(Bild: BMG)
Er gilt als ungekrönter König der Rock-Ballade. Als Experte in Sachen Herzschmerz und Drama. Doch Bryan Adams kann – wenn er nur will – auch anders. Auf seinem neuen Album ‚So Happy It Hurts‘ besinnt er sich zumindest teilweise auf das, was ihn Anfang der 80er-Jahre zum Weltstar gemacht hat: Druckvoller, dynamischer Rock’n’Roll in bester ‚Reckless‘-Manier. Was dahinter steckt, und warum er dem nicht öfter frönt, haben wir im Interview erfahren.
Um es vorwegzunehmen: Der 62-jährige Kanadier ist kein leichter Gesprächspartner – und längst nicht der ausgelassene „boy next door“-Typ, den er seit den frühen 80ern in seinen Songs verkörpert. Konversationen mit dem ewig jugendlichen Multimediatalent (Musik, Film, Fotografie) sind vielmehr zähe Angelegenheiten, weil er vorzugsweise kurz angebunden, mürrisch und genervt von den Fragen der Boulevardpresse ist, die ihn immer wieder nach seinem wohlgehüteten Privatleben und seinem jugendlichen Erscheinungsbild löchern.
Und wenn man ihn auf seine zweifache Corona-Infektion in den letzten sechs Monaten anspricht, fällt prompt die kommunikative Klappe. Doch geht es um Gitarren, um Rock’n’Roll und Kindheitserinnerungen, dann taut der Mann plötzlich auf – und gibt sich überraschend redselig. Wobei ‚So Happy It Hurts‘, sein 15. Studioalbum, jedoch auch genau diese Themenbereiche beschwört: Es birgt zwar immer noch Balladen, gleichzeitig aber auch einige seiner rockigsten und heftigsten Stücke seit Jahren. Das kann und will er auch erklären – zum Glück.
Bryan, wenn man sich deine Karriere vor Augen führt, hast du in den letzten 40 Jahren alles erreicht: Auftritte in den entlegensten Ländern der Welt, Dutzende von Auszeichnungen und Preisen, und sogar eine Briefmarke mit deinem Konterfei. Was motiviert dich zum Weitermachen?
Um ehrlich zu sein: So denke ich nicht – und all diese Sachen bedeuten mir längst nicht so viel, wie sie anderen zu bedeuten scheinen. Soll heißen: Sie sind nett und schmeicheln mir, aber sie sind nicht der Grund, warum ich Musik mache. Ich tue das nicht, um wer weiß was zu erreichen, sondern im Grunde denke ich von Tag zu Tag. Ich verfolge eine Politik der kleinen, bewussten Schritte, aber ich plane eigentlich selten etwas im Voraus und bin auch nicht komplett durchgetaktet.
In den letzten Monaten war es beispielsweise ein Riesenspaß, in meinem Warehouse-Studio in Vancouver an diesen Songs zu arbeiten und das gesamte Album im Alleingang aufzunehmen. Außerdem bin ich gleich noch ein weiteres angegangen – mit Songs aus dem Musical ‚Pretty Woman‘, die ich 2018 mit Jim Vallance geschrieben habe. Die werde ich ebenfalls bald veröffentlichen.
Und ich habe es wie Taylor Swift gemacht und meine alten Masterbänder neu aufgenommen, um die Rechte daran zurückzugewinnen bzw. die alten Verträge auszuhebeln, in denen ich nicht gut wegkomme. Der erste Teil davon erscheint ebenfalls in Kürze. Sprich: Für mich war die Pandemie eine wahnsinnig kreative Zeit. Und das ist es, was mich morgens immer sehr früh aufstehen lässt: Die Aussicht darauf, kreativ zu sein. Das ist an diesem Punkt in meiner Karriere einfach das, was mich am meisten erfüllt.
Und du scheinst immer noch eine große Leidenschaft für Rockmusik zu besitzen.
Oh Mann, und wie – keine Frage.
Stimmt es, dass der Besuch eines Led-Zeppelin-Konzerts der Ausgangspunkt für deine Karriere bzw. deine musikalische Sozialisierung war?
Das stimmt. Ich habe sie sogar zwei Mal gesehen. Sie waren fantastisch. Einfach unglaublich. Und ich hatte ohnehin das Glück, eine Menge von meinen Helden live zu erleben: Deep Purple, T. Rex, Bowie und The Who. Mit The Who habe ich später sogar noch gearbeitet und mit Bowie war ich auf Tour. Außerdem habe ich mit Steve Marriott und Joe Cocker gesungen. Beide hatten einen riesigen Einfluss auf mich. Von daher hatte ich eine tolle Jugend und Ausbildung: Ich war da, als all diese Ikonen noch aktiv waren. Und später auch noch mit einigen von ihnen schreiben und aufnehmen zu dürfen, war eine Sache, für die ich immer dankbar sein werde. Es war fantastisch.
Das heißt, du warst zur richtigen Zeit am richtigen Ort?
Ja, ich habe Jimmy Page in seiner vielleicht kreativsten Phase erlebt. Genau wie Blackmore und Townshend, als sie auf dem Höhepunkt ihres Schaffens waren. Es war das goldene Zeitalter des Rock’n’Roll oder des Hardrock. Der Einzige, der in meiner ganz persönlichen Sammlung fehlt, ist Phil Lynott. Mann, ich habe ihn geliebt und hätte ihn wahnsinnig gerne mal kennengelernt. Er war ein verdammtes Genie. Und er ist einer der wenigen, die ich nie getroffen habe. Ansonsten habe ich eine Menge umwerfender Musiker kennengelernt. Ich meine, Stevie Ray Vaughan war in meinen Anfangstagen sogar mal mein Vorprogramm – was irre ist. Und ich konnte eine enge Freundschaft zu Eddie Van Halen aufbauen. Ich habe eine Menge unfassbar talentierter Leute kommen und gehen gesehen.
Gab es ein Schlüsselerlebnis, das dich selbst hat zur Gitarre greifen lassen?
Eigentlich wollte ich nichts anderes als Schlagzeuger werden. Aber meine Eltern waren halt nicht sonderlich begeistert von der Idee, dass ich zu Hause einen solchen Krach mache. Weshalb mir mein Vater eine spanische Flamenco-Gitarre zu Weihnachten geschenkt hat. Ein ziemlich cleverer Schachzug – auch, wenn das ein wirklich schwer zu spielendes Instrument ist. Es hat einen extrem breiten Hals, Nylon-Saiten und ist ein regelrechtes Biest, das es zu meistern gilt.
Aber ich habe mich – und das wusste mein Vater genau – regelrecht darin verbissen und eine Menge grundlegender Akkorde gelernt. Ich musste nur noch eine Gitarre finden, die besser zu meinen relativ kleinen Händen passte. Und als ich zehn oder elf war, hat mich mein Onkel mit in einen Gitarrenladen genommen und mir ein Stratocaster-Imitat gekauft, eine Gherson. Anschließend ging es kontinuierlich bergab mit mir. (lacht)
Was bedeutet dir Rock’n’Roll? Ist es Freiheit und Abenteuer, und ist das die Botschaft, die du mit dem neuen Album vermitteln willst – mit dem Image von Autos, Frauen und elektrischen Gitarren?
Schön, dass du das so interpretierst – denn genau so ist es gedacht. Ich will hier das Gefühl transportieren, dass wir langsam zu den Dingen zurückkehren müssen, die wir so schmerzlich vermissen. Und ich habe genug von diesen negativen Gefühlen in Bezug auf alles, was wir nicht können oder dürfen oder besser nicht tun sollten. Ich will wieder richtig leben – wie alle Menschen. Und ich denke und hoffe, es ist nur noch eine Frage der Zeit, bis dieser Corona-Spuk Schnee von gestern ist. Von daher ist es auch wichtig, sich an das zu erinnern, was wirklich relevant ist.
(Bild: BMG)
In Bezug auf Gitarren: Was spielst du auf ‚So Happy It Hurts‘?
Es sind einige: Eine akustische Martin D-12, meine Gibson ES-295, die Goldtop, die auch auf dem Albumcover zu sehen ist, und dann noch einige Modelle, die ich schon in der Vergangenheit eingesetzt habe. Wie meine kirschrote Fender Stratocaster, die auch auf ‚Run To You‘ zu hören war. Und ich habe noch die Les Paul ausgegraben, mit der ‚Summer Of ’69‘ entstanden ist. Wenn ich so darüber nachdenke, waren da zudem noch ein Höfner-Bass, ein Precision-Bass und eine weitere Gitarre am Start, die mir Keith Scott geschenkt hat: Eine Fender Stratocaster Ritchie Blackmore mit einem „Scalloped“-Griffbrett. Eine wirklich einmalige Gitarre. Sie zu spielen ist eine echte Herausforderung. Gleichzeitig klingt sie aber auch wahnsinnig gut – sprich: Die Mühe lohnt sich.
Das klingt so, als hättest du dein Lieblingsspielzeug hervorgekramt?
Es hatte wirklich was davon. Die Gitarre, mit der ich auf dem Cover posiere, die Gibson ES-295, ist meine absolute Lieblingsgitarre und das Teil, das ich in letzter Zeit am häufigsten verwende. Es ist eine Hollowbody von 1953. Ich habe dasselbe Modell noch einmal als ’54er. Mit diesen tollen Gitarren zu arbeiten, ist einer der Gründe, warum es so ein großer Spaß war, dieses Album aufzunehmen.
Bist du ein Sammler – und wenn ja: Welches Verhältnis hast du zu deinen Instrumenten? Sind sie mehr als nur Werkzeuge?
Nein. Es gab zwar mal eine Zeit, in der ich eine Menge Gitarren gehortet habe, aber damit habe ich auch schnell wieder aufgehört. Einfach, weil es keinen Sinn macht, sie zu sammeln. Sie stehen dann irgendwo in der Ecke und bekommen nicht die Aufmerksamkeit, die sie verdienen. Denn sie sollten für Leute sein, die sie auch benutzen – die damit tolle Musik machen. Denn das ist es, was wir heute brauchen: mehr Gitarren.
Ist es deswegen ein deutlich gitarrenlastigeres Werk als seine Vorgänger?
Es ist allein deshalb gitarrenlastiger, weil es diesmal eine andere Art des Arbeitens war: Ich konnte nicht mit meiner Band in einem Raum sitzen und die Stücke langsam entwickeln, sondern ich war alleine und musste alles selbst machen. Die anderen waren zu Hause, über den ganzen Globus verteilt und konnten mir nicht helfen, weil sie nicht reisen durften. Zum Glück gibt es das Internet, denn so konnten wir via FaceTime kommunizieren und die eine oder andere Idee einstreuen. Aber größtenteils blieb alles an mir hängen – was zwar anstrengend, aber letztlich scheinbar gar nicht so schlecht war. (lacht)
Nur: Ich bin definitiv nicht derjenige, der die Gitarre zurück ins öffentliche Bewusstsein bringt. Es ist heutzutage einfach so, dass die Kids mehr an ihren iPhones interessiert sind als an einem Instrument. Und das wird sich auch so schnell nicht ändern. Die meisten Jugendlichen verehren ihre Mobiltelefone wie Götter.
Es braucht also einen neuen Kurt Cobain – jemanden aus ihrer eigenen Generation?
Ganz genau. Es müsste ein Youngster sein – einer von ihnen. Einer, der jung und aufregend ist und eine Hörerschaft erreicht, die ich allein altersbedingt nicht erreichen könnte.
Wobei wir in einer Zeit leben, in der die Ikonen der Rockmusik in ihren Mittsiebzigern und frühen 80ern sind. Wir werden sie also über kurz oder lang verlieren …
Deswegen werden die nächsten zehn Jahre auch geradezu tragisch. Aber genau deshalb möchte ich darüber auch nicht nachdenken – es würde mich zu sehr deprimieren.
Wie hat sich dein Spiel über die Jahre verändert? Welche Entwicklung kannst du da feststellen?
Ich denke, mein Spiel hat sich am meisten verändert, als ich vor ein paar Jahren nur mit Gary, meinem Pianisten, getourt bin. Also die ‚Bare Bones Tour‘, die wir ganz alleine bestritten haben. Dabei hat sich nicht nur mein Gesang verändert, weil ich da plötzlich mehr Raum füllen konnte und ja auch musste, sondern auch mein Gitarrenspiel – und zwar eindeutig zum Besseren. Ich habe gelernt, mehr Verantwortung zu übernehmen, präsenter zu sein und Lead-Parts zu übernehmen. Also mich nicht immer nur auf Keith zu verlassen, was ich über Jahrzehnte getan habe – und womit ich auch glücklich war.
Wie würdest du die Chemie zwischen Keith Scott und dir beschreiben? Wie kommt es, dass ihr seit Mitte der 70er zusammenarbeitet – und das so erfolgreich? Ohne Spannungen und Zerwürfnisse?
Zunächst einmal ist Keith so etwas wie mein Bruder. Ich kenne ihn seit ich 16 war und wir haben enormen Respekt voreinander. Das Beste an unserer Beziehung ist aber, dass da immer eine Menge Humor herrscht und wir viel mit- und übereinander lachen können. Das dürfte auch der Schlüssel zu allem anderen sein. Oder zumindest ein großer Teil davon.
(erschienen in Gitarre & Bass 04/2022)