„Im Großen und Ganzen werden in der Musik auf jeden Fall zu selten Risiken eingegangen. Das kommt davon, wenn man Streaming-Aufrufen hinterherrennt.“
Dave hat einen unverkennbaren Stil, wie stark hat sich das Material noch durch seinen Beitrag verändert?
Mike: Er hat den Songs den letzten Schliff verliehen, und das ist auch das Schöne an ihm: Er bekam keinerlei Vorgaben und hat unsere Erwartungen übertroffen. Ich meine, wir fragten Dave Lombardo als Drummer an und bekamen Dave Lombardo – besser ging‘s nicht. Ich hatte die Drums sowieso mit ihm im Hinterkopf produziert, doch was von ihm zurückkam, war quasi Dave im Quadrat oder sogar hoch drei. Er vereint unbändige Power und rasiermesserscharfe Intelligenz in sich, wodurch er vermutlich selbst den miesesten Song aufwerten kann.
Wie lief denn die Produktion im Einzelnen ab? Für die Aufnahmen kam Dave sicherlich nicht zu euch nach England oder?
Mike: Nein. Das Album entstand komplett als Demo bei mir zu Hause. Diese Version war die Grundlage für die Drums, die zuerst eingespielt wurden, und zwar bei Dave daheim in Kalifornien, woraufhin ich die Gitarrenspuren ordentlich und verdammt laut im Studio eines Freundes in Liverpool aufnahm. Mir war von vornherein klar, dass ich keine digitalen Sachen, Verstärkersimulationen oder ähnliches benutzen wollte; es sollte so authentisch wie möglich klingen, daher haben wir nur zwei Matamp-GT1-Röhrenverstärker verwendet und nur ganz leicht aufgedreht, das reichte bereits für einen mörderischen Sound. Zum Schluss fügte Simon die Vocals in seinem Heimstudio Infinity Land in East Ayrshire hinzu.
Simon: Es war also eine Satellitenproduktion, die für uns bestens funktionierte, obwohl ich das nicht unbedingt weiterempfehlen würde, es ist nichts für jedermann. Dave hatte seine Aufnahmen klanglich nachbearbeitet, sodass wir sie unverändert übernehmen konnten, wohingegen ich mein Zeug völlig roh belassen habe. Davon abgesehen war es schön, dass alle Beteiligten aufgrund der Zeitverschiebung jeden Morgen aufstanden und gleich neue Musik im Postfach hatten, das trug sicherlich zu der Energie bei, die das Album jetzt versprüht, und kam normalen Umständen, bei denen alle Bandmitglieder zusammen im Studio stehen, schon relativ nahe.
Mike, welche Gitarren und Effekte kamen zum Einsatz.
Mike: Keine Effekte, mein Signal ging direkt in den Amp, und ich habe auch nur eine Gitarre verwendet, eine Gibson Explorer mit DiMarzio-Tone-Zone-Tonabnehmern, für besonders präsente Mitten und sanfte Übergänge. Die C-Standardstimmung spielte eine wichtige Rolle bei der Entstehung von ‚Rivers Of Heresy‘, denn erst als ich sie einsetzte, wurde mir klar, in welche Richtung das Ganze gehen würde. Von diesem Moment an schrieben sich die Songs praktisch von selbst.
Bewusst gegen den Strich gehen, das tut ihr ja eigentlich auch im Vergleich zu Oceansize und Biffy Clyro, deren Musik jeweils vielschichtig und sehr ausgefeilt ist, beziehungsweise war.
Simon: Ich bin kein Freund von Leuten, die jahrelang in einer Band spielen und dann ein Nebenprojekt starten, das nahezu identisch klingt. Empire State Bastard wirft keinen Schatten auf unsere Hauptacts, sondern ist etwas Eigenständiges, wobei wir uns von Anfang an vornahmen, nicht mit vordergründigen Melodien zu arbeiten. Songs wie üblich auf ein Hook oder einen Höhepunkt auszurichten funktionierte daher nicht, wir haben uns vielmehr auf die Abgründe dazwischen konzentriert.
Mike: Ich musste von meinem gewohnten gitarristischen Ansatz wegkommen, alle möglichen Klangfarben zu schichten und jede Lücke mit Akkorden zu schließen. Stattdessen gab es nur eine Gitarre und Quintakkorde, die absurd brutal klingen sollten. Bei dieser Herangehensweise bleibt kein Platz für Emotionen, du betrittst völlig neutrales Terrain.
Simon: Wir mussten uns für dieses Album an den Rand der Wirklichkeit begeben. Das ist meiner Meinung nach sowieso eine Eigenschaft guter Musik: Sie treibt dich an eine Grenze, wo du kurz davorstehst, dich selbst aufzulösen, deinen Verstand oder deine Stimme zu verlieren. Das sind Empire State Bastard für mich: gefährliche Musik für eine unsichere Zeit.
Mike: Dabei stand eine Zeitlang auch die Idee im Raum, nur ein Akustikalbum zu machen.
Stichwort „gefährlich“: Gehen Rockbands heute grundsätzlich zu sehr auf Nummer sicher?
Simon: Ein großes Problem besteht darin, dass viele Jugendliche heute total angepasst sind und die Musik ihrer Eltern gut finden oder zahnloses Zeug wie Black Eyed Peas oder Travis Scott hören. Als ich ein Teenager war, habe ich mich gegen meine Alten aufgelehnt, indem ich auf unmöglichen Krach abgefahren bin.
Mike: Travis Scott, ist das nicht der Drummer von Blink-182?
Simon: Nein, du meinst Travis Barker, Mann.
Mike: Ah, okay. Im Großen und Ganzen werden in der Musik auf jeden Fall zu selten Risiken eingegangen. Das kommt davon, wenn man Streaming-Aufrufen hinterherrennt. Die Musikbranche befindet sich gerade in einer merkwürdigen Situation: einige wenige sehr erfolgreiche Songs werden milliardenfach gestreamt, und dann folgt eine große Kluft, auf deren anderer Seite die wirklich kreative, beseelte Musik steht. Die Mehrheit verbiegt sich, um in Playlisten zu gelangen; wir wollten einfach etwas machen, wobei wir uns frei ausdrücken können und das ehrlich widerspiegelt, wie wir uns fühlen.
(erschienen in Gitarre & Bass 01/2024)