Wenn man so lange Extended-Range-Gitarren spielt wie ich, gelangt man irgendwann vielleicht an seine kreativen Grenzen. Zur Erinnerung: Meine zweite E-Gitarre in den frühen 2000ern war bereits eine 7-String und nach einigen Jahren Unterbrechung spiele ich seit 2010 wieder überwiegend ERGs. In dieser Folge möchte ich euch ein paar meiner Ansätze verraten, wie ich mich selbst kreativ bei Laune halten kann und vermeide, auf die immer gleichen Muster beim Schreiben meiner Riffs zurückzugreifen.
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Umstimmung
Ich bewege mich rein zufällig in einem dankbaren Genre, wenn es darum geht, mit Konventionen und Standards zu brechen. Leidenschaftlich atonalen Extrem- Metal zu spielen, lädt dazu ein, außerhalb der Harmonielehre zu agieren und sich über vielerlei musikalische Grenzen hinwegzusetzen. Diese dürften in anderen Genres etwas enger gesteckt sein, aber nichtsdestotrotz schleicht sich auch bei jeder noch so unkonventionellen Musikrichtung beim Komponisten irgendwann eine gewisse Routine ein.
So richtig sah ich mich mit dem Problem das erste Mal konfrontiert, als ich mit meiner alten Band War From a Harlots Mouth anfing, Songs fürs dritte Album ‚MMX‘ zu schreiben. Bis dahin hatten wir überwiegend Songs in Drop-Tunings auf sechssaitigen Gitarren gespielt und direkt beim Schreiben des ersten Songs stellte ich fest, dass mich meine Riffs und Patterns doch langsam an so ziemlich alles erinnerten, was ich schon auf den zwei Alben zuvor geschrieben hatte.
Mein Interesse an Extended-Range-Gitarren war zu diesem Zeitpunkt auf seinem Höhepunkt angelangt und ich konnte glücklicherweise den Rest meiner Band davon überzeugen, es mit 8-Strings zu versuchen. Und das bringt uns auch schon zum ersten Beispiel, wie wir unsere Songwriting-Gewohnheiten auf den Kopf stellen können.
Die Umstellung von 6 auf 8 Saiten stellte für mich damals einen gewaltigen Sprung dar. Auch wenn ich Jahre zuvor bereits Erfahrungen mit meiner Siebensaiter gemacht hatte, fühlte sich meine erste achtsaitige Gitarre wie ein Raumschiff an. Die schiere Anzahl der Saiten, das weite Griffbrett, der massive Hals… all das wollte erstmal sauber und präzise beherrscht werden. Aber ich änderte nicht nur die Anzahl der Saiten, sondern wechselte darüber hinaus vom Drop Tuning zurück zu einem normalen Saitenverhältnis. Beides eröffnete mir kreativ direkt einige neue Türen und somit auch frische Perspektiven. In den tiefen Lagen änderten sich zwangsläufig die Intervalle zwischen der tiefsten und den restlichen Saiten um zwei Halbtöne, was für mich typische Griffe und Akkorde direkt auf den Kopf stellte. Außerdem hatte ich auch den Ansporn, nicht in jedem Song wie ein Irrer auf der tiefsten Saite herumzuschrubben.
Im MMX-Album-Opener ‚Insomnia‘ vermeidet das gesamte erste Drittel des Songs die achte Saite. Da zu diesem Zeitpunkt die tiefste Note unseres gedropten 6-String-Tunings der siebten Saite unseres 8-String-Tunings entsprach (Ais), war für den Hörer gar nicht von Anfang an klar, dass der Song auf einer Achtsaiter eingespielt worden war. Nach einer knappen Minute erst knallt einem das tiefe F schlagartig in die Magengrube und etabliert somit das neue Tuning.
Und genau solche Experimente helfen mir bis heute, mich selbst aus der kreativen Reserve zu locken. Die schiere Möglichkeit, mehrere Saiten zur Verfügung zu haben, muss ja nicht zwangsläufig damit einhergehen, diese immer sofort offensichtlich in Szene zu setzen. Reduktion, wenn auch nur temporär, kann einem durchaus mal aus einer Schreibblockade helfen – z.B. wenn man nach dem Schreiben eines halben Songs festhängt und nicht weiter weiß.
Beim nächsten WFAHM-Album habe ich das Ganze dann allerdings etwas auf die Spitze getrieben und zusätzlich noch auf Drop-G# gestimmte 7-Strings mit ins Arsenal aufgenommen. Somit hört man auf ‚Voyeur‘ tatsächlich auch Songs mit sechs-, sieben- und achtsaitigen Gitarren. ‚Krycek‘ fängt z. B. auf einer 7- String an und wechselt nach zwei Minuten Spielzeit schlagartig auf eine 8-String. Natürlich lässt sich sowas live dann schlicht und ergreifend nicht mehr umsetzen, aber meiner Meinung nach geht das absolut klar. Ich bin der Meinung, dass man als Komponist fast alles darf – und wenn das heißt, einen Song zu schreiben, der nur aufgenommen funktioniert und nie live gespielt werden kann, dann soll es so sein. Dennoch wurde das Touren mit Gitarren in drei verschiedenen Tunings (inkl. Backups) dann doch etwas mühselig.
Deswegen habe ich mich bei meiner neuen Band Nightmarer auch weitestgehend darauf besinnt, in einer einzigen Stimmung zu komponieren. Ich bin dafür bei meinem etablierten 8-String-Tuning geblieben – F Standard. Auf unserem Debütalbum ‚Cacophony of Terror‘ gibt es allerdings eine Ausnahme! Und zwar habe ich mich für den Song ‚Fetisch‘ erneut auf fremdes Terrain gewagt, indem ich einen Song mit zwei Gitarren in zwei verschiedenen Tunings aufgenommen habe.
Ich sollte vorwegnehmen, dass ich grundsätzlich für zwei Gitarristen schreibe, auch wenn ich zumindest als Komponist der einzige Gitarrist in dieser Band bin. In der Regel bewege ich mich jedenfalls beim Songwriting von Riff zu Riff: Ich fange also z. B. mit „meiner“ Gitarre – der Linken im Stereospektrum – an, und ergänze diese dann mit Riffs für den zweiten Gitarristen – auf der Aufnahme im Stereospektrum rechts. Im Falle des Songs ‚Fetisch‘ habe ich also zuerst die komplette linke Gitarre mit meiner 8-String in F-Standard geschrieben und dann für die rechte Gitarre eine 7-String in Drop-G# benutzt.
Und das fühlte sich dann wirklich so an, als wären die Songwriting-Karten komplett neu gemischt. Es ist ja normalerweise unabdingbar, dass die Riffs der ersten Gitarre oft der Ausgangspunkt für die der zweiten Gitarre sind. Solltet ihr in einer Band spielen und ein Riff schreiben, das ihr dann eurem zweiten Gitarristen zeigt, dann spielt er dieses entweder unisono mit oder fügt auf dessen Basis ein paar Intervalle hinzu, um das Ganze harmonisch zu erweitern.
Wenn man allerdings mit zwei gänzlich verschiedenen Tunings – ganz zu schweigen von einer abweichenden Saitenzahl – agiert, fühlt sich das zunächst mal so an, als würde man zwei Songs in einem schreiben, da man sich nicht an den Akkorden oder Bünden der ersten Gitarre orientieren kann. Aber ist das wirklich so? Die Antwort ist ein schwammiges „Jein“. Spielt man auf der 8-String die tiefste Leersaite (F) und tut das gleiche auf der tiefsten Leersaite der 7-String (Gis), entsteht eine kleine Terz – also ein absolut musikalisches und gebräuchliches Intervall. Das hängt natürlich davon ab, wie sehr die zwei Tunings voneinander abweichen und funktioniert nicht ausnahmslos.
Die Kunst ist es, die zwei verschieden gestimmten Gitarren schlüssig miteinander zu guten und homogenen Riffs zu verweben. Mir persönlich ist das leichter gefallen als gedacht und zeitgleich wurde ich trotzdem so sehr aus meiner Songwriting-Comfort-Zone herausgerissen, dass auch der Song davon profitierte. Aber im Albumkontext fällt der Song dadurch nicht heraus. Bisher scheint jedenfalls noch kein Nightmarer Hörer bemerkt zu haben, dass sich nur einer der Songs auf ‚Cacophony of Terror‘ auf diese Art und Weise von allen anderen abhebt.
Die Crunch-Gitarre, die ihr am Anfang hört, ist die 7-String in Drop G# und nach dem Drumfill steigt auch die 8-String in F Standard mit ein. Obwohl mich dieser Ansatz damals sofort aus meiner kleinen Schreibblockade herausgerissen hat, ist es auf dem restlichen Album dabei geblieben, dass ich alles Weitere im F-Tuning komponiert habe. Ich habe lediglich die 8-String beiseite gelegt und das Tuning aus Komfortgründen auf eine Bariton 7-String übertragen und darauf dann die restlichen Songs fürs Album geschrieben. ‚Fetisch‘ werden wir aufgrund der zwei verschiedenen Tunings wohl nie live spielen, aber wie ihr meinem letzten Teil dieser Kolumne entnehmen konntet, habe ich kürzlich angefangen, mit Bariton- 6-Strings herumzuexperimentieren. Vielleicht gibt es auf dem nächsten Nightmarer Album also wieder einen Song mit zwei verschieden gestimmten Gitarren zu hören!
Inspirationsquellen
Aber neben all den zugegebenermaßen teilweise etwas komplexen technischen Möglichkeiten, kann man es sich natürlich auch etwas einfacher machen und sich von anderen Künstlern inspirieren lassen – auch wenn da das Eis schnell dünn wird. Natürlich sollte man vermeiden, sich von Bands „inspirieren“ zu lassen, die bereits Genre-Legenden sind oder der eigenen Musik zu nahe stehen. Das ist ein Fehler, den leider viel zu viele junge Bands machen. Wie oft hört ihr eine neue Band und denkt „klingt genau wie XY“? Mir geht das jedenfalls sehr häufig so und die Konsequenz ist in der Regel Desinteresse – egal wie gut die Musik gespielt und technisch umgesetzt ist. Was zählt, ist die Kreativität und Eigenständigkeit. Es hilft aber oft auch nichts, Inspirationen in allzu genrefremden Musikstilen zu suchen.
Wie eingangs erwähnt, bewege ich mich in einem dafür recht dankbaren Musikstil. Ich muss mich nicht an Genre-Größen wie Gorguts oder Deathspell Omega orientieren, da man atonale Elemente viel häufiger in anderen Genres als im Extrem Metal findet – in der sogenannten Neuen Musik, also bei Komponisten wie Schoenberg, Lygeti oder Schnittke zum Beispiel. Mit WFAHM haben wir es mit dieser Inspirationsquelle damals so weit getrieben, dass wir auf den letzten zwei Alben Ausschnitte von Liszt’s „Dante-Sinfonie“ (WFAHM – MMX: ‚Inferno II/IV‘) und Mussorgsky’s „Bilder einer Ausstellung“ (WFAHM – Voyeur: ‚Catacombae‘) in unserem Sound neu vertont haben. Ganz so weit muss man natürlich nicht gehen, aber mir persönlich hat es sehr geholfen, neue Impulse für meine Kreativität und mein Songwriting zu finden. Vielleicht bringt euch das ja auf eine Idee, die ihr für eure eigene Musik einsetzen könnt.
Fazit
Fassen wir zusammen: Neben Drop- vs. Standard-Tunings und dem Wechsel zu Gitarren, die schlichtweg mehr oder weniger Saiten haben, kann man definitiv auch mit zwei gänzlich verschieden gestimmten Gitarren kreativ werden. Besonders das Einsetzen von zwei Gitarren mit unterschiedlich vielen Saiten dürfte für viele bisher Neuland sein, aber solange sich einer von zwei Gitarristen mit dem Bassisten auf ein Tuning einigen kann, kann der zweite Gitarrist eigentlich machen, was er will. Das setzt natürlich voraus, dass er dazu in der Lage ist, trotz eines anderen Tunings mit euch mitzuspielen und sich dabei musikalisch mit euch gut zu ergänzen. Probiert es einfach mal aus! Ich denke ihr werdet überrascht sein, auf was für Ideen ihr dabei kommt.
Sich von anderer Musik inspirieren zu lassen, scheint oberflächlich betrachtet der einfachere Weg zu sein. Dabei aber eine Inspirationsquelle zu finden, die weder zu nahe, noch zu fern liegt, ist eine Herausforderung. Es kann – oder besser: Es sollte sich lohnen, wenn ihr eure Komfort Zone etwas verlasst und nicht nur von aktueller Musik Inspiration bezieht.
Ich hoffe, dass ich mit dieser Folge ein paar von euch dazu anregen kann, kreativ neue Wege zu erschließen. Wie genau ihr das in Angriff nehmt, spielt dabei vielleicht gar nicht eine so große Rolle, wie der schiere Wille, mit alt eingefahrenen Strukturen und Konventionen zu brechen. Viel Spaß dabei!
…Line 6 variax helix, eine Gitarre in beliebiger stimmung/sound ist live möglich