„Ich finde, dass in Deutschland vieles zu zahm, zu harmlos und zu gefällig produziert wird …“
Erweiterte Zweisamkeit: The Picturebooks im Interview
von Matthias Mineur,
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(Bild: Claus Grabke)
Cooler und zugleich hitziger geht’s wohl kaum: The Picturebooks gehören zu Deutschlands ungewöhnlichsten Rockbands. Ihre atmosphärisch dichte Mischung aus Stoner und Heavy Rock mit starken Blues-Anleihen klingt phasenweise wie der staubigen Wüste Nevadas entsprungen, inkl. eines wunderbar erdigen und knochentrockenen Sounds.
Das Besondere an dieser Gruppe: Sie besteht aus lediglich zwei Musikern, nämlich Gitarrist/Sänger Fynn Grabke (Sohn von Thumb-/Eight Dayz-/Alternative Allstars-Frontmann Claus Grabke) und Schlagzeuger Philipp Mirtschink. Dieses normalerweise weltweit und exzessiv tourende Duo zeichnet sich durch eine enge und ungemein kreative Freundschaft aus, die die schwierigen Lockdowns bravourös überstanden hat und mit ‚The Major Minor Collective‘ ein fabelhaftes, von Claus Grabke produziertes Studioalbum vorlegt. Darauf unter anderem zu hören: Gaststars wie Neil Fallon (Clutch), Chris Robertson (Black Stone Cherry), Dennis Lyxzén (Refused), John Harvey (Monster Truck), Elin Larsson (Blues Pills), Lzzy Hale (Halestorm) oder Erlend Hjelvik (Ex- Kvelertak).
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Wir haben uns mit Fynn Grabke zu einem langen und interessanten Gespräch verabredet und bei dieser Gelegenheit den Picturebooks auch hinsichtlich ihres aktuellen Equipments ein wenig über die Schultern geschaut.
(Bild: Claus Grabke)
INTERVIEW
Fynn, kann es sein, dass die Corona-bedingte Zwangspause eine wahre Kreativlawine bei euch ausgelöst hat?
Ja, das mag sich vielleicht doof anhören, aber es war tatsächlich so. Normalerweise ist das Pensum dieser Band dermaßen groß, dass nur wenig Zeit für wichtige kreative Prozesse bleibt. Wir spielen bis zu 200 Shows pro Jahr, weltweit, und sind durch die vielen Reisen mitunter monatelang keinen einzigen Tag zuhause.
Als im vergangenen Frühjahr der Lockdown kam und ich zuhause bleiben musste, sagte irgendwann meine Frau zu mir: „Du musst jetzt endlich mal deinen Koffer auspacken!“ Ich hatte es auch nach Tagen noch immer nicht getan. Und ehrlich gesagt: Ich fand das Auspacken sogar richtig angenehm. Wir haben versucht, das Beste aus dieser schwierigen Phase zu machen, denn natürlich war es eine Zeit voll Unwohlsein, Sorge, Unklarheit und auch Angst. Aber so etwas kann natürlich auch sehr förderlich für die Kreativität sein, denn man sagt ja, dass der Mensch an sich kalt ist und das Feuer braucht, um kreativ zu sein.
Ich finde sowieso, dass in Deutschland vieles zu zahm, zu harmlos und zu gefällig produziert wird, eine Art Malen nach Zahlen. Natürlich gibt es einige wenige Ausnahmen, wie etwa Kraftwerk, die einfach auf alle Konventionen scheißen. Die Amerikaner sind da oftmals viel mutiger, die gehen deutlich häufiger „all in“.
Musstet ihr generell das Konzept der Picturebooks überdenken, da eure eigentliche Arbeitsgrundlage, nämlich das Touren, über viele Monate nicht stattfinden konnte?
Nein, denn während dieser Zeit haben wir auf die krasseste Weise gelernt, in welch perfekter Situation wir uns befinden. Philipp, mein Vater Claus und ich waren zuhause immer zusammen, da wir unter einem Dach wohnen. Wir haben ein eigenes Studio, randvoll mit dem geilsten Equipment.
Wir können 24 Stunden, sieben Tage die Woche das machen, worauf wir Bock haben. Außerdem konnten wir feststellen, dass The Picturebooks nicht nur als Live-Band funktionieren, sondern auch durch die Sozialen Medien eine enorme Verbreitung haben. Für viele unserer Follower sind The Picturebooks mehr als nur Musik, sondern zu einem echten Lifestyle geworden, also Musik, Bikes, Skaten. Das alles ist ja keine künstlich erschaffene Promo-Blase, sondern komplett echt und authentisch. Zumal wir bei The Picturebooks nicht nur als Band, sondern auch als Freunde zusammenarbeiten. Genau das ist ja einigen anderen Bands zum Verhängnis geworden, nämlich als sie während des Lockdowns feststellen mussten, dass die Bandmitglieder menschlich eigentlich nichts miteinander zu tun haben. Dies ist bei uns komplett anders.
Wie kam es zur Idee und schließlich zur konkreten Umsetzung der vielen Gastmusiker?
Wir waren in den zurückliegenden Monaten einfach sehr viel im Studio und haben Massen an Songs geschrieben. Auch nachdem das Album erschienen ist, haben wir immer noch Tonnen an Material übrig. Aber wir sind mit unseren Songs sehr kritisch, sondieren sehr genau, was wirklich gut und was möglicherweise nicht ganz so stark ist. Es gab eine Reihe von Songs, bei denen man spüren konnte, dass sie absolute Hammer werden, aber wir als The Picturebooks es alleine nicht hinkriegen würden, ihr gesamtes Potential auszuschöpfen. Mal fehlte der Bass, mal ein besonderer Gesang, ganz unterschiedlich.
Die Frage lautete also: Was können wir tun? Und so kam die Idee auf, es noch einmal genauso zu machen wie 2019 auf ‚The Hands Of Time‘ mit Chrissie Hynde. Während unserer exzessiven Tourneen haben wir unendlich viele Freundschaften mit anderen Bands und Musikern geschlossen. Und zu einigen von ihnen haben wir nun Kontakt aufgenommen und angefragt, ob sie uns behilflich sein würden. Dennis Lyxzén von Refused war der Erste, Elin Larsson von Blues Pills die Zweite. Refused, mit denen wir auch schon mal zusammengespielt haben, sind für mich ja sowieso eine ganz besondere Band, da bin ich ein richtiger Fanboy. Und John Harvey von Monster Truck ist generell einer unserer besten Kumpels. Bei dem stand für uns fest: Der muss mitmachen!
Grundsätzlich war uns wichtig, eine persönliche und emotionale Bindung zu den Gastmusikern zu haben. Mit Dennis Lyxzén sind wir in den Proberaum von Refused gefahren und haben dort aufgenommen. Ein unvergesslicher Moment, plötzlich mit der Stimme zu arbeiten, die man seit vielen Jahren verehrt. Das galt natürlich auch für Neil Fallon von Clutch oder Lzzy Hale, mit denen wir über Facetime zusammenarbeiten konnten. Beide haben ihr eigenes Ding durchgezogen und unsere Songs echt veredelt.
Es gab eurerseits also keine künstlerischen Vorgaben an den jeweiligen Gastmusiker?
Nein, unsere Ansage lautete: „Macht was immer ihr wollt!“ Der Song ‚Corrina Corrina‘ zum Beispiel hieß bei mir ‚Will You Remember Me‘, funktionierte aber irgendwie nicht, weil ich nicht das richtige Feeling dazu entwickeln konnte. Neil Fallon singt ihn völlig anders, als ich es mir hätte vorstellen können, er hat ihn auf seine eigene Weise ganz anders interpretiert. Allein aus dieser Kooperation habe ich unfassbar viel lernen können. Wenn man gleichzeitig Sänger und Gitarrist einer Band ist, kann man sich ja sowieso nur schwer auf beides gleichermaßen konzentrieren. Entweder ist man als Schwerpunkt Gitarrist oder eben schwerpunktmäßig Sänger, diesbezüglich die richtige Mitte zu finden ist nicht immer einfach.
Auch die Kooperation mit Elin Larsson von den Blues Pills in Schweden war eine tolle Erfahrung. Ebenfalls ganz besonders war der Track ‚Rebel‘, den wir mit Lzzy Hale von Halestorm gemacht haben. Ich hab von Beginn an gespürt, dass der Song ein echter Hammer wird, hatte aber Angst, dass wir es nicht hinkriegen, das volle Potential auszuschöpfen. Es war klar, dass wir für diesen Track eine richtige Rockröhre brauchen. Für Lzzy war die Zusammenarbeit aber ebenfalls ein echter Gewinn, wie sie danach zugegeben hat. Denn als wir sie kontaktierten, hatte sie gerade eine Schreibblockade und kam mit dem aktuellen Halestorm-Material nicht weiter. Nachdem sie für uns den Song ‚Rebel‘ eingesungen hatte, war die Blockade weg und sie hat in Windeseile fünf neue Nummern komponiert. Daraufhin bekamen wir von ihr eine dicke Dankes-Mail.
Du bist nach eigenen Angaben so etwas wie der Inbegriff des intuitiv spielenden Autodidakten, der von Skalen, Akkorden und so weiter kaum Ahnung hat.
Ja, das ist die Wahrheit. Ich greife etwas auf der Gitarre, kann aber nicht benennen, was das nun genau ist. Es handelt sich dabei sicherlich um Akkorde, aber ich könnte sie nicht klassifizieren. Ich arbeite generell visuell, auf diese Weise spiele ich ja auch Klavier. Okay, kleine Ausnahme: Wie ein C auf der Gitarre geht, weiß ich, weil es mir mein Vater beigebracht hat. Aber diese Naivität, diese Unwissenheit will ich unbedingt beibehalten, weil ich Klischees und Standards nicht mag. Wir wussten bei The Picturebooks von Anfang an, was wir nicht wollen. Andere Bands haben ganz konkrete Ziele, klare eigene Vorgaben, aber ich denke, gerade deshalb verpassen sie viele Chancen.
Welche Tunings verwendest du?
95 Prozent meiner Tunings sind Open Tunings, die ich komplett nach Gehör stimme. Früher hatte ich immer das sogenannte Claus-Grabke-Claus-Grabke-Claus-Tuning, sprich: CGCGC. Ich spiele nie mit Kapodaster, ich hasse es, weil ich ohne hinzuschauen greife. Andere Tunings finde ich im Internet, über Google. Für ein oder zwei recherchierte Tunings habe ich mir extra eine Resonator-Gitarre gekauft. Aber am Ende ist es eh egal, welches Tuning ich spiele. Der Song ‚Rebel‘ mit Lzzy hat auch irgendein obskures Open Tuning.
Am Ende sind es sowieso die Finger, die alles entscheiden. Man kann einen guten Gitarristen immer heraushören, egal welche Pickups, welche Amps er verwendet. Viel wichtiger ist, weshalb man Musik macht. Da gibt es ja ganz unterschiedliche Gründe. Der eine will nur auf die Bühne, scheißegal mit welchem Equipment, der andere ist ein Saitenakrobat und achtet auf jedes noch so kleine Detail. Ich verurteile beides nicht, aber für mich ist die Gitarre lediglich ein Werkzeug, das mir dabei hilft, mich künstlerisch zu artikulieren. Ich habe etwas auf dem Herzen, das raus will.
Sammelst du Gitarren?
Na ja, Sammlung im klassischen Sinne kann man es wohl nicht nennen, aber zusammen mit meinem Vater besitze ich etwas mehr als 20 Gitarren. Viele davon haben wir auf Flohmärkten oder bei Ebay gekauft, außerdem bin ich Gibson-Endorser und bekomme dann und wann von der Firma ein schönes neues Exemplar. Meine Hauptgitarre ist eine 1952er Gibson ES-125, die ich für einen Videodreh in Venice Beach in Los Angeles zusammen mit einer uralten No-Name-Gitarre für 400 Dollar gekauft habe. Bei dieser Gitarre werde ich fast zum Nerd, weil ich sie so toll finde. Alles an ihr ist original, bis auf die Brücke, die wurde von Klaus Rusak bei Marimba in Bielefeld modifiziert, damit man die Bundreinheit einstellen kann und die Jazz-Brücke nicht immer rausspringt. Die Gitarre hat ein riesiges Loch an der Seite, das vom Vorbesitzer mit einer Metallplatte repariert wurde. Für den Song ‚Corrina Corrina‘ haben wir sie im Studio übrigens akustisch abgenommen, weil sie auch ohne Elektrik großartig klingt.
Daneben gibt es noch eine Gibson ES-335 mit schwarzem PAF-style Humbuckern, eine Gibson ES-330 mit Dog- Ear-P-90 und eine 2011er Les Paul American Standard in Cherry Sunburst mit Burstbucker. Zwar weniger benutzt aber auch an Bord sind eine 2000er Fender Stratocaster American Standard mit den serienmäßigen Pickups, eine 1980er Fender Japan Tele mit Maple Neck und Texas-Special-Pickups, sowie eine Gibson SG Anniversary mit Burstbucker. Unsere Geheimwaffe, wenn es mal ganz anders klingen soll, ist eine 1965er Supro Tremo-Lectric. Die Gitarre hat einen Fiberglaskorpus und klingt unfassbar abgefahren.
Wir haben sie für 100 US-Dollar in einem mittlerweile geschlossenen Laden namens ‚Black Market Music‘ in der Nähe von Hollywood gekauft, der Tipp kam von Pat Smear von den Foo Fighters. Außerdem haben wir beim Song ‚Rebel‘ am Anfang und am Ende eine Fender Jaguar Baritone eingesetzt. Darüber hinaus gibt es noch eine Gibson J-200 Custom Shop und eine originale Dobro, die hier und da mal zum Einsatz kommen.
Und wie sieht es bei dir in Sachen Verstärker aus?
Es gibt zwei Hauptverstärker, die mit einem Lehle P-Split verbunden sind, nämlich einen Marshall Silver Jubilee 2555 in einem Custom-Combo-Gehäuse mit zwei Celestion-G12T-75- Watt-Speakern und einen Earforce-Custom-Bass-Amp mit 2x12er-Box und Celestion-75-Watt-Speaker.
Bild: Claus Grabke
Marshall SIlver Jubilee, Earforce Bass plus ES-125: Das Kernstück für Fynns Gitarrenarbeit.
Bild: Claus Grabke
Marshall Silver Jubilee mit 100 Watt. Er wurde in einem Custom-Gehäuse zu einem 2x12- Combo umgebaut, der hinten halb offen ist.
Bild: Claus Grabke
Die zwei Main-Amps sind mit einem Lehle P-Split verbunden. Fynn verwendet ausschließlich Kabel von Toaster Cables aus Zürich.
Früher hasste ich Marshalls, da sie für mich der Inbegriff des typischen Mucker-Amps waren, also reine Statussymbole. Früher hasste ich ja auch richtige Gitarristen, aus dieser Zeit stammt meine Marshall-Aversion, die sich jedoch ins Gegenteil gekehrt hat, sodass wir jetzt auch gelegentlich einen Marshall Mk2 Master Volume, einen Marshall-JCM-800- 2×12-Combo, allerdings auch einen Gibson BR9 und einen Fender Twin Reverb Black Face benutzen. Bei dem Gibson BR9 handelt es sich übrigens um einen 1947 gebauten Hawaiigitarrenverstärker.
Vielen Dank Fynn, für das interessante Gespräch, und alles Gute für die Platte!