(Bild: Alysse Gafkjen)
Scheidungen, Terroranschläge, Todesfälle, aber auch triumphale Erfolge und jede Menge Spaßprojekte – das Leben von Dan Auerbach gleicht einer Achterbahn. Ein permanentes Auf und Ab, das den 43-Jährigen aus Akron, Ohio, zu einem der umtriebigsten Musiker-Persönlichkeiten der Gegenwart macht. Neben seiner Stammformation, den Black Keys, unterhält er mit The Arcs eine Band aus guten alten Freunden, die mit ‚Electrophonic Chronic‘ ihr zweites und vielleicht letztes Album vorlegt – eine Hommage an seinen Kumpel Richard Swift, dessen Verlust Auerbach nach wie vor beschäftigt.
Ganze acht Jahre nach ‚Yours, Dreamily‘, dem großartigen Debüt der Arcs, serviert das Buddy-Projekt von Dan Auerbach endlich einen Nachfolger. Der besteht jedoch aus reinem Archiv-Material – einem Fundus von ca. 80 Stücken, die bei diversen Jam-Sessions mit dem 2018 verstorbenen Multiinstrumentalisten Richard Swift entstanden sind. Daraus haben Auerbach und Gitarrist Leon Michels nun die zwölf besten ausgewählt: bewusstseinserweiternde Grenzgänge zwischen Garagen-Rock, Motown-Soul und Hippie-Psychedelia.
Alles mit authentischem 60s-LoFiGaragen-Sound, entrücktem Gesang, honigsüßen Melodien, spacigen FuzzGitarren, Kinder-Chören und Weltverbesserer-Texten der Marke „we should take care of one another“. Eine Mischung, die mal kitschig, idealistisch oder gar subversiv anmutet, mit vielen kleinen Zitaten aus der Rock-&-Soul-Geschichte gespickt ist und von handwerklichem Können, musikhistorischem Know-how sowie purer Lebenslust zeugt. Eine Mischung, die beim Hörer vor allem eine Reaktion auslöst: Hoffentlich ist ‚Electrophonic Chronic‘ kein Nachlass, sondern der Beginn einer zweiten Schaffensphase.
GITARRE & BASS fühlt Auerbach auf den Zahn – beim Besuch im Easy Eye Sound Studio in Nashville.
Dan, da Richard Swift 2018 an Leberzirrhose verstorben ist: Wie alt sind die Stücke auf ‚Electrophonic Chronic‘?
Na ja, wir haben sie aufgenommen als Richard noch lebte, also direkt nach dem ersten Album. Und was man hier hört, sind die Stücke, die am vollständigsten waren. Die nur wenig Nachbearbeitung brauchten – wie hier und da ein bisschen Gesang oder Gitarre. Es ging nur darum, zu Ende zu führen, was im Grunde schon weitestgehend komplett war.
Wenn sie 2015 auf eurer ersten und einzigen Tour entstanden sind – und ihr damals, zwischen den Gigs, jede Möglichkeit für Studiobesuche genutzt habt: War das eine Art Experiment, um zu sehen, wie kreativ ihr seid?
Das war die Idee. Jedes Mal, wenn wir uns getroffen haben oder zusammen unterwegs waren, haben wir irgendwo aufgenommen. Das war unsere Art des Abhängens. Waren wir z. B. in New York, sind wir ins Studio von Leon. Sind wir durch Oregon gefahren, haben wir einen Stopp in Swifts Haus eingelegt, und in Nashville sind wir in meinem Easy Eye Studio eingekehrt. Wir haben also immer eine Entschuldigung zum Aufnehmen gefunden.
Auch in Europa?
Oh ja, ‚Backstage Mess‘ ist vor unserem Auftritt in Paris entstanden – einfach aus Spaß. Wir waren Backstage, haben uns warmgespielt und ein bisschen improvisiert. Dabei ist eigentlich immer etwas Spannendes entstanden. Alle Mitglieder von The Arcs sind super-kreative Leute, mit denen man überall Musik machen kann. Und egal, ob dabei ein kompletter Song entsteht oder nicht – es macht immer Spaß.
Wobei euer Paris-Aufenthalt 2015 eigentlich nichts sein dürfte, woran du dich gerne erinnerst …
Nein, das war ein schlimmer Tag …
Der Abend der Terror-Anschläge in der französischen Hauptstadt.
Es ist eine verrückte Geschichte: Wir hatten denselben Veranstalter wie die Eagles Of Death Metal und sollten ursprünglich im Bataclan spielen. Doch in letzter Minute hat er uns in einen Theatersaal umgebucht – und die Eagles im Bataclan spielen lassen. Er konnte nicht einmal genau erklären, was ihn dazu veranlasst hat. Er meinte nur: „Ich habe das Gefühl, dass ihr in diesem Saal spielen solltet und sie in dem Club.“ Das war eine folgenschwere Entscheidung. Unsere Show war toll, das Publikum sowieso, und wir haben erst nach der letzten Zugabe mitbekommen, was da passiert war.
Hast du mal darüber nachgedacht, wie es gewesen wäre, wenn ihr im Bataclan geblieben wärt?
Damit habe ich schlaflose Nächte verbracht. Und: Es war das letzte Mal, dass ich in Europa war. Ich bin nie zurückgekehrt.
So schlimm?
Tja, die Arcs sind danach ja danach nicht mehr aufgetreten – und mit den Black Keys sind wir etwas wählerischer und zurückhaltender geworden, wo wir gastieren. Das hat sich einfach so ergeben.
(Bild: Easy Eye Sound)
Hattet ihr denn vor, ein zweites Album zu machen – und warum ist es nie dazu gekommen, als Richard noch gelebt hat?
Wir hatten definitiv vor, diese Songs, die wir jetzt verwendet haben, für ein zweites Album zu nutzen. Das war immer der Plan. Aber wir hatten halt noch andere Jobs und andere Verpflichtungen, und in dieser Phase, in der wir vielleicht nicht so konnten, wie wir gerne wollten, ist Richard von uns gegangen. Danach hat es sich einfach nicht richtig angefühlt, sich überhaupt noch damit zu befassen.
Hat die Band ohne Richard eine Zukunft? Werdet ihr nach diesem Album mit der Band weitermachen?
Ganz ehrlich: Ich weiß es nicht. Richard war so ein großer Teil von uns – also so etwas wie das Bindeglied, das Nashville und New York miteinander verbunden hat; der uns zusammengekittet hat. Und wir haben noch nicht darüber gesprochen, wie und ob es weitergehen könnte – ob wir weitere Shows spielen und noch einmal an neuen Songs basteln. Leon und ich haben es auf jeden Fall sehr genossen, dieses Album zusammenzustellen.
Angeblich finden sich noch 80-100 Songs in eurem Archiv. Kommt da noch mehr? Wird es weitere posthume Arcs-Alben geben?
Ich weiß es nicht. Und ich habe auch noch nicht darüber nachgedacht. Aber es ist durchaus möglich, denn da sind noch Tonnen von Songs. Einige sind nur Skizzen mit Schlagzeug, Bass und Keyboards, aber auch richtig starke Ideen, aus denen sich bestimmt einiges machen ließe. Vorausgesetzt, dass man da ein bisschen Arbeit investiert und sie entsprechend komplettiert.
Was Gitarren betrifft: Kannst du dich noch erinnern, was du auf den Songs der Arcs gespielt hast?
Woran ich mich sehr genau erinnern kann, ist der Song ‚Behind The Eyes‘, einer der ersten, die wir damals aufgenommen haben. Das war in New York, in den Dunham Studios. Und da hatte ich meine 69er Telecaster dabei – dieselbe, die ich auf dem Dr.-John-Album verwende, das ich mit ihm produziert habe. Aber das war’s dann auch. An den Rest kann ich mich nach all den Jahren kaum erinnern. Einfach, weil ich seither so viel gemacht habe. Das kriege ich beim besten Willen nicht mehr auf die Reihe.
Verlangen unterschiedliche Stile und Songtypen denn unterschiedliche Gitarren – also sind das verschiedene Modelle bei den psychedelischen, den bluesigen und souligen Nummern?
Definitiv! Was das betrifft, habe ich allein dadurch wahnsinnig viel gelernt, indem ich all diese Platten produziert habe. Eben hier in meinem Studio, mit einigen der besten Gitarristen aller Zeiten – wie Billy Sanford. Ich habe beobachtet, wie sie auf einen Song reagieren und welche Sounds sie dafür wählen. Das haben sie mir auch exakt erklärt. Eben warum sie welche Gitarre gewählt und wonach sie gesucht haben. Dann noch zu erleben, wie das beim jeweiligen Song funktioniert hat, war unglaublich interessant. Es ist, als ob man eine Farbe zum Malen oder Anstreichen wählt. Insofern sehe ich Gitarren auch immer weniger als Instrument denn als Farbe, mit der man malen kann.
In ‚Keep On Dreamin‘ wartest du mit einem ziemlich spacigen Solo auf – wie hast du das hingekriegt? Ist das einfach ein Fuzz-Pedal?
Das ist tatsächlich nur ein Fuzz, das dann direkt ins Pult geht. Und ich liebe es, Sachen zu machen, die dem Hörer quasi ins Gesicht springen – besonders, wenn ein Mix extrem dicht ist, wenn da nicht viel Raum für irgendetwas anderes zu existieren scheint. Dann ist es am effektivsten, die Gitarre ganz direkt einzusetzen und da praktisch in den Mix hineinzugrätschen. Das gilt auch für die Gitarre in ‚Heaven Is A Place‘ – sie folgt ebenfalls dem DI-Ansatz.
Wie umfangreich ist deine Gitarrensammlung?
Ich habe einige Gitarren, bin da aber sehr wählerisch. Sprich: Ich sammle nicht, um des Sammelns Willen, und ich bin auch nicht an Gitarren interessiert, die mir von irgendwem gratis angeboten werden. Ich ziehe es vor, sie aus eigener Tasche zu bezahlen. Und das tue ich nur, wenn ich etwas wirklich faszinierend finde. Was wiederum bedeutet, dass es schon eine besondere Gitarre sein muss. Und ich nehme mir Zeit dafür, nach Sachen zu suchen – ich erzwinge es nicht. Denn mir geht es nicht um gängigen Kram, sondern um etwas Einmaliges.
Wie definierst du das?
Es sind Instrumente, die einen Charakter haben – die Unikate sind. Eine Menge Gitarren, die viel gespielt wurden, weisen kleine Modifizierungen auf, weil sich jemand über einen längeren Zeitraum intensiv mit ihnen befasst hat. Und ich liebe es, Gitarren zu finden, in die ein bisschen mehr Liebe gesteckt wurde – und die dadurch an Persönlichkeit gewonnen haben.
Erinnerst du dich noch an deine allererste Gitarre, und hast du sie noch?
Meine erste Gitarre hat mir meine Mutter gekauft. Es war eine Strat, die ich aber eigentlich nicht wollte. Mir schwebte eher so ein Teil vor, wie es Hound Dog Taylor gespielt hat. Also bin ich in einen Gitarrenladen in Cleveland gegangen, der sich Timeless Guitar nennt. Dort gab es alle möglichen alten Teisco-Gitarren – eine gigantische Auswahl davon. Ich habe dann die gefunden, nach der ich gesucht habe. Ein blaues Modell mit vier Pickups; genau wie das von Hound Dog. Ich sagte zum Verkäufer: „Ich habe hier diese Strat, würdest du die gegen die Teisco eintauschen?“ Darauf er: „Natürlich, mein Junge, da bin ich dabei.“ (lacht laut) Und so habe ich ihm eine Tausend-Dollar-Gitarre für eine Hundert-Dollar-Teisco gegeben. Ich habe sie immer noch. Sie ist ein Haufen Scheiße – ich habe mich da also ziemlich verarschen lassen. Nur: Es war eine Lektion fürs Leben. Wenn jemand gleich auf dein erstes Angebot eingeht, kann etwas nicht stimmen. (lacht)
Wie hat sich dein Spiel in den letzten 20 Jahren verändert? Stellst du eine Entwicklung fest – und wenn ja: welche?
Ich würde schon sagen, dass es sich verändert hat. Aber gleichzeitig hat es das auch nicht. Denn: Ich bin nicht die Art von Gitarrist, die wahnsinnig viel übt. Ich habe kein Interesse daran, der Beste der Besten zu sein. Einfach, weil das Spiel, das ich mag, nicht sonderlich technisch ist – es geht um das Gefühl. Und ich befasse mich mehr mit Sounds, Tönen und Melodien. Ich mag es, mit einer Gitarre nette Melodien zu erzeugen, statt damit wer weiß welche technischen Kabinettstückchen zu vollführen. Insofern: Bin ich ein besserer Gitarrist, als ich es mal war? Keine Ahnung – das ist subjektives Empfinden. Ich bin aber immer noch der Typ, der Hasil Adkins und CeDell Davis liebt. CeDell hatte deformierte Hände und hat mit einem Buttermesser gespielt. Und das ist es, was mich geprägt hat.
Wie ist es eigentlich zu dem Auftritt mit den Stones gekommen? Wollten sie diese jungen, hippen Typen, um sich – in den Augen eines gewissen Publikums – cooler erscheinen zu lassen?
Keine Ahnung, aber das ist durchaus möglich. Schließlich versucht jeder, Support-Acts zu finden, von denen man denkt, dass sie interessant sein könnten oder einen selbst interessanter erscheinen lassen. (kichert) Ich erinnere mich aber, dass Charlie Watts vor der Show zu uns kam und hallo sagte. Er war besonders freundlich zu uns, weil sein Sohn oder seine Tochter – so genau weiß ich das nicht mehr – ein Fan von uns war. Deshalb schaute er vorbei und hat sich sogar mit uns fotografieren lassen. Es war wirklich cool – und er war wahnsinnig nett.
Warum habt ihr euch zu diesem Anlass für Bo Diddley’s ‚Who Do You Love‘ entschieden?
Weil die Stones gerne einen Bo-Diddley-Song spielen wollten. Also habe ich diesen vorgeschlagen – weil ich dachte, dass es ein großer Spaß werden könnte, ihn zu bringen.
Haben die Black Keys ihn schon öfter gespielt?
Nein, wir haben noch nie etwas von Bo gecovert. Aber natürlich ist es so, dass alles, was wir tun, von ihm beeinflusst wurde. Das ist ja nicht zu überhören.
Wenn man von den Stones eingeladen wird, ist das ein spontaner Auftritt, oder gibt es im Vorfeld zumindest eine gemeinsame Probe?
Es gab eine Probe im S.I.R. Sound Studio in Manhattan – und zwar am Tag vor der Show. Wir sind dahin, haben die Jungs kennengelernt und den Song ein paar Mal mit ihnen gespielt. Als wir uns verabschiedeten, marschierte Bruce Springsteen rein, um ebenfalls eine Nummer mit ihnen einzustudieren. Wobei ich überrascht war, dass Bruce gar nicht so groß ist, wie man gemeinhin annimmt. Wenn man solche Leute im Fernsehen sieht, kommen sie einem immer viel größer vor, als sie eigentlich sind. Ich meine, ich selbst bin ja auch nur 1,75 – aber er ist noch kleiner als ich. Das hat mich ziemlich überrascht.
Wie ist es, mit Keith und Ronnie zu spielen? Ist es schwer, sich da einzufügen oder haben sie es dir leicht gemacht?
Es war völlig easy – und extrem lustig. Ich würde sagen, wir haben einfach gemacht, was wir so machen. Wir kennen diese Musik ja wie unsere Westentasche. Insofern konnte da nicht viel schiefgehen. Und: Es war aufregend, mit diesen Typen auf der Bühne zu stehen, sich zu Keith umzudrehen und mitzubekommen, wie er dir zuzwinkert. Das ist sein Ding: Er zwinkert dir zu, als ob er mit dir flirtet. Und das Einzige, woran ich in dem Moment gedacht habe, war: „Passiert das hier wirklich?“
Hängt man auch mit den Stones ab, oder gibt es das bei ihnen nicht?
Nicht wirklich. Die Jungs spielen so lang, dass es danach einfach zu spät ist, um noch im Venue zusammenzusitzen. Abgesehen davon war die Show in New Jersey – da wollte jeder so schnell wie möglich wieder weg. (lacht)
Und wann sehen wir die Black Keys wieder in Europa?
Im Juni/Juli. Wir werden unser letztes Album ‚Dropout Boogie‘ bei ein paar Festivals und Open Airs vorstellen. Und nachdem wir sieben Jahre nicht mehr bei euch waren, freuen wir uns wahnsinnig darauf. Ich hoffe, bis dahin ist ein bisschen Normalität eingekehrt. Es wird ja höchste Zeit … (lacht)
(erschienen in Gitarre & Bass 03/2023)