„Ich höre kaum noch dieses Motown-Feeling in der Rockmusik …“

Die mentale Garage: Greta-Van-Fleet-Bassist Sam Kiszka im Interview

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(Bild: Neil Krug)

Von wegen Eintagsfliegen, Kopisten oder Industrie-Produkt: Mit ihren bisherigen zwei Alben, einem Grammy und unablässigen Tourneen haben sich Greta Van Fleet als eine der wichtigsten neuen Bands der modernen Rockmusik etabliert. Diesen Anspruch unterstreichen die vier Mittzwanziger aus der amerikanischen Provinz auch mit ihrem dritten Streich: ‚Starcatcher‘. Ein Album, das Old-School-Ideologie mit High Tech kombiniert und auf dem Bassist Sam Kiszka ganz ungeniert seinen inneren James Jamerson auslebt.

Er ist erst 24 Jahre alt, macht aber schon elf Jahre Musik, hat drei Alben und zwei EPs aufgenommen, die Welt bereist, einen Grammy gewonnen, die Bühne mit Elton John und Metallica geteilt und Robert Plant wie Jimmy Page getroffen: Sam, der jüngste der drei Kiszka-Brüder, ist ein alter Hase im Körper eines Twens. Im Interview erweist er sich als nett, unkompliziert und mitteilsam − aber auch als Musiker mit Herz und Seele.

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Der Bassist/Organist interessiert sich für Instrumente, Aufnahmetechniken, Studio-Tricks und Rockgeschichte bzw. sprüht vor Ehrgeiz, Tatendrang und originellen Ideen. Sprich: Der beste Gesprächspartner, den man sich wünschen kann. In der knapp bemessenen Plauderzeit von gerade Mal 20 Minuten sagt er viele interessante Dinge und gewährt tiefe Einblicke in die Bandchemie und das ambitionierte Schaffen von Greta Van Fleet.

(Bild: Ben Houdijk/Shutterstock)

INTERVIEW

Sam, ‚Starcatcher‘ fällt deutlich kürzer aus als sein Vorgänger – nämlich fast 20 Minuten. Außerdem wirkt es längst nicht so episch und cineastisch. Wie kommt’s?

Ich würde sagen, dass wir immer noch sehr opulent sind – aber auf eine ganz andere Weise. Die Intention bestand diesmal darin, das Ganze ein bisschen zu reduzieren. Aber was daraus geworden ist, hat immer noch etwas von ‚The Battle At Garden’s Gate‘ – es orientiert sich nur nicht mehr so an traditionellen Soundtracks der Marke Ennio Morricone oder Hans Zimmer, die beim letzten Mal unsere Hauptinspirationsquelle waren. Es ist eher gradliniger, schnörkelloser Rock’n’Roll, dessen Energie dann aber doch wieder etwas Großes, Cineastisches hat. Denn auch bei diesem Album waren uns die Texturen sehr wichtig. In dem Sinne, dass sie sehr energetisch sein sollten. Was in meinen Ohren eine coole Entwicklung darstellt – musikalisch und klanglich.

Das verdanken wir der Erfahrung und dem Können unseres Produzenten Dave Cobb und unseres Technikers Greg Gordon. Sie arbeiten unglaublich gut zusammen und kreieren diese umwerfenden Sounds, indem sie die Arbeitsweise der Beatles, von Led Zeppelin, den Rolling Stones, Humble Pie und Black Sabbath aufgreifen. All diese Bands, die einen tollen, technisch aufwendigen Sound hatten. Und wir haben uns von diesem Old-School-Kram inspirieren lassen, ihn aber in einem sehr modernen, zeitgemäßen Kontext platziert. Da sind zum Beispiel jede Menge Bass-Frequenzen, die man eher aus der Popmusik oder dem Hip-Hop kennt und die im Zeitalter der Beatles undenkbar gewesen wären.

Also ein Hybrid aus alt und neu bzw. klassisch und zeitgemäß?

Richtig. Und auf diese Weise sind wir in der Lage, wirklich tiefe Bässe und richtig hohe Frequenzen zu erzielen. Einfach, indem wir uns nicht ausschließlich auf die Analog-Technik verlassen, sie aber prinzipiell gerne einsetzen. Wir nehmen zum Beispiel das Schlagzeug mit der Bandmaschine auf – aber gleichzeitig auch mit ProTools am Computer. Dann entscheiden wir: „OK, das eine klingt deutlich besser als das andere.“ Sprich: Wir haben die verfügbare Technik quasi miteinander vereint.

Das Ergebnis klingt mitunter nach Garage, ist aber tatsächlich im berühmten Studio A von RCA in Nashville entstanden. Ist das der Versuch, etwas sehr Raues und Ungeschliffenes unter eigentlich sehr anspruchsvollen Bedingungen aufzunehmen?

Irgendwie schon. Denn als wir dieses Album angegangen sind, war unser erster Gedanke tatsächlich die Garage – eben klanglich und was das Songwriting betrifft. Was dann passiert ist, hat ein bisschen was davon, als ob wir die Garage ins Studio A verfrachtet hätten. Eine weitere Sache, die ich nicht erwartet hätte und die sich als wichtiger Aspekt dieses Albums erweist, ist, dass wir uns bei den Sessions extrem wohlgefühlt haben. Wir haben zusammengesessen, Blödsinn geredet und Spaß gehabt. Gleichzeitig waren wir aber auch sehr konzentriert, was die Arbeit betraf. Und: Wir haben einander ein wirklich gutes Gefühl gegeben. Wenn wir also ein Stück aufgenommen haben, haben wir die meisten Sektionen in gerade mal drei oder vier Takes eingespielt.

Klingt nach einem sehr inspirierenden Ort – mit dem Sound eines großen Raums?

Absolut. Es ist ein wahnsinnig tolles Studio. Also sehr inspirierend und geradezu riesig. Wir reden hier von rund 270 Quadratmetern mit einer enorm hohen Decke. Ein weiterer Aspekt, warum Studio A so wichtig für den Sound des Albums war, ist die Tatsache, dass der Raum an sich einen wunderbaren Klang hat. Den haben wir bewusst eingesetzt, weil er dem Hörer das Gefühl gibt, da quasi mit uns vor Ort zu sein. Sprich: Man fühlt die Umgebung. Man hört, dass wir in einem großen, offenen Raum sind. Und das sorgt für den Live-Sound des Albums.

Gear-Talk und mehr auf Seite 2

(Bild: Neil Krug)

Inwiefern hat sich dein Gear seit ‚The Battle At Garden’s Gate‘ verändert – oder ist es immer noch dasselbe Setup, was Bass, Amps und Effekte betrifft?

Auf diesem Album habe ich einen alten Hiwatt-Amp verwendet. Aus dem einfachen Grund, weil wir für die Aufnahmen nicht unser eigenes Equipment benutzen wollten. Wir fanden es spannender zu sehen, was Dave bzw. das Studio zu bieten haben und uns dort zu bedienen. Das Meiste, was man auf dem Album hört, ist wirklich mit uns Vieren in ein- und demselben Raum entstanden. Was heutzutage alles andere als üblich ist. Denn wenn du ins Studio gehst, spielt sich normalerweise alles in schalldichten Kammern, sogenannten Iso-Booths, ab. Da steht dann auch dein Verstärker und nichts davon dringt nach außen. Wenn du aber das Schlagzeug isolierst, ist das anders – man hört es immer noch ein wenig unter dem Gesang und den anderen Instrumenten. Was wiederum dafür sorgt, den Klang zu homogenisieren. Im Sinne von: Es macht ihn authentischer. Und das ist die Art, wie wir am liebsten aufnehmen. Machst du Fehler, gibt es kein Back-up, auf das du zurückgreifen könntest, sondern du musst versuchen, sie so gut wie möglich zu verschleiern.

Und auf welchen Bass hast du zurückgegriffen?

Auf den Fender Mustang von Dave. Ein knallrotes Teil – mit einem etwas kürzeren Hals als normalerweise üblich. Das hat mir mehr Mobilität gegeben – einfach, um auch mal wild herumzuhüpfen und auf dem Griffbrett herumzuspielen, was ich sehr gerne tue. Insofern macht so ein kurzer Hals durchaus Spaß. Er gibt dem Instrument mehr von einem Gitarren-Gefühl, und macht es zu einem Lead-Instrument. Zudem ist es für gewöhnlich so, dass ich die einzelnen Parts eines Songs dahingehend analysiere, was Jake so auf der Gitarre anstellt – und dann etwas einflechte oder es verdopple. Ich versuche, die effektivste und melodischste Art des Schreibens für meinen Bass-Part zu verwenden. Und ich sitze gerne alleine vor der Tafel, auf der wir alle Songs aufgliedern, spiele herum und schreibe meine Parts.

Doch diesmal war es anders: Es hatte wirklich etwas davon, neben einem Zug herzulaufen und zu versuchen, da noch irgendwie aufzuspringen. Eben, weil die neuen Stücke nicht in Stein gemeißelt waren, sondern sich nach den Demos noch ein bisschen weiterentwickelt haben. Und wohin ich diesmal tendiert habe – das kann man besonders gut in ‚The Indigo Strak‘ hören –, war dieser alte Motown-Sound mit dieser markanten Rhythmus-Sektion der damaligen Zeit. Da ich meine Parts oft im Studio, also beim Aufnehmen, geschrieben habe, bin ich immer mehr in Richtung Motown gegangen. Also der Sound, mit dem ich aufgewachsen bin und zu dem ich Bass spielen gelernt habe.

Du hast also deinen inneren James Jamerson ausgelebt?

Das habe ich wirklich. Und John Paul Jones war ja auch stark von James Jamerson beeinflusst – genau wie Paul McCartney. Einfach, weil James einer der ersten war, die etwas so Melodisches erschaffen haben. Wobei es nicht einmal das Melodische ist, das mich am meisten beeindruckt, sondern vielmehr das Gefühl, das er transportiert. Einfach, weil er da so viel reinlegt: Es ist lebhaft und elastisch – und es hat den Vibe von Motown, den ich immer geliebt habe. Wie ich auf ihn gekommen bin? Ganz am Anfang der Band, als ich noch nicht lange gespielt hatte, erlebte ich eine Phase, in der mich das Instrument tatsächlich ein bisschen gelangweilt hat. In der ich nicht richtig weiterkam und ein wenig die Lust verloren habe.

Aber dann habe ich zufällig diese alten Stücke mit James gehört, und war geplättet. Nach dem Motto: „Wow, so etwas kann man mit seinem Bass anstellen? Ist das überhaupt erlaubt?“ (lacht) Das war eine riesige Inspiration für mich – und daran habe ich mich bei ‚Starcatcher‘ erinnert. Eben an etwas, das tief in mir verwurzelt ist und auch zum Thema des Albums passt, nämlich sich gleichzeitig nach vorne wie nach hinten zu bewegen.

Demnach versuchst du als Musiker, dich weiterzuentwickeln und deinen Sound zu verändern, statt dich einfach an dem festzuklammern, was du in den letzten Jahren erreicht hast?

Auf jeden Fall! Deshalb finden sich auf dem Album nicht nur Rock-Songs, sondern auch Stücke mit wirklich einzigartigen Elementen. Aus dem einfachen Grund, weil ich kaum noch Bassisten höre, die so spielen. Ich höre kaum noch dieses Motown-Feeling in der Rockmusik. Dabei macht diese Art von Dynamik die Musik gleich origineller und eigenständiger – zusätzlich zu der Tatsache, dass Jake ein paar unglaublich tolle Gitarrenparts geschrieben hat.

Du selbst spielst Bass, Klavier und Orgel. Wann greifst du zu was – und wie handhabst du das auf der kommenden Tournee?

Im Grunde richtet es sich danach, was der Song verlangt. Manchmal ist es absolut unnötig, da wer-weiß-wie-viele Keyboard-Texturen hinzuzufügen. Und manchmal will ich einfach dem Bass das Reden überlassen – also was die instrumentale Seite betrifft. Aber einige Stücke wie ‚Farewell For Now‘ oder ‚Fate Of The Faithful‘ sind halt Keyboard-lastiger, weil das da sehr gut passt. Und auf der Hälfte der Album-Tracks spiele ich Bass, weil ich Jake alles andere machen lasse, und da insofern mehr Overdubs und Gitarrenschwerpunkte von ihm kommen. Das ist ein wichtiger Teil unseres Sounds und ein wichtiger Teil der Band. Aber wenn Jake zur Akustischen greift, tendiere ich zu den Tasten – weil das mehr old school ist, so vorzugehen und auf die Weise mehr klanglichen Raum zum Ausfüllen zu haben.

Wobei ich aber sehr darauf bedacht bin, da nicht zu viel hinzuzufügen. Es geht eher darum, den Song zu fragen, was er möchte und dann entsprechend zu reagieren. Für so etwas wie ‚Fate Of The Faithful‘ ist der Keyboard-Part allerdings essentiell – da wäre überhaupt nichts anderes möglich. Einfach, weil es am Keyboard entstanden ist. Und live wird es so sein, dass ich bei einigen Stücken am Bass anfange, dann zu meinem Techniker renne und ihm das Teil übergebe.

Während Jake und Danny einen kleinen Pre-Chorus anstimmen, setze ich mich an die Keyboards − bis zu einem weiteren, kleinen Jake/Danny-Moment, in dem ich mir den Bass zurückhole und den Song auch so beende. Von daher: Es geht immer darum, wonach der Song verlangt, und natürlich um Dynamik.

Also verwandelst du dich langsam in den John Paul Jones von Greta Van Fleet?

Ganz ehrlich: Das ist der Grund, warum ich mehr Keyboards spielen wollte – denn das haben alle meine Lieblingsbassisten getan: John Paul Jones, Geddy Lee, sogar Jack Bruce. Wenige Leute wissen das, aber er war auch ein bemerkenswerter Keyboarder.

Vielen Dank für das Gespräch.


(erschienen in Gitarre & Bass 09/2023)

Kommentar zu diesem Artikel

  1. Der Song „The Falling Sky“ ist eigentlich recht rockig,er groovt und klingt sogar echt flott und kurzweilig,nur leider bleibt die schrille Stimme des Vocalisten wirklich Geschmackssache,sie erinnert sehr sehr weit entfernt an Robert Plant (Ex-Led Zeppelin),kommt jedoch nicht wirklich an Robert‘s sehr außergewöhnlichen Gesang heran. Und somit reiht sich Greta Van Vleet in die lange Schlange der üblichen Bands ein,die faktisch nicht unbedingt zu meinen Favoriten zählt. Sorry,die Stimme ist doch sehr hochfrequent.
    Und sind E.-Pianos/Keyboards manchmal nicht doch richtig nervig? Zuviel des „Guten“ scheint auch hier übertrieben und absolut nervtötend.
    Zudem ist Keyboardlastigkeit aber auch rein subjektiv,wo es im Hintergrund paßt,ist es schon okay.Es geht diesbezüglich auch heftiger zur Sache: Ich erinnere in diesem Zusammenhang nur mal an ein sehr aussagekräftiges Music-Video,in dem der Ausnahmegitarrist Ted Nugent mit seinem wuchtigen Schnellfeuergewehr auf ein Keyboard zielt und es schlußendlich durch den intensiven Beschuß in seine Einzelteile zerlegt. Damit ist eigentlich bereits alles gesagt. Ich finde jedoch,daß Keyboards zu manchen Songs durchaus sehr gut passen,solange sie nicht über einen längeren,sehr ausgedehnten Zeitraum fast endlos wabern sind sie als Intro/Outro durchaus zweckmäßig und hörbar. Der sehr harmonische Songtitel „The Sun goes down“ von Thin Lizzy wäre z.B. gänzlich ohne Keyboard garantiert klanglich nicht so hervorragend geworden. Manchmal ist eben etwas weniger doch mehr.

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