Envy Of None: Alex Lifeson und Andy Curran im Interview
von Chris Hauke,
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(Bild: Richard Sibbald)
Alex Lifeson kennt man natürlich als Gitarristen von Rush. Andy Curran startete seine Karriere in den 1980ern als Bassist der Hardrocker Coney Hatch. Beide stammen aus Toronto und kennen sich bereits seit vielen Jahren. Mit Envy Of None haben sie nun erstmalig in größerem Maße zusammengearbeitet. Wir sprachen mit ihnen über ihre gemeinsame Vergangenheit und den musikalisch so ganz anderen Stil ihres neuen Projekts.
INTERVIEW
Andy, Alex, wie lange kennt ihr euch?
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Andy Curran: Das erste Mal traf ich Al, als wir Label-Kollegen bei Anthem Records waren. Das war 1982, wir waren gerade mit unserem Debütalbum auf Tournee. Ich fragte unseren Manager: Kannst du arrangieren, dass wir die Typen von Rush kennenlernen? Sie waren ebenfalls unterwegs und wir sollten ihnen backstage begegnen. Wir waren dort, superaufgeregt, als man uns sagte, dass sie uns nicht treffen können, weil sie gerade Französisch-Unterricht haben.
Alex Lifeson: Das stimmt. Es war ein Schnellkurs. Kanada ist zweisprachig, wir hatten Französisch in der Schule, aber wir hatten das meiste vergessen. Also sagten wir uns: Anstatt nur in der Garderobe herumzusitzen und nichts zu tun – warum machen wir nicht etwas Konstruktives, das unsere Hirne fordert? Also beschlossen wir, Französisch-Stunden zu nehmen. Ich glaube, das ging einen Monat lang. Wir machten die Hausaufgaben im Bus und sprachen untereinander Französisch. Nach zwei Monaten hatten wir alles wieder vergessen.
AC: Wir sind ihnen an diesem Abend immerhin noch kurz begegnet. Aber das große Treffen, das wir uns erträumt haben, fand nicht statt.
Ist dies das erste Mal, dass ihr so richtig zusammenarbeitet?
AL: Auf diesem Level ja. Andy hat lange bei uns im Büro als A&R-Mann gearbeitet (die Mitglieder von Rush wurden später stellvertretende Direktoren von Anthem Records, Anm. d. Autors). Wir haben also seit ungefähr 15 Jahren sehr intensiv miteinander zu tun und sind gute Freunde. Aber dies ist unser erstes gemeinsames Projekt.
Wenn ich mir die Songs und Sounds, die eure Karriere definieren, anhöre, dann betretet ihr mit Envy Of None neues Territorium. Wie kam es dazu, dass ihr etwas gemacht habt, das musikalisch deutlich von eurer Vergangenheit abweicht?
AL: Das war keine bewusste Entscheidung, es hat sich einfach so ergeben. Vor ungefähr fünf oder sechs Jahren schickte mir Andy Songs, an denen er arbeitete. Er fragte, ob ich Gitarre darauf spielen wollte, damit er einen Referenz-Punkt hat. Das habe ich gemacht. Aber alles war ganz locker, damals gab es keine größeren Pläne, es ging nur um eine Unterstützung. Ich hatte ebenfalls ein paar Nummern geschrieben – und fragte Andy, ob er Bass darauf spielen wollte. Er mochte meine Gitarrensachen und hatte diese Bassisten-Sensibilität. Das ergab also Sinn. Als Andy die Sängerin Maiah Wynne kennenlernte, kam der Gedanke auf, dass wir gemeinsam mit ihr arbeiten. Ich war sehr beeindruckt von ihrer Stimme und der Art, wie sie ihre Arrangements anging. Als das einmal feststand, passierte es einfach. Wir sagten uns niemals: Wir müssen jetzt diese oder jene Art von Song schreiben. Die Ideen kamen, wir arbeiteten daran und versuchten, sie besser zu machen – mit jedem Mal, wenn wir die Dateien verschickten. Wir haben nie gemeinsam in einem Raum gearbeitet.
Wann kam Maiah dazu?
AC: Ich traf sie vor einigen Jahren, als ich bei einem Songwriting-Wettbewerb in der Jury saß, und war sehr beeindruckt. Kurz darauf begann ich, ihr meine Ideen zu schicken. Die waren ganz anders als die Sachen von Coney Hatch, sehr elektronisch, einige davon mit viel Keyboards, sogar ein bisschen Industrial-Vibe drauf. Das hat ihr gut gefallen. Der Stil der Musik war, wie Al schon sagte, nicht bewusst und geplant. Natürlich war uns bewusst, dass es nichts mit Rush oder Coney Hatch zu tun hat. Aber genau das war einer der wesentlichen Punkte, die wir daran genossen haben.
Du sagst, ihr habt euch Dateien geschickt. Wann habt ihr euch schließlich persönlich getroffen?
AL: Andy lud Maiah 2019 ein. Sie sang die Titel ‚Shadow‘ und ‚Look Inside‘ ein. Das war das einzige Mal, dass jemand von uns gemeinsam mit ihr im Studio war. Ich war nicht dabei. Wir haben uns anschließend zum Abendessen getroffen.
AC: Zur Veröffentlichung des Albums haben wir ein paar Pressetermine gemacht. Bis dahin lief alles über das Versenden von Files, vor allem im letzten Jahr, als wir uns sehr auf das Album konzentriert haben. Ich muss sagen, das ist ein tolle Art zu arbeiten. Es gibt keine Ablenkungen, du kannst dich auf dich selbst fokussieren und tun, was immer du willst. Dann schickst du die Dateien zur nächsten Person, die dann ihre Sache macht. Du baust eine Pyramide, indem du die Files verschickst. Wir sind keine Band, sondern vier individuelle, unabhängige Songschreiber, die gemeinsam an diesem Projekt arbeiten. Dies ist der effektivste Weg zu arbeiten, denke ich.
Themenwechsel: Alex, wann hast du beschlossen, ein Locking-Vibrato auf eine Les Paul zu packen?
AL: Es fing damit an, dass ich eine Fender Stratocaster modifiziert habe, das muss wohl in den späten 70ern oder frühen 80ern gewesen sein. Ich war Fan von Allan Holdsworth und habe die Art geliebt, wie er den Vibratohebel benutzte. Er drückte ihn nicht einfach nur runter, er zog ihn auch hoch – und das sehr subtil und feinfühlig. Was damals auf einer Fender verbaut war, war nicht sonderlich effektiv. Die einzigen Optionen waren Schaller oder Floyd Rose. Und das habe ich auf dieser Gitarre das erste Mal installiert. Als ich in den frühen 2000ern begann, vor allem Les Pauls zu verwenden, vermisste ich das Vibrato, denn die PRS-Gitarren, die ich damals spielte, hatten ein sehr effektives System, also bestellte ich bei Gibson einige Gitarren mit Vibratosystem – und einem Piezo-Pickup drin. Ich wollte, dass sie die Modifikationen machen. Das führte schließlich zur Idee des Axcess-Signature-Modells.
Es gibt Vintage-Enthusiasten, die nicht verstehen können, dass man ein Locking-Vibrato auf eine Les Paul packt.
AL: Welch ein Sakrileg! Aber mich hat nie jemand darauf angesprochen. Und wenn doch, wäre es mir egal gewesen. Denn das ist es, was ich brauche, um meine Arbeit zu machen. Ich habe das Werkzeug verbessert, um mehr Jobs erledigen zu können. Die Gitarre ist jetzt so ähnlich wie ein Schweizer Taschenmesser – anstelle von nur einer Klinge habe ich nun auch einen Flaschenöffner und einen Korkenzieher.
Ich möchte dieses Thema noch ein wenig vertiefen. Ihr kennt sicher Rammstein.
Beide: Klar. Großartige Band.
Ihr Gitarrist Richard Kruspe ist extrem sensibel, was den Ton betrifft. Er hat mal gesagt, dass seine Signature-Gitarren vor allem deswegen mit einem Locking-Vibrato bestückt sind, weil es das Attack verbessert – es geht ihm dabei also gar nicht in erster Linie um die klassische Funktion des Systems.
AL: Aah … (Verwunderung und kurze Pause)
Hast du schon mal in solchen Kategorien gedacht?
AL: Nein, aber ich verstehe, was er meint. Es ist die Art, wie die Saiten über die Reiter laufen und dann am Sattel aufgenommen werden. Es ist eine andere Spannung der Saiten. Sie schwingen anders – sehr rein in der Frequenz, für die die einzelne Saite gemacht wurde. Das verstehe ich gut.
Zweites Detail: Er nutzt nur die Fender-Mensur. Du spielst die kürzere von Gibson, hast aber auch Locking-Systeme auf Strats. Wie würdest du das unterschiedliche Gefühl mit einem solchen Vibrato beschreiben?
AL: Zunächst mal gibt es dieses Zusatzgewicht, es fühlt sich solider an. In Sachen Ton würde ich es ganz generell als reiner bezeichnen. Sowohl meine Gibsons als auch die Fenders haben 22 Bünde, bei den PRS sind es sogar 24. Ich nehme sie immer mit auf Tour, wenn ich diese beiden Extra-Bünde brauche. Es ist tricky, diese Töne zu kriegen, wenn du nur 22 Bünde hast. Beim PRS-System gibt es durch die gerade Saitenführung keine Knicke, an denen die Saite Reibung hat und sich im Sattel verhaken kann. Das funktioniert auch sehr gut.
Was waren die Amps,-Gitarren, Effekte und Plug-ins, die ihr verwendet habt? Vielleicht fängst du an, Andy.
AC: Wir sind ja auf Zoom – warte, ich zeige es dir. Das ist mein Haupt-Bass.
Der von den Promo-Fotos.
AC: Ja, cool, oder? Den Hals habe ich von Fender bekommen.
Bild: Andy Curran
2019 Loucin Guitar G-Bass
Bild: Andy Curran
2001 Fender Custom Shop Jaco Pastorius Relic Fretless Jazz Bass
Bild: Andy Curran
1983 Rickenbacker 4003
Was hat es mit dem Body auf sich?
AC: Es ist die erste Form eines P-Bass-Designs, auch wenn er, wie ich es nenne, eine Telecaster-Kopfplatte hat. Geddy Lee (Rush-Bassist/- Sänger) war so freundlich, mich in sein Haus zu lassen und die Abmessungen von einem 59er-Modell, er nennt es Slab, nehmen zu lassen. Der Body besteht aus Swamp Ash und wurde von einem Typen namens Loucin gebaut. Er macht großartige Gitarren und hat auch ein paar Acoustics für Alex gebaut. Das Holz dafür stammt aus den Dielen eines berühmten Venues in Toronto namens El Mocambo. Viele von meinen Bass-Parts auf dem Album wurden damit eingespielt. Auf ‚Look Inside‘ habe ich einen 4001er-Rickenbacker mit jeder Menge Verzerrung verwendet. Ich bin ein großer Fan von Doug Pinnick und liebe sein Pedal von Tech 21. Ich würde sagen, 90 Prozent der Bass-Sounds kamen darüber. Und dann gab es auch noch ein paar Songs, bei denen ich das Gefühl hatte, dass sie nicht mal einen E-Bass brauchen. Ich habe ein Programm von Arturia mit sehr vielen 70er/80er-Keyboard-Bass-Sounds. Das kam ebenfalls häufig zum Einsatz.
Alex, was war es bei dir?
AL: Jede Menge. Das fing schon bei den Gitarren an. Dazu gehörten meine 76er ES-355, ebenso meine 68er ES-335, meine 57er Les Paul Goldtop, meine 61er Les Paul Black Beauty Custom sowie eine 68er Reissue, die ich für die späteren Aufnahmen verwendet habe. Außerdem PRS-Modelle, Telecasters, Stratocasters … Ich hatte eine große Palette und wählte die Gitarren nach Gefühl aus. In Sachen Amps habe ich einen Matchless Clubman und einen Bogner Überschall benutzt.
AC: Al, du hast auch eine 12-Saitige verwendet. Welche war das?
AL: Die an der Wand rechts, die PRS Hollowbody. Aber noch mal zu den Amps: Matchless, Bogner, dazu den Lerxst sowie einen Anniversary Marshall. Und das kombiniert mit kleinen Boxen, mit je einem 12“-Celestion-Speaker. Ich hatte zwei verschiedene davon. Dazu kam mein gesamtes Analog-Equipment: Neve-Preamps, API-Audio-Preamps sowie all meine Universal-Audio-Kompressoren. Ich bin sehr stolz darauf. All meine Sounds gehen dadurch, bevor sie in den Rechner gelangen.
Bild: Alex Lifeson
Kompressoren & Preamps
Bild: Alex Lifeson
Kompressoren & Preamps
Für mich macht dieser Schritt definitiv einen Unterschied. Selbst wenn du nicht komplett analog aufnimmst, behältst du auf diese Art zumindest einiges von diesem Charakter. Ich habe kaum Pedale benutzt, höchstens mal einen Electro-Harmonix Electric Mistress Flanger, aber das war es auch schon. Der ganze Rest kam über Plug-ins. Es gibt so viele davon. Und so viele, die verrückte Sachen machen. Es ist nicht nur ein einfaches Delay oder ein Chorus oder ein Hall. Sie machen all diese verschiedenen Sachen. Man kann Stunden damit verbringen und tief in den Kaninchenbau eindringen – und Spaß damit haben.
Welche Akustik-Gitarren hast du verwendet?
AL: Alle, die hier hinter mir hängen: meine PRS Angelus, eine Martin OM-28, die ich seit rund 15 Jahren besitze, die Loucin-Gitarren oben in der Ecke mit den lustigen Cutaways sowie die Bariton darunter. Dazu kam meine Gibson Dove, die ich 1976 bekam, sowie eine J-45, die für Nashville-Tuning besaitet war.
AC: Hast du nicht auch Banjo gespielt?
AL: Oh ja, das auch. Danke, Andy. Ich habe alles schon wieder vergessen. Das habe ich auf ‚Kabul Blues‘ verwendet, und auch auf der originalen Version von ‚Old Strings‘, die Maiah geschrieben hat. Die war sehr anders als die finale Version.
Welches sind die Instrumente auf dem Abschluss-Song ‚Western Sunset‘. Der ist ja akustisch.
AL: Die PRS Angelus hier unten auf dem Ständer. Ich habe sie zuletzt viel gespielt. Das ist eine wunderbare Gitarre. Sie haben ein paar mit verschiedenen Formen und Hölzern gebaut. Ich habe da großes Glück gehabt, denn das sind echt großartige Instrumente. Sie klingen fantastisch. Es ist toll, mit ihnen zu arbeiten.
AC: Der Bass auf ‚Western Sunset‘ hat ebenfalls eine spezielle Geschichte: Ich habe ein wunderbares Geschenk von Geddy Lee bekommen. Eines Tages schickte er mir einen Jaco Pastorius Fretless Relic Bass von Fender. Geddy und ich haben viel über Bassisten gesprochen. Er hat ihn für mich gekauft. Und nun schließen sich die Kreise: ‚Western Sunset‘ wurde von Alex’ Krankenbesuch bei Neil (Peart, 2020 verstorbener Rush-Drummer) inspiriert. Auf diesem Stück spiele ich Geddys Bass. Es ist der einzige Track auf dem Album, auf dem ich einen Fretless verwendet habe. Aber hier fand ich es irgendwie cool.
Ich sehe viele schöne Instrumente hinter dir, Alex. Bist du auch ein Sammler? Hast du Vintage-Zeug?
AL: Ich bin so alt, dass die Gitarren, die ich neu gekauft habe, heute Vintage-Instrumente sind. Ich mache keine Witze, das stimmt. Aber ich werde mich von vielen von ihnen trennen: Ich habe eine Auktion bei Julien’s Auctions im Mai (läuft vom 20.- 22.05.). Dort lasse ich 63 Gitarren versteigern, die mir wirklich ernsthaft am Herzen liegen. Die Idee dahinter ist, einen Fond für eine Stiftung aufzubauen. Es war sehr schwer, sie zu verpacken und mich von ihnen zu verabschieden, wie du dir wahrscheinlich vorstellen kannst. Aber ich finde es dennoch toll.
Das ist eine starke Geste. Und womit machst du in Zukunft Musik?
AL: Das wird schon hinhauen. Ich dachte zuerst, ich hätte nur noch ein paar übrig, aber es sind immer noch 30 Gitarren hier. Sie liegen überall: eine unter dem Bett, eine im Schrank, ein paar im Büro. Es ist also nicht so, dass ich jetzt einen Mangel an Instrumenten habe. Definitiv nicht.