Die 2007 gegründeten Dust Bolt haben sich mit vier Studioalben als junge Hoffnungsträger der deutschen Thrash-Metal-Szene bewährt. ‚Sound & Fury‘, das fünfte Album der Bayern, markiert nun jedoch in mehrfacher Hinsicht eine Zäsur: Die Band schlägt bisher ungekannte neue Töne an, ohne ihre Kernkompetenzen völlig aufzugeben, doch dass mit einer Hinwendung zu Hardrock im weitesten Sinn auch andere Perspektiven und kreative Abläufe einhergehen, versteht sich von selbst. Gründer, Gitarrist, Sänger und Hauptkomponist Lenny „Bruce“ Breuss lässt sich von uns in die musikalischen Karten schauen.
Interview
Lenny, ihr habt praktisch als Kids mit der Band begonnen, wie bist du Musikfan und schließlich selbst Musiker geworden?
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Ich bin in einer Musikerfamilie aufgewachsen, und die Gitarre hat immer so ein bisschen zu mir gesprochen, wenn ich sie auf Postern oder in Videos sah. Irgendwann meinte ich aber Drummer werden zu müssen, doch das war finanziell nicht drin und wäre außerdem zu laut im Haus gewesen, also habe ich mich endgültig auf die Gitarre festgelegt. Mein Vater komponierte für Geld Schlager und Werbemusik, weshalb Rock und Metal wahrscheinlich meine persönliche Rebellion dagegen waren. Ich würde sagen, diese Musik hat mich gefunden, nicht umgekehrt.
In meiner Teenagerzeit waren Slipknot, System Of A Down, Green Day, Linkin Park und Red Hot Chili Peppers angesagt, außerdem gab es noch MTV. An dieser Stelle bin ich also eingetaucht, und parallel dazu wuchs meine Liebe zur Gitarre, sodass ich in der Zeit zurückging, um zu schauen, woher das alles kam. So landete ich bei Sachen wie Gary Moore oder Pink Floyd.
Du hast zunächst Konzertgitarre gespielt – mit Unterricht, oder bist du Autodidakt?
Wir hatten eine klassische Gitarre mit Nylonsaiten rumliegen, und ich versuchte, sie so tief zu stimmen, dass es sich nach Slipknot anhörte, so naiv war man damals. Ich habe dann von meinen Eltern eine Handvoll Akkorde gezeigt bekommen, wobei es hieß, damit könnte ich alles spielen. Größtenteils bin ich Autodidakt, doch ich hatte auch Unterricht, ein halbes Jahr lang oder so. Das war bei Jan Zehrfeld von Panzerballett, und ich wusste zuerst gar nicht, wie crazy der ist.
Sind Instrumente für dich Werkzeuge, oder sammelst du?
Sowohl als auch, was eigentlich merkwürdig ist, weil sich prinzipiell herausgestellt hat, dass ich ein Fender-Typ bin. Ich spiele bei Dust Bolt jetzt tatsächlich eine Mexico-Telecaster, was für Metal relativ untypisch ist, zumal auch ohne aktive Pickups. Das Geile an dieser Gitarre ist, dass das Setting keine Rolle spielt; ich verwende sie in der Punkband, die ich nebenbei habe, man kann damit Country oder Blues machen und bei Studioaufnahmen alle Stile bedienen.
Als ich die Telecaster in die Hand nahm, wusste ich gleich, dass das der richtige Weg für mich ist – mein Weg. Daneben habe ich aber trotzdem noch eine relativ günstige Strat, eine Les Paul Studio, eine Düsenberg und die drei Jacksons, die auf den ersten vier Dust-Bolt-Alben zum Einsatz kamen.
Du bist also auf den Geschmack des Schlichten gekommen und benutzt auch kein Vibrato-System mehr?
Ich denke, das hat mit der hinzugewonnenen Erfahrung zu tun. Die Jacksons haben alle ein Floyd-Rose, das natürlich eine Menge Arbeit bereitet, und da ich handwerklich maximal unbegabt bin, musste ich so ehrlich zu mir sein und sagen: Nimm etwas mit auf Tour, das dir das Leben nicht unnötig schwer macht. Ich bin niemand, der gerne die Intonation richtig einstellt oder generell an Gitarren tüftelt. Die Tele ist für mich ein Arbeitstier, wobei ich immer an Bruce Springsteen denken muss: Er haut kraftvoll in die Seiten, kann aber auch total sensibel und soft spielen.
Wie hat sich diese Rückbesinnung auf deine Amps und Boxen ausgewirkt?
Ich bin ein sehr starker Verfechter der These, dass der Ton aus den Fingern kommt, und versuche daher quasi, beschränkte Mittel als Chance zu sehen. Als junger Musiker kannst du sowieso nicht hingehen und dir einen teuren Mesa/Boogie oder Orange kaufen, um sie zu testen und herauszufinden, was das Richtige für dich ist; es läuft vielmehr so, dass du mit dem arbeiten musst, was du hast. Darin besteht die besondere Aufgabe und auch eine gewisse Schönheit, wenn ich sage: Okay, ich habe jetzt nur diesen Peavey 6505 und mach das Beste draus.
Es ist ein ziemlich heißer Amp, und wenn ich mit meiner Tele reingehe, die wenig Output hat, ergibt das eine ganz andere Anschlagsdynamik. Du kannst den Ton besser mit den Fingern formen, und es ist trotzdem ein aggressiver Metal-Sound. Allerdings könnte ich mir nicht vorstellen, je einen Verstärker ohne Tube Screamer zu spielen.
Bild: Dust Bolt
Engl Retro Tube 50 & Engl-Cabinet
Bild: Dust Bolt
Fender-Hot-Rod-Deluxe-Combo
Woher kommt es, dass ihr auf ‚Sound & Fury‘ stilistisch in die Breite geht und Experimente wagt?
Ich habe Dust Bolt mit zwölf gegründet, was bedeutet, dass unsere Entwicklung als Musikfans mit jener der Band einherging. Zuerst geschah alles intuitiv aus dem Bauch heraus, doch irgendwann kam der Moment, als wir dachten: Da ist noch so viel mehr, was wir sagen wollen, eine andere Sprache als Thrash Metal. Wenn wir in die Zukunft schauen, können wir sicherlich immer wieder das gleiche Album machen, doch das wären nicht wir selbst. Wir hatten einfach Bock, was zu riskieren und uns fallenzulassen.
Hinzu kam, dass unser Bassist ausstieg, der Gründungsmitglied war, woraufhin sein Nachfolger frischen Wind hereinbrachte, nicht zu vergessen die Pandemie und der dadurch entstandene luftleere Raum von zwei Jahren. Während dieser Zeit schaffte ich mir den ganzen Studio-Kram drauf, das neue Album ist also mein Debüt als Produzent. All dies zusammen hat uns irgendwie verändert und Türen geöffnet, herausgekommen ist ebendiese Platte.
Wie konntest du beim Produzieren eine gesunde Distanz wahren? Wenn man für alle Aspekte die Verantwortung trägt, verliert man sicherlich leicht die Übersicht.
Die Pandemie wirkte wie ein Puffer, wir haben uns zurückgezogen und gefragt, wie wir überhaupt weitermachen sollten. Ich erkannte dann, dass ich der Einzige bin, der weiß, wie der Rest der Band menschlich tickt, von daher war diese Arbeitsweise sogar einfacher als mit einem fremden Produzenten, der uns nicht kennt. Außerdem hatten wir die vorigen Alben vollständig im Proberaum ausgearbeitet und dann einfach nur im Studio aufgenommen.
Diesmal stellte ich die anderen vor vollendete Tatstachen: Passt auf, ich hab ein Studio gebucht in zwei Monaten geht’s los, wir haben jetzt fünf Songs und brauchen noch sieben – let’s go! Ich wusste, dass die Jungs unter Druck funktionieren. Die Drums wurden in einem Berliner Studio getrackt, das klappte super, und dann lernte ich einen Kollegen mit einem Studio bei mir um die Ecke in München kennen.
Es wurde zu so was wie meinem Corona-Rückzugsort, wo wir schließlich den ganzen Rest abgewickelt haben. Das ging sehr natürlich und traditionell mit wenigen technischen Komponenten vonstatten: Die Amps wurden mikrofoniert, und wir haben nichts quantisiert, das Schlagzeug ist auch nicht immer hundertprozentig auf Click, doch genau so wollten wir es. Mix und Mastering fanden dann bei Moritz Enders in Berlin auf einer alten analogen SSL-Konsole statt, wodurch ein wunderbar warmer Sound entstanden ist.
Was vor allem auffällt, sind die weit im Vordergrund stehenden Vocals, die oft mehrstimmig arrangiert sind, und du hast hörbar an deiner Stimme gearbeitet.
Ja, ich habe diesmal großen Wert auf meine Gesangsperformance gelegt, und da wir mehr Zeit als zuvor im Studio hatten, konnten wir viel herumprobieren. Ich konnte Harmonien singen und Chorparts einbauen, was ich im Pop sehr sehr mag, obwohl es ja im Rock und Metal auch nicht unüblich ist, wenn man an Bands wie Stone Sour denkt. Wenn uns etwas gefiel, haben wir es einfach gemacht, ohne uns um mögliche Konsequenzen zu sorgen.
Ich fühle mich beim Hören des Albums an zwei große Thrash-Bands erinnert, die ihre experimentelle Phase in den 1990ern hatten, Metallica mit ‚Load‘ und ‚Reload‘ sowie Anthrax, als John Bush bei ihnen sang.
Lustigerweise bin ich mit genau dieser Ära der beiden Bands aufgewachsen, ich lernte zuerst die Anthrax-Alben mit Bush kennen und fand sie geil. Mein erstes war, glaube ich, ‚We‘ve Come for You All‘ von 2003, erst danach haben wir uns die klassischen Sachen angehört, also gab es bei uns nie dieses Schwarzweißdenken der alteingesessenen Thrasher, die alles Neue scheiße finden. Bei Slayer lief es ähnlich, auf sie bin ich über Slipknot gekommen.
Wo du erwähnst, dass ihr mehr Zeit als sonst hattet: Läuft man da nicht Gefahr, sich in Kleinigkeiten zu verzetteln?
Dadurch, dass wir grundsätzlich eine live-orientiere Band sind, habe ich immer die Bühnensituation im Hinterkopf. Man merkt schnell, ob man eine gewisse Grenze überschreitet, daher haben wir immer einen Doppelcheck gemacht; wir sind parallel zur Arbeit im Studio regelmäßig in den Proberaum zurückgekehrt und haben die Songs gejammt, um zu überprüfen, wie sie funktionieren.
Mittlerweile merken wir, dass unser gesamtes Set im Grunde nur von dem neuen Material profitiert, denn die schnellen älteren Songs wirken zwischen den aktuellen Sachen doppelt so intensiv. Dynamik ist für mich ohnehin ein großes Thema und etwas, das ich heutzutage im Metal-Bereich vermisse. Alles muss ballern und gut in Playlisten funktionieren, ist sehr stark komprimiert und fühlt sich dementsprechend gleichförmig an.
Bei Konzerten ist es genauso, die Band fängt an, und eineinhalb Stunden später, wenn es vorbei ist, fragt man sich, was das war. Wir haben für unsere nächsten Shows ganz bewusst Spannungskurven in unser Programm eingebaut, wo es abwechselnd ruhiger und wieder intensiver wird. Für mich wird das zu einer Herausforderung, ich spule nicht nur ein Programm ab und bin Schauspieler, es ist so viel emotionaler.
(Bild: Colourbound)
Wie hast du dir das gleichzeitige Singen und Spielen beigebracht?
Das ging damals so nach dem Motto: Irgendjemand muss es ja machen. Bei den anderen klappte es nicht, also versuchte ich es. Ehrlich gesagt wollte ich immer mindestens genauso gerne Sänger werden wie Gitarrist, bloß dass die Gitarre dann zu meinem Arbeitsgerät wurde und ich nur im stillen Kämmerlein gesungen habe. Eigentlich mag ich es melodisch und wollte das auf dem neuen Album hervorheben. Oft liebäugle ich sogar mit dem Gedanken, nur noch eines von beiden zu tun, das würde mir das Leben auf der Bühne deutlich erleichtern, obwohl ich auch ein Fan klassischer Frontleute bin, angefangen bei Prince über Jack White bis zu James Hetfield.
Zudem lege ich Wert auf gute Songtexte, würde ich einfach nur leere Worte aneinanderhängen, könnte ich gleich Schlager machen. Ich muss hinter dem stehen, was ich singe, das bedeutet für mich Roll, und ‚Sound & Fury‘ ist für mich wirklich ein Rock’n’Roll-Album, wenn auch natürlich mit einem starken Metal-Einschlag.
Dust Bolt war mein Highlight bei BiB! Die Tele sorgt definitiv für Dynamik.