„Ich halte mich selbst für einen eingeschränkten Gitarristen.“

Der Extremist: Swans-Frontmann Michael Gira im Interview

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(Bild: Copyright: William Lacalmontie)

Er hat sein Publikum getreten, geschlagen und beschimpft. Auf der Bühne war Michael Gira lauter als Motörhead, auf Platte brutaler als Killing Joke. Jetzt, zum 40. Dienstjubiläum seiner Band Swans, präsentiert sich der Überzeugungstäter musikalisch zwar eher milde. Doch hinter der Fassade des knochigen, älteren Herren brodelt es weiter gewaltig.

Den Eindruck bekommt Gitarre & Bass beim Interview in Berlin. Gira ist in der Stadt, um mit seiner Band zu proben, die sich größtenteils aus Spree-Anwohnern rekrutiert. Wenn er nicht acht Stunden lang Krach in einem alten Bunker macht, schläft er seinen Jetlag aus oder gibt – matt und müde – Interviews mit Journalisten, die er kennt und die ihn nicht mit unliebsamen Fragen zu Politik und Gesellschaft konfrontieren. Er redet, wenn überhaupt, nur über seine Musik und seine Karriere. Doch über beides ließen sich Bücher füllen: Der 69-Jährige, der aus der New Yorker No-Wave-Szene der frühen 80er stammt und seine Tonträger von jeher in Eigenregie veröffentlicht, ist ein (Über-)Lebenskünstler, der gerne Grenzen überschreitet. Auf seinem neuen, mittlerweile 16. Studio-Album ‚The Beggar‘, merkt man das an der Länge der Kompositionen (über zwei Stunden Gesamtspielzeit), dem sakralen Sound und der lyrischen Morbidität. Gira ist noch immer Extremist – selbst, wenn er dabei sanft lächelt.

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INTERVIEW

Michael, der Großteil der Stücke auf ‚The Beggar‘ dreht sich um den Tod. Liegt es daran, dass du stramm auf die 70 zugehst?

Das taucht tatsächlich öfter auf und es hat damit zu tun, dass ich mir eine Menge Gedanken mache. Nur: Das ist in meinem Alter ganz normal − und wichtig. Nämlich, sich seiner Sterblichkeit bewusst zu sein und sich entsprechend zu verhalten. Etwa, indem man die Zeit, die einem bleibt, so sinnvoll nutzt, wie eben möglich. Es ist allerdings nicht so, als ob ich von dem Thema besessen wäre. Es ist eher etwas, mit dem ich mich notgedrungen auseinandersetze.

Aber es ist kein Abschied, wie im Internet diskutiert wird?

(lacht) Ich kann euch beruhigen: Da kommt noch mehr. Das war mir vielleicht nicht ganz klar, als ich das Album geschrieben habe, weil das keine positive Zeit war. Doch seit ich das Ganze mit der Band ausgearbeitet habe, erkenne ich neue Perspektiven, die lange nicht vorhanden schienen. Ganz abgesehen davon, dass die meisten Stücke eh nicht von mir handeln. Es sind Texte und Dramen, die ich wie jeder gute Sänger aufführe – aber sie sind nicht das große Michael-Gira-Erlebnis. Es sind Musikstücke, die nichts mit meiner Biographie oder meiner Persönlichkeit zu tun haben. Denn: Ich bin nicht krank und auch nicht im Begriff, zu sterben. Ich habe nur das Gefühl, dass es jetzt umso wichtiger ist, etwas Bedeutsames zu machen. Also keine Minute von der Zeit, die mir noch bleibt, zu verschwenden.

Spielst du noch deine alte Guild?

(lacht) Aber sicher. Dabei mag ich das Teil nicht einmal. Es ist ein Stück Scheiße – aber halt mein Stück Scheiße. Die Guild True American wurde eh zu einer Zeit gebaut, als es der Firma nicht wirklich gut ging und sie mehrfach verkauft wurde. Ich habe diese Gitarre jetzt seit 1995 und der Korpus erinnert inzwischen an den von Willie Nelsons „Trigger“ – das Holz ist komplett verschlissen.

Giras Guild True American

Hat sie auch zusätzliche Löcher?

In der Tat! Und auf dem Schallloch habe ich einen sogenannten Feedback-Buster angebracht. Eine Gummi-Scheibe, dank der ich die Gitarre ein ganzes Stück lauter stellen kann, ohne Feedback zu erzeugen. Außerdem hat das Teil eingebaute Tonabnehmer. Weil die Gitarre regelrecht auseinanderfällt, habe ich in Betracht gezogen, eine neue zu kaufen, die vielleicht etwas besser klingt, wenn man sie durch einen Verstärker jagt. Aber dann dachte ich: „Wer weiß, wie lange ich das hier überhaupt noch mache.“ Also bleibe ich bei diesem Teil. Es hat sich so mit meinem Schweiß und Blut vollgesaugt, dass ich es schlichtweg behalten muss. Ich fühle mich wohl damit, selbst wenn die Gitarre schwer zu spielen ist. Ich mag die Tatsache, dass sie Anstrengung und Kraft erfordert.

Wie ein Biest, das es zu meistern gilt?

(lacht) Genau. Und ich bin ja bei Weitem auch nicht der beste Gitarrist. Ich hänge ewig auf einem Akkord herum und schlage ihn mit meinem Daumen an. Der hat eine imposante Hornhaut. Einfach, weil ich viel Energie und Kraft verwende. Das sorgt für einen Sound, den ich auf unterschiedliche Weise manipulieren kann. Und das mag ich.

Über Hörschäden und Akustikgitarren-Phasen auf Seite 2

Michael Gira mit seiner Guild-Acoustic

Du hattest aber auch mal eine Phase, in der du akustische Ovation-Gitarren gespielt hast.

Vor Jahren. Ich schätze, damit habe 2000/2001 aufgehört. Und ich weiß bis heute nicht, warum ich sie überhaupt benutzt habe. Ich habe sie irgendwo auf Tour gefunden – und angefangen, sie zu spielen. Zwischen 2010 und 2017 habe ich dann vorwiegend eine elektrische Gitarre benutzt. Wobei ich nicht mal mehr weiß, was für ein Modell das war. Das zeigt, wie wichtig mir Gitarren sind. Ach halt – es war dieses B.B.-King-Teil, die Lucille. Aber ich habe keine Ahnung, wie ich dazu gekommen bin. Es hat mir aus irgendeinem Grund gefallen. Aber ich habe mich bewusst dagegen entschieden, es auf diesem Album und der kommenden Tour einzusetzen, weil ich eben nicht will, dass die Musik zu elektrisch und laut anmutet. Denn: Wir entfernen uns ja gerade von der Periode 2010-2018. Und wenn die einzelnen Parts der übrigen Bandmitglieder zu laut werden, höre ich mich selbst nicht mehr. Was bedeutet: Die aktuelle Lautstärke reicht völlig und es schmerzt, das neue Material acht Stunden am Tag zu proben. Dabei haben wir längst nicht das Lautstärke-Level von früheren Swans-Inkarnationen.

Wie kommt‘s? Bist du dem Krach überdrüssig geworden?

Definitiv! Denn das kann eine ziemliche körperliche Belastung werden. Also habe ich mich entschieden, das zu verwerfen oder zu reduzieren. Und es ist ohnehin wichtig, immer wieder in neue Bereiche vorzustoßen und etwas anderes zu probieren. Mittlerweile ist es bei uns sogar so, dass die meisten von uns im Sitzen spielen. Auch auf Tour.

Hast du etwa gesundheitliche Schäden davongetragen?

Mein Gehör hat auf jeden Fall Schaden genommen. Gerade zur Zeit von ‚My Father Will Guide Me Up A Rope To The Sky‘, ‚The Seer‘, ‚To Be Kind‘ und ‚The Glowing Man‘. Bei diesen vier Alben waren die Konzerte sogar noch lauter als bei den frühen Swans.

Dabei hat man euch gerade in den 80ern und 90ern als die lauteste Band der Welt bezeichnet. Zu Recht?

Darum habe ich mich nie gekümmert. Und ich war auch nie laut, um einfach nur laut zu sein. Sondern mein Antrieb bestand darin, dass es laut halt besonders gut geklungen hat – viel besser als leise. Es hat tatsächlich an den Gesang von Engeln erinnert, wenn da ein abklingender Akkord verstärkt wurde. Im Ernst: Das Ganze hatte etwas davon, in einem Whirlpool in Gottes Kopf zu sitzen. (kichert) Es war wirklich wunderbar, so eine Performance zu erleben. Und ich muss zugeben, dass ich da einen selbstsüchtigen Ansatz verfolgt habe: Ich wollte das in erster Linie für mich.

Und welche Amps verwendest du aktuell?

Einen Orange Thunderverb mit Mesa/Boogie-4×12-Cabinet. Außerdem einen Gallien-Krueger-1001-Bass-Head, zusammen mit einem weiteren 4×12-Cabinet. Auf diese Weise habe ich diesen ausgesprochen sauberen und doch Bass-lastigen Sound von dem Bass-Top und diesen etwas knusprigeren, knackigeren vom Orange. Ich verlasse mich in erster Linie auf den Röhrensound des Orange und auf die 4x12er, die ebenfalls sehr tight klingen.

Michael Gira verwendet einen Orange Thunderverb zusammen mit dem hier gezeigten Gallien-Krueger 1001RB MkII und einem Mesa/Boogie-4×12-Cabinet.

Insofern: Es ist ein lauter Sound, aber gleichzeitig präsent und sauber − mit wenig Verzerrung, aber dennoch heavy und mit viel Bassanteil. Das sorgt für einen umwerfenden Sound, wenn man z.B. einfach nur eine offene E-Saite spielt. Das ist dann ein echtes körperliches Erlebnis. (lacht) Live verwende ich aber nur den Gallien-Krueger-Head mit den 4x12ern. Im Grunde ist es wie ein Bass-Setup, aber es funktioniert auch hervorragend für meine akustische Gitarre. Da ich oft mit dem Daumen spiele, hat es tatsächlich etwas von einem sechssaitigen Bass. Das ist es also, was ich gerade spiele, und ich komme ganz ohne Effekte aus.

Bassist Chris Pravdica spielt seinen P-Bass durch einen Gallien Krueger 1001RB
Pravdica spielt neben seinem P-Bass eine Taishogoto / Nagoya Harp, ein japanisches Saiteninstrument

Auf wen beziehst du dich mit deinem Spiel? Wer hat dich als Gitarrist am meisten beeinflusst?

Niemand. Ich halte mich selbst für einen eingeschränkten Gitarristen. In dem Sinne, dass ich es nie hinkriegen würde, anderer Leute Songs zu spielen. Alles, was ich kann, ist meine eigene Musik zu machen – und selbst da kommt es immer wieder vor, dass ich spätestens beim nächsten Album vergessen habe, was ich auf dem Vorgänger gemacht habe. Meistens weiß ich auch nicht, welchen Akkord ich gerade spiele – ich mache einfach. Klar, kenne ich ein E und ein A, solche Standard-Sachen. Nur: Mit denen beschäftige ich mich nicht. Ich fingere einfach so lange an der Gitarre herum, bis das Ding so klingt, wie ich das will. Dann schlage ich es so an oder traktiere es mit meinem Klauenhammer bis es für mich richtig klingt. Ich verwende das Instrument also auf eine komplett intuitive Weise. Im Grunde in bester Punkrock-Manier. Ich versuche, meinen eigenen Weg zu finden und das zu tun, was ich kann. Aber ich habe kein Interesse, die Musik von jemand anderem zu spielen – und ich wüsste auch nicht, wie ich das anstellen sollte. Ganz abgesehen davon, dass ich das nicht will. Ich greife nur zur Gitarre, um etwas Eigenes zu fabrizieren.

Aber du machst das inzwischen so lange, dass du allein durch deine Erfahrung ein viel besserer Gitarrist geworden sein dürftest …

Ja, besser in dem, was ich tue. Das bedeutet aber nicht, dass es mir leichter fällt. Es ist immer noch ein Kampf … (lacht) Selbst, wenn ich die Songs, die ich geschrieben habe, durchaus überzeugend hinbekomme. Aber sie sind ja auch größtenteils einfach und so angelegt, dass sie mir eine Entschuldigung geben, Worte darüber zu singen oder dazu zu schreien. Das ist alles.

Und deshalb ist die Gitarre ein reines Werkzeug?

Ein ganz simples Werkzeug sogar. Und ich habe auch gar kein Interesse daran, wer weiß wie gut auf dem Instrument zu werden. Das überlasse ich anderen – wie Kristof aus meiner Band. Oder Norman Westberg, der jahrelang mit mir gespielt hat. Die beiden haben da viel mehr Fähigkeiten als ich. Das, was ich mache, reicht für meine Zwecke – eben dafür, einen Song zu schreiben oder mit bzw. ohne Band zu performen. Das reicht mir – ich kriege es hin, meine eigenen Stücke zu spielen.

Kristofs Amps: Gallien Krueger 1001RB & 700RB
Lapsteel vom Gitarristen Kristof Hahn

(erschienen in Gitarre & Bass 01/2024)

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