(Bild: Jay Sansone)
Lange hat es gedauert, doch nun ist es soweit: Mit ‚Heavy Load Blues‘ legen Gov’t Mule ihr erstes reines Blues-Album vor. Im Interview erklärt Mastermind Warren Haynes, wie die Band seinen über Jahre gehegten Plan umgesetzt hat – und welche Zutaten sie dafür brauchte.
Außerdem teilt er mit uns den vielleicht wichtigsten Moment auf dem Weg zu seiner mittlerweile 40 Jahre währenden Karriere als Profi.
INTERVIEW
Warren, du warst immer mit dem Blues und seinen verschiedenen Ausprägungen verbunden. Warum gerade jetzt dieses Bluesalbum?
Ein solches Projekt stand schon lange auf meiner Liste, war allerdings bisher nie eine Priorität gewesen. Ich wusste auch lange nicht, ob es ein Gov’t-Mule-Album werden würde oder eine Soloplatte. Als wir dann beschlossen haben, dass es Zeit für eine neue Gov’t-Mule-Scheibe ist, kam der Gedanke an das Bluesalbum wieder auf. Wir haben zwei Platten zur gleichen Zeit aufgenommen, verbrachten also sehr viel Zeit im Studio. Wir nahmen tagsüber die rockigen Songs für das eine Album auf, nach dem Abendessen machten wir eine Pause und wechselten dann zum anderen Equipment und nahmen die Bluessachen auf. Wir hatten zwei komplett unterschiedliche Setups mit verschiedenen Komponenten.
Bei den Blues-Aufnahmen habt ihr vor allem Vintage-Gear verwendet, oder?
Richtig. In Sachen Amps waren es meist kleine Teile, etwa ein Gibson Skylark. Ich habe drei davon, sie stammen alle aus den 1950er-Jahren. Dazu kamen ein Supro-Amp sowie ein Gibson Vanguard, ebenfalls aus den 50ern. Diese drei Verstärker habe ich sehr viel benutzt – und dazu noch einen Tweed Fender Pro sowie einen alten braunen Danelectro-Amp aus den 50ern für den Gesang. Mein kleiner Alessandro-Recording-Amp hat es ebenfalls auf das Blues-Album geschafft. Bei einigen Songs habe ich die Verstärker auch kombiniert, etwa den Skylark mit dem Alessandro oder den Supro mit dem Skylark.
Das ist ein anderer Ansatz als bei vorherigen Alben.
Glücklicherweise liegt das Studio ungefähr eine Stunde von meinem Haus entfernt. Zum allerersten Mal, auch wegen Covid und Quarantäne, beschlossen wir: Lass uns so viel Gear wie möglich mitnehmen. Wir haben verschiedene Gitarren-Amp-Kombinationen ausprobiert, die ich so noch nie gespielt hatte. Ich hatte mehr Equipment im Studio als bei jeder anderen Aufnahme meiner Laufbahn. Aber es schien uns der richtige Ansatz zu sein, denn wir produzierten parallel zwei Alben und hatten anderthalb Jahre nichts zu tun gehabt.
Ihr habt bei den Aufnahmen außergewöhnliche Erfahrungen mit einer Fender-Halleinheit gemacht.
Wir nahmen die Tom-Waits-Nummer ‚Make It Rain‘ auf. Ich hatte meinen alten Fender Reverb Tank ins Studio gebracht und ihn dort auf dem Boden platziert. Der war sehr massiv, es hätte also keine Probleme geben sollen. Aber mitten in der Aufnahme gab es irgendwelche Interferenzen, von Radio-Frequenzen oder so etwas. Es wurde immer lauter, während wir aufnahmen. (Warren macht das Geräusch einer scheppernden Hallspirale, Anm. d. Verf.) Als wir dachten, wir hätten das Problem gelöst, traten die Störgeräusche erneut auf – und zwar mitten in dem Take, den wir verwenden wollten. Als wir fertig waren, fragte ich unseren Engineer und Co-Produzenten John Paterno: „Können wir diesen Track irgendwie hinkriegen und behalten?“ Er antwortete: „Oh ja. Wartet, bis ihr ihn hört. Er klingt super.“ Ich ging also in den Kontrollraum und es klang, als ob es regnen würde – passend zum Songtitel. Anschließend haben wir das Hallgerät in den Kontrollraum verlegt, aber für diese Aufnahme war es ein seltsamer Zufall, fast schon eine Fügung.
Hast du außer dem Fender-Hall sonst noch Effekte verwendet?
Nicht auf dem Blues-Album. Es gibt einen Song, auf dem wir bei einem Part ein analoges Delay eingesetzt haben – aber das auch nur, weil wir einen psychedelischen Effekt haben wollten. Ansonsten gingen die Instrumente direkt in die Amps.
(Bild: Jay Sansone)
Wo wir bei den Gitarren sind – welches waren die Hauptmodelle?
Das war bei fast jedem Track anders. Ich habe eine Danelectro Pro 1 für den ersten Song, die Elmore-James-Nummer ‚Blues Before Sunrise‘, verwendet, dann meine 1961er ES-335, eine 1963er ES-345, meine 1959er Les Paul, außerdem eine spezielle Danelectro-Gitarre, die aus Teilen verschiedener Modelle besteht. Die habe ich auf ‚Make It Rain‘ gespielt. Dazu kamen einige Epiphones, die gerade mal 20 oder 30 Jahre alt sind. Es sind günstigere Gitarren, aber sie haben einen schönen Blues-Sound. Es waren also nicht alles 1950er- und ’60er-Instrumente.
Hast du die Sounds und ihre Komponenten vor oder während der Aufnahmen ausgesucht?
Ein bisschen von beidem. Wir haben vor den Aufnahmen eine Woche lang geprobt – vor allem für das Rock-Album, das übrigens in diesem Jahr erscheinen soll. Die Blues-Sachen haben wir nicht sonderlich vorgeplant. Aber wir hatten all die Amps aufgebaut, konnten also jederzeit einstöpseln und Sounds ausprobieren. Ich habe außerdem eine Gibson SG Custom aus den 1960ern von Allen Woodys Tochter ausgeliehen (Allen Woody ist Mitgründer von Gov’t Mule, verstorben August 2000, Anm. d. Verf.). Es war seine Gitarre, ich habe sie auf ‚Snatch It Back And Hold It‘ gespielt. Es ist ein Drei-PU-Modell, exakt so eins wie das, das ich hatte, als ich ein Teenager war. Selbst die Farbe ist identisch. Es war cool, seine SG auf diesem Track zu spielen.
Wie haben sich die Setups für die beiden Alben konkret unterschieden? Hast du größere Amps verwendet – etwa die Soldanos, die du regelmäßig einsetzt?
Ja. Ich hatte meine Soldanos, dazu Verstärker von Homestead und Diaz, den Alessandro-Amp, ein paar alte Marshalls, den Paul-Reed-Smith-Amp, den ich bei den Allman Brothers verwende, sowie ein paar Vox AC30 und einige 4×12″-Boxen. Aber auch bei den Rocksachen nehme ich gerne einen kleinen Amp hinzu und blende ihn in den Sound ein – etwa den Alessandro oder den Gibson Skylark.
Wie war es bei den Gitarren? Gab es da beim Rock-Album größere Abweichungen?
Es war schon etwas anders. Einige Gitarren blieben gleich, ich habe meine Signature Les Paul auf ein paar Nummern gespielt, dazu eine ES-335 aus dem Gibson Custom Shop auf ein paar weiteren. Es gibt auch auf diesem Album viele verschiedene Gitarren, aber es war noch mal anders als beim Blues-Album. Ich habe meine Firebirds gespielt, 335er, ebenso eine elektrische 12-Saitige.
Hast du irgendwelche Unterschiede bei deinem Spiel über die verschiedenen Setups feststellen können?
Ich denke schon, dass der Sound dein Spiel beeinflusst. Ich wollte, dass diese Platte traditioneller klingt als alles, das wir zuvor gemacht haben. Mein Spiel war bewusst etwas klassischer als sonst. Ich bleibe mir zwar vom Stil her treu, aber ich zolle meinen Blues-Einflüssen dieses Mal mehr Tribut als je zuvor.
(Bild: Jay Sansone)
Du hast mal gesagt: „Ich spiele am besten, wenn ich meinen Verstand komplett abschalte und es einfach laufen lasse.“
Es ist zumindest mein bevorzugter Spielstil. Ich denke, die meisten Musiker, die gerne improvisieren, sehen das genauso. Wenn du nachdenkst – etwa darüber, was du als Nächstes spielen solltest –, dann leidet dein Spiel darunter. Das war auch der Grund, warum wir beschlossen, die Blues-Sache in der Nacht zu machen. Am Tag spielten wir das Rock-Zeug, als es spät wurde, tauchten wir in die Blueswelt ein. Wir schalteten unseren Verstand aus und spielten Blues. Das funktionierte ziemlich gut, denn das war der perfekte Zeitraum dafür.
Was würdest du einem jungen Gitarristen raten, wenn er an diesen Punkt kommen möchte – es fließen zu lassen ohne nachzudenken. Was braucht es dazu? In erster Linie mit anderen zu spielen?
Mit anderen Leuten zu spielen ist sehr wichtig. Denn dann musst du zuhören – und gleichzeitig dein Hirn abschalten. Du musst auf das eingehen, was du hörst. Aber es braucht tausende Stunden Spielen, bis du an diesen Punkt gelangst und technisch in der Lage bist, das zu spielen, was in deinem Kopf abgeht. Du musst es also immer wieder tun. Das wird mit der Zeit immer besser. Wenn du das Glück hast, andere Musiker zu finden, mit denen du gut zusammenspielst, ist das sehr hilfreich.
Kannst du dich noch daran erinnern, wann es bei dir so weit war? Du hast ja schon früh als Profi gearbeitet. Gab es einen speziellen Moment, wo dir klar wurde, dass du das jetzt hinbekommst?
Ich denke, ich hatte großes Glück. Als ich aufwuchs, spielte ich mit vielen älteren Musikern, ich war immer der Jüngste. Als ich 14, 15 war, spielte ich mit Leuten, die 19 oder 20 waren. Mit 19 oder 20 waren meine Mitmusiker 28, 29. Ich habe viel von ihnen gelernt. Nachdem ich schon so früh damit angefangen habe und mitbekam, wie meine Lieblingsgitarristen aus der Umgebung die Sache angehen, war ich wohl ein junger Teenager, als mir klar wurde, dass du es einfach laufen lassen musst und nicht zu viel nachdenken darfst. Aber das passierte in erster Linie, weil ich älteren Musikern zuhörte, die diese Disziplin schon gemeistert hatten.
Glaube es oder nicht, ich hatte ein sehr ergreifendes Erlebnis mit Carl Perkins, als ich noch sehr jung war: Wir haben zwei oder drei Shows zusammen gespielt, er war extrem freundlich und sehr unterstützend. Ich glaube, ich war damals 21. Er nahm mich eines Tages beiseite und sagte: „Weißt du, wie außergewöhnlich es ist, das spielen zu können, was einem gerade in den Kopf kommt? Du hast diese Fähigkeit. Ich weiß nicht, ob dir klar ist, wie besonders das ist.“ Das machte mich sehr stolz, ich fühlte mich danach extrem gut. Ich war ein riesiger Fan und habe derartig zu Carl aufgesehen, dass dies zu einem besonderen, sehr ermutigenden Moment in meinem Leben wurde.
Das ist ein schönes Schlusswort.
GEAR AUF ‚HEAVY LOAD BLUES‘
GITARREN
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- ‚Blues Before Sunrise‘: Danelectro Pro 1 aus den 1960ern, Drop D
- ‚Hole In My Soul‘: 1963er ES-345 von Paul Zagler (Gitarrenbauer aus Österreich)
- ‚Wake Up Dead‘: Gibson SG, Eb-Tuning. (Warren kann sich nicht erinnern, ob sie aus dem Custom Shop stammt oder ein reguläres Instrument ist.)
- ‚Love Is A Mean Old Word‘: Plummer Resonator, Open G
- ‚Snatch It Back And Hold It > Hold It Back > Snatch It Back And Hold It‘: SG Custom aus den 1960ern, gehörte Allen Woody, dem verstorbenen Mitbegründer von Gov’t Mule
- ‚Ain’t No Love In The Heart Of The City‘: Gibson Les Paul, Tobacco Sunburst
- ‚(Brother Bill) Last Clean Shirt‘: 1961er Gibson ES-335
- ‚Make It Rain‘: Danelectro-Kombi aus verschiedenen Modellen, entweder aus den 1950er- oder 1960er-Jahren
- ‚Heavy Load‘: Gibson-L-1-Akustik (als Baujahr vermutet Warren 1929)
- ‚Feel Like Breaking Up Somebody’s Home‘: 1959er Gibson Les Paul
- ‚If Heartaches Were Nickels‘: 1961er Gibson ES-335
- ‚I Asked For Water (She Gave Me Gasoline)‘: 1959er Gibson Les Paul
- ‚Black Horizon‘: 1939er National Steelbody, Open G
HAUPT-AMPS
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- Tweed Gibson Vanguard 1×15″-Combo (gebaut zwischen 1959 and 1961)
- Tweed Gibson Skylark (aus den späten 50ern oder frühen 60ern)
- Tweed Fender Pro
- Alessandro-Combo
- Gibson Goldtone
EFFEKTE
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- Vintage Fender Spring Reverb Tank (gebaut um 1963)
- Reissue Fender Spring Reverb Tank (Geschenk von Billy Gibbons)
- Pedale: keine
(erschienen in Gitarre & Bass 02/2022)