„Für mich bleibt Yngwie Malmsteen eine Legende, doch er spielt immer die gleichen Licks und Songs …“

Dark Tranquillity: Johan Reinholdz im Interview

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(Bild: Linda Florin)

Es heißt, du redest nicht gern über Equipment, aber gib uns doch bitte trotzdem einen kleinen Überblick. Du spielst offensichtlich Dellinger- und Brocken-Gitarren von Caparison.

Genau, dort habe ich seit 2019 ein Endorsement. Ich wurde von einem ihrer Vertreter auf Tournee angesprochen, der sagte, sie würden mich gerne in ihren Musikerpool aufnehmen, und ich hatte schon viel Gutes über ihre Instrumente gehört.

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Reinholdz‘ Gitarren stammen von Caparison. Auf dem Foto ist das Modell Dellinger zu sehen (Bild: Johan Reinholdz)

Sie schickten mir eine Gitarre zum Testen, die mir sehr gut gefiel, auch weil sie ein ähnliches Spielgefühl hatte wie Ibanez-Gitarren, die ich jahrelang verwendet hatte. Sie kam mir also irgendwie vertraut vor, also schien eine Kooperation mit Caparison einfach Sinn zu ergeben. Dark Tranquillity sind unter anderem auch Endorser der Gurtmarke Richter und benutzen live Kemper-Profiling-Amps.

Sie sind sehr praktisch und kommen mir entgegen, weil ich Pedale hasse; ich will mich während Konzerten aufs Spielen und die Interaktion mit dem Publikum konzentrieren. Kempers sind großartig und äußerst verlässlich. Ansonsten hast du Recht, ich interessiere mich nicht sonderlich für Equipment, auch wenn ich das vielleicht sollte.

Kommt im Heimstudio zum Einsatz: Line 6 POD (Bild: Johan Reinholdz)

Darum schaffe ich mir selten neue Sachen an. In meinem Heimstudio kommen ein Line6 Pod und verschiedene Plugins zum Einsatz, die ich mit Logic Pro oder Steinberg Cubase verwende. Ansonsten habe ich ein paar alte Übungsverstärker von Peavey und Mesa/Boogie, aber das war’s auch schon.

Mesa/Boogie 50/50 mit Hughes-&-Kettner-Box (Bild: Johan Reinholdz)

Du produzierst auch selbst, vornehmlich dein Solomaterial. Hast du dir das aus der Notwendigkeit heraus angeeignet, eigene Ideen festhalten zu müssen?

Ja, ich wollte unabhängig arbeiten können, also brachte ich mir alles selbst bei und lernte aus Ratschlägen, die mir Studio-Profis gegeben haben. Mit diesem Wissen konnte ich mich auch in andere Bereiche ausstrecken und Musik aufnehmen, die kaum etwas mit Rock oder Metal zu tun hat – düster melancholisches Zeug, das eher in Richtung Ambient geht und weitgehend ohne Gitarren auskommt.

Line 6 FBV Shortboard MkII (Bild: Johan Reinholdz)

Lass uns mal anhand eines Beispielsongs Dark Tranquillitys Vorgehensweise beim Schreiben beleuchten. Wie wäre es mit ‚Not Nothing‘ vom neuen Album?

Das ist eine interessante Wahl, denn die Demo stammte von mir und hat sich bis zur finalen Version stark verändert. Ich war total überzeugt von der Melodie und dem Hauptriff, doch der Rest überzeugte die anderen Jungs in der Band nicht so richtig.

Ihrer Meinung nach passten die verschiedenen Teile nicht zusammen, also haben wir einiges weggelassen und die Strophen im Grunde nur aus zwei Akkorden aufgebaut. Es hat ziemlich lange gedauert, auch weil der Refrain überladen war, wobei mir ein Fehler bewusst wurde, den ich immer wieder mache:

Ich stecke zu viele musikalische Informationen in kurze Parts, weshalb ich öfter wie ein Bildhauer arbeiten und Teile entfernen sollte, statt mehr hinzuzufügen. Die Passage vor dem Solo besteht aus Ideen, die zuerst für den Refrain gedacht waren, doch das Solo selbst ist praktisch genau so vom Demo übernommen worden. Ich nehme Solos generell gerne für Demos auf, um etwas von ihrer Spontaneität einzufangen.

Auf der Liste deiner Lieblingsgitarristen steht ein Name, den man nicht alle Tage liest: Andy Latimer von der britischen Progressive-Rock-Band Camel. Was beeindruckt dich konkret an ihm?

Zunächst einmal sind Camel toll und beispielsweise im Vergleich zu Yes unterbewertet. Ich mag vor allem ihr 1979er Album ‚I Can See Your House From Here‘, und Andy ist nicht nur ein hervorragender Songwriter, sondern auch ein geschmackvoller Sologitarrist. Sein melodischer Stil erinnert mich ein bisschen an David Gilmour von Pink Floyd, doch wenn du mich fragst, ist Andy vielseitiger.

Hast du eine Übungsroutine, und arbeitest du an bestimmten Schwächen in deinem Spiel?

Ich habe mir im Lauf der Jahre eine Art Workout aus etwa zehn Übungen zurechtgelegt, um an meiner Technik zu arbeiten. Mir ist  aufgefallen, dass sie nachlässt, wenn ich mal ein paar Tage keine Gitarre in der Hand hatte, und außerdem tue ich mich schwer mit neuen Ideen, wenn ich nicht zielgerichtet spiele.

Das heißt also, ich verwende diese Übungen, um kreativ zu werden, denn wenn ich sie durchziehe, versetzt mich das in einen Flow-Zustand, in dem mir die besten Sachen einfallen. Dummerweise geschieht das manchmal auch, während ich Schüler unterrichte. Jedenfalls kann ich mich nicht hinsetzen und auf Kommando komponieren.

Was ich auch gerne tue: Jam-Videos für Social Media aufnehmen, was mich anspornt, an meiner Performance zu feilen. Ehrlich gesagt versuche ich immer noch, mir selbst zu beweisen, dass ich Gitarre spielen kann. Man lernt sein ganzes Leben lang, und wenn ich Leute wie Chris Poland oder Guthrie Govan in Action sehe, komme ich mir grottenschlecht vor.

Ich bin wirklich extrem selbstkritisch und nehme das, was ich geschafft habe, nicht als selbstverständlich hin. Schau dir Yngwie Malmsteen an, der das genaue Gegenteil von mir ist. Er hat sich immer für den King gehalten und scheint sich nie anderen Einflüssen gegenüber geöffnet zu haben.

Man hatte nie den Eindruck, er würde sich selbst herausfordern. Für mich bleibt er eine Legende, doch er spielt immer die gleichen Licks und Songs, das ist in meinen Augen die falsche Einstellung für einen Musiker.


(erschienen in Gitarre & Bass 11/2024)

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