beleidung für alle Iren.“
Die Reaktion der Band: Ein wütendes Album mit einem traditionellen gälischen Kraftausdruck als Titel: „ ‚Skinty Fia‘ ist, als ob man fuck sagt. Eine alte Formulierung, wie sie die Großmutter unseres Schlagzeugers verwendet“, erklärt Carlos. „Wir finden die irische Sprache einfach wunderbar.“ Ein origineller Ansatz, den Fontaines D.C. auch in der Musik verfolgen: Die zehn Stücke erweisen sich als energetischer, frischer Hybrid aus Noise-Rock, Electronica und Indie-Pop, bei dem die Pixies ebenso Pate stehen wie Nirvana, Joy Division oder Death In Vegas. Des Gitarristen bescheidene Selbsteinschätzung: „Unsere Musik ist ein Geschenk für die Menschheit.“ Das meint der 27- Jährige genau, wie er es sagt – und wie alles, was jetzt folgt:
Carlos, wie bist du euer drittes Album angegangen? Worum ging es dir in Bezug auf Arrangements, Sounds und Zusammenspiel?
Ich würde sagen, ich hatte ein bisschen die Nase voll davon, immer nur Akkorde zu spielen – also habe ich versucht, das diesmal zu vermeiden. Was auch für Curley, unseren zweiten Gitarristen, gilt. OK, bei einigen der neuen Songs greifen wir weiterhin darauf zurück, aber insgesamt ging es uns doch mehr um atmosphärisch-intensive Sounds. Was wiederum dafür gesorgt hat, dass plötzlich mehr Platz in der Musik war als bei strikten Akkordfolgen. Eine interessante Erfahrung, die wir sehr genossen haben.
Außerdem haben Curley und ich diesmal enger zusammengearbeitet, um etwas zu kreieren, bei dem wir beide mehr Freiheiten haben und uns besser in Szene setzen können. Bei dem wir die Möglichkeiten, die sich mit zwei Gitarren ergeben, voll ausschöpfen. Und ich muss zugeben, dass das eine sehr befriedigende, fast schon suchterzeugende Sache ist – also so mit einem anderen Gitarristen zu harmonieren. Ich würde sagen, wir haben dabei wirklich viel voneinander gelernt, gerade ich von ihm. Ich fand es extrem spannend, da mit ihm zu sitzen und zu beobachten, wie er die Dinge angeht.
Was spielst du diesmal und inwieweit unterscheidet sich das von den beiden Vorgängern?
Der Amp ist derselbe, wie immer – ein Fender Deluxe Reverb von 1975. Und was Gitarren betrifft, verwende ich weiterhin meine 66er Mustang und meine Jazzmaster – ab und zu auch die Jaguar, die ich vor allem live einsetze. Das ist ein Novum, weil sie in der Vergangenheit ausschließlich für das Studio reserviert war, ich aber mittlerweile so vertraut und auch zufrieden mit ihr bin, dass ich dachte: „Warum nicht? Schließlich musst du das, was du da machst, ja anschließend live rüberbringen – also kannst du auch gleich die Gitarre nutzen, mit der du das ursprünglich angegangen bist.“
Aber die größte Veränderung zu den ersten beiden Alben ist wohl, dass ich während des Lockdowns eine Vorliebe für elektronische Dance-Musik entwickelt habe, und insofern immer mehr versuche, Rock‘n‘Roll mit 90s Electronica zu kombinieren − und zwar mit sehr übersichtlichem Equipment. Das war ein wunderbares Mittel gegen den Corona-Blues. Während des ersten Lockdowns hatten Deegan, unser Bassist, und ich uns in einem Haus in North Mayo, im Westen von Irland, zurückgezogen, lange Spaziergänge am Strand unternommen und an spannenden Sounds gebastelt. Auf diese Weise konnten wir die Isolation sogar richtig genießen.
Ich hatte nur meine Gitarren dabei, aber keine Synthesizer. Also habe ich nach einem Weg gesucht, wie ich damit einen richtigen Puls kreieren kann – eben dieses „voom, voom, voom, voom“, mit dem man in den Clubs konfrontiert wird, sofern sie denn geöffnet haben. Ich habe versucht, das mit den bescheidenen Mitteln, die mir zur Verfügung standen, hinzukriegen. Das gibt Songs wie ‚Skinty Fia‘ dieses super tanzbare Gefühl – und das Stück ist auch in einer Live-Version auf dem Album vertreten. Einfach, weil es so am spontansten und lebendigsten rüberkommt. Dieser neue Ansatz ist wohl der größte Unterschied zu den Vorgängern.
Was ist mit diesem Bohrer-Sound in ‚Big Shot‘? Wie hast du den hinbekommen bzw. was steckt dahinter?
Auch das war eine Lockdown-Spielerei: Ich habe da Scratching-Sounds auf meinen Gitarren erzeugt und sie am Computer übereinandergelegt. Der Grundgedanke war: Ich brauche einfach etwas Großes und Wuchtiges, das alles andere zur Seite schiebt – wie diese Angst und Unsicherheit, die jeder von uns in der Pandemie gespürt haben dürfte. Ich wollte einen Sound, der einfach alles wegpustet und dem Hörer direkt ins Gesicht springt.
Gleichzeitig weisen die neuen Songs starke Anleihen bei Sonic Youth, den Pixies und Nirvana auf – also Garagen- und Noise-Rock. Wie kommt‘s?
Das ist die andere Sache, auf die ich diesmal fixiert war. Sprich: Da ist wirklich jede Menge Nirvana am Start. Einfach, weil ich letztes Jahr gar nicht genug davon kriegen konnte – ich habe das ständig und überall gehört. Und ich brauchte das auch. Schließlich habe ich mich wieder wie ein Teenager gefühlt – voller Angst, und mit dem Bedürfnis, all meine Emotionen herauszuschreien. Ich habe zum Beispiel oft in der Dusche gesessen, mir das Wasser über den Kopf laufen lassen und dabei ‚Nevermind‘ gehört. (lacht) Eine großartige Sache, die ich sehr empfehlen kann. Gerade Kurt Cobains Gitarren-Arbeit war wahnsinnig cool − ganz anders als das, was heute Usus ist. Vielleicht ist das auch der Grund, warum ich sie inzwischen sogar noch mehr schätze als früher. Weil ich erkenne, wie besonders sie waren.
Wer sind denn deine musikalischen Vorbilder? Wer hat dich als Gitarrist am meisten beeinflusst und geprägt?
Das sind viele unterschiedliche Leute – weil wir auch die unterschiedlichste Musik hören. Deshalb lassen wir uns unmöglich auf einen Sound oder ein Genre reduzieren. Und wir hassen es auch, in diese Post-Punk-Schublade gesteckt zu werden. Zum einen, weil sie zu eng für uns ist, zum anderen, weil sie im Grunde nichts mit uns zu tun hat. Also ich finde: Das sind nicht wir. Wir versuchen nicht, einen speziellen Sound zu kreieren, wir machen und mögen einfach Musik. Wir wollen damit experimentieren – so, wie es all die großen Bands getan haben: Velvet Underground, Rolling Stones, Beatles, Beach Boys, wer auch immer. Die haben so viele verschiedene Sachen gemacht und genau darum geht es uns auch. Wir wollen keine Band für eine spezielle Sache sein.
Also keine Gitarren-Helden?
Doch, schon … Aber nicht in dem Sinne, dass ich genau dasselbe mache möchte, wie sie. Also, dass ich sie auf Teufel komm raus zu kopieren versuche. Und ich habe da auch nicht diesen einen Gitarristen, von dem ich sagen würde: „Das ist mein Typ – ich wollte immer so sein, wie er.“ Aber: Ich habe natürlich zig Gitarristen, die ich mag bzw. sehr schätze.
Zum Beispiel?
Billy Corgan von den Smashing Pumpkins. Das ist eine Band, die ich als Teenager entdeckt habe. Zu einer Zeit, in der ich wirklich sehr auf Grunge gestanden habe – einfach wegen dieses krachigen Elements und dieser direkten Wut. Aber bei ihnen habe ich auch noch diese unglaubliche Sensibilität festgestellt, und diese wahnsinnig aufregende Mischung aus weich und super-boshaft. Ich würde sagen, dass es keine andere Band gibt, die das so gut drauf hat, wie sie. ‚Today‘ ist einer der schönsten Songs, die ich je gehört habe. Ich entdecke meine Liebe dafür eigentlich regelmäßig neu. Und auch die Gitarren und wie sie miteinander agieren, empfinde ich nach wie vor als unglaublich aufregend.
Genau wie das Songwriting und Gitarrenspiel von Damon Albarn. Ich würde sogar soweit gehen, zu behaupten, dass er einer der größten lebenden Songwriter auf Erden ist. Eines meiner absoluten Lieblingsstücke von ihm ist ‚Out Of Time‘, das er für Blur geschrieben hat. Und zwar wegen dieses fernöstlich anmutenden Gitarrensolos. Dabei ist das – und das weiß man bei ihm nie – vielleicht nicht einmal eine richtige Gitarre. Also: Keine Ahnung, was er da verwendet, es klingt ein bisschen wie eine Sitar.
Wenn man dich auf der Bühne erlebt, wirkst du wie eine Mischung aus Chuck Berry und Joe Strummer. Sprich: Du bist ein sehr energetischer, physischer Spieler. Wie wirkt sich das auf den Zustand deiner Jaguar aus?
(lacht) Ich bin wirklich nicht nett zu meinen Gitarren – gerade live. Deswegen versucht mich mein Techniker schon länger zu überreden, die Jaguar durch etwas Günstigeres zu ersetzen. Etwas, das entweder nicht ganz so anfällig ist, oder bei dem es schlichtweg egal wäre, wenn da etwas passieren sollte. Aber: Ich spiele sie halt wahnsinnig gerne – selbst, wenn das vielleicht nicht so rüberkommt. (lacht) Ich vergesse immer, dass es ein edles Stück ist, das ich da malträtiere. Und es ist auch schon mal vorgekommen, dass ich bei einem Gig im Olympia in Dublin auf den Balkon geklettert bin, da wo die Sitzplätze sind, und die Gitarre von dort auf den Hallenboden geworfen habe. Das war aus einer Höhe von etwa fünf Metern – aber irgendwie hat sie selbst das überlebt. Von daher… Natürlich weiß ich, dass das ein Fehler war. Aber im Eifer des Gefechts kann so etwas schon mal passieren.
Sind Gitarren für dich nur ein Werkzeug – etwas mit dem du herumexperimentieren und Spaß haben kannst – oder pflegst du eine tiefere Beziehung zu ihnen?
Ich muss ganz ehrlich sagen: Für mich sind sie wirklich nur ein Instrument. Und wenn ich müsste, könnte ich den Sound, der mir vorschwebt, sicherlich auch auf einem Klavier oder womit auch immer erzielen. Deswegen würde ich mich nie als „typischen Gitarristen“ bezeichnen – weil ich nicht allein darauf festgelegt bin und nie genug Zeit darin investiert habe, um dieses Instrument tatsächlich richtig zu meistern. Ich schreibe darauf, ich habe musikalische Ideen, die ich damit entwickle und nutze es auf der Bühne, um meine Parts live umzusetzen.
Abgesehen davon habe ich die Gitarre aber schon immer geliebt: Es ist mein Hauptinstrument, es ist das, was ich tue, aber ich denke eben nicht, dass ich darauf festgelegt bin. Ich bin da vollkommen flexibel. Und deswegen mag ich Rock‘n‘Roll – weil er etwas Befreiendes hat. Und weil sich mit den Werkzeugen, die dafür benutzt werden, so viele verschiedene Sachen anstellen lassen bzw. so viele Sounds kreieren lassen. Es ist unglaublich, was man alles mit Gitarre, Bass, Schlagzeug und Gesang anstellen kann. Und ich mag diese Einfachheit, mit der man gleichzeitig so variabel sein kann. Nur: Ich würde mich nie als wer weiß wie virtuos bezeichnen. Ich spiele gerne Gitarre, bin aber nicht der Auserwählte, wenn ihr wisst, was ich meine … (lacht)
(erschienen in Gitarre & Bass 08/2022)