Der Idealist: Fall-Out-Boy-Bassist Pete Wentz im Interview
von Marcel Anders, Artikel aus dem Archiv
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Kritiker haben selten ein gutes Haar an Pete Wentz gelassen. Tenor: Er sei nur ein hübscher Junge, der Musik als Sprungbrett für seine Mogul-Ambitionen erachte, eher durch Promi-Klatsch als durch kreatives Schaffen auffalle, und sich zudem in der Vielzahl seiner Aktivitäten verliere. Doch nach inzwischen zwei Dekaden dürfte jedem klar sein, dass etwas mehr hinter dem 1,68-Meter-Mann steckt – nämlich ein Multitalent und ein ernstzunehmender Bassist, der mit ‚So Much (For) Stardust‘ eines der besten Alben 2023 vorgelegt hat.
Darauf haben der 44-jährige Pete Wentz und seine Mitstreiter Patrick Stump (Gitarre/Gesang), Andy Hurley (Drums) sowie Joe Trohman (Gitarre) einige Umstellungen im Vergleich zum Vorgänger ‚Mania‘ von 2018 vorgenommen: Zum einen haben sie wieder beim Renommier-Indie Fueled By Ramen angedockt, auf dem sie 2003 mit ‚Take This To Your Grave‘ debütiert hatten. Zum anderen haben sie erneut Neal Avron verpflichtet, der sich schon für ‚From Under The Cork Tree‘, ‚Infinity On High‘ sowie ‚Folie á Deux‘ verantwortlich zeichnete.
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(Bild: Warner Music)
‚So Much (for) Stardust‘ birgt 13 Stücke, die sich als emotionale, leidenschaftliche Rockmusik mit Elementen aus Punk, Pop, R&B und Soul erweisen, hymnisch-melodisch, aber auch eckig und kantig daherkommen sowie jede Menge lyrisches Drama auffahren. Anfang/Mitte der 2000er hat man diese Symbiose als „Emo“ bezeichnet – als poppige Hardcore-Variante. Ein Begriff, mit dem sich Wentz nie identifizieren wollte. Er, der neben der Band noch eine Bar, einen Nachtclub, ein Plattenlabel und eine Modelinie leitet, favorisiert den Begriff „Softcore“.
INTERVIEW
Pete, für euer aktuelles Album habt ihr geschlagene fünf Jahre gebraucht. Wie erklärst du das den Fans – lag es einzig an der Pandemie?
Definitiv! Denn es war doch so: Einige Künstler waren in dieser Zeit sehr fleißig und produktiv. Andere dagegen nicht so sehr. Und ich gehöre definitiv zur zweiten Gruppe. Was auch daran liegt, dass man nach 20 Jahren in einer Band schon eine besondere Motivation braucht, um seine Kunst anzugehen − sonst wirkt sie irgendwie merkwürdig oder auch falsch. Und das merke ich sofort, wenn ich Alben von irgendwelchen Bands höre. Nämlich: Ich habe nicht das Gefühl, dass sie da sonderlich inspiriert gewesen sind. Sie scheinen das eher hingerotzt zu haben, um auf Tour gehen zu können. So etwas in der Art. Was ich einfach schade finde – und weshalb wir so etwas auf jeden Fall zu vermeiden versuchen. Nur: Es ist nicht so, als ob wir fünf Jahre auf der faulen Haut gelegen hätten. Während des Lockdowns habe ich einfach meine gesamte Zeit mit der Familie verbracht und mich zwischenzeitlich gefragt, ob wir in Zukunft überhaupt noch gemeinsam Musik machen werden – oder ob die Pandemie vielleicht sogar das Ende unserer Karriere ist. So ging es ja nicht nur mir – Corona war eine Sache, die die gesamte Welt in einen regelrechten Dornröschenschlaf versetzt hat.
Spielst du immer noch Squier-Precision-Bässe?
Nein, ich bin erst kürzlich zu Music Man und einem Sting-Ray-Bass gewechselt. Damit fühle ich mich sehr wohl.
Warum der Wechsel?
Ich wollte einfach mal etwas Anderes machen und mit einer Routine brechen – wie es eigentlich jeder Musiker regelmäßig tun sollte, um sich neuen Herausforderungen zu stellen. Selbst wenn sie noch so klein sind. Und ich fand es cool, mal einen aktiven Bass auszuprobieren – was ich nie zuvor getan hatte. Ich habe damit auf der ‚Hella Mega‘-Tour angefangen, und da hat er mir wirklich gut gefallen. Es fühlte sich an, als würde ich eine neue Seite an mir entdecken – eine, die experimenteller ist. Im Sinne von: Mein Sound ist jetzt etwas knalliger und härter. Er hat etwas sehr Perkussives und das gefällt mir wahnsinnig gut. Es ist der wahrscheinlich beste Ton, den ich je bei unseren Live-Shows hatte. Und: Ich musste während des Sets nicht mehrfach wechseln, sondern konnte den einen Bass bei allen 23 bis 24 Stücken einsetzen, die wir gespielt haben. Er ist also sehr vielseitig und auch robust. Deshalb habe ich Music Man kontaktiert, ihnen eine Zusammenarbeit angeboten und sie waren offen dafür. Jetzt bauen sie mein neues Signature-Modell.
Gibt es Instrumente in deiner Sammlung, die du besonders magst?
Ich mag diese alten Fender JP-90s, von denen ich einige habe. Das Modell wurde in den frühen 90ern nach nur drei oder vier Jahren eingestellt und war auch nie sonderlich teuer – selbst die Teile, die bis heute irgendwo kursieren, sind alle relativ günstig. Aber ich finde sie toll, weil das Holz sehr leicht ist, und weil jedes Exemplar von ihnen im Grunde vollkommen anders klingt. Dabei weisen sie alle eine solide, zuverlässige Elektronik auf, was bedeutet, dass man auch heute noch ganz leicht richtig gute Exemplare findet. Zudem sind sie extrem robust und zuverlässig – genau deshalb mag ich sie.
Wie hat sich dein Spiel in den letzten 22 Jahren verändert? Welche Entwicklung oder Veränderung stellst du da fest?
Heute ist weniger eindeutig mehr. Gerade in unseren Anfangstagen habe ich mir immer Sorgen darüber gemacht, dass ich vielleicht nicht genug auf dem Instrument mache – dass ich da noch mehr abliefern müsste. Gerade, um mit Patrick, der ein wirklich guter Gitarrist ist, mitzuhalten. Also habe ich auf den frühen Alben so viele Fills und Ideen versucht einzubauen, wie eben möglich. In einem Maße, dass ich es vielleicht auch übertrieben habe. Aber mittlerweile verstehe ich meinen Platz in der Band ein bisschen besser und habe erkannt, dass ich gar nicht so viel machen muss – sondern nur das, was wirklich nötig ist. Und natürlich hoffe ich, dass ich besser geworden bin. Wobei: Schlechter zu werden, dürfte eh unmöglich sein. Ich kenne niemanden in der Rockmusik, auf den das zutreffen würde. (lacht)