07/2021

Die Platten des Monats: Blues & Jazz

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JULIAN LAGE: SQUINT

Ein guter Musiker weiß sein Instrument einzusetzen wie eine Stimme – und Julian Lage weiß das wohl besser als die meisten. Der Gitarren-Virtuose spielt auch auf ,Squint‘ seine sechs Saiten erneut mit einer selten erreichten Form von Dynamik und mehrdimensionaler Artikulation, alles zwischen eingängigem Jazz und progressivem Blues. Das Debüt auf dem legendären Label Blue Note strotzt daher nicht nur vor geschmackvollen Gitarrenlinien und zum Dahinschmelzen warmen, analogen Sounds, sondern zeichnet sich auch durch eine große stilistische Bandbreite aus.

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Während ,Saint Rose‘ eher als klassisch durchkomponiertes Jazz-Stück mit Solo konzipiert ist, holt ,Boo’s Blues‘ die erdigen Riffs und knackigen Betonungen des Muttergenres aller Popmusik heraus. Seine ganze Klasse beweist Lage aber ohne Schlagzeug- und Bass-Begleitung auf dem schlicht ,Etude‘ genannten Solostück – ganz in der Tradition von Chopin bleibt der Song aber nicht nur bei einer technischen Übung, sondern glänzt vor allem durch seine weichen Melodien und abwechslungsreichen Harmoniewechsel. Das achte Album des kalifornischen Ausnahmemusikers dürfte also gut und gerne zu seinen besten gehören. jk

 

MOLLY MILLER: ST. GEORGE

Nach dem gelungenen Debütalbum ,The Shabby Road Recordings‘, auf dem sich die Leiterin des Guitar Departments des Los Angeles College of Music in zehn Cover-Versionen diversester Natur austobte, folgt nun ein Album voller Eigenkompositionen. ,St-George‘ macht da weiter, wo der Vorgänger aufgehört hat und vereint einen klassischen, leicht angecrunchten Gitarrensound mit Songs, die Elemente aus Jazz, Rock, Soul und Country verbinden.

Molly Miller wechselt scheuklappenfrei zwischen den Stilen, ohne dabei den eigenen Sound aus den Augen zu verlieren. Alternative-Rock-Stimmung, Americana-Atmosphäre, Balladen, Solostücke, ein Bo-Diddley-Beat oder 60s-Soul werden mit Jazzgitarren-Ästhetik verknüpft, ohne angestrengt zu klingen. Zusammengehalten wird alles durch den klar definierten Stil der Gitarristin, die es schafft, trotz spannender Improvisationsmomente nie den Songcharakter aus den Augen zu verlieren.

Im Hintergrund sorgen Jay Bellerose an den Drums und Jennifer Condos am Bass für geschmackvolle Begleitung und angenehmen Groove. Ein Album, das einfach Spaß macht und viel Atmosphäre und Bilder im Kopf schafft. ms

 

DAS JOHANNES KRAMPEN TRIO: SMILE

Uwe Metzler an Gitarre, Bouzouki und Dobro, Henrik Mumm am Kontrabass und Johannes Krampen an der Violine interpretieren bekannte Filmmusik-Themen. Das also mit einer ganz anderen Art von String-Section, als man sie häufig in Movie-Scores hört. Und mit einem Groove, der diese Musik vom Bild emanzipiert und auch von jeder Bühne aus wirken lässt.

Keine Frage, dass hier auch Humor im Spiel ist – denn bei einigen Tracks muss man wirklich grinsen, wie z. B. bei Klaus Doldingers ,Tatort‘-Titelmelodie, ,Star Wars‘ oder der hier gut neunminütigen Version von ,Das Boot‘, seit der ich weiß, dass auch meine Gitarre wie ein vom Wasserdruck knarzendes U-Boot klingen kann. Hier bringen drei virtuose, weltoffene Musiker ihre Erfahrungen aus verschiedenen Genres – Pop, Jazz, Rock, Klassik – ins Spiel und schaffen es so, mit ihren Soundtrack-Neuinterpretationen etwas Eigenes zu kreieren.

Gitarrist Uwe Metzler überzeugt in dem Zusammenhang nicht nur als straighter, tragender Rhythmiker, sondern auch mit schönen Farben und sehr gekonnten Solo-Spots, immer mit geschmackvollen Sounds. „Symphonic Chamber Pop“ nennen die drei Musiker ihr Genre – und sie sind wirklich ein sinfonisch klingendes Trio im klassischen Sinn. Überraschend großartig! lt

 

LARRY CORYELL & PHILIP CATHERINE: THE LAST CALL

Dass der sensible, englisch-belgische Ton-Ästhet Philip Catherine (*1942) auch mal energetisch zupacken kann, bewies er schon in den frühen 70ern in der Band Pork Pie. Damals war Larry Coryell (*1943 +2017) als Rock-Jazzer bekannt, als Gitarrist der sich außerdem vor keiner musikkulturellen Begegnung drückte und immer wieder hervorragende elektrische Alben produzierte, um dann gegen Mitte des Jahrzehnts die elektroakustische Ovation-Steelstring zu seinem Hauptinstrument zu machen. 1976 spielten Coryell und Catherine zum ersten Mal bei den Berliner Jazztagen zusammen, es folgten einige gemeinsame Alben.

Am 27. Januar 2017 kam es im Rahmen der Reihe „Jazz at Berlin Philharmonic“ zu einem erneuten Zusammentreffen, das auf ,The Last Call‘ dokumentiert ist. Larry Coryell starb wenige Wochen später – hier hören wir wahrscheinlich seine letzten Aufnahmen. Meine Favoriten dieses neuen Albums sind ,Miss Julie‘ und ,Jemin-Eye’n‘, beides Kompositionen von Coryell, in denen die beiden Gitarristen zeigen, wie Sensibilität, Zuhören, Zuspielen, eben Interaktion im Duo, gelingen kann. Das macht dann wirklich Lust, auch noch mal in ihre gemeinsamen Studio-Alben ,Twin House‘ (1977) und ,Splendid‘ (1978) reinzuhören, die zudem klanglich etwas direkter rüberkommen.

Bei den letzten drei Tracks ist Standard-Time angesagt, und es stoßen noch Pianist Jan Lundgren und dann Bassist Lars Danielsson zum Gitarren-Duo. Das letzte Stück ,On Green Dolphin Street‘ bestreiten dann alle gemeinsam mit Gast Nummer 3, dem Trompeter Paolo Fresu – und nein, es ist nicht die von mir befürchtete Festival-Finale-Schunkel-Nummer (FFSNR) geworden, sondern einfach ein, dank Lars Danielsson, immens swingender, cooler Track. Könner eben. lt

 

BJØRN BERGE: HEAVY GAUGE

Mit seiner rauen Stimme, seinem unglaublichen Drive und dem bodenständigen Groove erinnert mich der Norweger Bjørn Berge hier fast schon ein bisschen an Zakk Wylde, dem man bei allem Hard’n’Heavy-Anteil ja kaum Blues-Feeling absprechen kann. Wo Zakk Metal einfließen lässt, macht Bjørn das mit Country und Folk. Eingespielt wurde ,Heavy Gauge‘ im Trio mit Bassist Kjetil Ulland und Kim Christer Hylland an Drums & Percussion, die einen sehr direkten, raumfüllenden und trotzdem transparenten Sound produzieren, der diesem Album sowohl akustische Wohnzimmer-Kompatibilität wie auch Soundtrack-Flair verleiht.

Besonders gut gefällt mir, wie Bjørn Berge auch auf diesem 13. Album immer wieder dezent Jazz-Feeling einfließen lässt. Seine Songs sind eingängig, seine Stimme ist intensiv und berührend, was noch viel mehr für seine sparsamen, knochigen Acoustic-Slide-Einlagen gilt. Und dann macht er dich mit einer Punk-Riff-Jazz-Metal-Nummer wie ,Rip Off‘ sprachlos, gefolgt von der bluesigen Ballade ,Stray Dog‘, wiederum mit tollen Bottleneck-Lines. Ein hervorragender Gitarrist, der von jeder Feeling-Olympiade mit Goldmedaillen nach Hause kommen würde. Wer Virtuosität als maximale Fähigkeit versteht, seine Hörerinnen & Hörer zu berühren, bekommt hier wirklich virtuosen Folk-Jazz-Blues-Groove-Rock – mit viel Abwechslung und ohne Gekniedel. Tolles Album. lt

 

CHRIS CAIN: RASIN’ CAIN

(Bild: Alligator Records)

Der Bluesman aus Kalifornien, Jahrgang 1955, ist so etwas wie ein Spätstarter. Sein Debütalbum ,Late Night City Blues‘ erschien erst 1987, hinterließ jedoch einen nachhaltigen Eindruck in der Blues-Szene. Heute gehört Cain selbst zu den Elder Statesman des Genres, deren impulsives Gitarrenspiel und kraftvoller Gesang auch heute begeistern. Und Cain schreibt eben spannende Songs, die sich zwischen Funk, schnellen Shuffles und Slow-Blues bewegen.

Die Spannung wird immer aufrecht gehalten durch jazzige Einflüsse, wie ausladende Keyboard-Harmonien oder scharfe Gitarren-Voicings. Dies erinnert gelegentlich an den ausgecheckten Blues von Robben Ford. Doch im Vergleich zu Ford ist die Intensität von Mr. Cain eine andere. Der geht immer in die Vollen, seine scharfen Bendings im Stile von Albert Collins oder die runden Fingervibrati transportieren viele Energie und Seele – dies mit einem sehr dynamischen Sound, der aus der Kombination einer Gibson ES-335 (weitere ES-Modelle nicht ausgeschlossen) und einem 70er-MusicMan-RD-Amp resultiert.

Tja, und da ist diese dunkelblaue Stimme, mit der er genauso lebendig phrasiert wie auf der Gitarre. Chris Cain ist wirklich eine eigene Musikerpersönlichkeit, was auch Livemitschnitte im Internet unterstreichen. Ein wirklich schönes Blues-Album zwischen Tradition und Moderne ist ihm hier gelungen. am

 

BLACK RIVER DELTA: SHAKIN’

Ein merkwürdiges Gitarren-Lick, dann ein knackiges Riff, und erst wenn Drums und Bass einsetzen nimmt das Ganze Form an. Das Quartett aus dem schwedischen Bollnäs rockt altmodisch und rau, mit vielen Blues-Vibes und coolen Sounds, wie stark komprimiertem Gesang, viel Hall auf den Drums und fett verzerrten Bottleneck-Gitarren. Dazwischen füllen mäandernde Effekte, Feedbacks und sonstige „Nebengeräusche“ das Klangbild auf.

In diesem Kontext avancieren die Harp plus Akustikgitarre aus dem ruhigen ,Solitary Man‘ zu einem Ereignis. Hier wie in ,400 Hours‘ dringen die Country-Einflüsse der Musiker durch. Und dann strahlen andere Songs wie ,Shakin’‘ auch eine Modernität in Richtung White Stripes oder Black Rebel Motorcycle Club aus. Schon klasse, wie hier aus uralten Blues-Wurzeln scharfer Indie-Rock entsteht. am

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