„Es ist ein riesiger Spielplatz – ich bin so froh, das machen zu dürfen.“

Do less better: Jesper Munk im Interview

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(Bild: Julio Cordey)

Nach fünf Jahren musikalischer Wanderschaft durch Art-Punk und Dark Wave ist ‚Yesterdaze‘ Jesper Munks Solo-Rückkehr – allerdings klingt hier vieles anders als seine Anfänge in jungen Jahren als Blues-Wunderkind. Statt Gitarrensolos dominieren nun Neo Soul, analoge Keys und Minimalismus, aufgenommen auf Tape. Im Gespräch zeigt sich der Wahlberliner reflektiert über seine künstlerische Entwicklung mit unterschiedlichsten Einflüssen, spricht offen über die prekäre Situation vieler Musiker:innen und erklärt, wieso ein Bildschirm im Studio manchmal einfach nur stört.

INTERVIEW

Jesper, das ist dein erstes Solo-Album mit eigenen Songs seit über 5 Jahren. Erzähl uns doch, was dich denn die letzten Jahre musikalisch so beschäftigt hat.

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Ich habe 2019 mit meiner damaligen Frau eine Art-Punk-Band gegründet, Public Display of Affection. Und bin Ende des gleichen Jahres bei Plattenbau eingestiegen, eine Post-Punk/Dark-Wave-Band aus Berlin. Die gibt es auch schon seit zwölf Jahren, ungefähr so lange wie meine Solo-Karriere. Von der war ich vorher Fan und habe mit Lewis (Sänger der Band, Anm. d. Red.) halt damals auch die Videos für mein Solo-Projekt gemacht. Und mit diesen beiden DIY- und Punk-Projekten habe ich die meiste Zeit verbracht, am meisten musikalisch reingesteckt und dazugelernt. Mein eigenes Projekt hatte ich so ein bisschen verlangsamt, weil es ja doch relativ früh angefangen hat und es eine hohe Frequenz an Releases und Touren gab. Ich glaube, das war wichtig, um wieder richtig Lust und Gefallen daran zu finden. Um wieder etwas zu sagen zu haben oder kulturell beitragen zu können.

Das ist ja alles eine andere Nische als Blues. Hattest du immer schon ein Faible dafür oder war das auch ein rebellischer Akt, jetzt auf diesen Industrial-Sound zu gehen?

Als ich früher mehr in diese Blues-Rock-Richtung gespielt habe, hatte mich eigentlich vom Klang her eher die Mischung aus Punk und Blues interessiert. Aber ich hatte noch keinen wirklichen Zugang zu der auditiven Welt, die quasi zwischen John Spencer und A Place to Bury ist. Also Noise-Rock und Punk gemischt mit Blues war eigentlich das Ziel. Und ich glaube, deswegen hat es mich auch so genervt, dass ich da nie den Zugang hatte. Ich bin aufgewachsen mit einem Vater, der viel in Punk-Bands und New-Wave-Bands gespielt hat. Also die Musik war schon immer präsent und es gab von mir auch immer eine Seite, die Punk-Elemente oder auf jeden Fall eine Punk-Energie nach vorne bringen wollte. Die Mischung war manchmal schwierig zu vereinen – vor allem aber schwierig zu vermarkten, glaube ich.

Ich war früher bei Warner, und das waren jetzt nicht so die beliebtesten Themen, wenn das total Krachige auf das sehr Balladige trifft. Aber mich macht es auch so ein bisschen aus. Ich bin so ein Klischee-Zwilling. Also ich bin entweder sehr leise oder sehr laut oder sehr weich oder sehr hart. Jetzt nicht, dass ich aggressiv bin oder so. (lacht) Aber da in diesem Zwiegespaltenen fühle ich mich sehr zu Hause. Es ist auf dem Album jetzt auch viel weniger Krachiges passiert, weil es einfach auch noch nicht die Zeit war. Aber es wird jetzt auf jeden Fall immer mehr wieder eingebunden. Also diese Mischungen zu finden, zwischen Post-Punk und Rock’n’Roll-Elementen, Shoegaze, aber coolen Balladen, die an die 50er-Jahre erinnern. Diese Mischung aus kalter und warmer Musik – das ist immer noch so ein bisschen die unerfüllte Mission. Also das nächste Album, das ‚Junk‘ heißen wird – das kommt irgendwann… Vielleicht 2026? Das sollte eben diese Mischung hinbekommen. Hoffentlich verspreche ich jetzt nicht zu viel, aber ja, ich muss mir ja auch irgendwas vornehmen.

‚Yesterdaze‘ wird ja oft nicht von Gitarren getragen, sondern von Keys oder analogen Synthies. Was ist denn deine Gitarren-Sound-Philosophie auf dem Album?

Ich habe mich in den anderen beiden Bands über die letzten paar Jahre quasi immer wieder eher in der unterstützenden Rolle befunden. Am Anfang war PDOA nur Gitarre, Schlagzeug und zwei Sänger. Da war es dann noch mehr eine leitende Rolle zwischen Rhythm und Leadgitarre, so wie bei mir früher im Trio. Und als Lewis dann der Bassist von PDOA wurde, wurde das quasi übernommen und ich habe immer mehr atmosphärische Sachen machen können. Also war die Strategie auch bei ‚Yesterdaze‘, den Kern des Songs nicht mit Gitarre zu bespielen. Dass ich beim Einsingen und beim Song-Erarbeiten im Studio eben nicht die Gitarre in der Hand habe, weil ich es ablenkend finde. Ich konzentriere mich zu sehr darauf und ich verliere mich auch darin. Hier ist die klangliche Vision von mir gekommen und ich habe auch viel gemischt an dem Album, saß viel mehr an Pro Tools, auch nach dem Digitalisieren der Tapes.

Die Hauptgitarre: Eine 1979 Fender Stratocaster (Bild: Jesper Munk)

Ich mag die Herangehensweise, die wir „Economy of Expression“ nennen. „Do less better“ sagt Lewis immer. Mittlerweile kommen auch minimalistischere Sachen wieder in den Mainstream rein, aber bei modernen Produktionen war es für eine lange Zeit ganz oft eben überproduziert. Wenn ich nichts mehr hinzufügen kann, dann ist der Song fertig. Es gibt kein falsch, aber der interessantere Ansatz für mich persönlich wäre: Wenn ich nichts mehr wegnehmen kann und der Song immer noch funktioniert, dann ist er fertig.

Das heißt, ihr habt das Album alle gemeinsam im Studio live auf Tape aufgenommen?

Auf Cassette Tape, ja. Mit einem 8-Track Tascam 488 Portastudio. Im Endeffekt haben wir vier Mikrofone für die Drums benutzt. Eins auf der Wurst-Position, ein Overhead, eins für Kickdrum und eins zwischen Snare und Hi-Hat. Das Signal geht in einen Mixer mit einem Send-Return-Gitarreneffekt. In unserem Fall war das ein Death By Audio Rooms. Das hat wahnsinnig viele Reverb-Einstellungen und Alternative-Settings, sodass du schnell draufhauen kannst. Dann ist der Hall extrem viel länger oder kürzer oder du hast eine andere Frequency-Einstellung. Total praktisches Outboard-Equipment. Ist halt nicht super HiFi, aber darauf stehe ich eh nicht. Ich mag es, Gitarreneffekte für alles zu benutzen. Diese Haptik. Ich mag Plug-ins einfach nicht so gerne.

Das Pedalboard mit Death by Audio Echo Dream 2 & Reverberation Machine, Boss OD-3, Death by Audio Absolute Destruction & Space Bender und Ibanez CS-505 Chorus (Bild: Jesper Munk)

Aus dem Mixer gingen die Drums mono in das Tape rein. Du kannst wahnsinnig wenig machen und das klappt manchmal wirklich gut. Das war bei ‚Taped Heart Sounds‘ so, da hat es super geklappt. Diesmal war es viel schwieriger, weil ich beim Aufnehmen Probleme hatte, Entscheidungen für die Drums zu treffen. Ich habe eher an den Song oder das Arrangement gedacht.

Die drei Jungs Hal, Tim und Ziggy waren im Live-Raum. Und ich war im Kontrollraum mit den Vocals, weil ich nicht in die Drums rein singen wollte. Weil ich die Chance haben will, die Vocals nach dem Digitalisieren nochmal aufzunehmen. Was ich bei den meisten Tracks auch gemacht habe. Also Mono-Drums, Mono-Bass, Mono-Keys, Mono-Guide-Vocals. Vier Tracks voll. Und dann halt noch die essentiellen Overdubs auf Tape. Zum Beispiel kommt bei ‚Yesterdaze‘ diese Gitarre rein. Es ist essentiell, dass die Teil von der Suppe ist. Dass sie auch diese Mid-Range-Compression vom Tape hat und eben nicht digital hinzugefügt ist. Alle Elemente, die Teile der Live-Band sind, wurden auf Tape aufgenommen. Alles, was dann so als Schmankerl obendrauf kam, wollte ich digital.

Ich mag es gern, wenn du diesen LoFi-Tape-Kern hast. Und digital hast du eine andere Frequency-Range: Das heißt, du kannst dann ein bisschen klirrendere Sachen oder mal ein Sub-Bass einbauen. Und natürlich auch breiter machen, weil du unbegrenzt viele Spuren hast. Also kann ich acht Streicher pannen und die anders mischen, sodass die eben aus diesem Tape-Rahmen fallen und diesen umarmen. Das war die Idee hinter der Produktion.

Hat sich an deinem Live-Setup etwas verändert, wenn du jetzt auf große Tour gehst?

Ziggy, Hal und Tim spielen mit mir. Was ich gern an dem Live-Setup mag, ist, dass ich nur noch bei der Hälfte so richtig eine treibende Gitarrenrolle übernehme, ansonsten viel Zeit nur fürs Singen habe und dann einfach die Gitarre greifen kann für eine Melodie, einen Post-Chorus oder ein Solo. Das hat sich wirklich essentiell verändert, wenn man es mit ganz früher vergleicht. Normalerweise war in den Bands, in denen ich gespielt habe, der Drummer immer das Rückgrat. Bei uns ist es eher Tim am Klavier, der der Sichere ist, Hal spickt manchmal in den Proben bei Tim in die Notizen rein. Und Ziggy ist so ein bisschen die Wildcard, am Schlagzeug. Diese Dynamik gefällt mir irgendwie gut. Wir haben einen starken Kern mit Hal und Tim in der Mitte. Ziggy am Schlagzeug und ich vorne an der Gitarre können so ein bisschen machen, was wir wollen und so etwas mehr improvisieren. Das ist eine Veränderung, die ich echt willkommen geheißen habe, weil es etwas Spezielles kreiert, was ich so bisher noch nicht gefühlt habe.

Hast du noch etwas, was du der Blues-Gitarrenwelt mitteilen willst?

Ich habe jetzt gerade ein Live-Album in München aufgenommen. Das war zweimal im Club Milla, glücklicherweise ausverkauft. Das war total interessant: Ich wollte so ein bisschen Frieden schließen mit meinem Frühwerk, meinen ersten zwei Alben, und vor allem denen Respekt zollen, die von Anfang an dabei waren. Die auch oftmals enttäuscht waren bei einem Konzert, weil ich dann nur neue Songs von einem Album gespielt habe, das noch gar nicht released war – also völlig abgehoben. Weil ich damals Probleme mit dieser Industrie hatte. Meine Rebellion gegenüber der Industrie wurde aber dann von alten Fans bezahlt, dadurch dass ich keine von den Songs gespielt habe, die sie kannten. Eben auch viele von diesen bluesrockigeren, ‚Blue Shadows‘ oder ‚Courage for Love‘ und sowas. Und das war jetzt interessant in München. Wir haben ein neues Gewand dafür gefunden und ich habe jetzt zwei Gitarren-Setups auf der Bühne.

Jespers Amps: Vox AC30 & Peavey Stereo Chorus 212
Jespers Amps: Vox AC30 & Peavey Stereo Chorus 212

Das eine ist der eher cleanere Sound und klingt ein bisschen nach New Wave, vielleicht mit einem splashigeren Reverb oder manchmal auch ganz trocken, aber eher clean und mit einem gut klingenden Amp. Und das andere ist mit einer Hollowbody von Kay Guitars aus den 60er Jahren und einem alten Amp von meinem Dad, der hatte den schon in seinem Kinderzimmer in den 80er Jahren. Und der hat so eine beschissene Verzerrung, die passt so gut mit dieser Klampfe zusammen, dass ich einfach am Tag vor diesem München-Gig meinte: Hey, haben wir noch genug Platz im Bus? Das ist perfekt für diese eher bluesrockigeren Sachen. Es braucht wirklich nicht mehr als das. Ich liebe diesen Gitarren-Sound. Das war die ganze Zeit hier! Das ist so geil: Sogar in altem Equipment, das du seit Jahren rumliegen hast, gibt es so ein paar Kombinationen, die man noch nicht ausprobiert hat. Und auf einmal geht eine ganz neue Welt auf und man hat wieder Bock auf Sachen, die man vor 15 Jahren gespielt hat. Es ist ein riesiger Spielplatz – ich bin so froh, das machen zu dürfen.

Also das heißt, dieses Setup hast du extra für die Songs aus der Anfangszeit?

Ja, für die Blues-Rock-Sachen und auch die eher knarzigeren, punkigeren Songs. Ich spiele ein oder zwei Lieder von PDOA. Leute, die hauptsächlich auf Jazzy- oder R’n’B-Shit stehen, haben dann vielleicht ein bisschen Berührungsangst, aber wenn du dann da bist … für mich gibt es keinen großen Unterschied, wenn es um die Seele oder die Intention der Musik geht. Ich glaube, es passt echt gut zusammen. Und ich finde es auch viel interessanter als ein ganzes Konzert lang das gleiche zu hören. Irgendwann hast du es dann halt auch gehört. Und ich glaube, vielleicht ist es einfach wichtiger, dass ich es interessant finde – und hoffentlich damit ein bisschen anstecken kann.

Danke für das Gespräch, Jesper!


(erschienen in Gitarre & Bass 02/2025)

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