Der Schamane

Carlos Santana: Ich wollte keine Rock-Musik wie Deep Purple spielen

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Mit ,Supernatural‘ erlebte Carlos Santana 1999 den späten Höhepunkt einer inzwischen 36-jährigen Karriere. 10 Millionen verkaufte CDs, 8 Grammys und zahlreiche Tourneen machten den großen alten Mann des Latino-Rock nicht nur populärer denn je – sie eröffneten ihm auch Möglichkeiten, von denen er nur zu träumen wagte. 

 

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(Bild: BMG CBS Archiv Fandel Roesberg)

Eben noch mehr illustre Kollaborationen, größere künstlerische Freiheit und verstärktes kreatives Austoben. Alles Dinge, die sich 2002 auf seinem Album ,Shaman‘  niederschlugen – und selbst eingefleischte Fans überraschen werden. Gitarre & Bass traf Carlos gegen Ende seiner Deutschland-Tour im Mai 2002.


 

Backstage in der Dortmunder Westfalenhalle: Drei Stunden vor Konzertbeginn herrschen Anspannung, Nervosität und rege Betriebsamkeit. Während die Counting Crows noch beim Soundcheck sind und sich Sicherheitskräfte, Techniker und Thekenpersonal auf den Ansturm von 15.000 Fans vorbereiten, ist die Santana-Band noch beim kollektiven Mahl – und Carlos mittendrin. Ein Chef zum Anfassen, Mitlachen und Spaß haben, der keine Distanz zu Musikern und Crew aufkommen lässt.

Dieser Eindruck bestätigt sich auch wenig später in der geräumigen Garderobe des 55-jährigen. Der lümmelt sich ganz relaxt auf einem riesigen Ledersofa, lässt zwar Sonnenbrille und Hut auf, ist ansonsten aber geradezu entwaffnend offen und ehrlich. Denn obwohl er noch nicht alles zum anstehenden neuen Epos ,Shaman‘ verraten möchte, sind seine Ausführungen doch mindestens genauso spannend, wie die türkisfarbene PRS-Gitarre, die frisch poliert auf einem Chromständer an der Tür thront – und wie der Meister selbst, nur auf den großen Augenblick des Anpfiffs wartet. Denn Carlos – daran lässt auch dieses Gespräch keinen Zweifel – lebt nicht für, sondern vor allem von der Musik.

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Long hair! Carlos Santana beim Gitarre & Bass-Interview am 17. Juli 1991 – nachzulesen in Ausgabe 09/1991. (Bild: BMG CBS Archiv Fandel Roesberg)

G&B: Du hast gerade eine Tournee durch die größten Hallen und Stadien Deutschlands absolviert – und das ohne neues Album. War das etwa nur zum Spaß?

Carlos Santana: (grinst) Ganz genau. Wobei wir es in den Jahren vor ,Supernatural‘ ja genauso gehalten haben. Da waren wir auch ewig ohne neues Album unterwegs. Und um ehrlich zu sein, sind wir auch noch nie aufgetreten, um ein neues Produkt zu promoten, sondern immer nur, weil wir unseren Spaß haben wollten – und weil es an der Zeit war, mal wieder vor die Tür zu kommen. Ich war jetzt zwei Jahre am Stück Zuhause, und das ohne live zu spielen. Ich habe nur leichte Hausarbeiten erledigt und Daddy und Ehemann gespielt.

G&B: Also eine Auszeit vom Nomadenleben? Schließlich warst du nie besonders heimisch …

Carlos Santana: Ich bin eigentlich seit 1967 nonstop unterwegs. Und was soll ich sagen: Diese Auszeit tat mir richtig gut. Zuerst dachte ich, ich würde verrückt werden: Wie soll ich so plötzlich aufhören? Und dann erkannte ich, dass ich meine Frau und Kinder doch etwas mehr liebe, als meine sogenannte Profession. Ich bin seit 29 Jahren verheiratet. Und obwohl es einen Wahnsinns-Spaß macht, unterwegs zu sein und vor so vielen Leuten zu spielen, ist es doch nicht damit vergleichbar, bei meiner Familie zu sein.

Wahrscheinlich können das nicht alle von sich behaupten – aber ich auf jeden Fall. Wenn ich mit meiner Frau zusammen bin, dann bin ich auch wirklich bei ihr. Und wenn ich unterwegs bin, dann bin ich eben unterwegs. Die meisten Musiker wissen doch gar nicht mehr, in welcher Stadt sie gerade sind. Sie gehen neun Monate auf Tour und mutieren zu richtigen Robotern. Du schaust in ihre Augen und siehst einen einzigen Schleier. Und das könnte mir nicht passieren. Ich bin hier – und dessen bin ich mir auch bewusst.

G&B: Und wie steht es mit dem neuen Album – ist es inzwischen fertig?

Carlos Santana: Fast. Wir stehen ungefähr 20, vielleicht sogar nur 15 Prozent vor der Vollendung.

G&B: Dann sind Live-Auftritte ein willkommener Vorwand, um Distanz zum Studio zu gewinnen?

Carlos Santana: Ganz genau. (lächelt) Das kann ich so unterschreiben.

G&B: Wie sieht denn ein typischer Tag im Tour-Leben von Carlos Santana aus? Ist da noch viel Zeit, um mit alten Freunden zu jammen und ein richtiges soziales Leben zu führen?

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Carlos Santana & seine Gitarren: Yamaha SG 2000 (Mitte der 70er) (Bild: BMG CBS Archiv Fandel Roesberg)

Carlos Santana: Aber sicher! Ich gehe zum Beispiel mit Peter Green aus – oder mit Prince. Weißt du, ich lasse mich immer sehr gerne einladen. Und wenn etwas Interessantes ansteht, gehe ich hin und spiele. Am liebsten mit Leuten, von denen ich ein großer Fan bin. Eben von Peter Green, Eric Clapton und einigen anderen. Peter habe ich auch ewig nicht gesehen. Von daher bin ich neulich zu einem seiner Konzerte gegangen – und habe mit ihm gejammt. Das war wirklich nett. Er ist ein prima Kerl.

G&B: Und wenn man Carlos Santana einlädt, dann kommt er automatisch mit Gitarre?

Carlos Santana: Das hängt ganz davon ab, wer es ist, und ob ich jemandem huldigen kann. Ich könnte mir etwa nicht vorstellen, mit Elton John oder Billy Joel abzuhängen, weil das ganz einfach nicht meine Art von Musik ist. Aber wenn sich Peter Green, Otis Rush, Buddy Guy, B.B. King oder Mike Stern melden, gehe ich natürlich hin. (grinst)

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Grausam: Vor 30 Jahren besaß Carlos S. noch nicht einmal ein Paar Socken (Bild: BMG CBS Archiv Fandel Roesberg)

G&B: Du hast auf dieser Tour bereits einige Songs des neuen Albums getestet. Wie reagieren die Leute darauf?

Carlos Santana: Bislang ziemlich gut. Dabei kennen sie die Stücke doch gar nicht. Und es gibt einen neuen Song, er heißt ,FuFu‘, und bei dem flippen sie so richtig aus. Wahrscheinlich, weil er ein sehr karibisches Flair hat – mit Ska-Einflüssen. Es ist einer dieser Songs, den du genauso in Jerusalem, Persien oder Texas spielen kannst. Die Leute tanzen dazu überall gleich, und es hat einen sehr universellen Touch. Dabei ist der Rhythmus eine Mischung aus Texmex, griechischer Folklore und arabischen Einflüssen. Ich denke da an Indien, Pakistan, Kairo, aber eben auch an dieses Texmex-Ding. Ich mag multidimensionale Songs. Nimm nur (Cindy Laupers Hit) ,Time After Time‘, das Miles Davis immer gespielt hat – das ist ein total vielseitiger Song. Einfach Wahnsinn.

G&B: Angeblich hörst du privat vor allem afrikanische Musik. Stimmt das?

Carlos Santana: Absolut! Und das schon seit Beginn meiner Karriere. Schon die ,Abraxas‘-LP war sehr Afrika-orientiert. Nimm nur Stücke wie ,Jin-Go-La-Ba‘ oder ,Savor‘. Nachdem wir uns von unserem ersten Keyboarder Gregg Rolie getrennt hatten, wurde das sogar noch stärker. Schließlich wollte ich keine Rock-Musik wie Deep Purple spielen. Nicht, dass ich etwas dagegen hätte – ich mag Bands wie Procul Harum oder Deep Purple. Aber eben nicht ausschließlich. Ein paar RockSongs hier und da reichen – dann sind sie wirklich cool.

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Absolute Rarität: Santana mit einer Gibson Firebird (Bild: BMG CBS Archiv Fandel Roesberg)

G&B: Hast du das Gefühl, dass der Einfluss afrikanischer Musik auf die westliche Subkultur in den letzten Jahren stärker geworden ist?

Carlos Santana: Definitiv. Ich selbst habe gerade erst mit Angélique Kidjo in Paris gespielt und mit Idrissa Diop, zwei unglaublichen Bands. Außerdem habe ich mit Badam Ali Khan, Salif Keita und Touré Kunda gejammt. Ob du es glaubst, oder nicht: Vor ein paar Wochen habe ich mich hingesetzt und aus lauter Kuriosität eine Liste erstellt, in die ich alle Leute eintrug, mit denen ich in irgendeiner Form gearbeitet habe – eben schwarze Blues-Musiker, weiße Blues-Musiker, Jazzer und Afrikaner.

Was soll ich sagen? Ich war regelrecht geschockt, mit wie vielen Leuten ich schon gespielt habe. Ehrlich. Ich habe mit Buddy Guy, Otis Rush, drei Mal mit B.B. King, mit Bobby Parker und all diesen großartigen Gitarristen gearbeitet. Genau wie mit Jimmy Page, Jeff Beck, Stevie Ray Vaughan, Eric Clapton, Mike Stern und Pat Metheny. Der einzige, der mir noch fehlt, ist John Scofield.

Aber egal. Jedenfalls ist mir bei all diesen Namen und Daten schlagartig bewusst geworden, was für ein Riesenspaß das doch alles war. Nimm nur Ry Cooder – wir beide lieben es, so viele unterschiedliche Territorien auszuloten, wie eben möglich. Dagegen spielen die meisten Leute immer nur eine Sache – zum Beispiel 24 Stunden am Tag Blues. Und sie wollen auch gar nichts anderes ausprobieren. Aber bei mir ist das anders.

Dank Coltrane oder John Lee Hooker fällt es mir halt viel leichter, die Augen zu schließen und meine Lieblingsmusik zu spielen. Und da gehört Bob Marleys ,Exodus‘ genauso dazu wie ,I Want You‘ von Marvin Gaye. Gute Songs sind gute Songs. Und das Wichtigste ist eben, dass man keine Angst vor neuen Dingen hat. Einige Leute machen sich Sorgen, was andere über sie denken könnten. Das ist doch lächerlich!

G&B: Und dein größter Traum wäre es, mal mit einem Sinfonieorchester oder einem Star-Tenor wie Placido Domingo zu arbeiten?

Carlos Santana: Das wäre fantastisch! Ich bekam mit, wie Pavarotti Sting einlud, und auch mich hat er schon ein paar Mal zu irgendwelchen Sachen eingeladen. Und obwohl ich dem bislang noch nicht nachgekommen bin, muss ich doch sagen, dass mich das sehr interessiert. Ich würde schrecklich gerne mit Placido Domingo oder Andrea Bocelli arbeiten.

Es müssten nur die richtigen Songs sein – und sie müssten ein bisschen leiser gespielt werden. Nicht, was die Intensität angeht, sondern nur hinsichtlich der Lautstärke. Denn die Stimmen selbst sind ja sehr, sehr intensiv. Diese Typen singen, als hätten sie zwei Marshall-Verstärker im Körper. Das ist wirklich Wahnsinn.

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Seit den 80ern spielt Santana Paul Reed Smith-Gitarren (Bild: BMG CBS Archiv Fandel Roesberg)

G&B: Wie steht es mit der Umsetzung dieser Träume?

Carlos Santana: Nach ,Supernatural‘ ist eigentlich alles möglich. Ich spiele mit Herbie Hancock, Wayne Shorter, Mcoy Tyner – ich kann tun und lassen, was ich will.

G&B: Dann hat dir das Album also doch einige Türen geöffnet?

Carlos Santana: Ja, ,Supernatural‘ hat es uns ermöglicht, in alle erdenklichen Richtungen vorzustoßen. Du musst halt nur die richtigen Songs haben, die gleichermaßen Großeltern wie Eltern, Teenagern und Kindern gefallen. Und solange du diese Balance erreichst, kannst du dich auch ausdehnen und mit Leuten arbeiten, die Opern singen.

G&B: Du hast diese Songs mal als „Smooth Songs“, als eher süße Lieder bezeichnet …

Carlos Santana: Ja, „smooth Songs“, eben diese ,Maria‘-Songs. Das sind wirklich multidimensionale Songs.

G&B: Und: Sind die besonders schwer zu schreiben?

Carlos Santana: Leicht sind sie jedenfalls nicht (lacht). Aber Wyclef Jean hat in der Hinsicht einen verdammt guten Job erledigt – genau wie Rob Thomas. Aber sie schreiben ja auch irgendwo zwischen 50 bis 100 Stücke pro Jahr, und nur 10 davon sind richtig gut. Von daher ist das ein Prozess des Eliminierens.

Es ist nicht so, dass sie dir einen Klassiker nach dem anderen präsentieren. Aber ,Maria‘ hat er tatsächlich vor meinen Augen geschrieben. Wir saßen im Studio, er schaute mir in die Augen und legte los. Das hatte etwas Magisches – und zugleich auch etwas Erschreckendes. Denn es schien so, als wäre mein Gesicht ein Blatt mit Noten, die er nur noch aufschreiben musste. Er nahm einen Stift, machte sich Notizen, rief seine Jungs an, und wir spielten ihn ein. Das war wirklich beeindruckend.

G&B: Und was dürfen wir von deinem neuen Album erwarten? Angeblich hast du weit über 50 Stücke zusammengetragen …

Carlos Santana: Eher 35 oder 40. Aber das ist immer noch genug für drei Alben. Von daher durchlaufen wir jetzt den Prozess des Eliminierens. Das ist wie bei den Play-Offs oder der Fußball-WM: Die Stärkeren kommen weiter, die Schwächeren fliegen raus. Letztlich ist ja nur Platz für 14 Songs, und die müssen einfach stimmen. Bei ,Supernatural‘ war es so, dass wirklich alles, was wir angefangen hatten, auch zu einem großartigen Song wurde. Wir haben nichts verschwendet.

Weil ich aber diesmal nicht so viel unterwegs war und mehr Zeit Zuhause verbrachte, habe ich dann doch etwas zu viel geschrieben. Was aber nicht heißt, dass ich nun gezielt fürs Radio komponiert hätte – das höre ich schon aus Prinzip nicht. Es sei denn, es ist ein Sender, der mehr europäisch ausgerichtet ist – der Led Zeppelin und John Coltrane zur selben Zeit spielt. Keine Ahnung, ob sie das noch tun, aber in Europa und vor allem in Frankreich haben sie wirklich Ravi Shankar neben Coltrane, Eric Clapton, Willie Nelson und Billie Holiday in ein und demselben Programm gebracht. Das finde ich toll.

Ich brauche Abwechslung – sie ist die Würze des Lebens. Ich könnte niemals nur mit Jazz oder nur Hip-Hop auskommen. Mann, ich brauche das ganze Ding. Sonst werde ich schnell unruhig und gelangweilt.

G&B: Wie setzt du das auf deinem Album um?

Carlos Santana: Mit so vielen multidimensionalen Songs wie eben möglich (grinst). Eben viel Vitalität, großen Melodien, guten Themen und einigen starken Frauen. Denn auf der neuen Platte singen nur Frauen. Ich kann dir noch nicht verraten, wer sie im einzelnen sind, aber da gibt es eine, die für mich geradezu göttlich ist. Sie ist nicht Aretha Franklin oder Patti LaBelle, aber sie steht doch auf einer Stufe mit diesen Schwergewichten.

Hier in Europa wird sie besonders verehrt und ich bin sehr stolz, mit ihr zu spielen. Wir sind in der Vergangenheit auch schon gemeinsam aufgetreten, aber dies ist eben das erste Mal, dass sie auf einem meiner Alben mitwirkt. Im Grunde wollte ich schon immer mal eine CD mit verschiedenen weiblichen Stimmen aufnehmen. Mein eigener Sound ist ja auch sehr feminin – genau wie der von Miles. Coltrane war sehr männlich, Miles sehr weiblich – trotz seiner Mördertrompete.

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(Bild: BMG CBS Archiv Fandel Roesberg)

G&B: Kann es sein, dass es dir nicht gerade leicht fällt, zu entscheiden, welche Songs du letztlich auf die Platte nimmst und welche nicht? Drückst du dich schon länger um diese Entscheidung?

Carlos Santana: Allenfalls ein bisschen. Aber was ich als allererstes rauswerfe, sind die Instrumentalstücke. Denn ich möchte in naher Zukunft noch ein reines Instrumental-Album namens ,Hymn‘ machen – und noch eines, das ganz in Spanisch gehalten ist.

Außerdem bin ich 1988 mit Wayne Shorter getourt, und auch das wird bald auf Platte erscheinen. Ich habe damals jedes Konzert mitgeschnitten, von daher geht es nur darum, die besten Auftritte auszuwählen. Zudem habe ich noch eine DVD aus Montreal mit Clive Niles in Aussicht. Insgesamt komme ich etwa auf sieben unterschiedliche Alben, die ich in den nächsten vier Jahren veröffentlichen möchte. Und das beinhaltet noch nicht einmal die neue Musik, an der ich ja regelmäßig arbeite. ,Shaman‘ ist da also noch gar nicht mit drin.

G&B: Und wie fühlst du dich in der gegenwärtigen Situation des Musikgeschäfts, in dem es nur noch um Marketing, aber kaum noch um Musik geht …

Carlos Santana: Das mag schon sein. Aber ich denke nun mal nicht so, und ich weigere mich auch, mir so ein Gedankenmuster aufzwingen zu lassen. Dafür wäre es eh viel zu spät. Würde ich so denken, könnte ich die Gitarre an den Nagel hängen und Buchhalter werden. Aber ich habe einfach keine Lust, mir diese Sprache anzueignen. Wozu auch? Es reicht doch, wenn meine Frau gut mit Zahlen umgehen kann – sie hilft mir, so gut es eben geht.

Ich selbst habe da kein Verlangen und keine Ambitionen. Materielle Dinge liegen mir fern. Klar, ich lebe in einem schönen Haus, aber in dem habe ich eben auch schon vor ,Supernatural‘ gewohnt – genauer seit 1986. Und ich bin seit 29 Jahren mit derselben Frau zusammen. Von daher bin ich wohl einfach nicht so verrückt, wie andere Leute. Denn viele, die ein Album wie ,Supernatural‘ erleben, drehen doch total durch. Sie tauschen ihre 50jährige Ehefrau gegen zwei 25jährige Hüpfer ein.

Und das finde ich einfach traurig. Nur, weil meine Frau 50 ist, heißt das doch nicht, dass ich mich so einfach von ihr trennen könnte – sie ist wie ein Engel für mich. Sie hat alles, was ich brauche und eine starke Spiritualität, die mich ungemein anzieht. Natürlich ist sie auch wunderschön, aber was ich am meisten an ihr liebe, ist ihre Würde, ihre Weisheit und die Art, wie sie mir hilft, meine Probleme zu lösen und meine Ängste und Sorgen zu bekämpfen. Sie ist unglaublich wichtig für mein körperliches und geistiges Wohlbefinden.

G&B: Das klingt, als wärst du ein sehr glücklicher Mensch …

Carlos Santana: Ja, Mann, ich bin wirklich gesegnet. Das kann man gar nicht anders sagen …

G&B: Wie steht es mit aktueller Popmusik? Verfolgst du, was in den Charts passiert?

Carlos Santana: Bestimmte Sachen schon. Was Popmusik betrifft, gibt es aber nur sehr wenig, was mich auch nur halbwegs anspricht. Ich mag zum Beispiel einige Songs von Janet Jackson. Die Art und Weise, wie sie komponiert sind, finde ich sehr, sehr interessant. Aber ich halte eben nichts von diesen ganzen Gruppen, die geradezu beliebig austauschbar sind. Viele Sachen hören sich einfach total identisch an. Nimm nur Pearl Jam und Creed.

Da gibt es mindestens fünf weitere Gruppen, die genauso klingen, weil die Stimme des Sängers und die Arrangements total identisch sind. Und das gibt mir einfach nichts. Ich halte auch nichts von Oasis, weil ich eben schon Cream und die Beatles kenne. Von daher bin ich auf diesem Gebiet bestens versorgt. Ich suche vielmehr etwas Originelles. Und Led Zeppelin, Jeff Beck, Cream, Jimi Hendrix oder die Doors waren alle absolut eigenständig. Deshalb weigere ich mich auch, Bands zu hören, bei denen man nachfragen muss, wer das eigentlich ist. Ich höre Bands, bei denen ich sofort denke: „Das ist aber nett.“ Insofern mag ich auch Wyclef Jeans Musik. Seine Sachen sind wirklich gut.

G&B: Wie steht es mit Nu Metal und Rap-Rock?

Carlos Santana: Da kenne ich nicht wirklich viele Namen – außer Molotov. Die sind richtig durchgeknallt und sehr kreativ. Wenn ich Grunge, Heavy Metal und richtig guten HipHop hören möchte, lege ich Molotov und Rage Against The Machine auf. Das war die letzte harte Band, die mir richtig gut gefallen hat. Eben, weil sie etwas Neues gemacht hat – genau wie vor ihr Vernon Reid und Living Colour. Der Rest dieser Bands klingt dagegen sehr identisch.

Das sind durchweg dieselben viertaktigen Phrasen, da gibt es keine Tiefen, sondern es ist alles sehr flach und monoton. Und es hat keine Dynamik. Von daher interessiert es mich auch nicht. Ich brauche etwas, was mich fesselt und begeistert. Und dazu bedarf es eben nicht jeder Menge Akkordwechsel. Es reicht schon, wenn sich die Atmosphäre mal verändert.

G&B: Wie gehst du mit der Aggression um, die die heutige Rock-Musik dominiert?

Carlos Santana: Oh Mann, ich weiß nicht einmal, warum sie überhaupt so wütend sind. Schließlich haben sie ja nichts von diesem ganzen Mist mitgekriegt, den wir früher erlebt haben. Oder waren sie etwa in Vietnam? Nein, die sind eher wütend, weil sie gelangweilt sind, nicht, weil sie einen triftigen Grund hätten, gegen irgendetwas zu kämpfen.

Coltrane hatte einen Grund, die Doors auch, genau wie Hendrix. Wir hatten viel mehr zu überwinden und zu bekämpfen, als George Bush und ein paar eingefallene Gebäude. Und ich sehe momentan auch kein weiteres Vietnam …

G&B: Und wenn es etwas gibt, das verändert werden sollte, dann ändere es gefälligst?

Carlos Santana: Ja, aber hör bitte auf, darüber zu lamentieren und die Heulboje zu spielen! Wenn du es ändern kannst, tu es. Wenn nicht, dann halt die Klappe, aber beschwer dich nicht so viel. Denn das Leben ist viel zu kurz und die Musik ist einzig und allein dazu da, um Spaß zu haben und den Zuhörer dahingehend zu inspirieren, seine eigene Göttlichkeit und seine Prinzipien auszuleben.

 

Carlos Sanatan über seine Gitarre

G&B: Lass uns auf deine Gitarren zu sprechen kommen: Die Paul Reed Smith ist längst zu deinem Markenzeichen geworden. Was ist so besonders daran?

Carlos Santana: Nun, sie ist sehr schwer und du brauchst keine Effektpedale, um einen kraftvollen, stehenden Ton zu bekommen: Sie hat ein sehr gutes Sustain und klingt wirklich sehr heavy. Und ich denke, mittlerweile spielen fast 80 Prozent der Musiker, die du auf VH-1 und MTV siehst, PRS-Gitarren. Sie stehen heute definitiv auf einer Ebene mit Gibson und Fender

G&B: Dabei zählen sie zu den teuersten Instrumenten schlechthin – in Fachkreisen sind sie auch als Zahnarztgitarren bekannt.

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(Bild: BMG CBS Archiv Fandel Roesberg)

Carlos Santana: Hahaha! Ja, klar, Qualität hat ihren Preis – aber dafür bekommt man einfach eine echte Allround-Gitarre. Egal, an welchem Verstärker du sie anschließt oder auf welcher Bühne du stehst – du hast immer einen guten Sound.

G&B: Was hat dich dazu veranlasst, gemeinsam mit PRS ein billiges Modell deiner Signature-Gitarre zu entwickeln?

Carlos Santana: Weil seine Gitarren für die meisten Musiker einfach viel zu teuer sind. Ehrlich. Das können sich doch nur reiche, erfolgreiche Leute leisten, aber keine Anfänger. Also fragte ich Paul Reed Smith, ob er nicht ein Modell entwickeln könne, das auch Kids auf der Highschool oder am College bezahlen können – die sonst wahrscheinlich nie in den Genuss einer PRS kämen.

Und ich muss sagen, das Ergebnis klingt sehr gut und fühlt sich auch richtig gut an – und das war genau das, was mir vorschwebte. Ich wollte eine billigere Variante ohne qualitative Abstriche. Und das ist ihnen gelungen.

G&B: Gibt es irgendwelche Unterschiede zwischen den beiden Modellen – mal abgesehen von der Tatsache, dass die billigeren in Korea gebaut werden?

Carlos Santana: Nicht wirklich. Die teure Ausgabe ist einfach nur ein bisschen schwerer und hat mehr Details und Features. Aber ansonsten ist die preiswertere PRS einfach großartig. Mann, wenn ich ein Anfänger wäre, würde ich mir so eine zulegen und versuchen, den Peter-Green-Sound hinzukriegen. Hahaha!

G&B: Und wie steht es mit dem GitarrenSound auf ,Shaman‘? Hast du da einen anderen Ansatz als auf ,Supernatural‘ gefunden?

Carlos Santana: Ja, ich habe Dumble-Verstärker entdeckt. Die wurden von Howart Alexander Dumble entwickelt und sind wirklich das Beste, was mir in meinem langen Leben begegnet ist. Er baut gerade ein neues Modell für mich – zwei habe ich bereits mit auf Tour. Die Kombination aus Dumble und Mesa/ Boogie ist einfach das Non plus Ultra. Besser geht es gar nicht. Jetzt brauche ich nicht mehr nach Verstärkern zu suchen. Ich habe meine persönliche Kombination gefunden – eben Boogie und Dumble …

Aber jetzt entschuldige mich – ich muss vor dem Auftritt noch ein kleines Nickerchen halten. Ein süßes, kleines 15-Minuten-Schläfchen, wie John Lee Hooker immer zu sagen pflegte. Hahaha!

G&B: Danke für das Gespräch!

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