Na, gibt’s denn sowas? Jazz, der immer nachvollziehbar bleibt, ohne Easy Listening zu sein? Der aufregend ist, ohne dabei anstrengend zu werden? Bei dem man dem roten Faden zu jeder Zeit folgen kann? Jazz, der dem professionellen Bebopper gleichermaßen Spaß macht wie dem Freizeithörer beim Senioren-Brunch? Ohja, natürlich gibt es sowas. Unter anderem bei den drei Holländern namens The Whereabouts, die auf ,Who Knows The Whereabouts‘ zeigen, dass Jazz schräg, schön, mitreißend und unprätentiös zugleich sein kann. Und dass Jazz durchaus auch Pop-Attitüde verträgt.
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Das Trio um Janos Koolen (Eastman-T58-Thinline), Lucas Beukers (Fender Jazz Bass) und Arthur Bont (dr) hat ein unaufdringliches, zehn Songs umfassendes Kleinod auf den Markt gebracht, das von einer Combo aufgenommen wurde, die absolut tight zusammenspielt, dabei aber auch eine Challenge am Laufen zu haben scheint, wer sich beim Spielen am weitesten zurücklehnen kann, ohne hintenüber zu fallen. Das Album ist aber auch deshalb so unterhaltsam, weil Janos Koolen ein hervorragender Gitarrist ist, in dessen Spiel und Kompositionen sich eine Unmenge an Referenzen entdecken lassen, die er aber auf originelle Weise in den Ring wirft.
Allein schon auf Entdeckungsreise zu gehen, wer einem beim Durchhören des Albums so alles in den Sinn kommt, ist eine spannende Sache: Mark Knopfler, Michael Landau, Bill Frisell, Jim Hall, John Scofield, Ulf Wakenius, Scotty Moore, Wayne Krantz, Biréli Lagrène usw. Doch ,Who Knows The Whereabouts‘ ist natürlich alles andere als ein Grabbeltisch der Zitate, sondern ein tolles Gemeinschaftswerk von drei im Nachbarland beheimateten Musikern, die nach der ganzen Lockdown-Chose gerne mal für ein paar Konzerte rüberkommmen sollten! mame
TAUMEL: TRAUM – THERE IS NO TIME TO RUN AWAY FROM HERE
Hinter Taumel verbirgt sich das Duo Sven Pollkötter (dr, perc) und Jakob Diehl (keys), der auch als Schauspieler arbeitet und etwa in der populären Netflix-Serie ,Dark‘ zu sehen ist. Die beiden sind in den verschiedensten Kontexten zwischen Klassik, Experimenteller Musik und Pop aktiv und kennen sich seit über zehn Jahren. 2016 gründeten sie Taumel und legen jetzt mit Boris Nicolai (Gitarre) und Manuel Viehmann (Flügelhorn) ein eindringliches Debütalbum vor.
Lange werden in ,There Is‘ die Akkorde vom Fender Rhodes gehalten, die Drums lassen viel Platz, geradezu impressionistisch setzt eine cleane, mit viel Hall versehene Gitarre Akzente, bis sich schließlich aus tiefen Lagen das Flügehorn annähert. Dazwischen kontrastieren immer wieder elektronische Sounds das Geschehen. In ,No Time‘ konkretisiert sich der Groove, die Harmonien bleiben düster und um einiges dominanter drängen Eletronica und Samples nach vorne. Diese Dynamikwechsel werden dann auch in ,To Run‘ und ,Away‘ melancholisch bis alptraumhaft ausgelebt. ,From Here‘ lässt schließlich alles melodisch und ruhig ausklingen. Dieses intensive Konzeptalbum klingt wie gemacht für einen Film Noir. Spannend! am
JAN BIERTHER TRIO & DIAN PRATIWI: MY FUNNY VALENTINE
Gitarrist Jan Bierther, geb. 1970 in Essen, studierte von 1992-1996 an der Amsterdamer Hochschule der Künste, Abteilung Hilversum, und hat seitdem einige Alben veröffentlicht. Mit ,My Funny Valentine‘ kommt jetzt ein kerniger Live-Mitschnitt zur Discografie, der Bierthers weitere Vorlieben Pop, Blues, Funk und Soul in den Vordergrund stellt. Im Zentrum steht allerdings die raue, laute und sehr kraftvolle Soul-Stimme der in Jakarta geborenen Dian Pratiwi (Dozentin für Jazz-Gesang an der Glen Buschmann Jazz-Akademie), die mit dem Jan Bierther Trio (mit Eric Richards am Bass und Sebastian Bauer am Schlagzeug) und einem Repertoire aus Jazz-, Soul- und Blues-Standards gewaltig Gas gibt.
Wirkt dieser Live-Mitschnitt anfangs klanglich noch etwas rustikal – eben genau so, wie wenn man in einem kleinen Club direkt vor der Bühne sitzt – ist man spätestens mit dem dritten Track ,Ain’t No Sunshine‘ nur noch vertieft in die Musik. Ein Live-Album muss so klingen! Bandleader Jan Bierther gehört ganz sicher zu den vielseitigsten Gitarristen seines Bereichs, hat immer gute Sounds im Angebot, kann mit diversen Effekten überraschen und vor allem spannende Soli abliefern, die seine Mitmusiker und das Publikum mitreißen. Genre-Grenzen und Stil-Vorgaben scheinen dem Telecaster-Jazzer Bierther meist egal zu sein, und genau das macht seine Musik auch in den hier bestehenden Repertoire-Grenzen so spannend. Seine Voicings haben wirklich eine sehr eigene Handschrift. Reinhören! lt
VERONIKA HARCSA, ANASTASIA RAZVALYAEVA, MÁRTON FENYVESI: DEBUSSY NOW!
Jemanden, der bereits seit über 100 Jahren nicht mehr unter uns weilt, kann man naturgemäß nicht fragen, ob man seine Musik verwenden, verändern und interpretieren darf. Wenn es aber unter den im weitesten Sinne klassischen Komponisten einen gibt, bei dem man davon ausgehen kann, dass das Bearbeiten und Weiterentwickeln seiner Musik sogar erwünscht wäre, dann ist das Claude Debussy.
Und so wirkt es nur logisch, dass sich Veronika Harcsa, Anastasia Razvalyaeva und Márton Fenyvesi genau jenen Komponisten für ihr neues Projekt ausgesucht haben, der selbst ein Experimentierer war, seiner Zeit voraus, offen für Neues, ein Forscher der Klänge und Harmonien, der schon Ende des 20. Jahrhunderts auf seiner Suche nach neuen tonalen Möglichkeiten, Werkzeuge entdeckte und einsetzte, die erst Jahrzehnte später im Jazz zum Standardvokabular wurden.
Und das Experimentelle fängt bei den drei Ungarn schon bei der Besetzung an. Denn die sonst meist mit Klavier und Stimme dargebotenen Lieder Debussys intoniert das Trio mit Harfe, Gitarre/Live-FX und Gesang – und das zwar mit Respekt, jedoch ohne Hemmungen. Am weitesten im Hintergrund und doch Mittelpunkt des Ganzen ist dabei der Gitarrist, Komponist, Arrangeur und Produzent Márton Fenyvesi. Er selbst legt mit Akustikgitarre, die selten als eine solche zu erkennen ist, und allerhand Effektgeräten in manchen der Stücke bedrohliche Flächen, schafft Atmosphären und tröpfelt kleine Melodien in die von der Harfe getragenen Stücke.
Für die klassisch ausgebildete Harfenistin Razvalyaeva stellten diese Aufnahmen die erste Berührung mit dem Thema Improvisation dar. Umso bemerkenswerter ist es, dass sie Márton Fenyvesi auch noch gestattete ihr Signal (genau wie das der Sängerin) dezent aber hörbar live mit elektronischen Effekten zu bearbeiten und zu verfremden. So erschafft er spontane, betörende Klanglandschaften zu diesen eh schon stimmungsvollen Stücken. Gut, wenn ein Gitarrist die Gitarre auch mal weglegen kann. mame
DUO CONSONO: THE SMELL OF CHILDHOOD
Im Fall von Duo Consono ist der weiter oben schon mal erwähnte Jan Bierther mit einer akustischen Archtop zu hören, und mit seinem Kollegen Bernd Nestler an der Nylonstring. Als erstes fällt auf, dass beide Gitarren gar nicht so unterschiedlich klingen, was auch etwas an der insgesamt sehr warm klingenden Aufnahme liegt.
Die 13 Eigenkompositionen der beiden Gitarristen (darunter keine Gemeinschaftswerke) decken die Bereiche Jazz, Latin und instrumentalen Folk ab, klingen mal klassisch inspiriert, können aber auch schon mal etwas knackiger zur Sache gehen. Jan Bierther und Bernd Nestler spielen bereits seit über 30 Jahren zusammen, ,The Smell Of Childhood‘ ist nach dem 2005 erschienenen ,12 Tales‘ das zweite gemeinsame Album. Weitere Informationen und die vorgestellten Alben gibt’s bei www.janbierther.de. lt
BLUES COMPANY: TAKE THE STAGE
Schon die kultige Teisco-Gitarre des Covers macht neugierig auf das neue Live-Album der Osnabrücker Blues-Institution. Mitgeschnitten wurde das Konzert 2017 beim Bowers & Wilkins Rhythm’n’Blues Festival in Halle/Westfalen. Der Blues der Company ist aufgeladen mit viel Funk und Soul, befeuert von den Soul Sistaz aka Maria Nicolaides und Seda Devran sowie den Fabulous BC Horns.
Zwischenzeitlich wird‘s auch mal dezent rockig, wie im Canned-Heat-Klassiker ,Let’s Work Together‘ – hier singt übrigens Gitarrist Mike Titré, der in Robert Johnsons ,Walking Blues‘ auch eine scharfe Slide-Gitarre zum Besten gibt. Oder die Band spielt Swing-Jazz in ,Brother Where Are You‘. Im Mittelpunkt steht Bandleader Todor „Tosho“ Todorovic mit seiner sonoren Stimme und knackigen Gitarren-Licks. Schöne, beseelte Musik kann man hier erleben, die die vielen Facetten der Blues Company zeigt. 1976 hatte die Band ihren ersten öffentlichen Auftritt, 2021 steht also das 45. Jubiläum an. Beeindruckend. am
CHRISTIAN MCBRIDE BIGBAND: A SALUTE TO JIMMY, WES AND OLIVER
Die gemeinsamen Alben von Organist Jimmy Smith und Gitarrist Wes Montgomery gelten als Klassiker. Großen Anteil am Erfolg von ,Jimmy & Wes – The Dynamic Duo‘ (1966) und ,Further Adventures Of Jimmy And Wes‘(1968) hatte auch Big-Band-Leader und Arrangeur Oliver Nelson. Kontrabassist Christian McBride präsentiert hier mit seiner Big Band ein Tribute-Album an diese drei Ikonen. Die Rollen von Jimmy und Wes übernahmen Organist Joey DeFrancesco und Gitarrist Mark Whitfield.
Whitfield spielt mit einer ähnlich runden Phrasierung und Dynamik wie Montgomery inklusive dessen berühmten Oktaven. Allerdings jagt er auch gerne in Highspeed übers Griffbrett, was auch spätere moderne Jazz-Entwicklungen spiegelt – und all dies mit einem tollen Ton in den Fingern. Und Bandleader McBride folgt mit seinem unfassbar flüssigen Walking Bass Drummer Quincy Phillips und setzt immer wieder rhythmische Akzente. Ein spannender Ausflug in die Jazz-Historie, der fantastisch swingt und bei dem man an oft den Atem anhält ob des Tempos der Soli. am