„Ich halte mich selbst für einen eingeschränkten Gitarristen.“
Der Extremist: Swans-Frontmann Michael Gira im Interview
von Marcel Anders, Artikel aus dem Archiv
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Du hattest aber auch mal eine Phase, in der du akustische Ovation-Gitarren gespielt hast.
Vor Jahren. Ich schätze, damit habe 2000/2001 aufgehört. Und ich weiß bis heute nicht, warum ich sie überhaupt benutzt habe. Ich habe sie irgendwo auf Tour gefunden – und angefangen, sie zu spielen. Zwischen 2010 und 2017 habe ich dann vorwiegend eine elektrische Gitarre benutzt. Wobei ich nicht mal mehr weiß, was für ein Modell das war. Das zeigt, wie wichtig mir Gitarren sind. Ach halt – es war dieses B.B.-King-Teil, die Lucille. Aber ich habe keine Ahnung, wie ich dazu gekommen bin. Es hat mir aus irgendeinem Grund gefallen. Aber ich habe mich bewusst dagegen entschieden, es auf diesem Album und der kommenden Tour einzusetzen, weil ich eben nicht will, dass die Musik zu elektrisch und laut anmutet. Denn: Wir entfernen uns ja gerade von der Periode 2010-2018. Und wenn die einzelnen Parts der übrigen Bandmitglieder zu laut werden, höre ich mich selbst nicht mehr. Was bedeutet: Die aktuelle Lautstärke reicht völlig und es schmerzt, das neue Material acht Stunden am Tag zu proben. Dabei haben wir längst nicht das Lautstärke-Level von früheren Swans-Inkarnationen.
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Wie kommt‘s? Bist du dem Krach überdrüssig geworden?
Definitiv! Denn das kann eine ziemliche körperliche Belastung werden. Also habe ich mich entschieden, das zu verwerfen oder zu reduzieren. Und es ist ohnehin wichtig, immer wieder in neue Bereiche vorzustoßen und etwas anderes zu probieren. Mittlerweile ist es bei uns sogar so, dass die meisten von uns im Sitzen spielen. Auch auf Tour.
Hast du etwa gesundheitliche Schäden davongetragen?
Mein Gehör hat auf jeden Fall Schaden genommen. Gerade zur Zeit von ‚My Father Will Guide Me Up A Rope To The Sky‘, ‚The Seer‘, ‚To Be Kind‘ und ‚The Glowing Man‘. Bei diesen vier Alben waren die Konzerte sogar noch lauter als bei den frühen Swans.
Dabei hat man euch gerade in den 80ern und 90ern als die lauteste Band der Welt bezeichnet. Zu Recht?
Darum habe ich mich nie gekümmert. Und ich war auch nie laut, um einfach nur laut zu sein. Sondern mein Antrieb bestand darin, dass es laut halt besonders gut geklungen hat – viel besser als leise. Es hat tatsächlich an den Gesang von Engeln erinnert, wenn da ein abklingender Akkord verstärkt wurde. Im Ernst: Das Ganze hatte etwas davon, in einem Whirlpool in Gottes Kopf zu sitzen. (kichert) Es war wirklich wunderbar, so eine Performance zu erleben. Und ich muss zugeben, dass ich da einen selbstsüchtigen Ansatz verfolgt habe: Ich wollte das in erster Linie für mich.
Und welche Amps verwendest du aktuell?
Einen Orange Thunderverb mit Mesa/Boogie-4×12-Cabinet. Außerdem einen Gallien-Krueger-1001-Bass-Head, zusammen mit einem weiteren 4×12-Cabinet. Auf diese Weise habe ich diesen ausgesprochen sauberen und doch Bass-lastigen Sound von dem Bass-Top und diesen etwas knusprigeren, knackigeren vom Orange. Ich verlasse mich in erster Linie auf den Röhrensound des Orange und auf die 4x12er, die ebenfalls sehr tight klingen.
Insofern: Es ist ein lauter Sound, aber gleichzeitig präsent und sauber − mit wenig Verzerrung, aber dennoch heavy und mit viel Bassanteil. Das sorgt für einen umwerfenden Sound, wenn man z.B. einfach nur eine offene E-Saite spielt. Das ist dann ein echtes körperliches Erlebnis. (lacht) Live verwende ich aber nur den Gallien-Krueger-Head mit den 4x12ern. Im Grunde ist es wie ein Bass-Setup, aber es funktioniert auch hervorragend für meine akustische Gitarre. Da ich oft mit dem Daumen spiele, hat es tatsächlich etwas von einem sechssaitigen Bass. Das ist es also, was ich gerade spiele, und ich komme ganz ohne Effekte aus.
Bassist Chris Pravdica spielt seinen P-Bass durch einen Gallien Krueger 1001RB
Pravdica spielt neben seinem P-Bass eine Taishogoto / Nagoya Harp, ein japanisches Saiteninstrument
Auf wen beziehst du dich mit deinem Spiel? Wer hat dich als Gitarrist am meisten beeinflusst?
Niemand. Ich halte mich selbst für einen eingeschränkten Gitarristen. In dem Sinne, dass ich es nie hinkriegen würde, anderer Leute Songs zu spielen. Alles, was ich kann, ist meine eigene Musik zu machen – und selbst da kommt es immer wieder vor, dass ich spätestens beim nächsten Album vergessen habe, was ich auf dem Vorgänger gemacht habe. Meistens weiß ich auch nicht, welchen Akkord ich gerade spiele – ich mache einfach. Klar, kenne ich ein E und ein A, solche Standard-Sachen. Nur: Mit denen beschäftige ich mich nicht. Ich fingere einfach so lange an der Gitarre herum, bis das Ding so klingt, wie ich das will. Dann schlage ich es so an oder traktiere es mit meinem Klauenhammer bis es für mich richtig klingt. Ich verwende das Instrument also auf eine komplett intuitive Weise. Im Grunde in bester Punkrock-Manier. Ich versuche, meinen eigenen Weg zu finden und das zu tun, was ich kann. Aber ich habe kein Interesse, die Musik von jemand anderem zu spielen – und ich wüsste auch nicht, wie ich das anstellen sollte. Ganz abgesehen davon, dass ich das nicht will. Ich greife nur zur Gitarre, um etwas Eigenes zu fabrizieren.
Aber du machst das inzwischen so lange, dass du allein durch deine Erfahrung ein viel besserer Gitarrist geworden sein dürftest …
Ja, besser in dem, was ich tue. Das bedeutet aber nicht, dass es mir leichter fällt. Es ist immer noch ein Kampf … (lacht) Selbst, wenn ich die Songs, die ich geschrieben habe, durchaus überzeugend hinbekomme. Aber sie sind ja auch größtenteils einfach und so angelegt, dass sie mir eine Entschuldigung geben, Worte darüber zu singen oder dazu zu schreien. Das ist alles.
Und deshalb ist die Gitarre ein reines Werkzeug?
Ein ganz simples Werkzeug sogar. Und ich habe auch gar kein Interesse daran, wer weiß wie gut auf dem Instrument zu werden. Das überlasse ich anderen – wie Kristof aus meiner Band. Oder Norman Westberg, der jahrelang mit mir gespielt hat. Die beiden haben da viel mehr Fähigkeiten als ich. Das, was ich mache, reicht für meine Zwecke – eben dafür, einen Song zu schreiben oder mit bzw. ohne Band zu performen. Das reicht mir – ich kriege es hin, meine eigenen Stücke zu spielen.