„Im Großen und Ganzen werden in der Musik auf jeden Fall zu selten Risiken eingegangen. Das kommt davon, wenn man Streaming-Aufrufen hinterherrennt.“

Empire State Bastard im Interview: Musik gegen den Ekel

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(Bild: Gavin Smart)

Obwohl Empire State Bastard auf den ersten Blick wie ein unwahrscheinlicher musikalischer Schulterschluss aussehen, lag es nahe, dass Gitarrist Mike Vennart und Sänger Simon Neil früher oder später gemeinsame Sache machten. Ersterer baute bis 2011 gewaltige Soundwände mit den Post-Rockern Oceansize auf, ehe er als Live-Mitglied bei der Band des letzteren einstieg, den Alternative-Helden Biffy Clyro. Beim Musikhören im Tourbus übertrafen sich die beiden gegenseitig mit immer extremeren Klängen, bis sie auf die Idee kamen, eine Band zu gründen, mit der sie diese Vorlieben ausleben könnten.

Erst während der Pandemie kam das britische Duo dazu, Songs auszuarbeiten, deren Schlagzeugparts schließlich von ex-Slayer-Derwisch Dave Lombardo eingespielt wurden. Das fertige Debütalbum ‚Rivers Of Heresy‘ liegt nun vor und gleicht einer vertonten Aggressionsbewältigung, über die wir uns mit den beiden Machern unterhalten.

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INTERVIEW

Männer, was sollen wir in einem Magazin für Musiker über eure Musik erzählen, die nicht unbedingt direkt an Musiker gerichtet ist?

Mike: Keine Ahnung, aber ich kann durchaus ein bisschen Eindruck mit meinem theoretischen Wissen schinden.

Spaß beiseite, wie bist du als Hauptkomponist von Empire State Bastard beim Songwriting vorgegangen?

Mike: Ich habe mir eine feste tägliche Routine auferlegt, die darin bestand, dass ich mich vor meinen Computer setzte, einen richtig schnellen Clicktrack laufenließ und mit mir selbst jammte. Daraus entstanden Ideen, aus denen ich mit programmierten Bass- und Drum-Parts Grundgerüste von Songs bastelte. Simon bekam alle paar Tage eine Mail von mir mit Dateien und der Frage: „Was hältst du davon?“ Auf diese Weise tauschten wir uns ungefähr ein Jahr lang aus, was Riesenspaß machte. Ich freue mich schon darauf, mit der Arbeit an unserem zweiten Album anzufangen.

‚River Of Heresy‘ ist also keine einmalige Angelegenheit.

Simon: Nein, wir fühlen uns wie eine echte Band.

Dass die Musik so entstand, ist schwer vorstellbar. Sie klingt eher nach intensivem Jammen im Proberaum und der spontanen Energie des Augenblicks.

Mike: Das liegt vor allem daran, dass es während des Schaffensprozesses keine zwischenmenschlichen Dramen gab. Ich habe ehrlich gesagt Schwierigkeiten, mich anderen mitzuteilen, und verursache dadurch manchmal Streit. Unter den gegebenen Umständen brauchte ich mich aber niemandem gegenüber zu rechtfertigen und habe quasi mit mir selbst gestritten. Was dabei herauskam, konnte ich Simon schicken, der dem Chaos dann eine Form gegeben hat.

Das Bemerkenswerte an der Platte ist ihre Originalität: rasantes Geknüppel, aber kein handelsüblicher Metal, und schrilles Geschrei, das trotzdem nicht in Schubladen wie „Screamo“ oder dergleichen passt.

Simon: Es ist einfach eine Mischung aus allen extremen Stilen, die wir in den letzten 20, 30 Jahren liebgewonnen haben, angefangen bei Converge und Napalm Death über abstraktere Sachen wie Black Dice bis zu Black Sabbath und dem Katalog des Labels Revelation Records oder Acts wie Will Haven, Drowning Man und Deadguy – überwiegend Neunziger-Kram also. Doch wir entdecken immer noch neue Bands, kürzlich etwa Body Void, die unglaublich heavy sind. So etwas spornt uns an, selbst noch krasser zu werden, und ich persönlich habe eine Vorliebe für die japanische Avantgarde-Sängerin Phew, die schon seit gut 40 Jahren Alben macht. Kurz gesagt machen wir Musik, die wir beide schätzen und die anderen auf die Nerven geht.

In gewisser Weise passt das zur aktuellen Weltlage und schlägt sich auch in den Songtexten nieder.

Simon: Den Ekel vor der Menschheit zu kriegen, fällt momentan leicht. Allein das, was hier in Großbritannien abgeht: Das Land rutscht seit Jahren immer tiefer, und der Brexit wird mehrere Generationen um Chancen berauben, etwas aus ihrem Leben zu machen. Die Pandemie hat Missstände offengelegt, und gerade Kunstschaffende mussten in die Röhre schauen, weil ihnen von heute auf morgen die Existenzgrundlage genommen wurde. Von einer Zeit, in der sich die Leute davor fürchteten, einander zu umarmen, stolperten wir geradewegs in den Krieg zwischen Russland und der Ukraine, und wer weiß, was danach kommt? Dass sich bei alledem Frust anstaute, der raus musste, dürfte klar sein. Meine Texte drehen sich um den Klimawandel, Identitätsfragen und eine gesellschaftliche Entwicklung, die darauf hinausläuft, dass niemand mehr Verantwortung für sein Handeln übernehmen möchte. Ich dachte eigentlich, nach der schwierigen Zeit mit dem Virus würden wir enger zusammenrücken, doch das Gegenteil ist der Fall. Als Musiker in der Lage zu sein, Wut in etwas Positives umzumünzen, um auf gesunde Weise damit umzugehen, ist großes Glück.

Mike: Unsere Regierung sieht keinen Wert in Kunst jedweder Art. Bands finden keine Proberäume, geschweige denn Orte zum Auftreten, die gesamte Infrastruktur bricht weg. Ich wollte heute kein Newcomer mehr sein, denn die Widrigkeiten, vor denen musikbegeisterte Kids jetzt stehen, sind enorm. Versuch nur mal, auf Tour zu gehen, ohne rote Zahlen zu schreiben.

Ihr seid noch nicht getourt, aber schon mehrmals aufgetreten, unter anderem mit Naomi Macleod von Bitch Falcon am Bass.

Mike: Die Konzerte waren bislang super, und wenn Dave mal nicht kann, haben wir mit Tom Rice einen Aushilfs-Drummer, der seine Parts eins zu eins nachspielen kann. Naomi stellte sich als fehlendes Puzzleteil heraus, mit ihr auf der Bühne fühlt es sich so an, als wären wir vier füreinander bestimmt.

Simon: Mike und ich sind generell sehr ungeduldige Zeitgenossen und schnell auf hundertachtzig, von daher ist es gut, dass die anderen beiden mit ihrem gelassenen Wesen ein wenig Ruhe in den Laden bringen. Naomi vergleiche ich immer mit einem Fahnenmast, und wir zwei sind das Wimpel, das daran im Wind flattert.

Mike: Bei uns passiert alles rückwärts: Zuerst gab es nur den Bandnamen, irgendwann folgte die Musik, und erst jetzt sind wir eine richtige Einheit.

Mehr über die Arbeit mit Dave Lombardo, Gear und gefährliche Musik auf Seite 2

Dave hat einen unverkennbaren Stil, wie stark hat sich das Material noch durch seinen Beitrag verändert?

Mike: Er hat den Songs den letzten Schliff verliehen, und das ist auch das Schöne an ihm: Er bekam keinerlei Vorgaben und hat unsere Erwartungen übertroffen. Ich meine, wir fragten Dave Lombardo als Drummer an und bekamen Dave Lombardo – besser ging‘s nicht. Ich hatte die Drums sowieso mit ihm im Hinterkopf produziert, doch was von ihm zurückkam, war quasi Dave im Quadrat oder sogar hoch drei. Er vereint unbändige Power und rasiermesserscharfe Intelligenz in sich, wodurch er vermutlich selbst den miesesten Song aufwerten kann.

Wie lief denn die Produktion im Einzelnen ab? Für die Aufnahmen kam Dave sicherlich nicht zu euch nach England oder?

Mike: Nein. Das Album entstand komplett als Demo bei mir zu Hause. Diese Version war die Grundlage für die Drums, die zuerst eingespielt wurden, und zwar bei Dave daheim in Kalifornien, woraufhin ich die Gitarrenspuren ordentlich und verdammt laut im Studio eines Freundes in Liverpool aufnahm. Mir war von vornherein klar, dass ich keine digitalen Sachen, Verstärkersimulationen oder ähnliches benutzen wollte; es sollte so authentisch wie möglich klingen, daher haben wir nur zwei Matamp-GT1-Röhrenverstärker verwendet und nur ganz leicht aufgedreht, das reichte bereits für einen mörderischen Sound. Zum Schluss fügte Simon die Vocals in seinem Heimstudio Infinity Land in East Ayrshire hinzu.

Simon: Es war also eine Satellitenproduktion, die für uns bestens funktionierte, obwohl ich das nicht unbedingt weiterempfehlen würde, es ist nichts für jedermann. Dave hatte seine Aufnahmen klanglich nachbearbeitet, sodass wir sie unverändert übernehmen konnten, wohingegen ich mein Zeug völlig roh belassen habe. Davon abgesehen war es schön, dass alle Beteiligten aufgrund der Zeitverschiebung jeden Morgen aufstanden und gleich neue Musik im Postfach hatten, das trug sicherlich zu der Energie bei, die das Album jetzt versprüht, und kam normalen Umständen, bei denen alle Bandmitglieder zusammen im Studio stehen, schon relativ nahe.

Mike, welche Gitarren und Effekte kamen zum Einsatz.

Mike: Keine Effekte, mein Signal ging direkt in den Amp, und ich habe auch nur eine Gitarre verwendet, eine Gibson Explorer mit DiMarzio-Tone-Zone-Tonabnehmern, für besonders präsente Mitten und sanfte Übergänge. Die C-Standardstimmung spielte eine wichtige Rolle bei der Entstehung von ‚Rivers Of Heresy‘, denn erst als ich sie einsetzte, wurde mir klar, in welche Richtung das Ganze gehen würde. Von diesem Moment an schrieben sich die Songs praktisch von selbst.

Bewusst gegen den Strich gehen, das tut ihr ja eigentlich auch im Vergleich zu Oceansize und Biffy Clyro, deren Musik jeweils vielschichtig und sehr ausgefeilt ist, beziehungsweise war.

Simon: Ich bin kein Freund von Leuten, die jahrelang in einer Band spielen und dann ein Nebenprojekt starten, das nahezu identisch klingt. Empire State Bastard wirft keinen Schatten auf unsere Hauptacts, sondern ist etwas Eigenständiges, wobei wir uns von Anfang an vornahmen, nicht mit vordergründigen Melodien zu arbeiten. Songs wie üblich auf ein Hook oder einen Höhepunkt auszurichten funktionierte daher nicht, wir haben uns vielmehr auf die Abgründe dazwischen konzentriert.

Mike: Ich musste von meinem gewohnten gitarristischen Ansatz wegkommen, alle möglichen Klangfarben zu schichten und jede Lücke mit Akkorden zu schließen. Stattdessen gab es nur eine Gitarre und Quintakkorde, die absurd brutal klingen sollten. Bei dieser Herangehensweise bleibt kein Platz für Emotionen, du betrittst völlig neutrales Terrain.

Simon: Wir mussten uns für dieses Album an den Rand der Wirklichkeit begeben. Das ist meiner Meinung nach sowieso eine Eigenschaft guter Musik: Sie treibt dich an eine Grenze, wo du kurz davorstehst, dich selbst aufzulösen, deinen Verstand oder deine Stimme zu verlieren. Das sind Empire State Bastard für mich: gefährliche Musik für eine unsichere Zeit.

Mike: Dabei stand eine Zeitlang auch die Idee im Raum, nur ein Akustikalbum zu machen.

Stichwort „gefährlich“: Gehen Rockbands heute grundsätzlich zu sehr auf Nummer sicher?

Simon: Ein großes Problem besteht darin, dass viele Jugendliche heute total angepasst sind und die Musik ihrer Eltern gut finden oder zahnloses Zeug wie Black Eyed Peas oder Travis Scott hören. Als ich ein Teenager war, habe ich mich gegen meine Alten aufgelehnt, indem ich auf unmöglichen Krach abgefahren bin.

Mike: Travis Scott, ist das nicht der Drummer von Blink-182?

Simon: Nein, du meinst Travis Barker, Mann.

Mike: Ah, okay. Im Großen und Ganzen werden in der Musik auf jeden Fall zu selten Risiken eingegangen. Das kommt davon, wenn man Streaming-Aufrufen hinterherrennt. Die Musikbranche befindet sich gerade in einer merkwürdigen Situation: einige wenige sehr erfolgreiche Songs werden milliardenfach gestreamt, und dann folgt eine große Kluft, auf deren anderer Seite die wirklich kreative, beseelte Musik steht. Die Mehrheit verbiegt sich, um in Playlisten zu gelangen; wir wollten einfach etwas machen, wobei wir uns frei ausdrücken können und das ehrlich widerspiegelt, wie wir uns fühlen.


(erschienen in Gitarre & Bass 01/2024)

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