Der britische Blues- & Rock-Gitarrist Eric Clapton durchlebte zu Beginn der 90er-Jahre privat eine schwere Zeit. Im März 1991 starb sein vierjähriger Sohn Conor bei einem Sturz aus dem Fenster. In seiner Autobiografie (Eric Clapton: Mein Leben, Kiepenheuer&Witsch 2007) beschreibt er die ersten sechs Monate nach dem Tod als Albtraum, lediglich der Schockzustand habe ihn vor dem vollständigen Zusammenbruch bewahrt.
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Im Gegensatz dazu verlief die musikalische Karriere sehr positiv. Mit dem opulenten Live-Mitschnitt ,24 Nights‘ und dem Soundtrack zum US-Streifen „Rush“ (dt. „Fieberhaft“) erschienen zwei erfolgreiche Alben. Letzteres enthielt den Hit ,Tears In Heaven‘, jene Ballade, die Eric in Gedenken an seinen Sohn geschrieben hatte. Dieser Song spielte auch eine Rolle bei seinem nächsten Projekt. Clapton willigte ein, bei einer „Unplugged“-Show aufzutreten, dem damals recht neuen Format des britischen Fernsehsenders VH-1, einem Ableger von MTV.
Das Konzept: Bands und Musiker interpretierten ihre legendären Hits ungewohnt auf akustischen Instrumenten live vor Publikum. Als der Auftritt am 16. Januar 1992 in den Bray Studios nahe London vor intimer Kulisse über die Bühne ging, konnte niemand ahnen, dass Eric Clapton an diesem Abend wieder einmal ein Stück Musikgeschichte mitschreiben sollte.
Erstmals ausgestrahlt wurde der Mitschnitt am 25. August 1992, einen Monat später erschien das Album wie auch eine VHS-Videokassette des Konzerts. Und zu hören bzw. zu sehen war/ist eine hervorragend besetzte Band, mit Nathan East an Kontra-/Akustik-Bass, Steve Ferrone (dr), Ray Cooper (perc), Chuck Leavell (p/kb) und den Sängerinnen Katie Kissoon und Tessa Niles. Im Zentrum des Geschehens stand bzw. saß schließlich ein relaxt wirkender Mr. Clapton, zu seiner Rechten hatte Gitarrist Andy Fairweather Low Platz genommen. Geboten wurden vor allem sehr viele Blues-Klassiker, wie etwa ,Rollin‘ & Tumblin‘, ,Before Your Accuse Me (Take A Look At Yourself)‘ oder ,Nobody Knows You When Your‘re Down And Out’. Und den ,Walkin‘ Blues‘ von Ikone Robert Johnson spielte Eric gar solo auf einer Dobro mit Slide. Hatte er in den 60s als junger Stürmer und Dränger mit Cream Johnsons ,Cross Road Blues‘ progressiv verrockt, ging Slowhand nun weit zurück in die Geschichte des Country-Blues.
Zu den eindringlichsten Momenten des Auftritts gehört die akustische Variante von ,Tears In Heaven‘, bei der Clapton den tollen und warmen Klang seiner Nylonstring-Acoustic schön herausspielt. Einen weiteren Höhepunkt stellt der Derek-And-The-Dominos-Hit ,Layla‘ dar. Akustisch und im langsamen Shuffle-Feel bekommt das Stück eine ganz andere Charakteristik, und der Chef setzt dem Ganzen mit einem dynamischen Solo die Krone auf. Die akustische ,Layla‘-Version hat sich über 20 Jahre später fast genauso zum Klassiker entwickelt wie das Original von 1970.
Clapton lieferte eine beeindruckende Performance ab. Selten hat man seine Stimme so kraftvoll und zugleich entspannt erlebt. Der legendäre Musiker schien einfach gut drauf zu sein an diesem Abend, im folkigen ,San Francisco Bay Blues‘ ließ er sich sogar zu einem Kazoo-Solo hinreißen.
Clapton lotete die Palette aus und wechselte während seines Auftritts zwischen einer Nylonstring, einer Dobro und einer 12-Saitigen. Doch überwiegend kam eine sechssaitige Flattop zum Einsatz, eine 1939er Martin 000-42. Dies rückte nicht nur die amerikanische Traditionsmarke wieder in den Fokus, sondern auch speziell deren kleinere 000-Modelle anstelle der größeren, beliebten Martin-Dreadnoughts.
1995 erschien mit der Martin 000-42 EC ein Clapton-Signature-Modell. Die originale Martin der Show wurde 2004 für die unglaubliche Summe von 791.500 US-Dollar versteigert. Und wie klingt so eine Martin? Tja, da hilft wohl nur in ,Unplugged‘ reinzuhören.
Trotz offensichtlicher Spielfreude aller Beteiligten äußerte sich Clapton zunächst nicht begeistert von der Qualität der Aufnahmen, wie man in seiner Autobiografie nachlesen kann: „So sehr ich selbst Spaß daran gehabt hatte, all diese Songs zu spielen, fand ich nicht, dass man sich das anhören konnte. Aber dann kam das Album heraus und wurde zum größten Bestseller meiner gesamten Karriere, was mal wieder zeigt, wie viel ich von Marketing verstehe.“ In der Tat avancierte das Album zu einem Triumph und belegte Spitzenpositionen in den Charts der USA und Europa. Zudem zählt Claptons Show mit zu den bekanntesten der MTV-Unplugged-Reihe überhaupt.
Für Clapton selbst eröffnete das Album mit seiner Besinnung auf den Blues und die Wurzeln seines Instruments einige neue künstlerische Perspektiven, die sich bereits 1994 in ,From The Cradle‘ niederschlugen. Zwar hatte er wieder die E-Gitarre eingestöpselt, doch lieferte Eric seinen Fans das erste Album ab, das ausschließlich aus Blues-Klassikern bestand. Und auch spätere Alben wie ,Riding With The King‘ mit B.B. King oder sein Tribute-Album ,Me And Mr. Johnson‘ haben ihre Ursache sicherlich im Jahr 1992.
Als Eric damals den Stecker zog, dürfte er darüber hinaus zahllose Musiker inspiriert haben, die Elektrische beiseite zu legen und sich wieder mal mit dem Thema Akustikgitarre zu beschäftigen. Dazu animiert übrigens auch die remasterte 2CD-Wiederauflage von ,MTV Unplugged‘ mit bislang unveröffentlichten Songs. Die Deluxe-Version bietet eine Bonus-DVD mit einer überarbeiteten Version der originalen MTV-Ausstrahlung, bei der man auch bei den Proben hautnah mit dabei ist. Viel Spaß bei der (Wieder-)Entdeckung der anderen Seite von Eric Clapton.