Die Auflösungsgerüchte konterten Bela-Farin-Rod 2020 mit dem Album ‚Hell‘. Während dieser Sessions entstand so viel Studiomaterial, dass in diesem Jahr die Fortsetzung folgte: ‚Dunkel‘. Wir trafen Farin Urlaub in Berlin zum Gespräch über Homerecording in Corona-Zeiten, italienische Elektrogitarren und Karnickelfickmusik.
Nach ‚Hell‘ kommt ‚Dunkel‘. Ernsthaft jetzt? Klar. Ärzte-Humor. Das Doppel-CD-Pack gibt’s für den geneigten Fan sogar „im Schuber mit Girlande“. Fein säuberlich aufgebaut, mit aufgepumptem Cover-Artwork aufgehübscht und ausgestellt zum Pressetermin im Berliner Columbia, wo die geladenen Journalisten Corona-mäßig hygienisch separiert wahlweise Vollrohr oder In-Ear beschallt werden: vom stürmischen Uptempo-Opener ‚KFM‘, über Belas textlich geniales Titelstück, zum Rap-Rock-Crossover ‚Kerngeschäft‘ und dem drolligen Anti-Nazi-Song ‚Doof‘ bis zu ‚Erhaben‘, einem Lied über das Scheitern in Schönheit.
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Respekt, die Herren: Die 19 neuen Nummern sind keine halbgaren Überbleibsel und keine schnöde Resteverwertung. ‚Dunkel‘ verdient Applaus. Es ist das bemerkenswerte Statement eines Trios, das sich im Herbst seiner Karriere musikalisch und textlich in Hochform zeigt.
Farin, jede Ärzte-Tour ist blitzschnell ausverkauft, jedes Album toppt die Charts. Was macht das Phänomen Die Ärzte aus?
Ich habe keine Erklärung. Vielleicht, weil wir echt sind? Es gab ja eine Zeit, in der wir uns nicht riechen konnten. Wir versuchen das nicht schönzufärben oder sagten nicht „the show must go on“, es geht um viel Geld, also lasst uns so tun, als wären wir Freunde! Wenn du das machst, hast du irgendwann drei Tourbusse, drei getrennte Garderoben und Backstage-Bereiche. Und das wollen wir nicht. Dann muss man eben so ehrlich sein und sich eingestehen: Es läuft gerade scheiße, wir machen mal nichts. Das heißt aber im Umkehrschluss: Wenn wir jetzt wieder zusammenspielen macht uns das auch Spaß!
Der Pressetext zu ‚Dunkel‘ empfängt mit den Worten: „Es sind Die Ärzte. Besser als Kapitalismus. Manchmal auch mit Karnickelfickmusik.“ Was ist das genau?
Komisch, für Rod und mich ist das ein ganz normaler Begriff. Eben schnelles Schlagzeug, Achtelbass und geschrubbte Gitarre. Musik ohne Sinn und Verstand. Wie wir sie halt viel machen. (lacht) Aber es ist kein Urlaubscher Neologismus, so gerne ich mich damit schmücken würde, denn ich finde das Wort super. Karnickelfickmusik ist genau das, was wir im ersten Lied machen. Wäre ein schönes T-Shirt-Motiv! „KFM“! Und hinten drauf zwei grinsende Kaninchen.
Das genaue Gegenteil bietet ‚Tristesse‘, ein Song, in dem du eine elegante Jazz-Gitarre spielst, arrangiert mit ganz großem Besteck, mit Bläsern und Streichern.
Ich höre viel Musik aus den Sechziger- und Siebzigerjahren, italienische und französische Schlager. Jedenfalls nennt man das bei uns despektierlich Schlager. Aber eigentlich ist das sensationell gut gemachte Popmusik. Diese Lieder wurden von fantastischen Studiomusikern gespielt, gut aufgenommen und sind einfach toll arrangierte Songs. Es hat mich total gekickt, auch mal so ein Frage-Antwort-Thema zu schreiben mit Streichern, Bläsern und einer jazzigen Gitarre. Und da die Ohren ja auch müde werden bei so viel Rock, musste der Song als kleine Abwechslung aufs Album.
‚Doof‘ dagegen ist ein beißender Song in der Tradition von ‚Schrei nach Liebe‘ und ‚Woodburger‘.
Das ist, als ob du einmal in die Kacke getreten bist und sie nicht mehr vom Schuh kriegst. Und es hört ja leider nicht auf. Die kommen einfach nicht drauf, dass sie den Respekt und die Nächstenliebe, die sie von anderen verlangen, dann auch selber den Menschen entgegenbringen müssen. Dieser simple Gedanke ist denen offenbar zu kompliziert. Darum sind die Nazis weiterhin ein Thema, auch wenn mir lieber wäre, wenn wir da nicht drüber reden müssten. Aber wir müssen. Ich wollte den schon auf ‚Hell‘ haben, denn ich liebe dieses Lied! Aber Bela meinte, wir hätten ja schon ‚Woodburger‘. So viel sei verraten: Als wir die Tracks ausgesucht haben, machten wir eine interne Abstimmung, ganz demokratisch. Deswegen ist auch der letzte Song drauf, obwohl Rod ihn hasst! (lacht) Da konnte jeder ein bis drei Punkte verteilen. Ich hab ‚Doof‘ vier gegeben, weil ich unbedingt wollte, dass der aufs Album kommt.
Wie hast du während der Corona-Zeit gearbeitet und Demos produziert?
Ich arbeite mit Logic Pro. Ich hab sowieso nur ein ganz kleines Studio. Wenn du das sehen würdest, wärst Du überrascht! „Huch, ich dachte, ihr habt Geld?“ (lacht) Ich habe zwei hochwertige Mikrofone, ein Gesangsmikro und ein universales, dazu einen guten Kompressor/Limiter und der Rest kommt aus der Dose. Da arbeite ich gerne mit Universal Audio. Die haben wirklich gute Plug-ins! Nein, ich bekomme kein Geld von denen! (lacht)
Dadurch, dass ich mich seit Jahren dafür interessiere, kenne ich inzwischen eine Menge gute Anbieter wie Soundtoys, die zum Beispiel ein unfassbar gutes Delay haben. Oder Native Instruments. Nahezu alle Instrumente, die ich nicht spielen kann, kommen von denen. Davon abgesehen gibt es auch sonst tolle Sound-Libraries. Manche haben mitunter auch nur ein Produkt! Nimm das Quietsche-Entchen am Ende von ‚Kraft‘. Das Sample fand ich so geil, dass es auf den Song musste! Ich mache meine Demos halt gerne perfekt, allein die Streicher! Da sitze ich gerne lange an den Arrangements. Ich habe schon beim Racing Team geübt Bläsersätze zu schreiben, bis die Bläser zufrieden waren. Das ist mein Ehrgeiz. Und es macht natürlich Spaß.
Welche Gitarren kamen zum Einsatz?
Wir haben sowohl bei ‚Hell‘ als auch bei ‚Dunkel‘ mit der größten Bandbreite an Gitarren gearbeitet, die wir je bei einer Produktion hatten. Ich hatte Zugriff auf fast 50 Instrumente! Und es gibt keine zwei Songs, die mit der gleichen Kombination eingespielt sind. Ich habe wieder einen Fetisch für alte Gitarren entwickelt, den ich in den Achtzigerjahren schon mal hatte. Der war zwischenzeitlich komplett eingeschlafen und ist letztes Jahr wieder aufgeblüht, durch einen recht skurrilen Anlass. In dem Studio, in dem wir aufnahmen, stand eine italienische Crucianelli-Gitarre.
Der Hersteller hat in den Fünfzigerjahren Akkordeons gebaut. Als die nicht mehr so gefragt waren, haben sie mit Sperrholz und Celluloid-Materialien Gitarren gebaut. Dort stand jedenfalls eine Crucianelli aus den Sechzigerjahren mit einem Pickup, und die hab ich mal angespielt, weil ich etwas anderes probieren wollte. Die hatte einen ganz eigenen Sound, etwas, was ich vorher noch nie gehört hatte. Daraufhin habe ich mir selbst eine gekauft, allerdings mit drei Pickups. Denn die mit dem einen Pickup ist unfassbar selten. Falls also einer eurer Leser eine Crucianelli Elite Solidbody mit einem Pickup besitzt: Ich hätte Interesse! Ich zahle auch gut! (lacht)
Dann ging es weiter mit einer alten Gibson Firebird und einer SG. Dabei war ich bislang eigentlich kein Gibson-Fan. Aber ich beginne langsam, die für mich zu entdecken. Die Jungs im Studio hatten eine Riesensammlung an Gitarren, auch absurde Instrumente, echt schräger Kram. Dazu kamen die Sammlungen von Rod und von Bela, der übrigens deutlich mehr Gitarren besitzt als ich. Es gab also diesmal nicht „das eine Instrument“, sondern ich konnte aus dem Vollen schöpfen.
Und was für Amps hast du benutzt?
Es gab im Studio einen Fender Twin Reverb, einen Vox AC30, einen Mesa Boogie, einen Laney, diverse alte und neue Marshalls und auch zwei selbst geschraubte, namenlose Amps. Wir haben einfach herumprobiert, und wenn etwas passte, haben wir damit aufgenommen. Das hat Spaß gemacht. Ich habe mir gerade einen originalen 1959er Fender Bassman gekauft. Der ist zum Niederknien! Aber er kam leider zu spät fürs Album.
Tom Harm von Cyan Guitars hat dir mehrere Signature-Gitarren gebaut. Inzwischen hast du dir deine Signature-Instrumente noch einmal deutlich leichter bauen lassen.
Hast du dir die erste Cyan jemals um den Hals gehängt? Mach das mal. Dann hast du keine Fragen mehr. Ich habe meine erste Cyan an Tom zurückgeschenkt, denn so etwas darf man nicht verkaufen. Die steht bei ihm im Studio. Und ab und zu kommen mal Fans vorbei und fragen, ob sie die in die Hand nehmen dürfen. Und wundern sich dann: Wie bitte? Die ist unfassbar schwer! Ich habe sowieso einen Haltungsschaden und der ist durch die Gitarre nicht unbedingt besser geworden. Irgendwann habe ich zu Tom gesagt: So geht’s nicht weiter. Bau mir bitte was Leichteres. Zwei Anläufe hat er gebraucht und dann stand die Cat Eye. Und die ist ein Traum für live.
Welche Features muss ein Instrument mitbringen, damit du es live einsetzt?
Die wichtigste Qualität, die eine Live-Gitarre haben muss, ist Stimmstabilität! Es gibt natürlich keine perfekt stimmstabile Gitarre. Aber halt so stimmstabil wie möglich. Wir haben einen Techniker im Studio, der kümmert sich auch um Schlagzeug und Bass, aber vor allem darum, dass meine Gitarren perfekt gestimmt sind und auch oktavrein. Aber wenn ich mir eine Gitarre kaufe, muss sie etwas haben, was andere nicht haben. Ich mag Gitarren mit Vibratosystem, denn es gibt Parts in meinem Spiel – was ja nicht so das komplizierteste ist – wo ich denke, da macht sich das ganz gut. Deswegen bin ich froh, wenn eine Gitarre so einen Hebel dran hat. Selbst wenn ich den manchmal gar nicht benutze. Aber es ist ein gutes Gefühl, dass er da ist.
Im Song ‚Anti‘ gibt’s im Outro sogar eine ziemliche Whammy-Bar-Orgie!
Ja, richtig! Das erste Lied der Ärzte mit drei Gitarrensoli! (lacht) Und am Ende habe ich mit Bottleneck und Vibrato wirklich Chaos veranstaltet. Mayhem! (lacht) Da hatten wir Spaß! Das letzte Solo haben wir von meinem Demo gezogen, das war schlichtweg nicht reproduzierbar. Und die Anderen verdrehten wieder mal die Augen und meinten: Du mit deinen Demos!
Welche Gitarre hast du dir als letztes gekauft?
Das war eine Fender Telecaster. Denn so einen Sound wollten wir auf dem Album. Keine Gitarre klingt wie eine Tele! Da ich keine hatte, habe ich mir eine gekauft, eine Butterscotch mit Blackguard aus den Siebzigerjahren. Von 1975. Tolle Gitarre. Ja, ja, ich weiß, das ist CBS-Ära, alles scheiße, ist ja klar. Aber sie klingt super! (lacht) Ich war in einem Laden, da hingen drei alte Teles. Sie sah nicht am coolsten aus, klang aber am besten. Und war die günstigste. Ich kaufe Instrumente sowieso immer mit den Ohren, nie mit den Augen. Wenn sie dann noch cool aussehen, ist das schön.
Wie hat sich dein Live-Equipment im Laufe der Jahre entwickelt?
Mein Ziel war von Anfang an – und wir sprechen hier über die 80er-Jahre – möglichst nur einen oder zwei Fußschalter zu haben und kein gigantisches Board. Deswegen wird es live bei mir auch nie ein WahWah-Pedal geben. Ich möchte eine freie, saubere Bühne. Ich hatte schon damals die Idee, eine Sound-Kette zu programmieren und von Song zu Song weiter zu steppen. Dazu ein Display, das mir Sound 1, Sound 2, Sound 3 usw. anzeigt. Und wenn ich mich mal vertippe, gibt’s einen zweiten Schalter für „step down“.
Ganz am Anfang war das technisch nicht gut möglich, da habe ich zwischen zwei Amps hin- und hergeschaltet, clean und verzerrt. Das waren damals ein Fender Twin Reverb und ein Marshall. Sagt dir die Firma Exef Electronic was? Jochen Köckler? Das war ein echter MIDI-Spezialist. Er hat mir in den späten Achtzigerjahren MIDI-Schaltgeräte gebaut. Long story short: seit den letzten Konzerten mit meinem Racing Team bin ich beim Kemper angekommen. Ich habe immer noch meine Sound-Kette im Computer, aber der Kemper hat keine Verzögerungszeiten mehr, der ist beim Umschalten sofort da. Wenn du zum Beispiel von einem sehr langen Delay zu etwas völlig anderem gehst, ist der Sound da. Das ist mir wichtig.
Eure Tour 2022 kommt langsam in Sicht. Ihr sagt: „Endlich wieder ein bisschen taub, ein bisschen stinkend, ein bisschen staubig und erschöpft, aber rundum glücklich mit Gleichgesinnten das Leben aka Die Beste Band der Welt genießen!“
Wir wissen noch gar nichts. Mit den beiden Alben und den B-Seiten der ersten Single haben wir 39 neue Songs. Das geht eigentlich gar nicht. Wir haben viel zu viel neues Material! Und wir können natürlich nicht nur neue Songs spielen, dann zeigen uns die Fans zu Recht den Mittelfinger. Wir müssen eine Balance finden. Ich habe noch keine Ahnung. Klar ist: Es wird lang! Es wird schmutzig! Und anstrengend! Bela und ich sind uns einig, mindestens zwei, drei verschiedene Setlists zu machen, damit wir die neuen Songs nacheinander mal live ausprobieren können. Die Songs von ‚Hell‘ sind ja noch nie live gespielt worden. Und jetzt ist schon das neue Album da. Das will alles raus! Das will in die Ohren der Leute. In laut!