(Bild: © Anton Corbijn)
Treffpunkt mit David Gilmour, 78 und Pink-Floyd-Legende, ist die Astoria. Das Hausboot auf der Themse südwestlich von London also, das einst dem Entdecker von Charlie Chaplin gehörte, sich seit 1985 in Gilmours Besitz befindet und Aufnahmeort der späten Floyd-Alben ‚A Momentary Lapse Of Reason‘ und ‚The Division Bell‘ war.
Heute möchte Gilmour über sein wirklich exquisites neues Album ‚Luck And Strange‘ sprechen, und bitte, bitte, bitte, nicht das Abdriften seines Ex-Kollegen und Spinnefeindes Roger Waters in Hass und Hetze kommentieren. Reden wir also lieber über etwas Schönes.
“Menschen, die Kunst machen, die Instrumente spielen, Songs schreiben, die wollen nicht aufhören. Sie machen einfach immer weiter.”
David, deine jüngste Tochter Romany hat den kompletten Gesang auf ‚Between Two Points‘ übernommen. Wusstest du schon immer, wie toll ihre Stimme ist?
Ja, das war jetzt keine brandneue Erkenntnis für mich (lacht). Während der Lockdown-Zeit, als wir mit unserer kleinen Familienband namens Von Trapped Family ein paar Livestreams aus unserer Scheune veranstalteten und sie mit uns sang, wurde es sehr offensichtlich, wie herrlich ihre Stimme und meine Stimme zueinander passen.
Entstanden in dieser Zeit auch Songs für ‚Luck And Strange‘?
Ja, ‚Sings‘ passierte beispielsweise, als wir während der Pandemie alle am selben Ort waren, unserem Familienanwesen. Mein Enkel war zu der Zeit zwei Jahre alt. Ihn im Hintergrund auf der Nummer zu hören, das ist schon eine große Sache für mich.
‚Sings‘ ist ja in seinem Kern ein Schlaflied, aber durch die Isolation ist es zu etwas Größerem geworden. Zu einem Aneinander-Festhalten-Lied vielleicht. Ich bin sehr zuversichtlich, dass vielen Menschen dieser Song wirklich etwas bedeuten wird.
Das dürfte auch für das Album als solches gelten. Oder was denkst du?
Vielen Dank, ich hoffe es sehr. Für mich besitzt ‚Luck And Strange‘ etwas Magisches. Ich halte es für das beste Album, das ich seit sehr, sehr langer Zeit gemacht habe.
Wir sind hier auf einem Boot. Du arbeitest hier. Inwieweit inspiriert und belebt dich der Fluss beim Ideen finden oder beim Komponieren?
Nun, dieses Boot habe ich ja bereits seit fast vierzig Jahren. Ich erstand es 1985. Von daher bin ich sehr daran gewöhnt. Aber natürlich, auf dem Wasser zu treiben, sei es ein Fluss, ein See oder ein Meer, das macht was mit dir. Das hat seine ganz eigene Magie, seinen ganz eigenen Zauber. Und definitiv ist das eine Inspirationsquelle.
Kannst du das näher erklären?
Ich versuche es. Wir alle kommen aus dem Wasser. Wir krochen vor Millionen von Jahren aus dem Wasser, und hier sind wir ja nun. Im Grunde immer noch Wasserwesen. Mir gibt es Frieden, auf das Wasser zu schauen, auch nach all den Jahren noch. Es entspannt mich.
Gerade sind drei ältere Ladies hier vorbeigeschwommen. Kann man auch dich gelegentlich hier mit Badehose und Schwimmboje zu Gesicht bekommen?
Ist schon vorgekommen. Ich bin hier ein ums andere Mal geschwommen. Aber nun schon länger nicht mehr. Das Problem und die Gefahr sind die Ratten. Sie tragen eine Krankheit in sich, genannt „Weil‘s Disease“, und da bin ich nicht so furchtbar scharf drauf, diese zu bekommen.
Die Krankheit ist bakteriell und befällt unter anderem Leber und Nieren. Das ist nicht schön. Und ab und zu stellen sie auch Schilder auf, die davon abraten, zum Schwimmen in die Themse zu springen. Also ich würde diesen Rat befolgen.
Seit wann befolgt David Gilmour die Regeln?
(lacht) Nicht alle Regeln sind automatisch schlecht. Aber wenn es mich jetzt überkäme, würde ich
wenigstens versuchen, nichts von dem Wasser zu schlucken.
Hast du das Album sich in aller Entspanntheit entwickeln und reifen lassen oder geht sowas irgendwann ganz schnell?
Diese Dinge fangen immer langsam an. Es dauert bei mir, bis ein neues Projekt Fahrt aufnimmt. Es gibt einen Song, den ich bereits 2007 aufnahm, ein Teil eines anderen Songs ist eine Demo, die sogar schon seit 1997 existiert. Einen weiteren spielte ich vor sechs, sieben Jahren ein, wieder andere sind brandneu, die habe ich erst vor einigen Monaten geschrieben.
Sie alle entwickeln sich in ihrem Tempo. Manchmal höre ich mir alles an, was soweit fertig ist, um zu gucken, wo ich stehe. Ich bekomme auch sehr willkommene zweite Meinungen von Polly sowie, in diesem Fall, dem Produzenten Charlie Andrew. So bewegt sich eine Produktion immer ein wenig weiter voran – bis sie irgendwann eine individuelle Form und eine Art Eigendynamik bekommt.
Das ist keine bewusste Form, es passiert, irgendwie organisch. Ich kann das nicht richtig aufdröseln, es formt sich einfach. Das ist die Magie der Arbeit, die ich glücklicherweise seit so vielen Jahren machen kann. Die Musik nimmt mich an der Hand. Und nach so vielen Jahren habe ich noch immer keine Formel und weiß nicht wirklich, wie es funktioniert.
Wann legst du den Schalter um und sagst: So, jetzt machen wir ein Album?
Das mit dem Schalter ist eine treffende Beschreibung. So funktioniert es tatsächlich. Plötzlich ist klar, es gibt nun kein Zurück mehr. Vorher hast du nur nach Ideen und Inspirationen gejagt. Beginnst du aber damit, ein Album aufzunehmen, sind viele deiner Ideen im Kopf schon recht weit ausformuliert.
Dann versuchst du, das Beste rauszupressen. Charlie Andrew war da absolut brillant dieses Mal.
Diese Jagd nach Liedern, oder nur nach Gitarrensolos, wie geht das?
Nichtmal das kann ich dir sagen. Ich weiß es einfach nicht. Ich weiß nur, dass ich mich nicht dazu zwingen kann. In der Regel kommen kleine Melodien oder Akkorde, während ich mit etwas ganz anderem beschäftigt. Dann heißt es, schnell das Handy rauszuholen und die Idee festzuhalten.
Ich will nicht so weit gehen, dass ich behaupte, ein höheres Wesen oder eine Muse würde hier und da ihre Genialität über mir ausschütten, dieses Konzept erscheint mir als ein wenig zu sehr von den Hippies erdacht. Aber ganz von der Hand weisen möchte ich es nicht. Ich denke schon, dass es hilfreich ist, sich den Geistern und Musen gegenüber so weit wie möglich zu öffnen, um auf Empfang zu sein, wenn sie etwas übertragen.
(Bild: Phil Guest CC-BY-SA-2.0)
Du bist Atheist, oder?
Ja, das bin ich.
Und dennoch glaubst du an das höhere Wesen, dass dir die Magie bringt?
Ich weiß, aber ich sehe da keinen Widerspruch. Für mich ergibt das alles Sinn. Aber bitte, bitte, frag mich nicht, ob ich dir mein Gedankenkonzept erklären kann. Für mich ist es einfach stimmig, so wie es ist.
Wie viel von einem Hippie steckt denn in David Gilmour?
Nein, ich bin nicht wirklich ein Hippie. Ich bin eine sehr bodenständige, sehr normale Person. Ich lebe in einer kapitalistischen Welt, und ich bin mir sicher, dass es bessere Möglichkeiten gäbe, wie wir unser Wirtschaftssystem angehen könnten. Aber ich lebe halt in dieser Welt, ich nehme an dieser Welt und ihren Aktivitäten teil. Ich würde mich jetzt nicht selbst als Kapitalist bezeichnen, aber ich würde natürlich lügen, wenn ich sagen würde, ich sei keiner. Wir alle sind Kapitalisten.
Queen haben ihre Songrechte jüngst für eine Milliarde US-Dollar, wie es heißt, verkauft. Denkst du über einen ähnlichen Schritt nach?
Ich würde die Rechte an den Pink-Floyd-Songs liebend gerne verkaufen. Ich brauche nicht das Geld, aber es ist anstrengend und manchmal ermüdend, immer wieder Entscheidungen bezüglich dieses Materials treffen zu müssen. Ich wäre das Zeug gerne los. Ein bisschen fühlt sich das ja so an, als würde man mich mit Kabeln am Boden fesseln. Das neue Album, das ist die Musik, die ich heute machen will, die mir alles bedeutet, die widerspiegelt, wo ich mich im Leben befinde.
Ihr müsst natürlich alle untereinander einig sein. Und wie man weiß, ist es nicht leicht, sich etwa mit Roger Waters auf irgendwas zu verständigen…
Doch, doch, das kann passieren. Früher oder später.
Im Song ‚Luck And Strange‘ blickst du zurück auf deine Kindheit, auf die vermeintlich goldenen Sixties und Seventies.
Ja, ich bin in einer freieren und im Allgemeinen unbeschwerten Zeit aufgewachsen. Zumindest schien uns die Zeit leichter, als die heutige uns erscheint. In der Nachkriegsgesellschaft hatten wir Babyboomer ein paar Jahrzehnte lang die Geschichte total auf unserer Seite.
Auch wir hatten Kriege, etwa den unseligen Vietnam-Krieg, aber es gab doch so ein starkes Grundgefühl von Optimismus in der Welt. Die Hippie-Bewegung, zu der ich ja durchaus Sympathien hegte, hatte ein paar wunderbare Utopien im Angebot. Wir glaubten an eine bessere Welt, wir glaubten an ‚All You Need Is Love‘, auch wenn wir natürlich ahnten, dass nur die Liebe auch nicht reichen wird.
Diskutierst du über diese Fragen mit deiner Frau?
Natürlich, immer wieder. Sie schreibt ihre Worte aber allein, ich vertraue ihr da völlig. Sie setzt sich hin, nachdem sie die Musik gehört hat. Polly geht auch gern auf lange Spaziergänge. Oft nimmt sie dann eins meiner Stücke mit, hört es wieder und wieder und denkt über lyrische Ideen nach. Sie macht das ähnlich wie ich. Polly gibt dem Song Zeit, von sich aus zu offenbaren, wovon er handeln soll. Sie ist brillant darin, in meinen Kopf hineinzuschlüpfen wie unter eine Decke im Winter vor dem Kamin.
Manchmal spielst du ja gleich drei Gitarrensolos in einem einzigen Song, so wie in ‚Scattered‘. Was macht deine eigene Musik mit dir?
Was es tut, hat es in diesem Fall schon getan. Ich hatte die Freude, an diesen Liedern zu arbeiten und dabei immer näher und näher ranzukommen an die Vision, die ich in meinem Kopf hatte. In einigen Fällen übertreffen die neuen Stücke sogar meine Erwartungen und Vorstellungen, nicht zuletzt dank des großartigen Teams, das uns in allen Belangen unterstütz hat.
Ich hatte einige massive Ausbrüche von Vergnügen bei der Arbeit an diesem Album. Das passiert mir gar nicht so häufig, dass ich es nach Vollendung noch oft anhöre. Meist hat man es fertig, wischt sich den Schweiß von der Stirn und will nur nicht, dass die anderen Leute es genießen werden.
Im Stück ‚The Piper‘s Call‘ geht es darum, dass Drogen überschätzt werden. Hast du dich immer von dem Zeug ferngehalten?
Nein, eine solche Behauptung kann ich nicht aufstellen (lacht). Ich hatte meine Erfahrungen mit Drogen, nicht alle waren positiv, nicht alle waren furchtbar. Wenn du in der damaligen Zeit in einer Rockband warst, bist du praktisch nicht daran vorbeigekommen. Seit vielen Jahren beschränke ich mich jedoch auf den Konsum legaler Genussmittel. Und auch das nicht gerade im Übermaß.
(Bild: Jimmy Baikovicius CC-BY-SA-2.0)
Ist denn die Musik für dich ganz persönlich wie eine Droge? Oder könntest du jetzt auch verkünden, dass du nie wieder einen Song schreiben wirst, weil du mit ‚Luck And Strange‘ alles gesagt hast?
Nein, nein, ich glaube nicht, dass etwas in dieser Art je passieren wird. Menschen, die sehr gern arbeiten, die arbeiten auch weiter. Menschen, die Kunst machen, die Instrumente spielen, Songs schreiben, die wollen nicht aufhören. Sie machen einfach immer weiter.
Ich kann mir gerade keinen Grund, außer gravierenden gesundheitlichen Problemen vorstellen, der mich zum Aufhören bewegen könnte. Was will ich denn machen, wenn ich keine Musik mehr mache? Ich glaube, wenn du aufhörst, ist es vorbei. Dann verlierst du deinen ganzen Schwung.
Und du machst die nächsten …
… fünfzig Jahre weiter (lacht).
Bist du im Bilde darüber, wie das Leben heute so ist als Rockband? Denkst du, die Musikerinnen und Musiker haben so viel Spaß wie ihr damals in den Siebzigern?
Die Welt ist heute eine ganz andere. Ich kann das wirklich nicht gut einschätzen. Ich lebe hier in meiner Welt, mit meinen Leuten, wir machen unsere Musik. Ich kann den jungen Menschen nur wünschen, dass sie eine gute Zeit haben und dass sie ein bisschen vernünftiger sind als wir früher. Vielleicht wissen sie heute ein paar Dinge, die wir zu unserer Zeit nicht wussten.
Du spielst jetzt im Herbst einige Shows an geschichtsträchtigen Orten wie der Hollywood Bowl in Los Angeles oder dem Circus Maximus in Rom. Wird es 2025 noch mehr Konzerte geben?
Ich habe noch keine weiteren Pläne nach diesem Jahr. Ich weiß nur, dass ich wieder ins Studio möchte. Aber ich schließe auch nichts aus.