„Ich bin nach wie vor rebellisch. […] Es ist wichtig, das nicht zu verlieren.“
(Bild: Danny Clinch )
Diese Frau stoppt weder ein Schlaganfall noch ein Tornado: Lucinda Williams ist eine (Über-)Lebenskünstlerin und echte Kämpfernatur. Drei Jahre nach ihrem gesundheitlichen Kollaps und dem Verlust ihres Studios in Nashville, meldet sich die große alte Dame des Country-Rock mit einem kantigen Album namens ‚Stories From A Rock’n’Roll Heart‘ zurück. Ein musikalisches Manifest.
Das Interview mit Gitarre & Bass ist längst beendet, doch Lucindas Rekorder, mit dem sie das Gespräch mitgeschnitten hat, läuft unbemerkt weiter: „Die Deutschen interessieren sich wirklich noch für Musik – nicht wie hier. Der Typ wollte keinen Klatsch, der hat gefragt, wie es mir geht und was hinter den neuen Songs steckt. Warum ist das nicht immer so?“ Antwort ihres Managers wie Göttergatten, Tom Overby: „Das ist halt so, honey. Genieß es.“
Und das hat sie: Fast eine Stunde lang redet sich die 70-Jährige den Frust von der Seele, lässt die letzten drei Jahre Revue passieren, sinniert über ihre Helden, ihre Gitarren samt ihrer Achterbahn-Karriere und erweist sich als faszinierende Persönlichkeit: Eine Frau zum Pferdestehlen, die das goldene Zeitalter des Rock‘n‘Roll noch persönlich miterlebt und sowohl Hendrix wie auch Dylan und Janis Joplin gesehen hat. Die als Künstlerin eine interessante Entwicklung durchlaufen hat, Folk, Country und Rock auf unnachahmliche Weise kombiniert und einen rebellischen Geist besitzt. In ihrem tiefsten Inneren, so die Frau mit der charmanten Reibeisenstimme, sei sie ein Punk und ein Outlaw alter Schule. Das glaubt man ihr aufs Wort – genau wie ihren zynischen Kommentar, dass sie im Rollstuhl wohl unerträglich gewesen sei. Denn: Ohne Musik könne und wolle sie nicht leben. Wer jetzt nicht weiterliest, ist selbst schuld…
INTERVIEW
Lucinda, wie definierst du ein Rock’n’Roll-Herz? Ist das eine Lebenseinstellung, der du seit den frühen 70ern frönst?
Es ist tatsächlich eine Attitüde. Eine, die extrem wichtig ist – gerade bei diesen Songs, die vom Überleben, von Ausdauer, Mut und von Stärke handeln. Einfach, weil da eine Menge Dinge waren, gegen die ich angekämpft habe. Ein bisschen wie bei einer Schlacht, die immer weiter und weiter ging – und in deren Verlauf ich mich aus einem regelrechten Loch befreit habe. Denn was da passiert ist, war geradezu biblisch: Erst zog ein Tor-nado durch Nashville, der das Dach unseres Hauses und Studios abgedeckt hat, dann hatte ich einen Schlaganfall und anschließend haben wir diese fürchterliche Pandemie erlebt. Es war eine Sache nach der anderen – eine Mischung aus persönlichen und globalen Nackenschlägen.
Ist dieses Album Teil deiner Reha – hat es dir geholfen, nach Monaten im Rollstuhl wieder auf die Beine zu kommen?
Oh ja. Ich hatte schließlich große Probleme, wieder Gitarre zu spielen. Es fällt mir immer noch wahnsinnig schwer und ist eine ziemliche Belastung. Denn es behindert mich beim Songwriting, genau wie bei einigen anderen Dingen. Wenn ich ins Studio gehe, ist es für gewöhnlich so, dass ich singe und spiele. Aber jetzt brauche ich jemanden, der mir bei der Gitarre hilft. Und egal, wen ich bitte: Es ist nie so, wie ich es angehen würde bzw. wie ich es gerne hätte. Das nervt.
Warum fällt dein neues Album so rockig und kantig aus? Wolltest du etwas betont Raues und Ungeschliffenes?
In erster Linie wollte ich ein bisschen was anderes machen als beim Album davor – und meine Attitüde mehr betonen. Einfach, weil mir das Wichtig ist und meiner aktuellen Gemütslage entspricht. Ich will zeigen, dass ich es immer noch draufhabe, dass ich nicht von Bord gegangen bin, sondern weiterhin kämpfe. Denn bei vielen meiner Kollegen ist es tatsächlich so: Sie werden mit zunehmendem Alter ruhiger, sesshafter und – noch schlimmer – sie verlieren ihren Rock‘n‘Roll-Spirit. So weit ist es bei mir noch nicht, sondern er ist immer noch da. Ich bin nach wie vor rebellisch. Ich kann dir immer noch auf die Nerven gehen. (lacht) Es ist wichtig, das nicht zu verlieren.
Also ist das hier in erster Linie ein Rock‘n‘Roll-Album?
Das ist es, was wir wollten. Und es hat auch ein bisschen mit dem zu tun, was ich ganz am Anfang meiner Karriere erlebt habe – als ich versuchte, meinen ersten Plattenvertrag zu ergattern. Da haben mir die Labels direkt ins Gesicht gesagt, dass ich mich zu sehr im Niemandsland zwischen Country und Rock bewegen würde. Und hey, das tue ich im Grunde noch immer.
Wobei männliche Künstler wie die Byrds und Gram Parsons doch großen Erfolg mit der Fusion beider Stile hatten – wie kann man dir dann sagen, du hättest kein kommerzielles Potential?
Ich weiß es nicht. Und das ist ein weiterer Kampf, den ich schon mein ganzes Leben führe und der nicht aufhört. Es bedurfte eines englischen Punklabels, um mich unter Vertrag zu nehmen – die Rough-Trade-Jungs. Doch selbst die haben sich große Sorgen um meine Vermarktung gemacht. Im Sinne von: Sie wussten nicht recht, wohin mit mir. Also, wo sie mich in den Läden platzieren sollten. Und es ist traurig, aber wahr: Es dreht sich alles ums Geschäft und nichts anderes. Deshalb ist es so: Wenn man etwas Lohnenswertes macht, ist da immer ein Kampf involviert. Ohne geht es nicht.
Wenn es kein Zugeständnis an die Musikindustrie war: Warum hast du dich seit den späten 70ern immer mehr vom traditionellen Country in Richtung Rock’n’Roll entwickelt?
In meinem tiefsten Inneren war ich eigentlich immer ein Rock’n’Roller. Ich habe zum Beispiel eine Verbundenheit zu Chrissie Hynde von den Pretenders gespürt. Einfach, was die Art betrifft, wie ihre Songs angelegt waren. Das hat mich immer angesprochen. Oder The Doors – ich habe ihre Musik und den Aufbau ihrer Songs geliebt: textlich und von den Arrangements her. Gleichzeitig habe ich aber auch Country, vor allem älteren Country, gehört. Leute wie Hank Williams und Loretta Lynn, aber auch George Jones, die Byrds, Gram Parsons, Neil Young und Buffalo Springfield. Jungs, die alles durcheinandergewürfelt haben – und das Ergebnis war Country-inspirierter Rock. Das war der Begriff, der damals verwendet wurde, und den wir unbedingt wieder einführen sollten. Genau wie Folk-Rock. Denn das ist es, was die Byrds gemacht haben – oder Bob Dylan.
Heute ist alles „Americana“ – was immer das bedeutet …
Was auch immer – es ist dasselbe in Grün. Sie haben dem Ganzen nur diesen netten, neuen Namen verpasst, um es besser vermarkten zu können. Das ist zumindest meine Meinung. Denn in der Musikindustrie dreht sich alles ums Geschäft. Es geht ums Geldverdienen – und daran muss man die Leute scheinbar immer wieder erinnern. Alle Entscheidungen, die von irgendwelchen Labels getroffen werden, basieren auf der Intention, noch mehr zu verdienen, als sie es ohnehin schon tun. Und was mir daran nicht gefällt: Sie machen ihre Künstler zum reinen Produkt, das sie bestmöglich verkaufen wollen – wie in jeder anderen Branche. Und wenn das nicht funktioniert, fühlen sie sich unwohl mit dir. Dann suchen sie nach einem Weg, der irgendwie funktionieren könnte – was oft ins Lächerliche abdriftet.
Bei mir war es zum Beispiel so, dass ich eine Zeitlang gerne einen Cowboy-Hut getragen habe. Doch als ich bei einer Veranstaltung war, zu der mein ehemaliges Label die Programmchefs der amerikanischen Radiosender eingeladen hatte, meinte der Pressechef zu mir: „Ich glaube, es ist keine gute Idee, wenn du hier den Hut trägst.“ Als ich ihn fragte, wie er denn darauf käme, meinte er: „Weil dann all diese Radio-Leute meinen, dass du eine Country-Künstlerin wärest – und das würden wir gerne vermeiden.“ Ich war sprachlos. Sie hatten Angst, dass ein Hut diese Menschen, die ja eigentlich Ahnung von Musik haben sollten, derart verwirren könnte, dass sie meine Songs nicht mehr spielen. Das zeigt dir, in welchem Metier du dich bewegst: In einem Geschäft, in dem jede Kleinigkeit zählt.
Da scheint sich über die Jahre nicht viel verbessert zu haben …
Nein, die sind kein bisschen schlauer als früher. Eher im Gegenteil …
(Bild: Andy Witchger )
Darf man fragen, wie umfangreich deine Gitarrensammlung mittlerweile ist? Was hast du über die Jahrzehnte zusammengetragen?
Es ist einiges. Nur: ich bin da längst nicht so fanatisch, wie andere Leute, die ich kenne. Und ich fühle mich allein deshalb gesegnet, weil es immer wieder vorkommt, dass mir Gitarren einfach zufliegen – sprich: Ich bekomme viele geschenkt oder zum günstigen Tarif. Da ist zum Beispiel James Trussart, dieser Gitarrenbauer aus Los Angeles. Ein gebürtiger Franzose, der wunderbare Instrumente anfertigt. Er lässt mir regelmäßig ein paar zukommen, die aus Metall bestehen und in die er spannende Designs eingraviert. Den Hals recycelt er meistens aus alten Schrott-Gitarren, wodurch das Ganze wie ein Hybrid ist. Aber es sind auch richtige Kunstwerke – einfach wunderschön. Er lackiert sie in unterschiedlichen Farben.
Sorgt der metallische Korpus für einen anderen Sound?
Ja, aber leider auch dafür, dass sie ein bisschen schwerer sind als konventionelle Gitarren. Gleichzeitig klingen sie toll und sind vor allem optisch umwerfend. Es sind Modelle, die einfach anders sind. Doch: Angefangen habe ich mit einer 12-saitigen Akustik-Martin. Dann war da noch eine Martin D-28, die ja so etwas wie Standard ist. Viele Leute, die ich kenne, haben darauf zurückgegriffen. Aber dann hat mir jemand eine akustische Gibson in die Hand gedrückt. Ich weiß nicht mehr genau, was für eine es war, aber es hieß, es wäre dieselbe, die die Everly Brothers gespielt haben. Es war eine wirklich robuste Gitarre, die einiges ausgehalten hat – gerade auf Tour. Sie hat immer gut geklungen und sich nie groß verstimmt. Insofern mag ich die Gibsons. Ich spiele sie oft mit einem Kapodaster.
Wie kommt es, dass du musikalisch über die Jahrzehnte mit so vielen berühmten Kollegen gearbeitet hast – von Bruce Springsteen bis Willie Nelson –, aber nie mit den Stones oder mit Dylan?
Ich weiß es nicht. Es hat sich einfach nicht ergeben – aus welchen Gründen auch immer, was ich sehr bedaure. Dafür werde ich in ein paar Tagen etwas mit Mike Campbell von den Heartbreakers aufnehmen. Ein toller Typ, mit dem ich gut befreundet bin. Er fragte, ob ich Lust hätte, zu ihm ins Studio zu kommen und ein paar Songs mit ihm zu singen. Er arbeitet an einem neuen Solo-Album, und es ist immer eine große Ehre, von Leuten wie ihm gefragt zu werden.
Wie kommen solche Sachen zustande? Ist das Zufall oder suchst du diese Kollaborationen?
Das Meiste ist purer Zufall. Es sind Leute, die meine Musik hören und darin etwas entdecken, zu dem sie eine Beziehung aufbauen können, oder dass ihnen besonders gut gefällt. Wobei ich über die Jahre gelernt habe, dass viele von den etablierten, älteren Künstlern immer nach interessanten, neuen Künstlern suchen. Einfach, weil sie sich Sorgen machen, was wohl als nächstes kommt – wer derjenige sein könnte, der das Zepter von ihnen übernimmt. Ich weiß z.B. aus Erfahrung, dass Jungs wie Tom Petty und Mike Campbell immer nach neuen Talenten gesucht haben – nach Musikern, die die Zukunft sein könnten. Das ist etwas, das ich fortsetze. Auch ich versuche ständig, zeitgemäße Künstler zu finden, zu denen ich eine Beziehung aufbauen kann. Das fällt mir zwar nicht immer leicht, aber ab und zu ist da jemand, der mich begeistert. Etwa Sharon Van Etten, Steve Gunn oder Angel Olsen. Es ist nur so, dass man heute ein bisschen tiefer graben muss, um Dinge zu finden. Denn: Da draußen ist zwar so viel, dass es einen geradezu erschlägt. Nur es ist längst nicht alles gut.
Wer steht auf deiner Wunschliste? Mit wem würdest du gerne arbeiten, sofern sich die Möglichkeit ergeben würde?
Ich denke, Steve Earle und ich würden wirklich gut zusammenarbeiten. Wir waren schon öfter im Studio, haben aber noch nie gemeinsam geschrieben. Wir haben darüber geredet und kommen aus demselben Background. Insofern muss es irgendwann passieren. Denn mit jemandem zu schreiben, erfordert ein gewisses Maß an Gemeinsamkeiten. Das wäre in unserem Fall vorhanden. Und es wäre toll gewesen, mit Tom Petty zu arbeiten. Ich schätze, wir waren uns sehr ähnlich. ‚Southern Accents‘ war mein absolutes Lieblingsstück von ihm.
(erschienen in Gitarre & Bass 10/2023)
Lucinda Williams ist wirklich eine großartige Musikerin und eine echte Kämpfernatur. Sich nicht unterkriegen lassen,das ist es,was letztendlich zählt.
Ich freue mich schon auf ihre nächste Audio-CD. Lucinda ist eine der wenigen Vollblutmusikerin,die sich nicht verbiegen läßt,und das ist gut. In einer kranken Welt des Neids,grober Gewalt,sinnloser Kriege,Diffamierungen und unfaßbaren Elends,ist Lucinda Williams der Fels in der Brandung,der uns einen gewissen Halt gibt. Schön,daß es Lucinda gibt!