"Viele Bassisten spielen einfach viel zu viele Noten und zerstören damit die Songs."

Fat Mike redet Klartext: NOFX im Interview

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(Bild: Jonathan Weiner)

In Zeiten, in denen sich einige zum trivialen Schlager mutierte deutsche Bands weiterhin wilde Punk-Attitüden andichten lassen, sind wahre Punkbands wirklich rar geworden. Punk ist halt mehr als nur rotgefärbte Haare und zerrissene Klamotten. Punk ist eine Lebenseinstellung, die man nicht einfach mit einsetzenden kommerziellen Erfolgen an der Garderobe abgeben kann.

Punk bedeutet Revolution, Aufruhr, Kampf gegen das Establishment, auch mit der Konsequenz, dass man sich damit vielversprechenden Marktmechanismen verwehrt. Die Amerikaner NOFX sind eines jener selten gewordenen Beispiele, bei denen Punk nicht nur eine temporäre Haltung ihrer Jugend war, sondern bis heute Gültigkeit behalten hat.

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Zuletzt kam ihr ‚Single Album‘ auf den Markt, ein wunderbar unkommerzielles aber dennoch musikalisch ansprechendes Werk, das Riffs aus dicken Rohren feuert und voller Spielfreude auch in anverwandten Genres wildert. Schon bald soll der nächste Longplayer folgen. Wir haben mit Bassist und Sänger Fat Mike Burkett gesprochen, dem Kopf der Band und jahrelang überzeugten Kommerz- (sprich: Medien-) Verweigerer.

Aber blenden wir zunächst 24 Jahre zurück. Die 1984 in Hollywood gegründeten NOFX befinden sich im Oktober 1997 auf dem Höhepunkt ihrer Anti-Medienkampagne. Interviews? Nur höchst ungern! Für wen auch? Außer für ausgesuchte und Underground-kredibile Fanzines. MTV? Das instrumentalisierte Hassobjekt! Kollegen wie The Offspring, Green Day oder Bad Religion? Verräter an den NOFX-Idealen. Wie also verliefen damals Gespräche ungeübter Journalisten mit Fat Mike Burkett, dem Bassisten und Frontmann der Band?


Hier ein kurzer Auszug aus einem – zugegeben: etwas ungelenken – Gesprächsversuch, wie ihn die Plattenfirma damals gerne verhindert hätte:

Hey Mike, kannst du uns ein kurzes Interview geben?

Nein. Die Politik von NOFX lautet: kein Radio, keine Videos, keine Interviews. Du brauchst es gar nicht erst zu versuchen.

Kannst du uns denn wenigstens verraten, wie eure gegenwärtige Tour läuft?

Das geht dich nichts an.

Wo spielt ihr morgen?

Vermutlich in noch einem hoffnungslos überteuerten Club.

Und wann kommt ihr in unsere Stadt zurück?

Hoffentlich nie.

Was bedeutet eigentlich NOFX?

Frag deine Mutter.

Wo siehst du NOFX in zehn Jahren?

Am Boden liegend.

Das bedeutet, dass dies eines eurer letzten Alben ist?

Ganz sicher nicht!


ZEITSPRUNG UND ORTSWECHSEL.

Fat Mike hat eine Entziehungskur hinter sich gebracht und ist froh, wenn er seinen Tag halbwegs geordnet strukturieren kann. Der Lockdown und eine jahrelange Drogensucht haben ihm mental und körperlich stark zugesetzt. Und aus einem ursprünglich geplanten Doppelalbum ist im Februar „nur“ eine Einzelscheibe geworden, daher der Titel ‚Single Album‘. Dafür gibt der Mann aber Interviews! Sogar freiwillig! Und erstaunlich offen und ehrlich. Hier also ein neuer Versuch, dem Phänomen NOFX auf die Schliche zu kommen!

(Bild: Yakub88 / Shutterstock)

Hallo Mike, wie geht es dir heute?

Danke der Nachfrage, den Umständen entsprechend geht es mir gut. Ich bin mittlerweile clean, ein für mich völlig neues und ziemlich ungewohntes Gefühl. Dafür scheinen aber die schweren Depressionen, die mich ziemlich stark belastet haben, vorbei zu sein. Dieses deprimierende Gefühl hatte ich zum ersten Mal in meinem Leben. Ich habe eine Scheidung hinter mir und lebe seither alleine. Durch den jahrelangen Konsum von Alkohol und Kokain ist mein Tag/Nacht-Rhythmus mächtig durcheinandergeraten, was sich auch nach der Entziehungskur nicht unbedingt verbessert hat. Deshalb bin ich oft bis morgens um vier wach und nutze die Zeit, um neue Songs zu schreiben.

Es heißt, dass allein im Herbst 2020 30 Stücke entstanden sind, die du eigentlich als Doppelalbum veröffentlichen wolltest.

Ja, das ist richtig. Von den 30 Songs habe ich 23 fertig produziert, aber nur zehn von ihnen für das Album verwendet. Deshalb der Titel ‚Single Album‘.

Was passiert mit den restlichen Stücken?

Vermutlich tauchen sie irgendwann auf EPs, Split-Singles und Ähnlichem auf. Sie werden auf jeden Fall nicht für ein weiteres Album verwendet, denn die nächste Platte wird aus brandneuem Material bestehen.

Hast du eigentlich das Gefühl, dich als Bassist und Musiker weiterentwickelt zu haben?

Ja, natürlich. Aber innerhalb von NOFX ist das völlig unerheblich. In einer Punkband kommt es nur darauf an, dass der Schlagzeuger einigermaßen im Groove bleibt. Der Drummer hält alles zusammen, die Songs, die Band, die Show. Zum Glück ist Erik Sandin seit 25 Jahren clean und spielt wie ein Uhrwerk. Wir drei anderen springen um ihn herum und haben einfach nur unseren Spaß.

Apropos Spaß: Wie bist du eigentlich zum Bassspielen gekommen?

Ganz einfach: Ich wollte mit zwei Freunden eine Band gründen. Einer von ihnen hatte ein Schlagzeug, der andere eine Gitarre. Also blieb für mich nur noch der Bass übrig. Als wir zum ersten Mal loslegten, konnte ich keinen einzigen Ton spielen. Aber nach dem Learning-by-doing-Prinzip wurde es dann irgendwann besser.

Man sagt, dass du für einen Punkbassisten erstaunlich sanft anschlägst.

Exakt. Weil ein guter Bass-Sound notwendig ist, um auch Gitarren und Gesang gut klingen zu lassen. Ich spiele Dunlop-Plektren mit einer Stärke von 0.6mm. Sie sorgen für diesen runden, warmen Ton, den ich anstrebe. Wenn man zu wild anschlägt, dann verlieren die Saiten ihr Tuning, und sofort klingen auch Gitarren und Gesänge schief. Ich habe mal auf der NAMM-Show in Los Angeles Jim Dunlop getroffen und mich mit ihm über mein Bass-Spiel unterhalten. Er sagte: „Du brauchst unbedingt ein besonders dünnes Bass-Plektrum.“ Und dann bot er an, mir mein eigenes Signature-Pick zu machen.

Du giltst als großer Fan von Paul McCartney.

Die Beatles haben es vorgemacht, wie man den Bass richtig einsetzt. Viele ihrer Songs basieren auf einer starken Bass-Hookline, deswegen klingen ihre Hits auch heute noch so großartig. Die Leute denken ja immer, dass Oasis die legitimen Nachfolger der Beatles waren und ein ähnliches Soundkonzept hatten. Aber das ist grundlegend falsch. Oasis waren nie so gut wie die Beatles, da sie viel zu viel Lärm mit den Gitarren gemacht haben und dementsprechend auch ständig mit dem Bass-Sound kämpfen mussten. Das konnte also gar nicht so gut klingen wie die Beatles-Stücke. Wenn man es richtig macht, muss man einen Bass überhaupt nicht aggressiv spielen, sondern nur darauf achten, dass er sich harmonisch ins Gesamtbild einfügt. Ich habe für meine Rockoper einen Song geschrieben, der nur auf einem einzigen Bass-Ton basiert. Und der dennoch funktioniert!

(Bild: Jonathan Weiner)

Welche Bässe bevorzugst du?

Nach einem NOFX-Konzert hat mich mal der Metallica-Produzent Bob Rock angesprochen. Er fragte: „Hey Mike, wie erzeugst du eigentlich diesen unvergleichlichen Sound?“ Geh mal auf die Website von Danelectro: Dort bin ich der einzige Punkrock-Bassist, den sie als Endorser aufführen. Dabei war mein Hauptbass jahrelang ein billiges Modell aus Südkorea, das ich für 400 Dollar geschossen habe. Es war einfach der leichteste Bass, den ich finden konnte, aber er klingt großartig. Instrumente werden bei mir meistens ganz schön hart rangenommen, deswegen habe ich zwei gleiche Bässe gekauft. Ich werfe sie herum, ramme meine Bandkollegen damit, dennoch bleiben sie immer in tune. Mein aktuelles Modell hat Lipstick-Tonabnehmer, absolut unverwüstliches Zeugs! Wie schon erwähnt: Der Trick liegt darin, nicht übermäßig hart anzuschlagen. Wenn man wie wild in die Saiten greift, schwingen sie aus der Stimmung heraus. Ich dagegen spiele sie sanft, deswegen sind sie bei NOFX-Nummern niemals verstimmt.

Wie steht es bei dir mit Bass-Amps?

Jahrelang habe ich Mesa/Boogie gespielt, aber das Modell, das ich besaß, wird nicht mehr gebaut. Zuletzt habe ich einen Ampeg eingesetzt, mitunter aber auch einen SansAmp. Ich brauche eh nur ein klares Signal, das nicht übermäßig dreckig klingt. Ein solcher Sound lässt sich mit vielen Amps erzeugen.

Hast du eigentlich ein persönliches Vorbild? Außer Paul McCartney und die Beatles?

Ich bin ein Riesenfan von Little Joe Raposo, der bei den Mad Caddies, bei The Real McKenzies und Lagwagon spielt beziehungsweise gespielt hat. Ich bin schon seit vielen Jahren mit ihm befreundet und habe von ihm schon so manch gutes Riff gezeigt bekommen. Auf seine eigene Weise ist Joe wie Paul McCartney: Er weiß, wie man den Bass richtig einsetzt. Viele Bassisten spielen einfach viel zu viele Noten und zerstören damit die Songs. Wenn ich mit NOFX im Studio bin, nehme ich den Bass immer als allerletztes Instrument auf, denn erst dann weiß ich, was die jeweilige Nummer noch benötigt.

Das ist in der Tat eine eher ungewöhnlich Vorgehensweise.

Ich habe diesen Trick in den 1990erJahren herausgefunden. Es gibt einen NOFX-Song namens ‚Leave It Alone‘, bei dem ich das gelernt habe. Wir mussten damals die Nummer immer und immer wieder aufnehmen, weil irgendetwas mit dem Tuning nicht stimmte. Irgendwann merkten wir, dass der Bass ein klein wenig zu hoch gestimmt war, sodass die anschließend aufgenommenen Gitarren nicht dazu passen konnten. Als wir diesen Fehler herausgefunden und die Reihenfolge der Instrumente geändert hatten, funktionierte alles tadellos. Seither habe ich mit NOFX nie wieder auf eine andere Art aufgenommen.

Danke Mike, für das offene und ehrliche Gespräch, und alles Gute für deine Gesundheit und euer hoffentlich bald schon kommendes Album!


(erschienen in Gitarre & Bass 11/2021)

Kommentar zu diesem Artikel

  1. Ich finde NOFX einfach wunderbar! Die Band schafft es ihre Message in wunderbare Songs zu packen. Humorvoll, witzig und trotzdem bissig. Ein tolles Interview, danke!

    Schaut Euch das Video an, es spiegelt das wieder wofür NOFX steht:
    https://www.youtube.com/watch?v=98MtFw90t_A&t=1371s

    Grüße Marco

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