02/2021

Die Rock-Platten des Monats

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THE DEAD DASIES: HOLY GROUND

Man kann es wohl nur als genialen Schachzug bezeichnen: Nachdem den Dead Daisies 2019 mit Sänger John Corabi (Ex-Mötley-Crüe) und Bassist Marco Mendoza (Whitesnake, Thin Lizzy) gleich zwei wichtige Eckpfeiler ihres fulminanten Sounds weggebrochen sind (fast schon turnusmäßig haben beide die internationale Allstar-Truppe wieder verlassen), konnte Bandchef und -gründer David Lowy diesmal Glenn Hughes verpflichten.

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Als Rockfan weiß man: Hughes ist ohne Zweifel nicht nur einer der besten Sänger dieses Genres, sondern auch ein weit mehr als nur passabler Bassist. Ganz zu schweigen von seinen kompositorischen Qualitäten, die ebenfalls über jeden Zweifel erhaben sind. Und so hat sich die auf Quartettgröße geschrumpfte Band (Hughes, Lowy, Ex-Whitesnake/Dio-Gitarrist Doug Aldrich und Journey-Drummer Deen Castronovo) qualitativ sogar noch gesteigert.

Nichts gegen Corabi, der auf den vorherigen Scheiben glänzend abgeliefert hat, aber Hughes ist noch mal eine andere Gewichtsklasse. So exzentrisch das frühere Bandmitglied von Deep Purple, Black Sabbath oder der Black Country Communion auch sein mag, als Musiker ist der Mann ein Gigant. Deshalb schwitzt das neue Dead-Daisies-Album ‚Holy Ground‘ puren Rock’n’Roll aus jeder Pore, fett intoniert, virtuos gespielt, und immer mit diesem wunderbaren Quäntchen Aufmüpfigkeit im Unterton, den man hören möchte.

Ein Klassewerk mit tollen Hooks, sensationellen Gesängen und einer klanglichen Wucht, die Ketten zu sprengen scheint. Möglicherweise aber auch mit einer gewissen bandinternen Brisanz, einem perspektivisch riskanten Pulverfass, denn als langfristiger Kollege soll der selbstbewusste Hughes nicht eben der einfachste sein. So oder so, ich bin dennoch – oder gerade deshalb vielleicht? – total begeistert und drücke diesem Line-Up fest die Daumen. mm

 

SPERLING: ZWEIFEL

Dass im deutschsprachigen Raum in den 2010ern ein sehr eigenständiger Sound aus Alternative, Post-Hardcore und Post-Rock entstanden ist, belegten Szene-Bands wie Heisskalt oder Fjort bereits eindrucksvoll. Sperling aus dem rheinland-pfälzischen Hunsrück vereinen diese tiefe, melancholische Klangsprache aus mächtigen Gitarrenwänden, atmosphärischen Reverb-Flächen und einem Fuß im Emo, einem im Alternative nun mit eindringlichem Sprechgesang und einem Cello.

Das dadurch entstehende Werk lässt sich in seinen Inspirationen zwar recht eindeutig zurückverfolgen, bleibt in der hiesigen Musiklandschaft aber dennoch einzigartig: ‚Zweifel‘ ist eines der beachtlichsten deutschsprachigen Debütalben der letzten Jahre. Die Reibeisen-Stimme von Sänger Jojo erinnert dabei mal an Casper, mal an F.R., und steht diesen auch in lyrischer Sprachgewalt in nichts nach: „Denn ich bin der Mond/Ich kann nur strahlen wenn du scheinst/ Brauchen beide einen ganzen Himmel nur für uns allein” heißt es in ‚Mond‘ und bringt so das adoleszente Gefühl der Nicht-Zugehörigkeit auf den Punkt.

Während das Quintett in ‚Stille‘ vor allem durch seine mächtigen Hardcore-Gitarren beeindruckt, ist es das recht genreuntypische Cello, das ihre erste Vorab-Single ‚Baumhaus‘ erst so richtig zum Strahlen bringt. Und spätestens, wenn am Ende der Titeltrack im 7/4-Takt mit dramatischen Delay-Arrangements einige der mächtigsten Zeilen des Albums unterlegt, ist klar: Das hier ist etwas ganz Besonderes. Sperling sprechen und spielen unzähligen jungen Erwachsenen aus der Seele. jk

 

THE DIRTY NIL: FUCK ART

Wenn eine Band Thrash-Metal-Riffs so gekonnt mit der berufsjugendlichen Frische Weezers verbinden kann und dabei noch zum Himmel jauchzende Melodiebögen darüberlegt, kann es sich um keine Eintagsfliege handeln. Im Gegenteil: Die Kanadier The Dirty Nil haben mit ihren beiden bisherigen Alben bereits Gitarrenmusik in aller Welt um den Finger gewickelt und holen nun zum finalen Sprung Richtung mögliche Rockplatte des noch jungen Jahres aus. Denn nicht nur der beschriebene Song ‚Doom Boy‘ platzt vor sprühender Kreativität aus allen Nähten. Beinahe jeder Track auf ‚Fuck Art‘ ist ein Feuerwerk aus Garage, Punk und genau dem richtigen Maß an Pop.

‚Done With Drugs‘ etwa betört nicht nur mit wunderbar gut gelauntem Riff, sondern reicht mit seinem epochalen Finale gar an My Chemical Romances EmoManifest ‚Black Parade‘ heran. Das Album ist darüber hinaus angenehm stilsicher und dennoch massentauglich produziert, sodass auch an 2010 erinnernde College-Rock-Brecher wie ‚Blunt Force Concussion‘ einfach nur Spaß machen – wahrscheinlich, weil sie genug von den kanadischen Punk-Lieblingen The Flatliners in sich tragen. Allen schlechten Nachrichten dieser Tage zum Trotz: Gitarrenmusik befindet sich auch dank Bands wie The Dirty Nil anno 2021 in Bestform. jk

 

VOODOO CIRCLE: LOCKED & LOADED

Alexander Beyrodt ist wie ein offenes Buch. Wenn er Gitarre spielt, sind seine Idole und Haupteinflüsse unverkennbar. Der pfälzische Musiker liebt die klassischen Helden, allen voran John Sykes, Jimmy Page, Jimi Hendrix und Ritchie Blackmore. Kein Wunder also, dass Zitate all dieser Musiker auch auf dem neuen Album von Voodoo Circle, Beyrodts eigener Band, nicht nur durchschimmern, sondern quasi auf dem Silbertablett präsentiert werden. Ihm zur Seite stehen auf ‚Locked & Loaded‘ Könner wie David Readman (Pink Cream 69), Matt Sinner (Sinner, Primal Fear) und Markus Kullmann, die offenkundig ganz ähnliche Vorlieben wie ihr Band-Boss haben. Schlagzeuger Kullmann erzeugt einen Drumsound, den Beyrodt gerne mit dem von John Bonham (Led Zeppelin) vergleicht.

Hier scheint auch einer der signifikantesten Unterschiede zum Albumvorgänger ‚Raised On Rock‘ (2018) zu liegen: Die neue Scheibe klingt heavier und druckvoller und zieht vor allem im Groove-Bereich viele Parallelen zur einstigen Welt des fliegenden Luftschiffes. Zur enormen Qualität des Albums gehört allerdings auch das sagenhafte Timbre des Engländers Readman, dem man hinsichtlich seines stimmlichen Ausdrucksvermögens Parallelen zu David Coverdale (Whitesnake) attestieren kann. Für Beyrodt ist Readman natürlich das perfekte Medium seiner Songs, weshalb er sich auch wieder von dessen temporärem Ersatzmann Herbie Langhans getrennt hat und nun wieder dem vermeintlichen Voodoo-Circle-Original vertraut. Trotz Langhans gesanglicher Klasse (siehe ‚Raised On Rock‘) eine nachvollziehbare Entscheidung. mm

 

THE SMASHING PUMPKINS: CYR

Als im Oktober 1995 das dritte reguläre Album ‚Mellon Collie And The Infinite Sadness‘ der amerikanischen Alternative-Rocker The Smashing Pumpkins erschien, hatte die Welt eine neue Galionsfigur. Billy Corgan, jener charismatische, immer ein wenig eigenwillig, skurril und geheimnisvoll wirkende Frontmann der Band, vereinte in seinen Songs all das, was damals als en vogue galt: Melancholie, Coolness, Urbanität, Laszivität und irgendwie auch ein leicht androgynes Selbstverständnis.

Seit Veröffentlichung dieser Scheibe sind 25 Jahre ins Land gegangen. Ein Vierteljahrhundert, in denen sich die Hörgewohnheiten, die Vorlieben und Prioritäten grundlegend geändert haben. Dennoch schafft es Billy Corgan jetzt, zusammen mit seinen Originalbandmitgliedern Jimmy Chamberlin, James Iha und Jeff Schroeder, den Hörer an die insgesamt 20 Songs eines randvollen Doppelalbums zu fesseln. Es sind nicht nur die stoischen Beats, die elektronischen Sounds und transparenten Arrangements, die diese Scheibe auszeichnen.

Es ist wieder einmal zuvorderst Corgans Gesang und seine Geschichten, die vom bisweilen schwierigen Überlebenskampf in einer vollends aus den Fugen geratenen Welt erzählen (oder ihn zwischen den Zeilen zumindest durchschimmern lassen), mit denen ‚CYR‘ überzeugt. Manches hat den betörenden Charme einer U2-Ballade (‚Wrath‘), anderes dringt in die Sphären des technisch-spröden Klangkosmos von Depeche Mode (‚Anno Satana‘, ‚WYTTCH‘, ‚Purple Blood‘) vor oder tangiert bisweilen sogar die Ränder deutscher Electronic-Rock-Pioniere wie Kraftwerk oder Neu! Summa summarum ist ‚CYR‘ ein Album, das einerseits etwas aus der Zeit gefallen klingt, andererseits einen Trend reanimieren könnte, der zu Beginn der 1990er kulturgeschichtlich revolutionäre Züge trug. mm

 

JEFFREY HALFORD & THE HEALERS: BEWARE OF WORTHLESS IMITATIONS VOL. 1 (1999-2019)

Die Compilation bietet einen Querschnitt durch die über 20-jährige (und immer noch andauernde) Karriere des kalifornischen Sängers und Gitarristen Jeffrey Halford und seiner Band. Der Mann hat sich die Bühnen u.a. bereits mit Etta James, Taj Mahal, Jimmy Cliff, Los Lobos, Guy Clark, John Hammond und Gregg Allman geteilt. Letztlich spiegeln diese Namen auch die Bandbreite der 20 hier versammelten Nummern wider. Halford spielt straighte Songs zwischen erdigem schnellen Rock’n’Roll und Balladen mit Country- oder Soul-Einfluss. Zudem finden auch Folk, Zydeco oder TexMex ihren Weg in die Musik.

Und – man ahnt es schon – diese Songs atmen viel Blues, etwa wenn die Slide-Gitarre ins Spiel kommt. Mit Drums, Bass und zwei Gitarren bleibt der Bandsound immer transparent, wird jedoch nie steril. Zwischenzeitlich färben Harp, Klavier oder eine Orgel das Klangbild. Stark sind die hypnotischen Nummern wie ,Rainmaker‘ mit The-Doors-Feeling. Das klingt insgesamt wie ein Hybrid aus Tom Petty und JJ Cale. Sehr coole Musik und sicher eine Entdeckung für Fans von Americana in all seinen Facetten, die Neugierde auf die regulären Alben von Mr. Halford und seinen Heilern weckt. am

 

VIAGRA BOYS: WELFARE JAZZ

Nachdem mit WhoMadeWho oder Sólstafir regelmäßig Szene-Perlen aus Skandinavien zu uns herüberschwappten, sind auch die angenehm unvorhersehbaren Schweden Viagra Boys eine der spannendsten Neuentdeckungen der letzten Jahre. Mit einer gesunden Mischung aus musikalischem Freigeist, Rock’n’Roll-Attitüde und purer Anarchie eroberte ihr Debüt ‚Street Worms‘ die Herzen der Indie-Hörerschaft im Sturm – und auch ‚Welfare Jazz‘ führt ihren Weg des konsequenten Chaos’ fort, auch wenn der Albumtitel etwas irreführend wirken mag.

So bleiben Saxofon-Soli im Free-Jazz-Stil der einzige Ausflug ins Genre, wenn auch ein recht markanter, platziert man ihn wie die Band am Ende eines lässig groovenden Blues-Stampfers wie ‚Ain’t Nice‘. Viagra Boys sind definitiv von ihrer Kunst überzeugt, anders lässt sich die breitbeinige Attitüde auf dem von ironisierten Macho-Vocals getragenen ‚Toad‘ nicht erklären.

Hin und wieder driftet ‚Welfare Jazz‘ zwar etwas zu sehr in bekannte Garage-Rock-Gefilde, wie sie ihre Landsmänner Royal Republic schon durchdekliniert haben. Dann aber reißt ein Ausflug in den Surf-Rock in ‚This Old Dog‘ die Band zum Glück wieder raus, neben der an Nick Cave erinnernden, abgrundtiefen Stimme des volltätowierten Sängers und selbsternannten „Voll-Asis“ Sebastian Murphy. Und auch, wenn sich die Mischung recht schnell abnutzt – kurzweilig bleibt dieser Hybrid aus Post-Punk-Rotz und feierwütigem Party-Rock aus dem hohen Norden dennoch. jk

 

BLACKOUT PROBLEMS: DARK

Bei aller Wehmut um nicht stattfindende Konzerte dürfte es Blackout Problems und ihre Fans wohl besonders schwer getroffen haben, haben sich die Münchner in den vergangenen Jahren doch mit schweißtreibenden und eskalativen Clubshows voller Lebensfreude einen beachtenswerten Ruf als eine der besten Livebands des Landes erarbeitet. Halb so schlimm aber, wenn dennoch ein wegweisendes Werk wie ‚Dark‘ entsteht. Das Quartett führt hier den Weg vom passionierten Alternative-Rock hin zum elektronisch geprägten Dark Pop weiter, den bereits der Vorgänger ‚Kaos‘ kennzeichnete.

Neben durchtriebenem Neo-Grunge und experimentellen Gitarren wie auf ‚Drive By‘ dominieren hier vor allem kontemporäre Pop-Elemente, wie Trap-Drums oder Synthies. Das alles vereinen Blackout Problems meisterhaft mit gefühlsbetontem, organischem Alternative, etwa auf ‚Murderer‘. Der Song kommt nach dem düsteren Beginn außerdem auch mit der gemeinschaftsbetonten Nachricht „Respect and love for everybody“ daher. Gesellschaftliche Missstände wie die Klimakrise spricht ‚Dark‘ aber genauso an, etwa auf ‚Lady Earth‘ oder dem Titeltrack, einen der Höhepunkte des Albums.

Ihr drittes Album ist darüber hinaus von großer Tanzbarkeit geprägt: Fast die Hälfte aller Songs vereint ein treibender Uptempo-Beat. Den chaotischen, energiegeladenen Club muss man sich heute noch dazudenken, einen international beachtenswerten Beitrag zur Zukunft der Gitarrenmusik liefern Blackout Problems mit ‚Dark‘ aber ein weiteres Mal. jk

Kommentar zu diesem Artikel

  1. Alle Bands und Songs haben hier leider eines gemein,und das ist die gewisse Melancholie,diese Traurigkeit,die bei sämtlichen Neuvorstellungen stets mitschwingt.
    Es ist vermutlich auch,oder gerade wegen der momentanen „Corona Pest Pandemie“ global rund um unseren Globus geschuldet.Eine Situation,die uns allesamt bewegt.
    Mir fiel aber auch leider deutlich auf,daß derzeit das Motto: „schneller,höher,härter,atemlos,hektisch und melancholisch bis zum abkippen“ bei den hier vorgestellten Bands vorherrschend zu sein scheint.
    Richtig schöne Rock Balladen scheinen gegenwärtig echte Mangelware zu sein.Schade!
    „Sperling“ empfand ich als sehr „anstrengend!“ Absolut nicht mein Ding.
    Bereits im Intro viel zu langatmig mit wirrem deutschen Text,da höre ich besser weg.

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